Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Ritterlichkeit - Realität und höfisches Ideal
2. Der Ritter und seine Tugendhaftigkeit
2.1 Ritterbegriff
2.2 Die höfischen Tugenden
3. Schuld und Tugend in Hartmanns Iwein
4. Iwein als tugendhafter Ritter
5. Literaturverzeichnis
1. Ritterlichkeit - Realität und höfisches Ideal
„Sie plündern und berauben die unbemittelten Diener Christi und (…) sie unterdrücken erbarmungslos die Armen und sättigen am Schmerz der anderen ihre eigenen verbotenen Gelüste und ihre außerordentlichen Begierden.“1Die Ritter im Mittelalter, die hier gemeint sind, traten in der Realität, im Gegensatz zur höfischen Literatur, eben nicht als tugendhafte Kämpfer auf. Vielmehr entwickelte sich in der Literatur ein Ritterbegriff, der sich in der Wirklichkeit in keinster Weise widerspiegelte. Moralische Werte und Tugenden hatten keine erwähnenswerte Bedeutung für die Ritter des Mittelalters. Aufgrund dieser Tatsache hatten es sich die höfischen Dichter zur Aufgabe gemacht, den Ritterbegriff in ihren Werken zu idealisieren. „Sie wollten (…) auf die gesellschaftliche Praxis Einfluß nehmen“2 und ihre Zuhörer, durch die Veranschaulichung eines vollkommenen Ritters, auf diesen Missstand aufmerksam machen. Auch in Hartmanns von Aue Artusroman „Iwein“ spielen ritterliche Tugenden eine tragende und auch leitende Rolle. Der gute Ritter hat sich nach ihnen zu benehmen und durch diese Tugenden werden Handlungsoptionen festgelegt. Schon zu Beginn des Romans, bevor eine erste Handlung überhaupt einsetzt, wird von König Artus berichtet, der sämtliche ritterliche Tugenden besitzt, und als Vorbild für die gesamte Ritterschaft gilt. Dem Text nach, wird Artus wegen dieser Eigenschaften noch über den Tod hinaus bekannt und beliebt sein:
Swer an rehte güete/ wendet sîn gemüete,/ dem volget saelde und êre./ des gîlt gewisse lêre/ künec Artûs der guote,/ der mit rîters muote/ nâch lobe kunde strîten./ er hât bî sînen zîten/ gelebet alsô schône/ daz er der êren krône/ dô truoc und noch sîn name treit./ des habent die wârheit/ sîne lantliute:/ sî jehent er lebe noch hiute:/ er hât den lop erworben,/ ist im der lîp erstorben,/ sô lebet doch iemer sîn name./ er ist lasterlîcher schame/ iemer vir gar erwert,/ der noch nâch sînem site vert.3
Dieser Prolog lässt erkennen, wie viel Bedeutung Hartmann „êre“, „saelde“ und „muote“, also allgemein den ritterlichen Tugenden, im Roman, zuspricht. Genannter Umstand wirft die Frage auf, ob Iwein den Idealen eines Ritters gerecht wird. Ritterlichkeit also, als einer der zentralen Leitbegriffe des Romans, soll in dieser Arbeit definiert und in Bezug auf Iwein analysiert werden. Ferner wird die Verknüpfung von Schuld und Tugend thematisiert.
