"Meditationes de prima philosophia" von René Descartes. Die wichtigsten Überlegungsschritte und Argumente auf dem Weg zu Descartes' sicherer Gewissheit


Hausarbeit, 2016

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Ausgangslage und Zielsetzung der Mediationen

3. Der methodische Zweifel
3.1 Die skeptischen Hypothesen

4. Das „Cogito-Argument“ – Die erste Gewissheit
4.1 „Ego sum, ego existo“ als notwendige Wahrheit

5. Die Existenz Gottes

6. Die Entstehung von Irrtümern

7. „Res Cogitans“ und „res extensa“

8. Schlussfolgerungen

9. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Cogito, ergo sum.“ – „Je pense, donc je suis.“ – „Ich denke, also bin ich.“

Als René Descartes diesen Satz im Jahr 1637 im „Disours de la Méthode“[1] veröffentlichte, war er sich wohl bewusst, dass diese Worte für große Aufmerksamkeit, zumindest unter den Intellektuellen seiner Zeit, sorgen werden. Dass in Anspielung auf diese Erkenntnis jedoch sogar mehr als 350 Jahre später Hörgeräte[2], Luxusautos[3] und Parfums[4] beworben werden, wäre dem Rationalisten Decartes hingegen sehr wahrscheinlich weder realistisch vorgekommen, noch wird es seinem philosophischen Werk gerecht. Descartes Cogito gehört „mit all seinen bewussten Umformulierungen zweifelsohne zu den populärsten Zitaten der Weltliteratur“[5], ob es immer richtig verstanden wurde, ist jedoch zu bezweifeln.

In den „Mediationen über die Grundlagen der Philosophie“[6], Descartes` grundlegendem Werk zu Metaphysik und Erkenntnistheorie, versucht er die Möglichkeit von Erkenntnis und Wissen zu beweisen, indem er vom größtmöglichen Zweifel ausgeht. Das Cogito-Argument, welches in den „Meditationen“ erneut in etwas anderer Formulierung aufgegriffen wurde, spielt eine große Rolle auf Descartes` Weg zur sicheren Gewissheit.

In dieser Hausarbeit soll unter anderem der sogenannte „methodische Zweifel“, welchen Descartes in den Meditationen gezielt für seinen Beweis der Gewissheit nutzt, rekonstruiert und erläutert werden. Die zentralen Fragen, die sich durch diese Thematik ergeben, lauten, inwieweit Descartes es geschafft hat, die Möglichkeit absolut sicheren Wissens gegen skeptische Strömungen des Denkens der Renaissance zu verteidigen. Des Weiteren, ob die in den Mediationen immer wieder auftretende Argumentation, „über Gott, daß [Sic!][7] er existiert“[8], als logischer und nachvollziehbarer Gottesbeweis bezeichnet werden kann.

Im Folgenden werden einige Angaben zu den verwendeten Quellen und dem aktuellen Forschungsstand gegeben.

Daraufhin wird Descartes` Ausgangslage sowie sein Ziel erläutert, so wie es in den, den einzelnen Mediationen vorangestellten, „Schreiben an die Sorbonne“ sowie dem „Vorwort an den Leser“ deutlich wird.

Im Hauptteil der Arbeit wird zunächst auf den methodischen Zweifel eingegangen und die einzelnen skeptischen Hypothesen, die Descartes in seiner ersten Meditation aufwirft, erläutert. Des Weiteren wird das Cogito-Argument genauer beleuchtet, welches zur sogenannten ersten Gewissheit führt. Daraufhin wird die argumentative Rolle der Existenz Gottes untersucht und geschaut, inwieweit Descartes hier wirklich die Existenz Gottes beweisen konnte, inwieweit also tatsächlich von einem Gottesbeweis gesprochen werden kann. Im Anschluss daran wird auf die Rolle des Irrtums in den Meditationen eingegangen. Abschließend werden die „res cogitans“ und die „res extensa“ erläutert, wodurch die Unterscheidung des Geistes vom Körper aufgegriffen wird.

