Rhetorik und Philosophie in der Antike. Der Dialog "Gorgias" von Platon


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschichtlicher Hintergrund
2.1 Die Geschichte der Rhetorik
2.2 Die Philosophie als Gegenströmung der Rhetorik

3. Der Dialog „Gorgias“
3.1 Das Gespräch zwischen Sokrates und Gorgias über die Beschaffenheit der Rhetorik
3.2 Das Gespräch zwischen Sokrates und Polos
3.2.1 Über die Rhetorik als Scheinkunst
3.2.2 Die Macht der Rede

4. Platons Haltung zur Rhetorik

5. Schlussfolgerung

6. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Du siehst nämlich, dass wir über ein Thema diskutieren, das wohl jeder Mensch, der auch nur ein wenig Verstand hat, sehr ernst nehmen wird, nämlich die Frage, wie man leben soll; ob man – wozu du mich aufforderst – die Dinge betreiben soll, die Männersache sind: vor dem Volk zu sprechen, Rhetorik zu praktizieren und auf die Weise Politik zu treiben, wie ihr jetzt Politik treibt; oder aber ob man das Leben eines Philosophen führen soll, und worin sich dieses von jenem Leben unterscheidet.“[1]

Der platonische Dialog „Gorgias“ behandelt eine zu Lebzeiten Platons aktuelle Debatte, nämlich die Debatte zwischen den Philosophen und den Rhetoren. Der antike Philosoph Platon, Schüler des immer wieder in seinen Werken als Protagonist auftretenden Sokrates, gründete im Jahre 387 v. Chr. eine Schule, in der er philosophisch-wissenschaftlichen Unterricht erteilte. So entstand die Akademie, die erste Philosophenschule Griechenlands. Die Akademie stand jedoch in einer Rivalität zu einer Schule der Beredsamkeit von Isokates, einem Lehrer der Rhetorik.

Platons kritische Haltung zu den Bestrebungen des Isokrates kommt unter anderem in einem seiner Dialoge, nämlich dem „Gorgias“ sehr gut zum Vorschein.

Die Besonderheit des „Gorgias“ ist, dass das Streitgespräch zwischen Platons Protagonisten Sokrates und den Rhetoren Gorgias, Polos und Kallikles auf zwei Ebenen verläuft; einerseits auf einer theoretischen Ebene, in dem definitorische Schlüsse gezogen werden und andererseits auf einer praktischen Ebene, in der die Vertreter der Rhetorik mit dem Philosophen Sokrates anhand einer rhetorisch fesselnden Gesprächsführung streiten. Sieger dieser Auseinander-setzung ist die Philosophie, denn keiner der Rhetoren schafft es, der dialektischen Einsicht des Sokrates Stand zu halten.

In dieser Hausarbeit soll das Verhältnis zwischen Rhetorik und Philosophie in der Antike sowie Platons Stellung zur Rhetorik verdeutlicht werden. Als Grundlage dient hierfür das bereits erwähnte Werk Platons, nämlich der Dialog „Gorgias“. Die zentrale These, die im Laufe dieser Hausarbeit genauer beleuchtet und bewiesen werden soll, lautet: „Die Stellung Platons zur Rhetorik, wie sie im Dialog „Gorgias“ zum Vorschein kommt, ist in ihren Grundzügen eine Darstellung des Verhältnisses zwischen den beiden rivalisierenden Schulen Rhetorik und Philosophie“. Des Weiteren soll die Frage geklärt werden, inwieweit Platons kritische Haltung auch einen konstruktiven Charakter für die Rhetorik innehatte.

Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die für die Hausarbeit verwendete Forschungsliteratur gegeben beziehungsweise die hilfreichen Werke und Autoren aufgeführt.

