Victor Turners Theorie der Übergangsriten - Liminalität in Wolframs Parzival


Hausarbeit, 2004

15 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Übergangsriten
1.1 Die drei Phasen der Übergangsriten
1.2 Der Schwellenzustand
1.3 Eigenschaften des Schwellenwesens
1.2 Communitas
1.3 Schwellenzustand und Communitas
1.4 Spontane, normative und ideologische Communitas
1.5 Die Macht der Schwachen
1.6 Soziale Funktion des Schwellenzustands
1.7 Anmerkung

2 Übergangsriten im „Parzival“
2.1 Parzivals Trennung und Eintritt in die Schwellenphase
2.2 Parzival in der Schwellenphase
2.3 Schwellenwesen und Communitas im „Parzival“

3 Fazit

4 Quellen

Einleitung

In den 60er Jahren bemerkte der Kulturwissenschaftler Victor Turner bei seiner Erforschung afrikanischer Stämme eine Vielzahl tradierter Rituale. Dabei schenkte er so genannten „Übergangsriten“ seine besondere Aufmerksamkeit. Turner griff mit seiner Untersuchung, die unter dem deutsprachigen Titel „Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur“ 1968 erschien, die Bezeichnung „rites de passage“ des französischen Forschers Arnold van Gennep aus dem Jahr 1909 auf. Eingehend betrachtete Turner die Teilnehmer von Übergangsriten, die er als „Schwellenwesen“ beziehungsweise Neophythen bezeichnet. Ferner erläuterte er die Funktion der Communitas.

In dieser Arbeit werden die Charakteristika der Schwellenwesen, beziehungsweise der Schwellenphase herausgearbeitet. Die wichtigsten Beobachtungen und Thesen werden hier dargestellt. Da es sich um eine literaturwissenschaftliche Arbeit handelt, werden Turners Thesen zu einem mittelhochdeutschen Text, dem „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach in Bezug gesetzt. So ist die Leifrage dieser Arbeit, inwieweit Turners Begriff der Liminalität Anwendung in der Literatur des Mittelalters finden kann.

1. Übergangsriten

1.1 Die drei Phasen der Übergangsriten

Als Übergangriten bezeichnete Arnold van Gennep im Jahr 1909, „Riten, die einen Orts-, Zustands-, Positions- oder Altersgruppenwechsel begleiten“[1]. Um den Unterschied zwischen Zustand und Übergang deutlich zu machen, folgt Turner der Definition von van Gennep. „Zustand“ ist laut Turner kulturell definiert, stabil und oder wiederkehrend.[2] Wie van Gennep erkennt Turner in Übergangsriten drei Phasen: die Trennungs-. die Schwellen- und die Angliederungsphase.

In der Trennungsphase löst sich der Einzelne, aus der Sozialstruktur, in der er sich zuvor befunden hat. Das Subjekt trennt sich von seiner Gruppe (Stamm, Familie). Diese Trennungsphase kann durch symbolisches Verhalten begleitet sein. Ausgangspunkt der Trennung können Bestattungszeremonien sein.

In der mittleren Schwellenphase durchschreitet das Schwellenwesen einen kulturelle Bereich, der keine oder nur wenige Merkmale seines vergangenen oder auch künftigen Zustands aufweist. Die Person wechselt ihren sozialen Status. „Der Übergang von einem sozialen Status zum anderen ist mit einem Raumwechsel, einer geographischen Ortsveränderung verbunden.“[3]

In der Angliederungsphase gibt das Subjekt die vorangegangene Phase auf und tritt wieder in die Gesellschaft mit den verbundenen Rechten und Pflichten ein. Es wird von ihm erwartet, dass er sich an den traditionellen Normen und ethischen Maßstäben orientiert.

1.2 Der Schwellenzustand

Genau lassen sich die Eigenschaften des Schwellenzustands nicht bestimmen. Denn das Schwellenwesen ist weder hier noch da, es schlüpft durch das Netz der Normengesellschaft. Es steht zwischen den fixierten Positionen von Gesetz, Tradition und Konvention. „Viele Gesellschaften, die soziale und kulturelle Übergänge ritualisieren, verfügen deshalb über eine Vielzahl von Symbolen, die diese Ambiguität und Unbestimmtheit des Schwellenzustands zum Ausdruck bringen.“[4]

So wird der Schwellenzustand häufig mit dem Tod, mit dem Dasein im Mutterschoß, mit Unsichtbarkeit, Dunkelheit, Bisexualität, mit der Wildnis und mit einer Sonnen- und Mondfinsternis gleichgesetzt.

