Der Messianismus des Moses Maimonides. Analyse einzelner Schriften Maimonides und Darstellung der geschichtlichen Entwicklung


Hausarbeit, 2012

21 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der jüdische Messianismus im geschichtlichen Überblick
2.1 ... im Alten Testament und im Frühjudentum
2.2 ... in der rabbinischen Zeit und im Mittelalter
2.3 ... in der Gegenwart
Exkurs: Der „jüdische Jesus“ heute

3. Der Messianismus des Maimonides
3.1 Der Brief in den Jemen / Iggeret Teman
Exkurs: Maimonides Haltung gegenüber den Christen
3.2 Mischne Tora

4.Schlussbetrachtung

5. Abkürzungs- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Gegenstand der vorliegenden Hausarbeit sind ausgewählte Schriften des jüdischen Theologen Moses Maimonides (1135-1204), welche hinsichtlich seines Denkens bezüglich des Messias und des Messianismus untersucht werden sollen. Ziel ist hierbei primär, sich zugleich dem Thema des Messianismus in seiner geschichtlichen Komplexität aus jüdischer Perspektive anzunähern sowie die messianischen Vorstellungen des Maimonides zu erfassen und in der jüdischen Geschichte zu verorten.

So soll in einem ersten Schritt als Grundlage aller weiterer Ausführungen ein Überblick über die Geschichte des jüdischen Messianismus mit Schwerpunkt auf der rabbinischen Zeit gezeichnet werden. Anschließend soll in einem zweiten Schritt Maimonides Überzeugungen näher untersucht werden. Hierbei fungieren zwei seiner bedeutendsten Werke, der Brief in den Jemen sowie die Mischne Tora, als Hauptuntersuchungspunkte. Desweitern wird exkursartig in erstgenanntem Schritt die heutige jüdische Haltung gegenüber Jesus beleuchtet werden sowie in einem weiteren Exkurs, angelehnt an die Untersuchungen zu Maimonides, dessen Einstellung zu den Christen knapp dargestellt.

2. Der jüdische Messianismus im geschichtlichen Überblick

Eingangs soll erwähnt werden, dass in der vorliegenden Arbeit nur ein knapper Überblick über die Geschichte des jüdischen Messianismus darstellbar ist und keinesfalls ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden kann. Grund hierfür ist neben dem begrenzten Umfang dieser Arbeit eine dem jüdischen Messianismus inhärente Problematik: es kann nicht von der Geschichte des jüdischen Messianismus gesprochen werden, sondern vielmehr muss von verschiedenen messianischen Strömungen die Rede sein. Obgleich die messianischen Ansichten und Überzeugungen der letzten Jahrtausende sich in einem Punkt treffen, nämlich in der Tatsache, dass es bei den „Messiaserwartungen aller Zeiten [...] um erhoffte Wiederherstellungen alter und bewährter Offenbarungsinstitutionen und um Änderungen gegenwärtiger, als ungerecht, unbefriedigend, leidvoll und Gott mißfällig empfundener Zustände [geht]“1, differieren die Vorstellungen sowohl auf synchroner als auch auf diachroner Ebene, wie im Folgenden gezeigt werden soll.

Eine erste Grundeinsicht hinsichtlich des jüdischen Messianismus ist die Tatsache, dass der Messianismus dem Judentum nicht von Beginn an inhärent war, sondern ein sekundäres Phänomen darstellt. So bestand unter den Juden lange Zeit die feste Überzeugung, das Volk Israel sei auserwählt, die Gottesherrschaft auf Erden zu errichten, welches in besonderer Weise im Bundesschluss zwischen Jahwe und dem Volk Israel bestätigt wurde. Die Messiaserwartungen und -hoffnungen entstanden demzufolge wohl erst nach dem babylonischen Exil (586-538) und wurden durch „die exilisch-nachexilischen Propheten Ezechiel, Deutero- und Tritojesaja, Haggai und Sacharja“ 2 mit dem Ziel geweckt, in den, aufgrund von Entwurzelung und babylonischer Gefangenschaft verzweifelten Juden neue Hoffnung und Vertrauen in ihre Religion zu schaffen. Dies war vor dem babylonischen Exil nicht nötig gewesen, sodass das Judentum erst als „geschichtlich gewachsene Form“3 als eine messianische Religion zu bezeichnen ist.