Im Schlussteil der Arbeit wird kurz Descartes` Wirkung auf die Nachwelt untersucht. Zudem wird noch einmal explizit auf die oben genannten Fragen eingegangen und diskutiert, inwieweit Descartes es geschafft hat, eine stabile Grundlage des Wissens beziehungsweise der Wissenschaft zu errichten um sich somit gegen den radikalen Skeptizismus seiner Zeit zu verteidigen.

Der Stand der wissenschaftlichen Forschung zu Descartes` Mediationen ist ausgesprochen gut. Insbesondere das Einführungswerk über René Descartes von Hans Poser aus dem Jahr 2003 war sehr hilfreich, auch um sich generell einen Überblick zum Leben und Wirken des Philosophen zu verschaffen. In Bezug auf den methodischen Zweifel und die skeptischen Hypothesen war der Aufsatz von Dominik Perler, „Strategischer Zweifel - Die Funktion skeptischer Argumente in der Ersten Meditation“, sehr aufschlussreich. Den Aufsatz findet man in einem Werk der Reihe „Klassiker Auslegen“, welches in diesem Fall von Andreas Kemmerling im Jahr 2009 herausgegeben wurde. Insgesamt ist dieses Werk empfehlenswert, da hier jeweils Aufsätze zu den Themen der einzelnen Meditationen zu finden sind. Ein anderes Werk von Kemmerling, „Ideen des Ichs - Studien zu Descartes` Philosophie“, welches erstmals 1996 veröffentlicht wurde, war ebenfalls hilfreich bei der Bearbeitung dieser Hausarbeit, besonders in Bezug auf das Cogito-Argument.

Zuletzt möchte ich noch ein Werk von Karl Albert aus dem Jahr 2000 nennen, „Descartes und die Philosophie der Moderne - Betrachtungen zur Geschichte der Philosophie, Teil III“. Dieses Werk war ebenfalls in Bezug auf das Cogito-Argument hilfreich sowie auch in Bezug auf die Gottesbeweise in den Meditationen.

2. Ausgangslage und Zielsetzung der Mediationen

Descartes stellt seinen Mediationen ein Widmungsschreiben an die theologische Fakultät der Sorbonne voran, in welchem er seine Ziele, die wichtigsten Argumente zur Existenz Gottes zusammenzustellen sowie den ontologischen Dualismus zwischen Leib und Seele zu beweisen, nennt. Er stellt zudem die These auf, dass „deren Beweis eher mit Hilfe der Philosophie als der Theologie geführt werden [müsse]“ und äußert, dass er auch die Ungläubigen von diesen Dingen überzeugen wolle.[9] Descartes begründet diese Meinung, indem er darauf hinweist, dass Gläubige ohnehin im Glauben überzeugt seien, dass aber Ungläubige schwerlich anders von der Religion und von moralischer Tugend zu überzeugen seien als mittels „natürliche[r] Vernunft“ und somit mittels der Philosophie.[10]

Descartes verkündet gleich zu Beginn unumwunden, „[ihn] dräng[e] eine so gerechtfertigte Ursache, [dem Dekan und den Doktoren] [jene] Schrift vorzulegen, und [er sei] zuversichtlich, daß [s]ie, nachdem [s]ie die in [s]einem Vorhaben liegende Absicht eingesehen haben, es für nicht weniger gerechtfertigt halten werden, ihre Verteidigung auf sich zu nehmen“.[11] Diese Formulierung zeugt von Selbstvertrauen gegenüber seinem Vorhaben.