In Initiations- oder Pubertätsriten können die Schwellenwesen symbolisch als Wesen dargestellt werden, die nichts besitzen, als Monster verkleidet sind oder nachts umhergehen. Sie tragen keine Insignien mehr, die auf ihren sozialen Rang oder ihre Herkunft verweisen. Sie sind also nicht von etwaigen Mitinitianden zu unterschieden. So demonstrieren sie ihren Verlust an Status und Eigentum. Ihr Verhalten in dieser Phase ist demütig und passiv. Ihren Lehrern haben sie strikt zu gehorchen und auch willkürliche Bestrafung klaglos hinzunehmen. Liminalität kann der Schauplatz von Krankheit, Verzweiflung, Tod und Selbstmord, des Zusammenbruchs normativer, klar definierter sozialer Beziehungen und Bedingungen sein, ohne dass neue Beziehungen an ihre Stelle träten.“[5]

Der Schwellenzustand kann auch eine Phase der Läuterung sein. Als Beispiel hierfür nennt Turner im Mittelalter die Nacht vor dem Ritterschlag. Der Ritter muss eine Nachtwache halten, in der er geloben muss, den Schwachen und Elenden zu dienen und muss in der Nacht über seine eigene Unwürdigkeit meditieren. Dieser demütigen innerlichen Versenkung sprach man teilweise die spätere Kraft des Ritters zu. „

1.3 Eigenschaften des Schwellenwesens

Am Beispiel des afrikanischen Stammes der Ndembus führt Turner typische Eigenschaften der Schwellenwesen auf: Der Initiand befindet sich in einem Zustand der Geschlechtslosigkeit und Anonymität. Der vorhandenen Sozialstruktur sind sie nicht zugehörig. „Für die soziale Welt sind sie tot, für die asoziale Welt aber lebendig. (...) In der Liminalität können profane soziale Beziehungen unterbrochen, frühere Rechte und Pflichten aufgehoben, die soziale Ordnung scheinbar auf den Kopf gestellt, dafür aber kosmologische Systeme (...) für die Novizen von zentraler Bedeutung sein.“[6] Weitere charakteristische Merkmale sind Demut und Schweigen. Die Schwellenwesen (Neophyten) sind oft körperlichen Torturen und Demütigungen ausgesetzt. Diese Härtetests stellen teilweise die Zerstörung des früheren Status dar. Damit werden sie auf die spätere Verantwortung vorbereitet, ihre späteren Privilegien nicht zu missbrauchen. Bei Übergangsriten ist die Teilnahme Pflicht, selbst Überschreitungen der Regeln sind Teil des vorgeschriebenen Rituals.

Ein weiteres Merkmal der Schwellenwesen kann sexuelle Enthaltsamkeit sein. Eine Wiederaufnahme der Geschlechtsbeziehungen mag die Rückkehr in die strukturierte Gesellschaft bedeuten. Auf zwei Arten kann sich das Schwellenwesen aus der Communitas lösen; einerseits durch den Missbrauch seiner Rechte und andererseits in der Befriedigung seiner psychobiologischer Triebe.

1.2 Communitas

Mit dem Beginn der Schwellenphase, treten die Initianden des Rituals (Schwellenwesen) in eine Gemeinschaft gleicher ein, die Turner als „Communitas“ bezeichnet. Diese Communitas ist der Gegenpol beziehungsweise das Gegenmodell zu der durch Normen und Konventionen gekennzeichneten Gesellschaft, die das Subjekt mit der Trennungsphase verlassen hat. Demzufolge existieren in der Communitas keinerlei Rang- oder Klassen-Hierarchien. Die Initianden sind nur dem rituell Ältesten unterworfen. Zweck dieses Rituals ist, die Klassen- beziehungsweise Rangunterschiede zu verkehren (Statusumkehrung). In der Communitas verzichtet das Schwellenwesen auf sämtliche Privilegien, die ihm zuvor zu Teil geworden sind. So steht die Communitas im Gegensatz zu der gesellschaftlichen Struktur. Um diese Gegensätzlichkeit von Schwellenzustand und Statussystem zu veranschaulichen, hat Turner als Beispiele folgende Gegensatzpaare gebildet:[7]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] zitiert nach: Turner, Victor: „Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur“, Frankfurt, S.94

[2] ebd., S.94

[3] ebd., S.36

[4] ebd., S.95

[5] ebd., S.72

[6] ebd., S.39

[7] ebd., S.105f

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Victor Turners Theorie der Übergangsriten - Liminalität in Wolframs Parzival
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für deutsche Sprache und Literatur II)
Veranstaltung
Ritual und Text
Note
2
Autor
Jahr
2004
Seiten
15
Katalognummer
V32030
ISBN (eBook)
9783638328692
ISBN (Buch)
9783638956925
Dateigröße
531 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit setzt sich mit den Thesen Victor Turners (Ethnologe) auseinander. Gezeigt wird, inwieweit seine Theorie für Übergangsriten (bzw. Liminalität) auf Texte des Mittelalters angewendet werden kann. Beispielshaft wird dies an Wolframs Parzival exemplifiziert.
Schlagworte
Victor, Turners, Theorie, Liminalität, Wolframs, Parzival, Ritual, Text
Arbeit zitieren
Patrick Körber (Autor:in), 2004, Victor Turners Theorie der Übergangsriten - Liminalität in Wolframs Parzival, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32030

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