2.1 ... im Alten Testament und im Frühjudentum

Um diese messianische Entwicklung des Judentums erfassen zu können, bietet sich vorab ein Blick auf den Begriff des „Messias“ als hilfreich an. Das hebräische Wort meshîa („Gesalbter Jahwes“) stammt ab von der Wurzel mâshah und erscheint insgesamt 38 Mal in der Bibel, gehäuft bei Samuel und in den Psalmen4. meshîa bezeichnet hier fast durchgehend eine königliche Person und bezieht sich entweder auf den König im Allgemeinen oder im Speziellen auf Saul oder David, wobei auch hier stets deren königliche Funktion und weniger sie als Einzelpersonen im Blickpunkt stehen.

Trotz dieser ursprünglich königlichen Verwendung des Messiastitels, besitzt er dennoch von Anfang an eine theologische Konnotation, da er „stets in Verbindung mit JHWH [...] konstruiert“ wird.“5 Dies bestätigt auch Hans Strauß, wenn er meint, dass die Bezeichnung als „geprägte syntaktische Verbindung das souverän erwählende, legitimierende Handeln Jahwes am (davidischen) Königtum im Gottesvolk [betont].“6

Den Königen wie Saul, David und Salomo, wurden im Zuge dieser theologischen Konnotation verschiedene Prädikationen zugeschrieben wie „Kriegsheld“, „Hirte und Hüter seines Volkes“, „Retter“ und „Richter“. Desweiteren wurden ihnen von Gott besonders tugendhafte Fähigkeiten wie Recht und Gerechtigkeit7 bei ihrem ersten rituellen Akt, der Salbung mit Öl, verliehen:

Die biblischen Texte verbinden mit dieser Königssalbung ein Erfaßtwerden der königlichen Person durch den Geist Gottes. [...]. Bei der Salbung dringt der Geist Jahwes in den König ein wie das Öl in den Körper und verleiht ihm übermenschliche Kraft.8

In der Folgezeit transformierte sich die Vorstellung eines geheiligten Königs in die Vorstellung eines kommenden Messias und die Mehrheit des jüdischen Volkes erwartete fortan einen messianischen König aus der Dynastie Davids. Bezeichnenderweise für die gesamte Geschichte des jüdischen Messianismus gab es aber auch neben der Vorstellung eines messianischen Nachkommen Davids abweichende Überzeugungen, welche sich von der Vorstellung mehrerer Messiasgestalten über die Ansicht, dem Messias wären noch Gefährten an die Seite gestellt wie beispielsweise Abraham, Jakob oder Mose9 bis hin zu dem gänzlichen Fehlen des Glaubens an eine konkrete Messiasgestalt erstreckten. Hinsichtlich Letzterem soll auf eine fundamentale Differenz bezüglich des jüdischen Grundverständnisses des Begriffs des „Messianismus“ hingewiesen werden, welche sowohl auf synchroner als auch diachroner Ebene bestand und fortbesteht: In Anlehnung an die obigen Ausführen teilen und teilten der Großteil der Juden den Glauben an einen persönlichen Messias im Sinne einer konkreten Messiasgestalt10, wie sie Hans Strauß schon im Alten Testament anzutreffen meint:

Gehört also zur Messiasgestalt im Alten Testament nach verbreitetem Verständnis Dreifaches: erstens, daß sie eine Königsgestalt sei, zweitens, daß sie Heil bringe, drittens, daß mit ihr die Endzeit anbreche, so daß kurz unter ‚Messias‘ der ‚eschatologische Heilskönig‘ zu verstehen sei.11

Ein geringerer Teil des jüdischen Volkes setzte dagegen die messianische Hoffnung mit einem heilvollen Ende der Geschichte in politisch-sozialer Dimension gleich. Letzteres ist überspitzt formuliert ein Messianismus ohne Messias, eine messianisch-eschatologische Hoffnung.