Des Weiteren räumt der Philosoph ein, die Tatsache, dass einige Ungläubige die Existenz Gottes sowie den Leib-Seele-Dualismus bezweifeln, sei dadurch entstanden, dass diese Dinge bislang noch nicht bewiesen werden konnten. Dies, so sagt er, sei die Aufgabe der Philosophie, die er sich zu Eigen gemacht habe. Und zwar bestehe diese Aufgabe darin, „einmal sorgfältig alle besten Begründungen zu befragen und sie so bedacht und transparent zu entfalten, daß künftig allgemeine Einigkeit darüber herrsch[e], daß sie Beweise [seien]“.[12] Descartes kündigt diese Begründungen als „die sichersten und evidentesten Beweise“ an und äußert, dass niemals anhand menschlicher Geisteskraft bessere Beweise gefunden werden können.[13]

Im Folgenden räumt der Philosoph ein, mit seinem Traktat lediglich eine sehr kleine Zielgruppe zu haben, weil seine Meditationen durch ihre Komplexität die Allgemeinheit überfordern würden.[14] Daraus lässt sich schließen, dass Descartes keinesfalls versucht, die breite Masse durch Fakten zu überzeugen, viel eher erhofft er sich durch den Schutz der theologischen Fakultät der Sorbonne, seine Kontrahenten zum Schweigen bringen zu können.[15]

Bezüglich seiner Methodik hebt der Philosoph hervor, dass er die Arithmetik und die Geometrie mit seiner rationalen Vorgehensweise an Genauigkeit und Evidenz sogar überbieten wolle[16], was faktisch jedoch zu bezweifeln ist.

Descartes beendet das Widmungsschreiben mit lobenden Worten an die Gelehrten.

Im Vorwort an den Leser ist ein spürbarer Stilbruch zu entnehmen. Descartes ist hier weniger höflich, vielmehr könnte man seine Ausdrucksweise als herablassend bezeichnen. Er macht gleich zu Beginn die im Widmungsschreiben bereits angedeutete Tatsache deutlich, dass sein Traktat über die Fragen nach Gott und dem menschlichen Geist, nicht für die Allgemeinheit geschrieben sei. Aus diesem Grund habe er es nicht auf Französisch verfasst, sondern auf Latein, um es den „schwächeren Geistern“ nicht zugänglich zu machen.[17] Er wolle allein diejenigen zum Lesen veranlassen, „die ernsthaft mit [ihm] meditieren und ihren Geist den Sinnen und zugleich den Vorurteilen entziehen können und wollen“.[18] Da er, wie er sagt, „noch nicht einmal den ernsthaft interessierten Lesern garantieren [könne], sie […] zufriedenzustellen, […], möchte [er] im Haupttext der Mediationen zunächst die Gedanken selbst vorstellen, mit deren Hilfe [er], […], zu der sicheren und evidenten Erkenntnis der Wahrheit gelangt [sei]“.[19] Wie daraus schon hervorgeht, sind die gesamten Meditationen in der ersten Person geschrieben, weil Descartes den Leser mitnehmen will auf den Weg, den er selbst beschritten hat. Damit bringt er ihn dazu, den Standpunkt des Meditierenden selbst einzunehmen um somit die Dinge selbst zu durchdenken und die Wahrheit zu entdecken, wie er selbst es getan hat.

René Descartes befindet sich somit zu Beginn der Meditationen an einem Punkt, an dem er sich die Aufgabe zu Eigen gemacht hat, die Existenz Gottes sowie den ontologischen Dualismus zwischen Leib und Seele zu beweisen. Um dies zu bewältigen und um seinen Überzeugungen Stabilität und Dauer zu verleihen, nutzt Descartes den methodischen Zweifel.