Daraufhin wird ein kurzer Einblick über den geschichtlichen Hintergrund beziehungsweise über den historischen Kontext sowie einige Informationen über das Leben Platons gegeben. Des Weiteren wird geklärt, was die (griechische) Rhetorik in der Antike ausmachte und was sie, im Gegensatz dazu, heute bedeutet. Im Anschluss daran wird die Bedeutung der Philosophie, zum einen für die Antike und zum anderen in der heutigen Zeit, erläutert.

Nach dieser thematischen Einführung wird speziell der Dialog „Gorgias“ untersucht und insbesondere das Gespräch zwischen Sokrates und dem Rhetor Gorgias auf die Beschaffenheit der Rhetorik hin analysiert werden.

Im Anschluss an die Beleuchtung des Gesprächs mit Gorgias wird das Gespräch zwischen Sokrates und Polos auf die Themen „Rhetorik als Scheinkunst“ und „die Macht der Rhetorik“ untersucht und behandelt.

Das nächste Kapitel widmet sich dann speziell Platon und dessen Stellung zur Rhetorik, wobei nicht nur das Werk „Gorgias“ als Grundlage dienen wird.

Im Schlussteil der Arbeit wird noch einmal auf die oben genannte These eingegangen und die Frage geklärt, inwieweit Platons Kritik an der Rhetorik zu deren Verbesserung beigetragen hat.

Bei der Bearbeitung der Hausarbeit war insbesondere das Werk „Klassische Rhetork“ aus dem Jahr 2005 von Gert Ueding hilfreich. In Bezug auf Platons Leben konnte der Aufsatz von Dorothea Frede aus dem Werk „Klassiker der Philosophie“ von Ottfried Höffe hilfreiche Informationen liefern. Auch ein Werk von Brian Vickers, „Mächtige Worte – Antike Rhetorik und europäische Literatur“, erschienen im Jahr 2008, konnte bei der Bearbeitung der Hausarbeit helfen. Zudem war ein Aufsatz von Wilfried Stroh, „Philosophie und Rhetorik in der antiken Bildungsgeschichte“, in Bezug auf die Thematik ausgesprochen informativ. Der Aufsatz basiert auf Strohs Buch „Die Macht der Rede: Eine kleine Geschichte der Rhetorik im alten Griechenland und Rom“, aus dem Jahr 2009.

Der Dialog „Gorgias“ wird aus der Reclam-Ausgabe Zitiert, welche von Michael Erler übersetzt wurde.

2. Geschichtlicher Hintergrund

In der Zeit von 430-330 v. Chr. war die griechische Bildungsgeschichte stark geprägt von einem Antagonismus zwischen der Rhetorik/Sophistik und der Philosophie. Somit war das Verhältnis von Rhetorik und Philosophie besonders zu Lebzeiten Platons (428/427 – 348/47 v. Chr.) ein angespanntes. Zu dieser Zeit wandten sich viele Athener der Philosophie ab, um sich der Rhetorik zu widmen.[2]

Der Philosoph Platon ist uns nur aus der Verhüllung seiner Dialoge bekannt, in denen er jedoch nie sich selbst, sondern seinen Lehrer Sokrates sprechen lässt. Über das Leben Platons sind wir deshalb nur in Umrissen unterrichtet, obwohl er als einer der größten Denker des Abendlandes bekannt ist, wie Dorothea Frede treffend formuliert:

„Obwohl das Weltgeschehen nur selten von einzelnen Personen abhängt, dürfte Platon eine der wenigen Ausnahmen sein. Wäre er als junger Mann in einem der vielen Kriege seiner Vaterstadt gefallen, die Welt würde heute ganz anders aussehen – und zwar nicht nur die Welt des Geistes, sondern auch die Welt von Wissenschaft und Technik. Denn Platons Philosophie hat Maßstäbe gesetzt, die über die Jahrhunderte bis heute das Forschen und Denken bestimmen sollten.“[3]

Der Philosoph Platon stammt aus einer vornehmen Familie Athens. Seine Jugend wurde geprägt vom Peloponnesischen Krieg, der, angetrieben durch hegemoniale Bestrebungen Athens, ganz Griechenland zusetzte und für Athen in der totalen Niederlage endete. Auf diese Niederlage folgte eine Zeit des Schreckensregimes, das der sogenannten Dreißig Tyrannen. Danach wurde zwar die Demokratie wiederhergestellt, doch der Prozess und das anschließende Todesurteil gegen seinen Lehrer Sokrates trugen wohl maßgeblich dazu bei, dass Platon sich nicht – wie es für einen jungen Mann aus einer aristokratischen Familie üblich gewesen wäre – der Politik widmete.

