Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundlagen der Waldorfpädagogik
2.1 Rudolf Steiner
2.2 Bild vom Kind
2.3 Die Pädagogischen Grundprinzipien
3 Waldorf-Institutionen
3.1 Waldorfkindergärten
3.2 Waldorfschulen
4 Integration in der Waldorfpädagogik
5 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Pädagogische Ansätze bekommen für die Arbeit mit Kindern immer mehr Bedeutung. Das kann einerseits an dem neuen Fokus auf die Elementarbildung liegen, denn Kindertagesstätten sollen als neue Bildungseinrichtungen die Kinder fördern, unterstützen und auf das Leben vorbereiten (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 9). Anderseits haben auch die Eltern sehr hohe Ansprüche an Einrichtungen, die ihre Kinder tagsüber betreuen sollen (vgl. ebd.). Das mag nicht zuletzt auch daran liegen, dass Hirnforscher „die außerordentliche Bedeutung früher Bildungsprozesse […] betonen“ (ebd.). Somit informieren sich Eltern dieser Tage genauestens über die möglichen Institutionen und ihre pädagogischen Ansätze (vgl. ebd.). Von solchen Ansätzen gibt es eine breite Fülle von älteren und neueren Schaffungen, die jedoch nicht alle den gesamten Lebenslauf eines Kindes begleiten können. So ist die Reggio-Pädagogik, die Waldpädagogik oder das offene Konzept völlig auf die Jahre null bis sechs, d.h. die Elementarbildung ausgerichtet. Andere dagegen, wie z.B. die Montessori-Pädagogik, können Kinder auch noch ins Schulleben begleiten (vgl. u.a. Knauf u.a. 2013). Ein solcher Ansatz ist, die in dieser Arbeit beschriebene Waldorfpädagogik. Sie gehört zusammen mit der Montessori- und der Freinet-Pädagogik zu den reformpädagogischen Ansätzen (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 102). Diese drei Ansätze spielen nach Tassilo Knauf u.a. (2013) „im Bereich der Elementarpädagogik heute eine bedeutende Rolle“ (ebd.: 102). Vor allem die Waldorfpädagogik genießt immer mehr wachsende Begeisterung unter den Eltern (vgl. ebd., S. 53). Dies könnte an der entschleunigend wirkenden pädagogischen Ausrichtung als Gegenpol zu der heutigen Stressgesellschaft liegen (vgl. Thesing 1999, S. 215 nach Knauf u.a. 2013, S. 53).
Die Waldorfpädagogik wurde von Rudolf Steiner entwickelt und erstreckt sich nicht nur über die Elementarbildung, sondern kann die Kinder sogar bis zur ihrer Hochschulzugangsberechtigung begleiten. Genauere Informationen über den Begründer der Waldorfpädagogik und ihre pädagogischen Grundsätze werden im Kapitel zwei dieser Arbeit näher beschrieben. Die Institutionsarten, welche mit der Waldorfpädagogik arbeiten und ihre Besonderheiten können im dritten Kapitel nachgelesen werden. Das Kapitel vier beschreibt die Offenheit der Waldorfpädagogik gegenüber dem heutzutage sehr wichtigem Thema Integration. Abschließend folgt das fünfte Kapitel mit einem Fazit über diesen pädagogischen Ansatz.
Im Anhang findet sich der dazugehörige Vortrag (17.01.2015), der teilweise, aufgrund des Rahmens der vorliegenden Ausarbeitung, zusätzliche Informationen über die Waldorfpädagogik liefert.
2 Grundlagen der Waldorfpädagogik
Wie in der Einleitung schon erwähnt, wird die Waldorfpädagogik zu den reformpädagogischen Ansätzen gezählt, welche im 20. Jahrhundert entstanden sind (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 102+13). Sie wurde von Rudolf Steiner für eine Schule entwickelt, auf die alle Kinder gehen sollten (vgl. ebd., S. 53). Mittlerweile gibt es auf allen fünf Kontinenten Einrichtungen, die mit der Waldorfpädagogik arbeiten (vgl. Ullrich 2011, S. 203).