2. Der Ritter und seine Tugendhaftigkeit
2.1 Ritterbegriff
Die erste Benennung, die auf einen Ritterbegriff schließen lässt, war das lateinische Wort miles.Miles, was übersetzt so viel bedeutet wie „Soldat, Krieger“, bezeichnete vorerst den gewöhnlichen Fußsoldaten ohne höheren Rang. Ferner beinhaltetmilesauch den Sinngehalt des Dienstes, der vor allem auf den Krieg bezogen werden kann. Im Laufe des Mittelalters kam es zur Bedeutungserweiterung dieser Benennung, wodurch milesjetzt primär den schwergewappneten Reiter kennzeichnete, und nicht mehr alle Krieger in die Bedeutungsebene einschloss. Miles erfuhr im 12. Jahrhundert einen beträchtlichen sozialen Aufstieg, da nun auch stellenweise Hochadlige mit dem Terminus bezeichnet wurden, und später der Adel ausnahmslos als Ritter klassifiziert wurde. Bedeutungsparallelen zu miles bergen zum einen der französische Begriff chevalierund zum anderen das deutsche Wort ritter, die aber, im Gegensatz zu ihrem lateinischen Sinnverwandten, beinahe lediglich in der Literatur Anwendung fanden. Beide Wörter weisen von Anfang an einen Bezug zum Pferd sowie zum Dienstgedanken auf, wobei sich später darüber hinaus eine moralische und auszeichnende Sinngebung entwickelte, die ebenfalls derartig bei miles zu beobachten ist. Jedoch ist dies kein „sozialgeschichtliches, sondern ein ideologisches Phänomen“4, da mit jener Moralisierung des Kriegerbegriffs in erster Linie eine Rechtfertigung der „weltlichen Waffen“5 erzielt werden sollte. Hieraus entstand ein religiöser Ritterbegriff, der den weltlichen Ritter zum ersten Mal als „Soldaten Gottes“ und „Diener Christi“6charakterisierte. Damit stehen auch die ritterlichen Tugenden immer in Bezug zum Dienst und der Ehrerweisung Gottes.
2.2 Die höfischen Tugenden
In der höfischen Literatur existiert eine große Ansammlung von Tugenden, die der Ritter in sich vereinen musste, um zur höfischen Perfektion zu gelangen.7 Der Terminus tugent umfasst also „alle guten Eigenschaften, die höfische Vorbildlichkeit und Vollkommenheit schlechthin, die ‚sachgerechtes, weltläufiges und religiöses Verhalten in eins‘ setzt“8. Ein System, das alle ritterlichen Tugenden einschließt und kategorisiert, gibt es aber eigentlich nicht. Es entsteht der Eindruck, die Häufung und Zuordnung verschiedener, positiv konnotierter Adjektive und Substantive, habe in der höfischen Literatur eine willkürliche Anwendung gefunden. Durchdringt man jedoch die einzelnen Begriffe, so kann eine gemeinsame Basis der Tugenden in der Idee der christlichen Gebote erkannt werden. Somit ist der Ritter zuallererst Gott unterstellt und folgt der Prämisse: „Vor allen Dingen liebe Gott“9. Die christliche Morallehre wiederum, steht in Zusammenhang mit dem antiken Tugendsystem, welches folglich ebenfalls Einfluss auf die ritterlichen Tugenden nimmt.10Die These, dass die ritterlichen Tugenden vollständig auf ein antikes Tugendsystem zurückzuführen seien, lässt sich aber dennoch nicht bekräftigen und soll in dieser Arbeit auch nicht weiter thematisiert werden.
Zu den wichtigsten Tugenden, die in der höfischen Literatur ihren Platz fanden, gehört unter anderem die Tugend der triuwe.Triuweerfasst „‚Zuverlässigkeit, Wahrheit, Aufrichtigkeit, Vertrauen, Zuversicht‘ und ‚Hilfe‘“11. Hergeleitet von der Vertragstreue des mittelalterlichen Lehnswesen, soll triuwe sowohl die Bindung zwischen Mensch und Gott, als auch zwischen Frau und Mann, beziehungsweise zwischen den Menschen untereinander, besiegeln. Dabei ist die Korrelation von triuwe mit staete erwähnenswert, da staete in dieser Beziehung „die Dauer im Treueverhältnis zum Lehnsherrn, zur Minneherrin oder
[...]
1 Bumke, Joachim: Höfische Kultur - Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 12. Aufl. München: dtv, 2008. hier S. 431
2 Ebd., S. 432
3 von Aue, Hartmann: Iwein. 4., überarb. Aufl. Berlin/ New York: De Gruyter, 2001. hier V. 1-20
4 Bumke, S.68
5 Ebd., S. 68
6 Ebd., S. 68,69
7 Ebd., S. 417
8 Weddige, Hilkert: Mittelhochdeutsch. Eine Einführung, 7. Aufl. München: Beck, 2007. hier: S. 130
9 Bumke S. 417
10 Naumann, Hans: Das Tugendsystem (1929). In: Ritterliches Tugendsystem, hg. v. Günter Eifler, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1970, hier: S. 93
11 Weddige S. 129