Nachdem Platon einige Jahre von Athen entfernt auf Reisen war, kam er zirka 385 v. Chr. zurück um seine Schule, die Akademie, zu gründen. Diese hatte nicht allein die Pflege der Wissenschaften zum Ziel, sondern sollte vor allem auch für die Ausbildung zukünftiger Herrscher sorgen. Zwar konnte Platon mit seiner Schule akademische Erfolge erzielen, im Bereich der Politik konnte er sein Vorhaben, eine „Philosophenherrschaft“ zu errichten, jedoch nicht umsetzen.

Nach Platons Tod im Jahre 348/47 v. Chr. blieb die Akademie als eine „blühende Lehr- und Forschungsinstitution“ erhalten und wurde zum Vorbild für die Gründung weiterer Philosophenschulen in Griechenland.[4]

Der Dialog „Gorgias“ wird zu Platons Frühwerken gezählt, scheint aber innerhalb der Gruppe der frühen Dialoge zu den späteren zu gehören. Sicher ist, dass er erst nach dem Prozess des Sokrates entstand, der 399 v. Chr. zu datieren ist. Wichtig ist zu sagen, dass Platon im „Gorgias“ seinen Protagonisten Sokrates entschieden Position beziehen lässt, was in früheren Dialogen nicht der Fall ist.[5]

2.1 Die Geschichte der Rhetorik

Heutzutage versteht man bekanntlich unter Rhetorik eine Art der Spracherziehung und Vortragskunst. Der Begriff „Rhetorik“ kommt aus dem altgriechischen und leitet sich aus dem Wort „rhētorikḗ“ ab, was übersetzt so viel heißt wie „Redekunst“ oder „Kunst der Beredsamkeit“. Wenn man die Rhetorik gut beherrscht, dann sollte es einem gelingen, Menschen zu überzeugen und Reden zu halten, denen die Zuschauer mit Freude zuhören und deren Inhalte im Gedächtnis bleiben. Die Definition moderner Rhetorik ist demnach: „Die Kunst wirksam zu reden und zu überzeugen.“[6]

Die Rhetorik war also nicht nur bei den Rednern der Antike von Bedeutung, sie ist auch heute noch aktuell und dient der Überzeugung. Sie ist beispielsweise aus Wirtschaft oder Politik nicht wegzudenken. Doch nicht nur zur Überzeugung anderer Menschen ist es wichtig, rhetorische Fähigkeiten zu haben. Bei einer Trauerrede beispielsweise kommt es vielmehr darauf an, dass man als guter Redner die Hinterbliebenen tröstet und das Leben des Toten wertschätzt.

Ihren Ursprung findet die Rhetorik jedoch bereits in der Antike. So gilt der griechische Dichter Homer als deren Schöpfer, was beispielsweise schon Cicero feststellte:

„Denn nicht hätte schon in der trojanischen Zeit Homer dem Ulysses und Nestor so großes Lob in der Rede erteilt, von denen er dem einen Kraft, dem anderen Anmut zuschreibt, wenn die Beredsamkeit nicht damals schon in Ehren gestanden hätte, und es hätte auch dieser Dichter selbst nicht so viel Schmuck der Rede besessen und wäre kein vollkommener Redner gewesen.“[7]