3. Der methodische Zweifel

„Nichts solle für wahr gehalten werden, was nicht so klar und deutlich sei, dass es noch in Zweifel gezogen werden könne“, so hatte Descartes es in der Regel der Evidenz des Discours geschrieben.[20] Nun bleibe, so Descartes, die Schwierigkeit, festzustellen, welches die Dinge sind, die wir klar und deutlich erfassen können. Um diese zu erkennen, wird der in der Regel der Evidenz eher beiläufig erwähnte Zweifel in den Meditationen zu einem methodischen Zweifel ausgebaut. Dieser habe das Ziel, diejenigen Inhalte aufzufinden, die jedem Zweifel standhalten können.[21] Descartes geht in heutiger Terminologie von einem „Fundamentalismus“ aus. Wissen und Erkenntnis haben also, laut dem Philosophen, ein Fundament, das heißt, man könne seine Überzeugungen soweit analysieren, bis man auf grundlegende trifft, die nicht weiter analysiert werden können und somit fundamental sind. Um ein solches Fundament des Wissens zu errichten, schließt Descartes alle Überzeugungen und Vorstellungen aus, deren Wahrheit zweifelhaft ist. Damit will er also zeigen, dass wir, auch wenn wir mit konsequenter Skepsis alles bezweifeln, dennoch zu wahrer Erkenntnis gelangen können. Er verfolgt demnach mit seinem methodischen Zweifel ein erkenntnistheoretisches Ziel, indem er ein sicheres Fundament für die neu gefundenen Meinungen und somit für das sichere Wissen offenlegen will.

Descartes nutzt diesen Zweifel hyperbolisch und setzt ihn als philosophisches Werkzeug ein. So argumentiert er:

„Bereits vor einigen Jahren habe ich bemerkt, wie viel Falsches ich von Jugend an als wahr habe gelten lassen und wie zweifelhaft alles ist, was ich später darauf aufgebaut habe, so daß einmal im Leben alles von Grund auf umgeworfen und von den ersten Fundamenten her erneut begonnen werden müsse, wenn ich irgendwann einmal das Verlangen haben würde, etwasFestes und Bleibendes in den Wissenschaften zu errichten.“[22]

Da es, so Descartes, nicht nötig ist, alle seine Meinungen als falsch anzusehen, reiche es aus, alles anzuzweifeln, worin er auch nur irgendeinen Grund zum Zweifeln sehe. Der Zweifel könne also nicht ins Bodenlose getrieben werden, denn auch der Zweifel müsse irgendwo ansetzen. Demnach sei es sinnvoll, jene Fundamente des Wissens anzugreifen, denn wenn diese Fundamente untergraben seien, falle alles, was darauf errichtet ist, ebenfalls zusammen.[23] So könne der Zweifel alles erfassen und universell sowie radikal sein. Durch den methodischen Zweifel solle somit der harte, evidente und unzweifelhafte Grund gefunden werden, auf dem sich „das Gebäude der sicheren Erkenntnis ein für alle Mal und unanfechtbar wird errichten lassen“.[24]

Im Gegensatz zu der antiken Tradition der Skepsis, des sogenannten „Pyrrhonismus“[25], die zu seiner Zeit große Beachtung fand, geht es Descartes also nicht darum, das „skeptische Argumentieren als Lebensform zu wählen und fortwährend Meinungen auf den Prüfstand zu stellen“.[26] Wie er bereits im ersten Satz der Ersten Meditation betont, möchte er lediglich „einmal im Leben“ alle Meinungen von Grund auf bezweifeln[27] und ist dieser Zweifel einmal überwunden, sei es sogar eine Pflicht, die Meinungen wieder zuzulassen.[28] Laut Dominik Perler sei es daher unangemessen, Descartes als permanenten Zweifler beziehungsweise als Skeptiker schlechthin zu sehen. Vielmehr strebe er danach, „bestimmte Meinungen (nämlich bezweifelbare) infrage zu stellen, um andere Meinungen (nämlich unbezweifelbare) zu finden.[29]

Die Frage, die sich nun stellt, lautet, wie Descartes zu einer letzten, unbezweifelbaren Grundlage gelangt. Hierzu nutzt er den strategischen Einsatz skeptischer Überlegungen, die im Folgenden genauer beleuchtet werden.