Unter diesen auf einen Messias wartenden nachexilischen Juden Israels herrschte weitgehende Einheitlichkeit hinsichtlich der Endzeitvorstellungen: So wurde von dem Kommen des Messias primär die „Rückführung, Zusammenführung und Vollendung, des in alle Windrichtungen zerstreuten, teils unsichtbar gewordenen, israelitischen Volkes“ 12 erwartet, da von den anfänglich zwölf israelitischen Stämme nur die beiden Südstämme Juda und Benjamin nach der Exilierung nach Israel zurückkehren konnten. Die Sammlung der Exilanten wurde als „das entscheidende Zeichen der Endzeit“13 angesetzt. Desweiteren wurde von dem Messias erwartet, die endgültige Aufhebung der Unterdrückung von Seiten der anderen Völker herbeizuführen sowie alle Israeliten und möglichst viele Menschen anderer Völker zu dem Glauben an den einen Gott Israels zu führen. Außerdem erhoffte man sich die „Bestätigung der singulären Erwählung Israels allen anmaßenden Konkurrenten, Verdrängern und Unterdrückern gegenüber“.

Als nun jedoch ersichtlich wurde, dass die herrschenden Könige, allesamt sündhaft, scheiterten, mussten die Juden die Hoffnung auf das baldige Kommen des Messias aufgeben und ihre Heilserwartungen in eine unbekannte Zukunft verschieben14, welches zur Folge hatte, dass der Messianismus aus seiner bisherigen zentralen Stellung im Judentum herausgelöst wurde.

2.2 ... in der rabbinischen Zeit und im Mittelalter

In der rabbinischen Zeit änderte sich der Stellenwert des Messianismus einerseits angesichts der Zerstörung des 2. Tempels um 70 n.Chr., welche als eine existentielle Bedrohung der jüdischen Identität empfunden wurde und anderereits angesichts dem Nichterscheinen des Messias beziehungsweise dem Erscheinen des sich als falscher Messias erweisenden Bar Kokhba um 130 n.Chr. Diese Zeit der Not und Bedrängnis ging nun aber nicht einher mit einer Geringschätzung oder Aufgabe der messianischen Hoffnungen, sondern gerade angesichts dieser Leidenszeit trat der Glaube an den Messias wieder stärker in den Vordergrund. Zahlreiche rabbinische Schriften setzten sich mit ihm auseinander und zeichneten apokalyptisch geprägte Szenarien und utopisch-paradiesische Zustände: Israel werde frei sein von Schmerz, Elend, Fremdherrschaft und Friede und Gerechtigkeit werden unter den Juden herrschen werden, welche sich, nach dem Wiederaufbau der Heiligen Stadt und des Jerusalemer Tempels, dort sammeln werden. Kurzum: die rabbinische Zeit zeichnete sich primär durch ein immenses Spektrum an apokalyptischen Heilserwartungen aus, welche sich von der Erwartung einer militärischen Wiederherstellung eines ideal-utopischen Zustandes bis hin zu der Erwartung eines katastrophalen Untergangs der Welt mit anschließender Neuschöpfung erstreckten. Dieses „apokalyptische Katastrophenbewußtsein [...] war so groß, daß der Talmud manchem rabbinischen Lehrer den Ausspruch zuschreiben konnte: ‚Möge der Messias kommen, doch ich will es nicht sehen‘.“15