So hat Homer also bereits im 8. Jahrhundert v. Chr. in seinen berühmten Werken „Ilias“ und „Odyssee“ rhetorische Stilmittel und Reden verarbeitet. Dennoch muss man die Redekunst bei Homer noch gänzlich in den „mythologischen Rahmen seines Dichtungsverständnisses“ eingebettet sehen, sodass man ihr lediglich eine „instrumentelle[] Bedeutung“ zuordnen kann.[8] Die Redekunst hatte zu Zeiten Homers die Funktion der „Vermittlung und Verbürgung des wahren göttlichen Wissens“.[9]

Die tatsächlichen Anfänge der Rhetorik beziehungsweise als deren Geburtsstätte lassen sich dem 5. Jahrhundert v. Chr. auf Sizilien, genauer in der damaligen Weltmetropole Syrakus, vernehmen. Durch politische Veränderungen war es erstmals möglich, sich frei in der Redekunst zu entfalten. So hatte Syrakus mit seiner „Tyrannenvertreibung“ im Jahre 467 v. Chr. gezeigt, dass durch die Tyrannenherrschaft sogar „das Reden verboten“ wurde.[10] Die Entstehungsgeschichte der Rhetorik ist somit gleichsam das Ende der Tyrannenherrschaft und findet ihre Funktion in Beratung und Entscheidungsfindung durch überzeugende Argumentation. Als erster Rhetor nach dem Sturz der sizilischen Tyrannen gilt Korax. Unter seinen Schülern befand sich ein gewisser Teisias, der als Verfasser des ersten rhetorischen Lehrbuches bekannt ist. Korax und Teisias gelten somit in der Forschung als Begründer der Rhetorik.[11] Teisias wird zudem die Definition der Rhetorik als „ demiourgos oder Schöpfer der Überredungskraft“ zugeschrieben.[12]

Die Kunst des Redens wurde somit allmählich zum Ziel und Hauptgegenstand der Erziehung und zum Bildungsideal der zivilisierten Welt - und in der Sophistik zum verbreiteten Wissenschaftsprogramm, das bald das Zentrum der griechischen Zivilisation, Athen, eroberte.

Ein weiterer Sizilianer spielt ebenfalls eine wichtige Rolle für die Gründungsgeschichte der Rhetorik. Und zwar ist das Gorgias von Leontinoi, der ein Schüler des Teisias war. Zwar wurde das historische Bild des Gorgias durch Platon in dessen gleichnamigen Dialog verzerrt, dennoch weiß man über die historische Person, den Rhetor Gorgias, dass er im Jahre 427 v. Chr. nach Athen kam und dort die Bürger durch „glänzende Redefertigkeit“ beeindruckte.[13] Der Aufenthalt des Gorgias in Athen fiel in eine, für sein Wirken, günstige Zeit. In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. vollzog sich nämlich in der Politik sowie im Rechtswesen Athens ein Wandel, wodurch der einzelne Bürger mehr direkte Mitsprache und Entscheidungsfreiheit erhielt. So wurde das bisherige System von einzelnen Magistraten oder einer ausgewählten Gruppe von Richtern auf dem Areiopag durch große Geschworenengerichte ersetzt, „die aus 201 bis 501 Bürgern mit umfassenden Kompetenzen im Gerichtsverfahren bestanden“.[14] Dies bedeutet, dass die Bürger sich im Falle einer Straftat persönlich anhand einer einzigen Rede vor Gericht verteidigen mussten, wodurch die Redefertigkeit eine „unabdingbare Voraussetzung für Freiheit und Wohlstand eines jeden Atheners“ bedeutete.[15] Damit waren Rhetoren zu dieser Zeit sehr gefragt und gut angesehen und die Bürger, die beispielsweise auch Erfolgreich vor der Volksversammlung sprechen wollten, bemühten sich um Unterricht bei den sogenannten Sophisten, die sich auf politische Redekunst spezialisiert hatten.[16]