3.1 Die skeptischen Hypothesen

Im ersten Schritt der Analyse des zu Prüfenden kommt Descartes auf die Sinne zu sprechen und behauptet, dass alles, was man als wahr empfindet, in irgendeiner Weise durch sinnliche Wahrnehmung vermittelt werde. Das erste Argument greift somit die grundlegende These des Empirismus an: Sinneswahrnehmung kann keine Quelle von Erkenntnis sein, denn dafür täuscht sie uns zu oft. So zum Beispiel jene optischen Täuschungen, durch die ein Gegenstand, wenn man ihn von unterschiedlichen Entfernungen betrachtet, unterschiedliche Gestalten annimmt. Descartes nennt hierzu in der sechsten Meditation beispielsweise einen Turm, der von der Ferne rund ausgesehen habe, von der Nähe betrachtet allerdings viereckig war.[30] Diese Sinnestäuschungen rechtfertigen allerdings nur einen Zweifel an Absichten, die in besonderen Wahrnehmungssituationen gewonnen werden. Über die Beschaffenheit unseres Körpers sei es den Sinnen nicht möglich, zu täuschen.

„Mit welcher Begründung nämlich könnte bestritten werden, daß diese Hände und der gesamte Körper der meinige ist?“[31]

Mit dieser Rhetorischen Frage zeigt Descartes, dass es den Sinnen eigentlich nicht möglich sei uns über die Beschaffenheit unseres Körpers zu täuschen. Dennoch fordert Descartes zunächst auf, genau daran zu zweifeln, denn in den Träumen werde man oftmals genau darüber getäuscht. Da man sich, laut Descartes, niemals sicher sein könne, ob man sich gerade im wachen Zustand befinde, oder ob man gerade schläft, seien auch rationale Erkenntnisse prinzipiell anzweifelbar. Diese zweite skeptische Überlegung besagt also, dass man durch sinnliche Wahrnehmung keine Erkenntnis erlangen kann, weil man sie nicht mit Gewissheit von Träumen unterscheiden könne, da es hierfür kein Kriterium gebe.[32] Jedoch sei zu beachten, dass Träume als Rekombination der Wirklichkeit die Erscheinungen im Schlaf lediglich als „abgemalte Bilder“ wahrer Dinge zeigen können. Daher rechtfertigen Träume lediglich den Zweifel an den Ansichten über konkrete Gegenstände, nicht an den Ansichten über die allgemeine Beschaffenheit dieser Gegenstände. Es sei somit nicht zu bezweifeln, dass die Allgemeinheiten wie „Augen, Kopf, Hände und der gesamte Körper […] nicht bloß als irgendwelche vorgestellten, sondern als wahre Dinge existieren“.[33]

Descartes sagt also nicht, dass alle Sinneswahrnehmungen falsch sind. Er will jedoch zeigen, dass sie „zur Begründung der Erkenntnis nicht geeignet sind, weil ein Irrtum möglich ist“.[34] Da aber gerade das Gegenteil gesucht ist, nämlich eine Instanz, bei der keinerlei Irrtum möglich ist, scheiden alle auf Wahrnehmung gegründeten Ansichten für den Erkenntnisgewinn aus.

Im nächsten Schritt wendet sich Descartes wahrnehmungsunabhängigen Aussagen zu, wie zum Beispiel den Aussagen der Mathematik. So sagt er, dass zwar „die Physik, die Astronomie, die Medizin und alle anderen Disziplinen zweifelhaft [seien], die von der Betrachtung zusammengesetzter Dinge abhängen, daß jedoch die Arithmetik, die Geometrie und die anderen derartigen Disziplinen, die einige der einfachsten und allgemeinsten Dinge abhandeln, etwas Sicheres und Unzweifelhaftes enthalten […]“.[35] Man mag wachen oder schlafen – stets ist drei plus zwei gleich fünf und ein Quadrat hat vier Seiten.[36] Doch in der nächsten skeptischen Überlegung stellt Descartes die These auf, dass wir uns auch in diesen „einfachsten und allgemeinsten Dingen“ täuschen können und somit auch hier Zweifel möglich sei.