Gerade in dieser Zeit entstand auch die sogenannte Zwei-Messias-Lehre, welche die Vorstellung bezeichnet, dass zwei Messiasgestalten an der endgültigen Erlösung beteiligt sein werden und ihr Auftreten für die Realisierung der eschatologischen Hoffnungen notwendig sein wird. Der erste Messias wird ein kriegerischer Messias aus dem Hause Josephs bzw. Efraims sein, der gegen die Feinde Israels Krieg führen und sie vernichten wird, hierbei jedoch selbst im Gog- und Magog-Krieg erliegen wird. Er ist als Vorläufer des eigentlichen Messias aus dem Hause Davids gedacht 16 und fungiert als Auftakt zur kommenden Erlösung durch den Sohn Davids, welcher die Gottesherrschaft und eine ewig währende Zeit des Friedens und der Gottesgemeinschaft errichten wird. Diese Konzeption sieht demzufolge eine klare Trennung der messianischen Aufgaben vor: der scheiternde Messias wird Krieg führen und die Erde aufrichten, der erfolgreiche Messias wird zum dauerhaften Frieden und glorreichen Zeitalter führen.

Dennoch blieb auch weiterhin die Vorstellung eines rein davidischen Messianismus bestehen, beispielsweise bei Flavius Josephus oder bei Philo v. Alexandrien.

Besonderen Wert legten sie aber allesamt auf die Vorstellung des Messias als ein menschliches Wesens und irdischer Erlöser und betonten eine fleischliche und ungeistige messianische Vorstellung, welche bis heute als einer der größten Diskussionspunkte zwischen Juden und Christen gilt17.

Dieses menschliche Wesen des Messias kommt besonders stark in der mythische Vorstellung zum Tragen, dass in jeder Generation eine potentielle Messiasgestalt unter den Menschen lebt, welche nur darauf wartet, offenbart zu werden, die bisherigen Generationen jedoch für das Kommen des Messias nicht für wert empfunden wurden.18

Die Vielfalt an messianischen Erwartungen in der rabbinischen Zeit zeigte sich auch an den verschiedenen Spekulationen über die Konsequenzen des Kommens des Messias. Hier stehen sich einerseits restaurative Erwartungen, welche eine Wiederherstellung der Ordnung wie zu Zeiten des Bundesschlusses beinhalten, und andererseits das Hoffen auf eine gänzliche Verwandlung und Erneuerung der Welt gegenüber.

Desweiteren gab es unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich einer Ankündigung des Kommens des Messias. Hier gab es die Auffassung, dass moralische Verdorbenheit das Kommen des Messias ankündige beziehungsweise moralische Verdorbenheit das Kommen des Messias verhindere19. Im Zuge dessen entwickelte sich in dieser Zeit unter einer Minderheit der Rabbinen die Vorstellung, die Juden könnten die Ankunft des Messias vorbereiten beziehungsweise beschleunigen, beispielsweise durch das Einhalten der Gebote der Tora. Dieser Gedanke wurde bis ins 20. Jahrhundert tradiert und so wies auch Schalom Ben-Chorin darauf hin, dass der Messias kommen wird, wenn alle Juden den Sabbat heiligen oder eben kein Jude dies tun wird20. Alain Goldmann spricht sich für Ersteres aus und bekräftigt, dass das Kommen des Messias sich nach langer, durch religiösen und moralischen Fortschritt bedingten Vorbereitung [ereignen wird]. Dies heißt folglich, daß die conditio sine qua non die aus vollem Herzen und mit ganzer Seele erfolgte Umkehr zu Gott ist.21

Besonders breit wurde auch die jüdische Tradition rezipiert, dass dem endgültigen Heil eine Zeit des Schreckens voraus gehe, die sogenannten „Geburtswehen“, die Chevelei Maschiach22 des messianischen Zeitalters. Somit konnten die Rabbinen die Messiashoffnung im jüdischen Volk auch in Zeiten des Leids und der Bedrängnis aufrecht erhalten, indem sie dem Volk tröstend erläuterten, dass „der Preis für das Kommen des Messias ein so großer Schmerz sein wird wie derjenige, der einer Mutter bei der Geburt eines Kindes widerfährt.“23 So wurde in besonders schlimmer Verfolgung in ausgeprägtem Maße die Ankunft des Messias erwartet, denn „je schlimmer die Leiden waren, je tiefer die Katastrophen und je größer die Zahl der Juden war, die davon betroffen wurden, desto lauter und näher glaubte man die Schritte des Messias zu vernehmen.“24