Auch Gorgias wird in der Literatur zu den Sophisten gezählt. Damit war er ein Angehöriger einer philosophisch-rhetorischen Schule, die durch Platons kritische Überlieferungen nachhaltig verleumdet wurde. Gert Ueding schreibt über die Vorurteile und Missverständnisse, die der Menschheit über die Sophistik durch Platon überliefert wurden:

„Über die Sophistik sind wir im Wesentlichen nur aus den Schriften ihres erbittertsten Gegners, nämlich Platon (427-347), unterrichtet – stellt man sich vor, wir kennten Heidegger nur aus den Büchern orthodoxer Marxisten, so haben wir einen Maßstab für die Bewertung der platonischen Zeugnisse, wie sie vor allem die Dialoge Gorgias, Protagoras, Sophisttes und Phaidros überliefern. Das in ihnen namens Sokrates gezeichnete Zerrbild der Sophistik kann man freilich nur teilweise dadurch richtigstellen, daß [Sic!] man es als eine Art Negativ nimmt, aus dem sich das Positiv durch Umkehrung ergibt. Zu speziell sind Platons Interessen, die sophistische Lehre als bloß formal-rhetorische Artistik, ihre Erziehungsvorstellungen als relativistisch, ihre politischen und ethisch-religiösen Vorstellungen als bloße Gesundbeterei zu erweisen, als daß [Sic!] wir von ihm durch einfache Richtungsänderung auch brauchbare Informationen über diese so mächtige geistige Bewegung erhalten könnten. Es war Georg Wilhelm Friedrich Hegel […], der als erster entschieden gefordert hat, alle schlimmen Vorurteile „auf die Seite zu stellen und zu vergessen“[…], bevor man sich mit der Sophistik beschäftigt.“[17]

Dieses Zitat zeigt sehr gut, dass man Platon als sehr großen Kritiker der Sophistik beziehungsweise auch der Rhetorik verstehen muss und dass man seine Aussagen über diese Wissenschaften nicht als maßgebend ansehen darf.

Die Sophisten selbst verstanden sich als „Lehrer der Weisheit“. Als sogenannte „Wanderlehrer“ der Redekunst zogen sie von Polis zu Polis und unterrichteten ihre Schüler in den Wissenschaften und Künsten und versuchten Handlungsprinzipien zu finden. Sie lehrten „die Mittel erfolgreichen zweckbestimmten Handelns“, welche in erster Linie aus rhetorischen Strategien bestanden.[18] Die Sophisten sahen in der Kunst, gut zu sprechen, den Höhepunkt der menschlichen Bildung und prägten das Bewusstsein, dass man die Sprache als „wichtigste[s] Organ der menschlichen Handlungsorientierung und Weltbewältigung“ ansehen muss.[19] Laut Isokrates, dem führenden Repräsentanten der Sophisten, gilt die Rhetorik als „Hauptwerkzeug der Erziehung, und Erziehung ziel[e] auf politische Tätigkeit und praktischen Nutzen“, den für die Antike Welt wichtigsten Tugenden für einen guten Bürger.[20]

2.2 Die Philosophie als Gegenströmung der Rhetorik

„Stellte die Sophistik eine „intellektuelle Emanzipationsbewegung“ […] im Rahmen der neuen demokratischen Institutionen Griechenlands dar, so entwickelte sich die philosophisch Reaktion auf sie im Kontext von politischen Bestrebungen, die sich das Heil der Polis nur in einer Überwindung der sophistischen Aufklärung vorstellen konnten, in der Rückkehr zu Mythos und Religion, zu überliefertem Recht und überlieferter Sitte, zum unabänderlichen Maßstab für menschliches Denken und Handeln, der in einer transzendenten, dem Zugriff der Meinungen entzogenen, sie vielmehr richtenden Wahrheit verankert sein sollte.“[21]

So schreibt Gert Ueding über die Philosophie und bringt damit treffend zum Ausdruck, dass die Philosophie der Antike im Gegensatz zu der Sophistik durch Handlungsorientierung und dem systematisch wissenschaftlich orientiertem Denken geprägt ist. Ein großer Unterschied zwischen den Philosophen und den Rhetorikern beziehungsweise Sophisten bestand darin, dass die Philosophen, die die Bürger in philosophische Gespräche verwickelten, kein Geld verlangten, wohingegen sich die Rhetoren ihre Lehren bezahlen ließen.