„Jedoch ist in meinem Geist eine bestimmte althergebrachte Meinung verankert, nämlich daß es einen Gott gibt, der alles vermag, und von dem ich gerade so geschaffen bin, wie ich existiere. Woher weiß ich aber, daß er nicht veranlaßt hat, daß es keine Gestalt, keine Größe, keinen Ort gibt – und all dies mir trotzdem genauso wie jetzt zu existieren scheint?“[37]

Descartes fragt sich, ob es nicht einen Täuschergott geben könne, der bewirkt, dass er auch in den allgemeinsten Ansichten falsch liege. Allerdings verwirft er die Möglichkeit eines täuschenden Gottes gleich im nächsten Schritt wieder, mit der Begründung, dass man sonst annehmen müsse, dass ein Wesen, das aufgrund der Güte (die Gott notwendigerweise zugesprochen werde) keine schlechten Absichten habe, dennoch betrügen könne.[38] Stattdessen führt er die Figur eines genius malignus, eines „trügerischen Dämons“[39] ein, der „all seine Hartnäckigkeit [einsetze], [ihn] zu täuschen“.[40] Dadurch sei alles anzweifelbar, „der Himmel, die Lust, die Erde, die Farben, die Gestalten, die Töne und die Gesamtheit alles Äußeren“, alles könne lediglich eine „Gaukelei der Träume“ sein - durch den genius malignus hervorgerufen.

Mit dieser konstruierten Möglichkeit, auch die kognitive Autonomie und damit die Vernunft zu bezweifeln, hat der methodische Zweifel eine Radikalität erreicht, die nicht zu übertreffen ist. Er ist zu einem Zweifel an allen Aussagen, egal welchen Gegenstandes, geworden.[41] Mit dem Argument des genius malignus hebt Descartes die Regel der Evidenz auf, wodurch das im Discours gefundene Wahrheitskriterium insofern gegenstandslos wird, als es eine Gewissheit begründet, die notwendig subjektiv ist. Eine solche Gewissheit könne nicht zum „Fixpunkt der Erkenntnis“ taugen. Gesucht sei vielmehr eine „objektive Wahrheit“.[42]

Somit hat Descartes durch die skeptischen Überlegungen in seinem methodischen Zweifel eine Möglichkeit gefunden, alle Meinungen zu bezweifeln, die er einst für richtig gehalten hatte. Dies umfasst „alle Meinungen bezüglich der Beschaffenheit der materiellen Dinge“ und deren Existenz (einschließlich des eigenen Körpers), „alle Meinungen bezüglich der raum-zeitlichen Struktur der Gegenstände“ sowie „alle Meinungen bezüglich der geometrischen und arithmetischen Gegenstände“.[43] Übrig bleibt einzig und allein die Unbezweifelbarkeit des eigenen Denkens und somit die Unbezweifelbarkeit des Ichs, was im folgenden Kapitel gezeigt wird.

4. Das „Cogito-Argument“ – Die erste Gewissheit

Dadurch, dass auch während des Zweifels Denkinhalte unbezweifelbar vorhanden sind, könne die Existenz eines Subjektes, dem diese Denkinhalte präsent sind, notwendigerweise nicht angezweifelt werden. So schlussfolgert Descartes in der Zweiten Meditation. Damit scheitert der Zweifel an sich selbst und führt den Philosophen zum archimedischen Punkt, einer absoluten Gewissheit. Auch wenn man denkt, es sei lediglich ein Traum, dass man denkt, so bleibt dennoch, dass man denkt.[44] Das Denken bleibt also als „sicherste Grundlage, als evidenter Tatbestand“, sodass sich der Denkende seiner selbst durch dieses Denken gewiss werde.[45] Es kommt demnach zu einer Erfahrung der Selbstgewissheit und Individualität.

[...]


[1] Descartes, René: Discours de la Méthode. Französisch – Deutsch, übersetzt und herausgegeben von: Christian Wohlers, Hamburg 2011 [1637], S. 59.

