Leseprobe
INHALT
Einleitung
Begriffliches
Ideale und Charakteristika der Moderne
Herausforderungen der Postmoderne
Jonathan Lasker: nachmodernistische Konzeption
Resümee
Literatur
Bilder:
Einleitung
Plump, unverblümt und rätselhaft – Worte, die bei der ersten Begegnung mit Bildern Jonathan Laskers spontan in mir aufkamen. Seine Arbeiten erzeugen eine sonderbare Bannkraft. Sie haben Witz in einer ursprünglichen Form. Auf den ersten Blick sieht der Betrachter in Laskers[1] Bildern nur eine zusammenhangslose Ansammlung diverser bildnerischer Techniken. Baukastenartig sind schwarze zeichenhafte und flache Linien schematisch arrangiert neben opak-pastosen Farbwulsten, die pur aus der Tube ihren Weg auf die Leinwand finden. Akribisch schwerfällig gemalte Striche und Kringel liegen schraffurartig auf dem monochromen Bildgrund, wiederum überdeckt von fetten, unverrückbaren Farbflecken. Keine Spur von Flüchtigkeit. Jede Form im Bild hat ihren Platz, und doch sitzt nichts richtig.
Den Betrachter beschleicht das Gefühl, die Elemente im Bild zu kennen ohne sie wirklich wiederzuerkennen. Und diese Ambivalenz hat durchaus System. Denn sämtliche Komponenten in Laskers Kompositionen rekurrieren auf unterschiedliche Stile der Moderne. Nun, unter postmoderner Regie, finden sie sich als fröhlich verkleidete Akteure auf der Bühne der Laskerschen Leinwand in einem bunten, beinahe dramatischen Lustspiel wieder. Einstige stilistische Antagonisten abstrakter Malerei treten in einem kontrolliert-gestischen Ensemble in Kommunikation. Namentlich erwähnt seien hier die Positionen der New York School mit ihrem Abstrakten Expressionismus, der Minimal Art sowie der Pop Art, die ihrerseits bereits eine Reaktion auf die elitären Ansprüche der klassischen Moderne war. Vereinzelt nutzt Lasker ebenso Elemente der Op Art. Vor allem Künstler wie Ad Reinhardt, Piet Mondrian, Jackson Pollock oder Franz Kline lassen sich immer wieder aus Laskers Bildern herauslesen.
Um Laskers spezifische Arbeitsweise und Bildsprache als postmoderne Haltung herauszuarbeiten, werde ich zuerst den gesellschaftspolitischen Kontext der Moderne und die aus ihr hervorgegangenen ästhetischen Werte und Ideale für die bildende Kunst umreißen, um die daraus erwachsenen Problemfragen und Herausforderungen der sogenannten postmodernen Generation zu rekonstruieren.
Anhand des Bildes "Hidden Identity" soll exemplarisch Laskers Arbeitsweise schließlich präziser und nuancierter in ihrer Aussage verortet werden.
Begriffliches
Da die Begriffe der Moderne und Postmoderne kunsthistorisch und philosphisch immer wieder neu verhandelt werden, darüber hinaus keine einheitlichen Phänomene darstellen und interne Divergenzen aufweisen,[2] sei an dieser Stelle kurz geklärt, wie die Begrifflichkeiten im weiteren Kontext Anwendung finden und zu verstehen sind.
Mit der Moderne seien hier jene avantgardistischen Kunststile gemeint, die sich seit dem späten 19. Jahrhundert in Europa und später in Amerika herausgebildet haben. Die klassische Moderne hat dabei ihr Zentrum in Paris und umfasst vor allem den Impressionismus, Expressionismus, Kubismus und Konstruktivismus. Die zweite Moderne generiert sich ab 1945 mit der New York School, wie oben bereits angeführt, als neuer internationaler Brennpunkt der Kunstszene in Amerika.