In der heutigen Zeit hat die Philosophie, im Gegensatz zur antiken Welt, an Ansehen verloren. Trotzdem ist sie auch heute noch aktuell, denn es ist wohl unbestreitbar, dass jeder Mensch in seinem alltäglichen Leben philosophiert. Schon Platon hat gesagt, dass eigentliche Erlebnis des Philosophen liege im Staunen, was meiner Meinung nach eine treffende Aussage über die Philosophie, auch heute noch, ist. Jeder Mensch stellt gelegentlich Fragen über sich und sein Leben und versucht Antworten zu finden. Im Grunde genommen haben sich die Ziele der Philosophie seit der Antike bis heute nicht verändert, denn diese bestehen wohl letztendlich darin, das Leben zu erforschen und die schönen Augenblicke schätzen zu lernen.

Der Gegensatz zwischen Rhetorik und Philosophie zieht sich durch das gesamte griechische und römische Altertum und verliert wohl erst im vierten Jahrhundert mit dem Sieg des Christentums etwas an Bedeutung. Zu dieser Zeit tritt der Rhetorik nicht mehr die Philosophie gegenüber, sondern das Evangelium, denn das „Reich Gottes beruh[e] nicht auf der Redekunst, sondern auf dem Glauben“.[22] Doch gänzlich aufgelöst habe sich der Konflikt zwischen Rhetorik und Philosophie nicht.

Das einstige Konfliktverhältnis habe sich jedoch im Laufe der Zeit positiv verändert, denn es habe sich im 20. Jahrhundert eine „neue philosophische Rhetorik-Renaissance“ entwickelt.[23] Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts wird die Rhetorik in ihrem ursprünglichen Anspruch neu zur Geltung gebracht. Inzwischen hat sie auch die Anerkennung der logischen und wissenschaftstheoretischen Grundlagenforschung gefunden. Es ist heute eine Fusion von Logik und Dialektik (Philosophie) einerseits und Sprache und Kommunikation (Rhetorik) andererseits feststellbar.

3. Der Dialog „Gorgias“

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, zeichnet sich der Gorgias-Dialog durch zwei abstrakte Ebenen aus. Die Handlung tritt ein, nachdem der Rhetor Gorgias einen längeren Vortrag im Hause des Kallikles gehalten hatte. Sokrates und sein Begleiter Chairephon kommen jedoch zu spät, erhalten aber durch Kallikles die Gelegenheit, dennoch mit Gorgias zu sprechen. Dadurch kommt es zu verschiedenen Dialogen zwischen Sokrates und je einem der drei Personen, Gorgias, Polos und Kallikles. Anlass und Ausgangspunkt der Unterhaltung ist die Frage, was die Kunst des berühmten Gorgias denn sei. Was zunächst aussieht, wie ein Gespräch unter Freunden, bei dem derartige Fragen aus reinem Interesse gestellt werden, ist auf der theoretischen Ebene der Auftakt zu einer Auseinandersetzung zwischen Philosophie und Rhetorik.

Wie die meisten von Platons Dialogen ist auch der „Gorgias“ in der sogenannten „sokratischen Methode“ verfasst. Das heißt, Sokrates tritt in einen Dialog mit verschiedenen Gesprächspartnern und versucht diesen anhand des didaktischen Vorgehens „Mäeutik“ („Hebammenkunst“) zur Erkenntnis zu verhelfen, indem er sie durch geeignete Fragen dazu veranlasst, den betreffenden Sachverhalt selbst herauszufinden. Der „Gorgias“ ist ein Dialog, der mehrere Themen umfasst, wie zum Beispiel auch das große philosophische Thema, wie gutes Leben gelingt beziehungsweise wie man leben soll. Ein weiterer Aspekt, der während des Dialogs behandelt wird, ist aber eben auch die Rhetorik und somit wurde durch den „Gorgias“ auch die allgemeine Auffassung darüber geprägt, was und wie Platon über die Rhetorik dachte.