[2] Vgl. Mieder, Wolfgang: „Cogito, ergo sum“ – Ich denke, also bin ich. Das Descartes-Zitat in Literatur, Medien und Karikaturen, Wien 2006, S. 218, „Ich höre, also bin ich“.

[3] Vgl. ebd. S. 223, „I pursue, therefore I am.“ – Lexus.

[4] Vgl. ebd. S. 225, „I sense, therefore I am.“ – Giorgio Armani.

[5] Ebd. S. 8.

[6] Descartes, René: Meditationen. Übersetzt und herausgegeben von: Christian Wohlers, Hamburg 2009.

[7] Um den Lesefluss nicht zu beeinträchtigen, werde ich im Folgenden die nach der neuen Rechtschreibungen „falschen“ Schreibweisen (daß für dass etc.) nicht mehr mit [Sic!] kennzeichnen.

[8] Descartes: Meditationen, S. 39.

[9] Ebd. S. 3.

[10] Ebd.

[11] Ebd.

[12] Ebd. S. 4-5.

[13] Ebd. S. 5.

[14] Ebd. S. 5-6.

[15] Ebd. S. 6-7.

[16] Ebd. S. 6.

[17] Ebd. S. 9.

[18] Ebd. S. 11.

[19] Ebd. S. 12.

[20] Vgl. Poser, Hans: René Descartes. Eine Einführung, Stuttgart 2003, S. 53.

[21] Ebd.

[22] Descartes: Meditationen, S. 19; vgl. auch: Höffe, Otfried (Hrsg.): Klassiker der Philosophie. Von den Vorsokratikern bis David Hume (Band 1), München 2008, S. 272.

[23] Descartes: Meditationen, S. 20-21.

[24] Poser: René Descartes, S. 54.

[25] Vgl. die III. Erläuterung in Pierre Bayle: Historisches und kritisches Wörterbuch, übersetzt von Johann Christoph Gottsched, Leipzig 1744, Band IV, S. 639 ff.

[26] Perler, Dominik: Strategischer Zweifel. Die Funktion skeptischer Argumente in der Ersten Meditation, in: Meditationen über die erste Philosophie, herausgegeben von: Andreas Kemmerling, Berlin 2009, S. 12.

[27] Vgl. Descartes: Meditationen, S. 19.

[28] Vgl. Perler: Strategischer Zweifel, S. 12.

[29] Ebd.

[30] Vgl. Descartes: Meditationen, S. 83.

[31] Ebd. S. 20.

[32] Vgl. Perler: Strategischer Zweifel, S. 19.

[33] Descartes: Meditationen, S. 21.

[34] Poser: René Descartes, S. 55.

[35] Descartes: Meditationen, S. 22.

[36] Vgl. ebd.

[37] Ebd.

[38] Vgl. ebd. S. 22; Vgl. auch: Perler: Strategischer Zweifel, S. 22.

[39] Perler, Strategischer Zweifel, S. 24.

[40] Descartes: Meditationen, S. 24.

[41] Vgl. Poser: René Descartes, S. 60.

[42] Vgl. ebd. S. 61.

[43] Vgl. Perler: Strategischer Zweifel, S. 24.

[44] Vgl. Holz, Hans Heinz: Descartes, Frankfurt/M 1994, S.80.

[45] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
"Meditationes de prima philosophia" von René Descartes. Die wichtigsten Überlegungsschritte und Argumente auf dem Weg zu Descartes' sicherer Gewissheit
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
25
Katalognummer
V319733
ISBN (eBook)
9783668189645
ISBN (Buch)
9783668189652
Dateigröße
536 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
René Descartes, Descartes
Arbeit zitieren
Svenja Schäfer (Autor:in), 2016, "Meditationes de prima philosophia" von René Descartes. Die wichtigsten Überlegungsschritte und Argumente auf dem Weg zu Descartes' sicherer Gewissheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/319733

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