Die Waldorfpädagogik ist ein ganzheitliches Konzept, welches die Gesellschafts- und Menschenbilder, die Entwicklung des Kindes und auch Regeln und Handlungsvorstellungen beinhaltet (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 15). Es ist auf drei Säulen aufgebaut, welche nachfolgend in einem Schaubild verdeutlicht werden sollen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Die drei Säulen der Walddorfpädagogik (u.a. Knauf u.a. 2013)
Die Inhalte der Waldorfpädagogik beruhen auf der von Rudolf Steiner entwickelten Anthroposophie (vgl. ebd., S. 53). Diese bezeichnet Steiner als eine Art „Geheimwissenschaft“, die nicht jedem Menschen zugänglich sein kann bzw. ist (vgl. ebd.). Diese „Geheimwissenschaft“ stützt sich auf den Lehren der Theosophie, welche von Okkultismus und fernöstliche Lebens- und Denkweisen geprägt ist (vgl. ebd.). „Verglichen mit der Anthropologie, die rein physische Menschenkunde, bezeichnet Anthroposophie ein Wissen vom Menschen, das vom Geistigem [sic] durchschienen ist“ (Baumann 1986: 11 zit. nach Knauf u.a. 2013: 55). Das Wort Anthroposophie setzt sich zusammen aus den griechischen Wörtern „Anthrophos“ (Mensch) und „Sophia“ (Weisheit von den göttlichen Ideen) (vgl. Barth 2013, S. 14). Die Anthroposophie ist daher das „Wissen vom Menschen und seiner Verflechtung mit der göttlichen Idee“ (Randoll 1999: 17 zit. nach Barth 2013: 14). In dieser Weltanschauung ist der Mensch in Leib, Seele und Körper gegliedert und wird als ein ganzheitliches, kosmisches Wesen angesehen (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 56). Dieses Menschenwesen ist nochmal in Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich-Leib untergliedert (vgl. ebd., S. 57). Der Mensch ist ein Zusammenschluss dieser vier Wesensglieder, welche sich mit den Jahren entwickeln (vgl. ebd.). Der Leib ist das unterste Wesensglied und materialistischer Natur (vgl. ebd.). Der Ätherleib wird auch Lebensleib genannt und ist die Kraft, die den physischen Leib vorantreibt (vgl. ebd., S. 58). Der Astralleib beinhaltet die Empfindungen und ist das zweithöchste Wesensglied (vgl. ebd.). Das höchste Wesensglied ist der Ich-Leib und nur für den Menschen vorgesehen (vgl. ebd.). „Durch ihn bilden sich Selbstbewusstsein, Individualität und Personalität aus“ (Steiner 1982, S. 67 zit. nach Knauf u.a. 2013: 58). Dieses für die Anthroposophie ausschlaggebende und von der Theosophie geprägte Menschenbild ist die Grundbasis der Waldorfpädagogik (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 56). Nach Baumann (1986) ist das „Herzstück“ der Anthroposophie die Reinkarnation und das Karma (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 56.), wie es auch in der fernöstlichen Religionskultur zu finden ist. Somit beginnt das Leben eines Menschen nicht mit dessen Geburt, sondern er kommt schon bereichert mit Erfahrungen aus seinem früheren Leben auf die Welt zurück (vgl. ebd.). Diese Ansichten bewirken, dass der Geburtstag in einer Waldorfkindertagesstätte ganz besonderer Bedeutung beigemessen wird. So erzählt die Leiterin eines Kindergartens in Wuppertal, dass den Kindern an ihrem großen Tag eine Geburtstagsgeschichte erzählt wird. Die Kinder wohnen zuerst im Himmel und suchen sich ihre Eltern auf der Erde aus. Die Geschichte wird mit Informationen von den Eltern über ihre Schwangerschaft oder die ersten Lebensjahre ausgeschmückt. (vgl. ebd., S. 72f.). Nach dem Verständnis Rudolf Steiners, geht die menschliche Seele in einen Körper, um eine bestimmte Aufgabe auf Erden zu erfüllen (vgl. ebd., S. 56). „Nach dem psychischen Tod durchläuft sie eine Läuterungs- und Lernphase in der geistigen Welt“ (Seitz/ Hallwachs 2000: 109 zit. nach Knauf u.a. 2013: 56).