Im Mittelalter dann wurde die messianische Hoffnung zwar eher zu einem sporadischen Phänomen, wirkte jedoch latent weiter und orientierte sich stark an den Vorstellungen der rabbinischen Zeit. So gab es immer wieder akut-messianische Bewegungen, in deren Zentrum in der Regel ein Messiasprätendant stand, welcher sich selbst zum Messias ernannte, jedoch meist nur eine kleine Menge an Anhänger mobilisieren konnte, sodass sein Auftreten meist nur kurzzeitig und vorübergehend war.

2.3 ... in der Gegenwart

Nach diesem knapp skizzierten Gang durch die Geschichte, soll nun abschließend noch der jüdische Messianismus in der Gegenwart in den Blickpunkt rücken. Es gilt, was seit über 2000 Jahren gilt: der jüdische Messianismus hat ein Leben im Warten und Hoffen auf Erlösung zur Folge; alles Tun ist vorläufig: „das Herz des Messianismus ist die Verzögerung, das Nicht-Kommen des Messias.“25. Gershom Scholem sagt dazu: „So hat die messianische Idee im Judentum das Leben im Aufschub erzwungen, in welchem nichts in endgültiger Weise getan und vollzogen werden kann.“26 Obgleich stets von jüdischer Seite betont wird, dass die Gestaltung des gegenwärtigen Lebens an der Hoffnung auf das Kommen des Messias ausgerichtet und die gegenwärtige Zeit als Vorläufer der messianischen Zeit betrachtet werden soll, so ist insgesamt doch ein in den Hintergrundtreten des Messianismus und eine absteigende Beschäftigung mit ihm zu beobachten. Obgleich strenggläubige Juden täglich für das Kommen des Messias beten27, liegt ihr Blick dennoch vor allem auf der Gegenwart und darauf, ihr Leben nach der Tora auszurichten. Auch existiert weiterhin die Vorstellung von einem Judentum ohne Messianismus und nur mit Gott selbst als Erlöser, wie beispielsweise bei Franz Rosenzweig: „Denn dies ist die Quelle zugleich und Mündung alles jüdischen Messiasglaubens: daß schließlich doch Gott selbst der Erlöser ist, er selbst und kein anderer.“ 28

Die Reformjuden erhoffen sich sogar, dass sie selbst durch die jüdische Mission und „die Selbstvervollkommnung des Menschengeschlechts“ 29 das messianische Zeitalter verwirklichen können und zeigen sich ebenso wie die Zionisten eher ablehnend dem traditionellen Messianismus gegenüber. Im Zuge dessen zeichnet Manfred Voigts ein relativ düsteres Bild für die Zukunft des jüdischen Messianismus:

„Festzustellen ist jedenfalls, daß die zentralen Themen des jüdischen Messianismus in der heutigen Diskussion keine Rolle mehr spielen: Weder die Erwählung des Volkes noch die Bündnisschließung noch Landverheißung oder die Geschichtslosigkeit des jüdischen Volkes werden gegenwärtig diskutiert. Der jüdische Messianismus ist kompromittiert [...].“30

Besonders negativ tritt heute vor allem eine radikale, jüdisch-messianische Gruppierung in den Blickpunkt, die Sekte der Chassiden, welche mit ihrer Lehre einen drastischen Gegenpol zu dem zunehmend sinkenden jüdischen Interesse an dem Thema des Messianismus darstellt. Ihrer Auffassung nach muss das Kommen des Messias aktiv herbeigeführt werden und zwar durch die Mittel der Waffen. Durch das Heraufbeschwören von katastrophalen Kriegen in Anlehnung an die biblisch-apokalyptischen Prophezeiungen soll das Kommen des Erlösers provoziert werden und somit die biblischen Prophezeiungen erfüllt werden. Ziel ist hierbei „die Vereinigung der gesamten Menschheit in einem weltumgreifenden Gottesstaat, der zentral von Jerusalem gelenkt wird.“31

Abschließend ist festzuhalten, dass „die Palette der messianischen und quasimessianischen Gestalten also im Judentum unter Umständen sehr bunt werden“ 32 konnte und es bis heute geblieben ist. So kann als bedeutendstes Charakteristikum des jüdischen Messianismus in seiner Gesamtheit die Vielfältigkeit der Messiaserwartungen sowohl auf diachroner als auch synchroner Ebene festgehalten werden, welche den jüdischen Messianismus zu einem schwer fassbaren, gleichzeitig aber ebenso spannenden Phänomen machen.