Im Vergleich zur Moderne ist der Begriff der Postmoderne ein recht diffuser, da er weitaus schwieriger zu definieren ist und zudem einen Dauerdisput unter Historikern, Soziologen und Philosophen ausgelöst hat. Statt einer klaren Definition ist es daher sinnvoller, sich über beschreibende Merkmale dem Phänomen der Postmoderne zu nähern. Die Diskussion um diesen Begriff als ein "Anything goes" oder als ein Bruch mit der Moderne oder aber als deren radikale Weiterführung nach dem Ende der "großen Erzählungen" soll in diesem Rahmen daher nicht Gegenstand der Auseinandersetzung sein. Jean-François Lyotard bemerkt dazu:
"Ich bemühe mich zwar zu verstehen, was sie [die Postmoderne] ist, aber ich weiß es nicht. [...] Es ist wie mit der 'Aufklärung'. Die Diskussion wird aufhören, ohne abgeschlossen zu sein."[3]
Ideale und Charakteristika der Moderne
Folgt man Clement Greenberg[4] in seinem Essay "Modernistische Malerei" von 1965, so hat die Moderne ihren Ursprung in der Philosophie der Aufklärung. Für Greenberg gilt Kant als der erste wirkliche Modernist.
Dem verwirrenden Geltungsstreit der Geistes- und Naturwissenschaften im 18. Jahrhundert – der beiden konkurrierenden und 'im Dunkel tappenden' Disziplinen des Rationalismus und Empirismus – setzt Kant seine Schrift "Die Kritik der reinen Vernunft" entgegen. In ihr legt er sowohl die Vernunft als auch die Anschauung als legitime Quellen der Erkenntnis und des Wissens dar, welche sich ergänzen und als Wege der Wahrheitsfindung sogar gegenseitig bedingen und korrigieren: "Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind." [5] In seiner transzendantalen Logik macht Kant die Vernunft selbst zum Gegenstand der eigenen Kritik und bestimmt so die Grenzen der Logik.
Diese Methodik der Selbstkritik soll den entscheidenden Wendepunkt im Übergang zur Moderne darstellen, wie Greenberg folgendermaßen formuliert:
"Das Wesen des Modernismus, [...], liegt darin, daß [sic] die spezifischen Methoden einer Disziplin zur Kritik dieser Disziplin verwendet werden – und zwar nicht, um sie aus den Angeln zu heben, sondern um sie in ihrem Zuständigkeitsbereich noch sicherer zu verankern."[6]
Fortan sehen sich nach und nach sämtliche gesellschaftliche Aktivitäten im Laufe des 19. Jahrhunderts der Aufgabe gegenübergestellt, sich dieser Selbstkritik zu unterziehen. Für die Malerei bedeutet dies, sich innerhalb der verschiedenen künstlerischen Disziplinen abzugrenzen und sich zu beweisen. Kann sich die Malerei über die ihr eigentümlichen Verfahren und Wirkungen eigens definieren, so ist ihr Existenzraum gesichert. Noch wichtiger aber ist, dass ihr durch ihre genuinen Merkmale Autonomie und somit auch Hochwertigkeit garantiert bleiben.[7] Die Malerei hat folglich den geschichtlichen Auftrag, das zu tun, was sie wirklich ist. Was sind nun ihre ursprünglichen Mittel, ihre Alleinstellungsmerkmale? Es sind schlicht Fläche und Farbe. Sie bilden als Selbstreferenz die neue Notwendigkeit der modernistischen Avantgarde.