Steiners‘ Verständnis um das menschliche Sein ist ein Teil der Anthroposophie. Im Folgenden wird die Person Rudolf Steiner näher erläutert und sein Weg zur Anthroposophie:
2.1 Rudolf Steiner
Rudolf Steiner wurde 1861 im heutigen Kroatien geboren und verstarb im Jahr 1925 in der Schweiz (vgl. Lindenberg 1979, S. 126). Nach seinem Abitur absolvierte er ein Studium an der TU Wien in den Bereichen Mathematik, Physik und Naturwissenschaft (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 54). Allerdings interessierten ihn die Philosophie und die Literatur ebenfalls, welche er später als freier Schriftsteller vertiefte (vgl. ebd.). Nach seiner Promotion 1891 zog er als Redner, Schriftsteller und Lehrer in die heutige Bundeshauptstadt Berlin (vgl. ebd.). 1900 startete Steiner eine anthroposophische Vortragsreihe und gründete 1912/13 die Anthroposophische Gesellschaft (vgl. Barth 2013, S. 12). Im Jahr 1902 hielt Rudolf Steiner eine Vortragsreihe für die Theosophische Gesellschaft und wurde deren Generalsekretär (vgl. Ullrich 2011, S. 41). „Unter der Theosophie versteht man seit dem sechzehnten Jahrhundert in der christlichen Theologie eine Art der philosophisch-spekulativen Gotteserkenntnis, zu deren Erlangung ein besonderes universales Wissen vorausgesetzt wird“ (Ullrich 2011: 43). Es kam elf Jahr später jedoch zu einer Trennung zwischen Steiner und der Theosophischen Gesellschaft (vgl. ebd., S. 54). Von nun an arbeitete er an seiner Anthroposophie und erbaute in der Schweiz ein riesiges Gebäude für die neu gegründete Anthroposophische Gesellschaft (Goetheanum) (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 54). In derselben Zeit entwickelte Rudolf Steiner, die für die Waldorfpädagogik so typische Bewegungskunst Eurythmie (vgl. Ullrich 2011, S. 64). „Als tänzerische Ausdrucksform von Sprache oder Musik will die Eurythmie den Menschen sinnlich-ästhetisch mit den Gestalten und Geschehnissen der geistigen Welt verbinden“ (ebd.).
Steiner beschäftigte sich viel mit der Pädagogik und seinem Menschenbild (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 54). Seine Weltanschauung entstand u.a. durch seine Kritik an der allgemeinen Grundauffassung der Menschen zueinander (vgl. Barth 2013, S. 14). Die Menschen würden gegenüber sich selbst und ihren Mitmenschen kein Interesse zeigen (vgl. ebd.). Daraus resultiere eine Unaufmerksamkeit auf die „Bedürfnisse der Kinder“ (vgl. ebd.).
Rudolf Steiners‘ Arbeiten und Vorträge führten ihn Anfang des 20. Jahrhunderts zu dem Anthroposophen Emil Molt (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 54). Dieser bat ihn Leiter einer Schule für seine Waldorf Astoria Zigarettenfabrik zu werden (vgl. ebd.). Die selbstverwaltende, koedukative Schule entstand 1919 in Stuttgart und gilt als erste freie Waldorfschule (vgl. Ullrich 2011, S. 82ff.). Der Leitung dieser Schule widmete Rudolf Steiner des Rest seines Lebens (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 55). Nebenbei versuchte er durch Vorträge und zahlreiche Bücher die Anthroposophische Gesellschaft zu verbreiten (vgl. ebd.). Sein Wissen, Theorien und Konzepte erweiterte Steiner in der Praxis (vgl. Barth 2013, S. 13). Kurz vor seinem Tod übergab Rudolf Steiner die Leitung der Waldorfschule an das Lehrerkollegium, mit der Aufgabe alle Schulen in Deutschland, die nach der anthroposophischen Geisteswissenschaft arbeiten, zu unterstützen (vgl. Ullrich 2011, S. 86). „Damit legte er den Grundstein für die Organisationsform der kollegialen Schulleitung an Waldorfschulen sowie für die Einrichtungen des Bundes der Freien Waldorfschulen, der bis heute von Stuttgart aus weltweit die Vergabe des Markenzeichens »Waldorf« kontrolliert“ (ebd.).
Rudolf Steiners‘ Menschenbild und die daraus entstandenen Prinzipien für die Erzieher und Lehrer „wurden zum Fundament einer ganzheitlichen Erziehung des Kindes“ (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 55).
In den nachfolgenden Abschnitten wird Steiners‘ Bild vom Kind erklärt.
2.2 Bild vom Kind
„Die Kinder sollen zu Menschen erzogen und für ein Leben unterrichtet werden, die den Anforderungen entsprechen, für die jeder Mensch, gleichgültig aus welcher der herkömmlichen Gesellschaftsklassen er stammt, sich einsetzen kann“, so schreibt es Rudolf Steiner 1958 in einem Buch an Eltern, Lehrer und Kinder (Steiner 1958: 7 zit. nach Knauf u.a. 2013: 55).