Exkurs: Der „jüdische Jesus“ heute

Auch hinsichtlich der Person Jesu gehen die Meinungen der zeitgenössischen jüdischen Gläubigen auseinander. Streng orthodoxe Juden sehen in Jesus teils einen abtrünnigen Jude und den Gründer einer destruktiven Religion, teils erkennen sie ihn als Person gar nicht an. Unter modernen Juden ist bei der breiten Mehrheit eine Änderung im jüdischen Denken über Jesus zu konstatieren. Im letzten Jahrhundert begann eine intensivere Beschäftigung mit Jesus, eine Entwicklung hin zur Jesus-Forschung war zu konstatieren und man zeigte sich immer mehr bereit dazu, in ihm eine positive Figur zu sehen, einen Propheten, einen großen Weisen, einen rabbinischen Lehrer oder einen auserwählten Knecht Gottes, welcher durch mit der Taufe in den Besitz des Heiligen Geistes kam.

Heute zeigen sich sogar vermehrt Stimmen, die Jesus nicht nur als jüdische Persönlichkeit akzeptieren, sondern seine jüdischen Wurzeln bewusst hervorheben wie beispielsweise Leo Baeck:

Die meisten Darsteller des Leben Jesu unterlassen es, darauf hinzuweißen, dass Jesus in jedem seiner Züge durchaus ein echter jüdischer Charakter ist, dass ein Mann wie er nur auf dem Boden des Judentums, nur dort und nirgends anders, erwachsen konnte. [...]. Er war ein Jude unter Juden; aus keinem anderen Volke hätte ein Mann wie er hervorgehen können und in keinem anderen Volke hätte ein Mann wie er wirken können.

Diese positive Konnotation wird vor allem auch bei Schalom Ben-Chorin deutlich sichtbar, welcher sich stark für einen christlich-jüdischen Dialog einsetzt:

Jesus ist für mich der ewige Bruder, nicht nur der Menschenbruder, sondern mein jüdischer Bruder. Ich spüre eine brüderliche Hand, die mich fasst, damit ich ihm nachfolge.33

[...]


1 Clemens Thoma: Das Messiasprojekt, S. 113.

2 Ebd., S. 119.

3 R.J. Zwi Werblowsky: Magie, Mystik, Messianismus, S. 238.

4 Weitere zahlreiche Heilszeit- und Messiaserwartungen lassen sich bei Jesaja und Micha finden. Vgl. Jes 9,5.6; 11,1-10; 11,2-5; 32,1-8; Micha 4,1-3; 5,4; Jer 23, 6; 33,15; Ez 37,24-28; Sach 14,9.