Während die traditionelle akademische Kunst mit ihren erzeugten Illusionsräumen die malerischen Mittel kaschiert und damit in gewisser Weise selbst abwertet, sind die Zweidimensionalität der Fläche und die Pigmente in Form von materiellen Farbstoffen aus Tuben und Töpfen die basalen Medien, die nun evident in den Vordergrund rücken.[8] Das Bildobjekt als solches gilt es vor den Effekt der Illusion zu stellen. Eingespielte visuelle Standards werden durch die Moderne drastisch relativiert. Bewusst mit dem Verstand greifbare Bildinhalte verlieren ihre Primatstellung, denn innerhalb des Radius' individueller Ratio bleiben Ideen und somit der Geist und das Bilderlebnis beschränkt. Das Unbewusste und Unfassbare integriert sich als Quelle der Inspiration und Lebenskraft wieder stärker in den ästhetischen Diskurs.[9]
Dieser Wandel widerspiegelt sich ebenso in den malerischen Mitteln. So erweitern sich die Farbfunktionen von den strengen Konventionen der Symbolfarbe und Lokalfarbe hin zu Erscheinungsfarbe, zu Ausdrucksfarbe und schließlich zu autonomer Farbe. In der Problematisierung der Raumillusion verzichten modernistische Maler desweiteren konsequent auf linearperspektivische Modalitäten. Im Konstruktivismus gipfelt die angestrebte Autonomie des Bildes in einem Grad der Abstraktion, der jegliche Assoziationen an Gegenständliches negiert. Interessant in diesem Zusammenhang sind Aussagen verschiedener Kritiker über die Wirkungen modernistischer Malerei auf Geist und Auge. Greenberg konstatiert:
"Während die Alten Meister die Illusion eines Raumes schufen, in die man im Geiste hineingehen konnte, schafft der Modernist eine Illusion, in die man nur hineinschauen und nur mit dem Auge durchwandern kann."[10]
Lyotard hingegen äußert:
"Sie [die 'modernen' Maler] beginnen die vermeintlichen 'Gegebenheiten' des Visuellen in einer Weise umzuwälzen, die sichtbar macht, daß [sic] das Gesichtsfeld Unsichtbares verstellt, und die verlangt, daß [sic] das Bild nicht nur im Auge entsteht, sondern auch im Geist."[11]
Lyotard folgend resümiert Wolfgang Welsch:
"Als reflektierende ist die Kunst der Moderne ein Unternehmen nicht mehr nur der Sinne, sondern auch des Geistes und Denkens. Sie wendet sich ausdrücklich gegen die Beschränkung aufs bloße Sehen und aufs bloß sinnliche Wahrnehmen überhaupt."[12]
Die hier zitierten divergierenden Perzeptionen ein und desselben Kunstverständnisses einer Ästhetik des Sublimen bilden gleichermaßen nachvollziehbare Statements über modernistische Malerei. Beide sind, eingebettet in ihren Kontext der Argumentation, 'wahr'. Dieser heterogene Blick wiederum ist bereits ein Merkmal postmoderner Pluralität. Lyotards Sichtweise ließe sich jedoch auch widerspruchsfrei als Fortführung von Greenbergs Gedanken lesen, denn ausgehend von den Beschränkungen des Auges und des Wortes erst öffnet sich der Geist dem Gefühl des Erhabenen.[13]
Zwischenfazit: Die antiklassische Sprengkraft modernistischer Malerei setzt im späten 19. Jahrhundert tradierte Sehgewohnheiten derart außer Kraft, dass es zu einem scheinbaren* Bruch mit der Tradition akademischer Malerei kommt. Ohne auf einzelne Strömungen modernistischer Stile einzugehen, seien an dieser Stelle charakteristische Aspekte der Moderne skizzenhaft zusammengefasst.
Die zunehmende Abstraktion modernistischer Malerei lässt sich als ein teleologischer Prozess beschreiben, indem die etablierte illusionistische Bildfunktion schrittweise hinter die Mittel der Malerei zurücktritt. Die offene Leinwand
* Viele Historiker, u.a. Clement Greenberg, haben dargelegt, dass der Übergang zur Moderne weniger ein revolutionärer Bruch, als vielmehr ein natürlich gewachsener Prozess aus der Vergangenheit heraus ist. Rosalind E. Krauss zeigt auf, dass die Grundannahmen des Modernismus, Originalität und Ursprung, ungültig sind, da sie letztendlich auf Wiederholung zurückzuführen sind.
behauptet sich schließlich als reines Objekt, befreit von schwerer musealer Rahmung als autonomes Bild. Die Bildinhalte werden philosophischen Programmen subsumiert, welche streng auf essentielle, abstrakte Strukturen reduziert sind, um in der Reinheit der Idee Vollkommenheit zu erlangen. In der Utopie universal geltender Werte will der 'neue modernistische Geist' die bewussten und unbewussten Kräfte des Lebens in kontrollierter Balance halten.[14] In Zeiten fundamentaler wirtschaftspolitischer Wandlung steht der Mensch im Spannungsfeld zwischen Entfremdung und Fortschrittsglauben – Halt findet er in ganzheitsstiftenden Sinnbildern, die durch affirmative Konzepte allgemeingültig einer heilsversprechenden Einheit entgegenstreben.