Der Dialog selbst gilt jedoch als „Spitzenleistung in Sachen Rhetorik und fesselnder dramatischer Gesprächsführung“. So erzählte beispielsweise Aristoteles, dass ein korinthischer Landwirt durch die Lektüre des „Gorgias“ so gepackt und überzeugt wurde, dass er seinen Hof verließ und um Aufnahme an die platonische Akademie bat.[24]

Wichtig ist noch zu sagen, dass es sich im „Gorgias“ um eine fiktive Situation handelt, was Platon offenbar durch gewollt eingebaute Anachronismen verdeutlichen wollte.

[...]


[1] Platon: Gorgias, Übersetzt von Michael Erler, Kommentar und Nachwort von Theo Kobusch, Stuttgart 2014, 500c.

[2] Vgl. Fuhrmann, Manfred: Die Antike Rhetorik. Eine Einführung, Mannheim 2011, S. 31.

[3] Frede, Dorothea: Platon, in: Ottfried Höffe (Hrsg.): Klassiker der Philosophie 1. Von den Vorsokratikern bis David Hume, München 2008, S. 26.

[4] Gesamter Abschnitt über Platons Leben: Ebd. S. 26-27.

[5] Platon: Gorgias, S. 208.

[6] http://www.rhetorik-homepage.de/ (Letzter Zugriff: 29.03.2016).

[7] Cicero, Marcus Tullius: Brutus, übersetzt von: Julius Sommerbrodt, München o.J., S. 40. Vgl auch: Ueding, Gert: Klassische Rhetorik, München 2005, S. 12.

[8] Ueding: Klassische Rhetorik, S. 13.

[9] Ebd.

[10] Ebd. S. 14-15.

[11] Ebd. S. 15-16.

[12] Vickers, Brian: Mächtige Worte – Antike Rhetorik und europäische Literatur, Berlin 2008, S. 16.

[13] Ueding, S. 17.

[14] Vickers: Mächtige Worte, S. 16.

[15] Ebd., S. 16-17.

[16] Ebd., S. 17.

[17] Ueding, S. 18.

[18] Ebd. Vgl. auch: http://www.philosophie-woerterbuch.de/online-woerterbuch/?tx_gbwbphilosophie_main[entry]=832&tx_gbwbphilosophie_main[action]=show&tx_gbwbphilosophie_main[controller]=Lexicon&cHash=bee30ce0ce79024e6da57166452fdbf2 (Letzter Zugriff: 22.02.2016).

[19] Ueding, S. 19.

[20] Vickers, S. 18.

[21] Ueding, S. 24.

[22] http://stroh.userweb.mwn.de/schriften/philosophie_rhetorik.pdf, S. 52.

[23] Dyck, Joachim; Jens, Walter und Ueding, Gert: Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch, Tübingen 1999, S. VIII.

[24] http://www.novstudgen.de/files/downloads/Dialog_Gorgias.pdf (Letzter Zugriff: 23.03.2016).

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Rhetorik und Philosophie in der Antike. Der Dialog "Gorgias" von Platon
Hochschule
Technische Universität Darmstadt
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
20
Katalognummer
V320490
ISBN (eBook)
9783668196490
ISBN (Buch)
9783668196506
Dateigröße
582 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rhetorik, philosophie, antike, dialog, gorgias, platon
Arbeit zitieren
Svenja Schäfer (Autor:in), 2016, Rhetorik und Philosophie in der Antike. Der Dialog "Gorgias" von Platon, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/320490

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