Nach dem Begründer der Waldorfpädagogik verläuft die Entwicklung des Kindes immer in Siebenjahreszyklen (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 58ff.). Jeder Zyklusbeginn wird als eine neue Geburt verstanden und jeder Zyklus ist bestimmt von der Weiterentwicklung des Kindes (vgl. ebd.). Das Kind entwickelt sich, körperlich, geistig und seelisch seinem Alter entsprechend und ist dabei von einer Art Schutzhülle umgeben (vgl. ebd.). Nach Rudolf Steiner lässt sich dieses Schutzhülle als Mutterleib verstehen, die es dem Kind ermöglicht seine Entwicklung durchzuführen. Innerhalb diese Schutzhülle kann der physische Leib „allmählich eigene Kräfte entwickeln, bis der Lebensleib allein das Wachstum besorgen kann“ (ebd.). Neben körperlichen Entwicklungsmerkmalen, wächst das Kind in den jeweiligen Zyklen auch auf „seelisch-geistiger Ebene“ (vgl. ebd.). Zum besseren Verständnis sollen weiterführend drei Zyklen vorgestellt werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Die ersten drei Zyklen des Siebenjahreszyklus Entwicklung (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 59f.)
Steiner beschreibt noch weitere Siebenjahreszyklen, die den Menschen helfen seine Aufgabe auf Erden zu bewerkstelligen (vgl. Knauf u.a. 2013, S. 59). Dieses Wissen ist für Erzieher1 und Lehrer der Waldorfpädagogik sehr wichtig, da sie jeweils passend zu dem Zyklus des Kindes auf es einwirken und es führen sollen (vgl. ebd.). „Entscheidend für die Praxis der Waldorfpädagogik sind also Kenntnisse über die Wesensglieder des Menschen und deren Entwicklung“ (ebd.).
Nicht nur die Entwicklung des Kindes, sondern auch sein Lernen erfolgt in Siebenjahresperioden, welche intern nochmal in jeweils Zwei-Jahresphasen untergliedert sind (vgl. ebd.). Nachfolgend zusammenfassend ebenfalls eine Tabelle der ersten drei Siebenjahreszyklen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Die ersten drei Zyklen des Siebenjahreszyklus Lernen (vgl. Lindenberg 1979, S. 132)
Diese Zyklen müssen jedoch nach Steiners‘ Schrift „Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft“ (1907), nicht chronologisch ablaufen (vgl. Lindenberg 1979, S. 131f.). „Er schildert vielmehr typische Dispositionen des Kindes zum Lernen, macht auf Lernformen des Kindes aufmerksam und zeigt dann, welches Verhalten der Erwachsenen diesen Dispositionen und Lernformen am besten entgegenkommt“ (ebd.: 132). Steiners‘ Überlegungen basieren auf seiner „anthroposophischen Geistesforschung“ und wurden vielfach auch von anderen Stellen empirisch bestätigt (vgl. ebd.). Durch seine Forschungen begründet, möchte Rudolf Steiner ein sinnvolles Zusammenspiel von Kind und Erzieher/ Lehrer (vgl. ebd.), wobei diverse andere pädagogische Grundprinzipien zusätzlich eine wichtige Rolle spielen.
2.3 Die Pädagogischen Grundprinzipien
Nach Steiner ist es für den Menschen unumgänglich immerfort vom Leben zu lernen (vgl. Lindenberg 1979, S. 133). Da der Mensch dies aber erst lernen müsse, ist es für Kinder wichtig, Begriffe und Definitionen selbst zu begreifen (vgl. ebd.). Es soll daher für die Kinder alles erlebbar gemacht werden, aus dem dann neue Fragen und Wahrnehmungen entstehen (vgl. ebd.). „Durch eine Erziehung, die ständig Kopf und Hand in Zusammenarbeit bringt, wird das wirklich praktische Erfahren verlangt. Man lernt vom Leben lernen.“ (ebd.). Anderseits ist es ihm wichtig, dass die Erziehung am Kind orientiert ist und „die volle Entfaltung der leiblichen, seelischen und geistigen Möglichkeiten“ gewährleistet wird (vgl. ebd., S. 134).
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1 Weiterführend wird nur die maskuline Form verwendet. Die feminine ist jedoch immer miteingeschlossen.