Herausforderungen der Postmoderne
Die weit in die Moderne reichenden totalitären Ansprüche der Aufklärungs-philosophie erschöpfen sich im fortschreitenden 20. Jahrhundert. Während bis in die Moderne versucht wird, das gesellschaftliche Leben in seiner Vielfalt durch monokulturelle Denksysteme unter Kontrolle zu halten, um humane Verhältnisse zu etablieren, geraten diese schließlich im Zuge der Globalisierung und nach dem Nationalsozialismus unter schärfste Kritik.
Lyotard geht soweit und nennt die "großen Erzählungen", wie zum Beispiel die Erkenntnistheorie, den Fortschrittsoptimismus durch Technik oder die Idee der Emanzipation des Menschen von Herrschaftsstrukturen, unglaubwürdig, gescheitert, gar terrorerzeugend.[15] Die Postmoderne reagiert auf die nicht greifenden Utopien der Moderne. Sie "verabschiedet deren Grundobsession: die Einheitsträume, die vom Konzept der Mathesis universalis über die Projekte der Weltgeschichtsphilosphien bis zu den Globalentwürfen der Sozialutopien reichten."[16]
Der Anspruch des Modernismus, die Wahrheit von Urteilen beweisen zu können und in philosophischen Konzepten zu artikulieren, bewirkt, dass sprach-philosophische Ansätze stark in den Fokus rücken. Statt neue Modelle oder Gegenmodelle zur Moderne zu entwerfen, ist die postmoderne Haltung skeptisch und bedeutet eine radikale Befragung der Moderne.[17] Der postmoderne Diskurs ist vieles: dialektisch, andeutend, schweigend, plural, mehrfachkodiert, nicht interpretierend, reflexiv, offen, zitierend, alles – nur nicht homogen.
In der Postmoderne geht es nicht zwingend um neue Inhalte als vielmehr um eine andere Grundeinstellung, einen anderen Blickwinkel auf die Wirklichkeit. Es geht sozusagen um eine Vielheit in der Einheit. Welsch stellt moderne Einheitssehnsucht versus postmoderne Vielheitslust als den Grundunterschied beider Haltungen heraus.[18]
[...]
[1] Lasker, 1948 in New Jersey geboren, lebt und arbeitet in New York. Er begann in den 1970er Jahren künstlerisch tätig zu werden. Seine Arbeiten lassen sich als konzeptuelle Weiterführungen des Minimalismus einordnen.
[2] Vgl. Welsch 1993, 79 ff.
[3] Lyotard 1985, 74.
[4] Greenberg (1909-1994) gilt in den Jahren 1930-1970 als wichtiger Kunstkritiker, der die US-amerikanische Kunstszene entscheidend mitprägt. Seine Kunsttheorie baut er weniger sozialgeschichtlich, sondern von formal-technischen Innovationen ausgehend auf.
[5] Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft, Seite 75.
[6] Greenberg, in: Harrison / Wood, 931.
[7] Vgl. Greenberg, in: Harrison / Wood 2003, 932.
[8] Ebd.
[9] Vgl. Welsch 1993, 81.
[10] Greenberg, in: Harrison / Wood 2003, 935.
[11] Lyotard 1985, 38.
[12] Welsch 1993, 88.
[13] Vgl. Welsch 1993, 88.
[14] Insbesondere Piet Mondrian hat in seinem Essay "Die neue Gestaltung" von 1920 derartige Denkansätze ausformuliert. Vgl. Mondrian, in: Harrison / Wood, 384 ff.
[15] Vgl. Lyotard 1982, 113 f.
[16] Welsch 1987, 4 ff.
[17] Vgl. Welsch 1993, 79. / Vgl. Richter 1997, 9 ff.
[18] Vgl. Welsch 1993, 94 f.