5 Ernst Joachim Waschke: „Messias/Messianismus. II Altes Testament”, in: RGG 5 L-M (2002), S. 1145.

6 Hans Strauß: „Messias/Messianische Bewegungen. I Altes Testament”, in: TRE 22 Malaysia-Minne (1992), S. 618.

7 Vgl. Henry Cazelles: Alttestamentliche Christologie, S. 51ff.

8 Ebd., S. 62f.

9 Vgl. Clemens Thoma: Das Messiasprojekt, S. 166.

10 Vgl. Ebd., S. 113.

11 Hans Strauß: „Messias/Messianische Bewegungen. I Altes Testament”, in: TRE 22 Malaysia- Minne (1992), S. 617.

12 Clemens Thoma: Das Messiasprojekt, S. 115f.; auch die nachfolgenden Heilserwartungen stammen aus dieser Quelle.

13 Ebd., S. 170f.

14 Vgl. Manfred Voigts: Jüdischer Messianismus und Geschichte, S. 39f.

15 Vgl. R.J. Zwi Werblowsky: Magie, Mystik, Messianismus, S. 239.

16 Vgl. Theologische Realenzyklopädie , S. 625.

17 Vgl. R.J. Zwi Werblowsky: „Das nachbiblische jüdische Messiasverständnis“. In: Hans-Jürgen Greschat [u.a.]: Jesus - Messias? Heilserwartung bei Juden und Christen, S. 83.

18 Vgl. Michael L. Brown: Handbuch Judentum , S. 58f.

19 Vgl. Francesca Yardenit Albertini: Die Konzeption des Messias bei Maimonides und die frühmittelalterliche islamische Philosophie, S. 411. Im Folgenden wird nach der Sigle KMM zitiert.

20 Manfred Voigts: Jüdischer Messianismus und Geschichte, S. 13.

21 Alain Goldmann: „Die messianische Vision im rabbinischen Judentum.“ In: STEGEMANN, Ekkehard [Hrsg.]: Messias-Vorstellungen bei Juden und Christen, S. 65.

22 R.J. Zwi Werblowsky: „Das nachbiblische jüdische Messiasverständnis.“ In: Hans-Jürgen Greschat : Jesus - Messias? Heilserwartung bei Juden und Christen, S. 77.

23 Alain Goldmann: „Die messianische Vision im rabbinischen Judentum.“ In: STEGEMANN, Ekkehard [Hrsg.]: Messias-Vorstellungen bei Juden und Christen, S. 60.

24 Manfred Voigts: Jüdischer Messianismus und Geschichte, S. 46.

25 Manfred Voigts: Jüdischer Messianismus und Geschichte, S. 67.

26 Gershom Scholem: „Zum Verständnis der messianischen Idee im Judentum.“ In: Manfred Voigts: Jüdischer Messianismus und Geschichte, S. 21.

27 Das traditionelle, tägliche, jüdische Gebet, welches von Maimonides formuliert wurde, lautet wie folgt: „Ich glaube mit voller Überzeugung an die dereinstige Erscheinung des Meschiach, und ob er gleich säume, dennoch harre ich sein jeglichen Tag, dass er kommen werde.“In: Maimonides: Gebete der Israeliten. Revidierte übersichtlich geordnete Ausg. Tel-Aviv, Israel: Sinai Publishing House, 1988, S. 125.

28 Franz Rosenzweig: „Jehuda Halevi. Fünfundneunzig Hymnen und Gedichte.“ In: Manfred Voigts: Jüdischer Messianismus und Geschichte, S. 24.

29 Michael L. Brown: Handbuch Judentum, S. 60.

30 Manfred Voigts: Jüdischer Messianismus und Geschichte, S. 93f.

31 http://www.kreuzer-siegfried.de/texte-zum-at/messias.pdf. Stand: 30.07.2012.

32 Clemens Thoma: Das Messiasprojekt, S. 167.

33 Schalom Ben-Chorin: Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht, S. 9.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Der Messianismus des Moses Maimonides. Analyse einzelner Schriften Maimonides und Darstellung der geschichtlichen Entwicklung
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Evangelische Fakultät)
Veranstaltung
Einführung in das Judentum
Note
1,7
Jahr
2012
Seiten
21
Katalognummer
V319361
ISBN (eBook)
9783668185555
ISBN (Buch)
9783668185562
Dateigröße
442 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
messianismus, moses, maimonides, analyse, schriften, darstellung, entwicklung
Arbeit zitieren
Anonym, 2012, Der Messianismus des Moses Maimonides. Analyse einzelner Schriften Maimonides und Darstellung der geschichtlichen Entwicklung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/319361

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Der Messianismus des Moses Maimonides. Analyse  einzelner Schriften Maimonides und Darstellung der geschichtlichen Entwicklung



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden