Die Problematik der Übel bei Gottfried Wilhelm Leibniz


Seminararbeit, 2011

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

B. Die Problematik der Übel bei Leibniz

I. Gottfried Wilhelm Leibniz und sein zeitgeschichtlicher Hintergrund

II. Leibniz‘ Gottesbeweis: Die beste aller möglichen Welten

1. Zum Gottesbegriff

2. Mögliche Welten

3. Die wirkliche Welt

C. Die Theodizee: Ein Gottesbeweis?

LITERATURVERZEICHNIS

A. Einleitung

In der berühmten Science-Fiction Serie „Star Trek“ gerät der Protagonist Captain Kirk in der Folge „Spiegelwelten“1 in eine Welt, in der sein Parallel-Ich böse ist. Diese Parallelwelt funktioniert nach denselben Gesetzen und doch unterscheiden sich alle Parallel-Figuren charakterlich von der Mannschaft des Captains. Der unwahrscheinliche Fall tritt ein und Captain Krik trifft auf das exakte Spiegelbild seiner Person. Der Film ist natürlich nur Fiktion und zeigt das hypothetische Aussehen einer anderen Welt. Er streift die Thematik der möglichen Welten, der zufolge unsere Welt nur eine von vielen möglichen Welten ist. Folgt man Richard Dawkins (*1936) ist es zwar wahrscheinlich, dass Leben überhaupt entsteht, aber angesichts des unendlichen Raumes müsste eine unendliche Anzahl an Welten existieren.2

Während „Star Trek“ bei einem Gedankenspiel bleibt, streift die Philosophie wesentlichere Fragen, nämlich nicht nur Struktur und Aussehen möglicher Welten, sondern auch, ob sie tatsächlich existieren können, welche Rolle die unsrige Welt inmitten all dieser denkbaren anderen Welten besitzt und – dies betrifft die Theologie – an welcher Stelle der Schöpfergott steht. Dawkins, der ganz naturwissenschaftlich arbeitet, sieht einen Schöpfergott als überflüssig an. Gottfried Wilhelm Leibniz hingegen hat die Mögliche-Welten-Idee erstmals formuliert und aus ihr einen Gottesbeweis geformt.

B. Die Problematik der Übel bei Leibniz

Leibniz betrachtet die Mögliche-Welten-Theorie von einem anderen Standpunkt aus. Er reagiert auf ein Problem, das auch ein spezifisch christliches ist: die Persistenz des Übels in der Welt führt zu einer Verringerung des Raumes, in dem Gott sich aufhalten kann.3 Angesichts des Leids, das den Geschöpfen widerfährt, erscheint es nicht plausibel, an einen guten und gütigen Gott zu glauben. Kann es wahr sein, dass Gott wider besseres Wissen eine Welt voller Übel erschaffen hat? Im Grunde muss sich jede monotheistische Religion, die ihren Gott auch als Schöpfer ansieht, damit auseinandersetzen. Findet sich keine Antwort, schließt die Problematik nicht zu selten in einem Glaubensabfall und „si deus bonum, unde malum?“ wandelt sich in „unde malum, unde deus?“4. Mit seiner Beste-Welten-Theorie glaubt Leibniz, eine logische Schlussfolgerung formuliert zu haben.

I. Gottfried Wilhelm Leibniz und sein zeitgeschichtlicher Hintergrund

Entsprechend dem Trend seiner Zeit ist Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) als Universalgelehrter bekannt, der mit unterschiedlichen Disziplinen, vor allem aber der Philosophie und Mathematik, im Diskurs steht.5 Als Leibniz 1710 sein Werk „Essais de Theodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et l’origine du mal“6 veröffentlicht, kurz „Theodizee“ genannt, sehen sich die Theologen und Philosophen seiner Zeit neuen Herausforderungen gegenübergestellt. Die aufkommenden Naturwissenschaften führen zu veränderten Weltanschauungen. Glaubensinhalte werden vernünftigen Prüfungen unterzogen. Dies betrifft auch die Fragestellung um das Leid in der Welt, da sich die Problematik stark auf die Kausalität aller Geschehnisse verlagert. Ist der Mensch noch frei, wenn alles auf physikalischen Gesetzen beruht? Trägt er die Verantwortung für sein Handeln? Hat Gott überhaupt noch Platz in diesem mathematischen System und wenn ja, welchen? Im biblischen Kontext des Buches Hiob wurde bereits eine Antwort formuliert: Dem Menschen stehe es nicht zu, die Pläne Gottes zu durchschauen. Im 17. Jahrhundert hat sich das Wissen um die Natur erweitert, sie ist kein „Buch mit sieben Siegeln“7 mehr, die wissenschaftstheoretischen Erkenntnisse der Zeit treffen auf die alte theologische Position und schaffen ein Paradoxon. „Wenn Gott sich am Glück aller erfreut, warum hat er sie dann nicht alle glücklich gemacht? Wenn er alle liebt, wieso verdammt er dann so viele? […] Ja, ist er nicht sogar ihr [der Sünde] Urheber, wenn er alles so geschaffen hat, dass die Sünde daraus folgt?“8 Dieser Konflikt findet sich nicht zuletzt in der Person Gottfried Wilhelm Leibniz selbst, der als Mathematiker das Hinausdrängen Gottes aus der Welt erkennt, aber dennoch das christliche Gottesbild beibehalten will.9

II. Leibniz‘ Gottesbeweis: Die beste aller möglichen Welten

Leibniz‘ Theodizee ist nun die Antwort auf die 1697 erschienene Schrift „Dictionnaire“ des Philosophen Bayle, der mit der Behauptung, dass Glaube und Vernunft unvereinbar seien, den Zweifel an einer göttlichen Existenz eher schüre als bekämpfe, so Leibniz.10 Diesen Zweifel will er angehen, indem er seine These formuliert, nach der die unsrige, von Gott erschaffene Welt die beste aller möglichen Welten ist. Den Rahmen dafür bildet seine Theorie von einem „lückenlosen Verlauf“11 der Weltgeschichte, deren Ablauf von Anfang an von Gott geplant war. Damit bleibt er alten theologischen Grundsätzen treu, arbeitet aber die neue naturwissenschaftliche Weltsicht mit ein.12 Leibniz betont selbst, dass es bei seinem Lösungsvorschlag nicht notwendig ist, jedes einzelne Leid oder Gottes Intention zu verstehen. „Die Mysterien können erklärt werden, soweit das zum Glauben an sie nötig ist; aber man kann sie weder begreifen noch kann man verständlich machen, wie sie sich ereignen.“13 Vielmehr sei eine übergeordnete Lösung für das Problem des Übels notwendig, die die Existenz eines gütigen und allmächtigen Gottes beinhalte.14 Insofern ist Leibniz Hauptanliegen deutlich: Sein Ziel ist es nicht, Glaubenswahrheiten zu diskutieren, sondern einen Gottesbeweis zu führen. Dies ist auch die Schwierigkeit, denn das Übel hat seinen sichtbaren Platz unter uns, während Gottes Existenz manchem nicht so sicher ist.

1. Zum Gottesbegriff

Den Hintergrund für Leibniz‘ These bildet ein klar definiertes christliches Gottesbild. Sowohl die Allmacht, die Allwissenheit als auch die Allgüte werden als Gottespostulate vorausgesetzt, die offensichtlich die Axiome jedes traditionellen Theismus darstellen.15 Um Unklarheiten zu vermeiden, beschreibt Leibniz die Begriffe umfassend. Die Vollkommenheit Gottes in Bezug auf Allmacht, Allwissenheit und Allgüte existiert parallel zur Annahme der Freiheit Gottes. Leibniz erklärt den Freiheitsbegriff wie folgt: „Ich habe gezeigt, dass die Freiheit […] in der Einsicht besteht, die eine genaue Kenntnis des Gegenstands der Betrachtung einschließt, ferner in der Spontaneität, mit der wir uns entscheiden, und endlich in der Zufälligkeit, d.h. im Ausschluss der logischen oder metaphysischen Notwendigkeit.“16

Zunächst bedeutet Allmacht die absolute Unabhängigkeit von Gottes Sein und Gottes Handeln. Gottes Existenz ist „unermeßlich“17 und nicht begrenzt. Seine Freiheit spiegelt sich darin wieder, dass Gott niemandem untersteht und sich niemandem gegenüber rechtfertigen muss, wenn nicht sich selbst.18 Er ist frei von fremden Bestimmungen und einer noch größeren Macht, kann also spontan entscheiden. Gleichzeitig ist jede göttliche Handlung frei, indem sie kontingent ist, d.h. im Rahmen des Möglichen liegt, aber nicht notwendigerweise geschieht. Schließlich ist eine Handlung erst dann frei, wenn sie ohne Zwang geschieht.

Zum Freiheitsbegriff Gottes fügt Leibniz neben der Spontaneität und der Kontingenz die Einsicht bzw. die Vernünftigkeit hinzu, mit der Gott die Handlung a priori als gut beurteilen kann. Eng daran angeknüpft findet sich das christliche Bild der Allwissenheit Gottes. Diese schließt offensichtlich sämtliche Dinge unserer Welt ein, aber auch alle möglichen Welten, denen Gott nicht zu Existenz verholfen hat. Die Freiheit des Willens spielt bei Leibniz dabei eine große Rolle, da Freiheit nie mit einer indifferenten Wahlmöglichkeit assoziiert werden darf, sondern auf Reflexion eines mit Verstand ausgestatteten Wesens basiert. Leibniz bezeichnet die Freiheit der göttlichen Entscheidungen deshalb als „determiniert“ und nicht „indifferent“.19 Gott ist frei, unterliegt aber den eigenen Wesenseigenschaften. Letzten Endes führt die Kombination von Güte und Allwissenheit dazu, dass der göttliche Wille nur das Gute und zugleich das Wahre zum Gegenstand haben könne20, so Leibniz. Er bezeichnet das Erreichen des größeren Gutes sogar als eine Pflicht.21 Aus diesem Grund habe Gott nur die bestmögliche Welt erschaffen können. Eine schlechtere Schöpfung als die Jetzige hätte Seinen Wesenseigenschaften widersprochen.

2. Mögliche Welten

Leibniz erklärt nun, „daß es unendlich viele mögliche Welten gibt, von denen Gott notwendig die beste gewählt haben muß, da er nichts tut, ohne der höchsten Vernunft gemäß zu handeln.“22 Doch was bedeutet „Welt“ eigentlich genau genommen?

a) Beschaffenheit von möglichen Welten

Zunächst erscheint es bei Leibniz Theorie so, als ob man sich eine unendliche Menge von Parallelwelten vorstellen könnte, die sich in kleinen Details oder auf undenkbare Weise von der unsrigen unterscheiden. Daher wirkt die Beste-Welten-Theorie auf viele auch zunächst wie eine Science-Fiction Vision, die zwar ein Gedankenkonstrukt eines Philosophen ist, aber keine Gültigkeit besitzt. Eine „Welt“ ist bei Leibniz aber nicht ein wahlloser Mix aus Geschehnissen und Eigenschaften, sondern bezeichnet einen übergeordneten Begriff für Etwas, „über das hinaus und neben dem es nichts anderes mehr geben kann“23. Eine Welt ist immer ein Zusammenspiel aus Möglichkeiten, wobei eine andere Welt nicht aus anderen Möglichkeiten besteht, sondern aus einer anderen Kombination dieser Möglichkeiten.24 Leibniz prägt außerdem den Begriff der Kompossibilität. So kann eine Welt nur dann sinnvoll sein, wenn ihre Möglichkeiten sinnvoll miteinander existieren können.25 Diese Eigenschaft gilt natürlich nicht für alle denkbaren Welten. Nur eine Welt, deren Bestandteile kompossibel sind, ist auch eine logische und damit mögliche Welt. Von diesen möglichen Welten wiederum existiert eine unendliche Anzahl.26

b) Unendliche Anzahl möglicher Welten

Aus der Ausnahme, dass der christliche Gott allwissend ist, resultiert, dass Gott eine unendliche Anzahl von möglichen Welten denken kann. All die möglichen Welten, die Gott zwar erkannt und durchdacht hat, beisitzen keine Existenz, solange Gott sich nicht dafür entscheidet. Sie subsidieren als Gottes Ideen.27 Mit Seinem allumfassenden Verstand geht die Macht einher, alles wirklich schaffen zu können, was von Ihm gedacht wurde. Ungeachtet dessen strebt alles Mögliche nach Existenz. Sowie mehrere Weltmöglichkeiten miteinander um einen Platz ringen, kann sich nur die stärkste durchsetzen, und die stärkste Möglichkeit impliziert den höchsten Grad an Vollkommenheit. Leibniz‘ mathematisches Denken schimmert hierbei durch.28

c) Unsere Welt: Bewusster Beschluss Gottes

Sowie Gott in Gedanken nun alle möglichen Welten durchdacht hat, hat Er ihren Ursprung, Verlauf und ihren Ausgang erkannt und unter Abwägung aller Details der Besten unter ihnen zur Existenz verschafft. Erst nach einer Erwägung aller Einzelheiten (und dies betrifft nicht nur die Erde, sondern auch das Universum) hat Gott mit einem einzigen Beschluss unser Universum erschaffen.29 Warum unsere Welt und nicht irgendeine andere Welt existiert, hat seine Gründe: Aus dem Gottesprädikat der Güte folgt, dass Gott nur das Beste um das Wohl aller erschaffen durfte. Unter der Voraussetzung, das größtmögliche Gute zu erreichen, wurde Gott sozusagen „moralisch genötigt“30, die Welt zu erschaffen, in der bei minimalem Leid ein maximales Gutes enthalten ist. Es kann nur am hohen Grad der Vollkommenheit der aktualen Welt gelegen haben, dass Gott sich für unser Universum entschieden hat.31 In seiner Allwissenheit konnte Gott zweifelsfrei das Beste erkennen und durch seine Allmacht diesem Optimum auch Existenz verschaffen.32 Das Ergebnis ist offensichtlich die unsrige, aktuale Welt, die Gott in einem „einzigen Beschluss“33 erschaffen hat.

3. Die wirkliche Welt

Aus der reinen Erklärung, Gott habe die beste von vielen Welten ausgewählt, erschließt sich allerdings noch lange nicht die Pointe der leibnizschen Philosophie. Es muss einen hinreichenden Grund dafür geben, dass es unser Universum ist, das aus göttlicher Sicht als am vollkommensten gilt. Was macht es trotz der offensichtlichen Makel zur bestmöglichen Welt? Nun erst stellt sich die Frage nach der Existenz der Übel.

a) Das Übel als notwendige Komponente

Um mögliche Ursachen und Funktionen der Übel wissenschaftlich zu untersuchen, muss zunächst zwischen den Begriffen „Übel“ und „Leid“ differenziert werden. Ein Übel ist immer die jeweilige Ursache für ein Leid, wohingegen erst mit dem Begriff „Leid“ die persönliche Dimension des leidenden Menschen angesprochen wird und die Relevanz für die Diskussion beginnt.34 Leibniz betreibt Ursachenforschung, indem er weniger die Stufen des Leides betrachtet und vielmehr nach den Gründen für die Existenz der Übel fragt. Überschreibend erklärt Leibniz, dass Übel vorhanden sein dürfen, wenn dadurch einerseits ein größeres Übel verhindert werden kann und andererseits ein größeres Gut erreicht werden kann. Er bezeichnet insofern Übel als „Mittel zu größeren Gütern“35. Der Grund, weshalb Gott ein Übel zulasse, könne nur dem Guten entnommen werden, so Leibniz.36

Dennoch können nicht alle Arten von Übeln gleichwertig beurteilt werden. Entgegen der gängigen Aufteilung der Übel in physische Übel (moralum physicum) und moralische Übel (malum morale) kennt Leibniz noch eine dritte Kategorie, die der metaphysischen Übel (malum metaphysicum). Jedes Übel hat eine eigene Relevanz im Weltgeschehen und findet bei Leibniz eine eigene Begründung.

Das metaphysische Übel gründet in der Unvollkommenheit der Welt und ihrer Bestandteile. Sowohl vernunftbegabte Geschöpfe als auch solche ohne Vernunft sind endlich und damit beschränkt.37 „Gott konnte ihm nicht alle verleihen, ohne es selbst zu einem Gott zu machen“38, erklärt Leibniz zum Wesen des Menschen. Jedes metaphysische Übel entspringe aus der Tatsache, dass die Geschöpfe beschränkt geschaffen werden mussten. Denn hätten sie den gottgleichen Zustand von Vollkommenheit erhalten, wäre Gottes Vollkommenheit begrenzt und damit aufgehoben worden.39

Insofern versteht sich das Übel bei Leibniz als Mangel an bzw. Privation40 des Guten, die zur Erreichung der bestmöglichen Ordnung zugelassen werden musste.41 Das metaphysische Übel gehört zwangsweise zur Schöpfung, da es notwendigerweise in der Beschränktheit der Geschöpfe gründet. Für diese Form von Übel erklärt Leibniz eine logische Notwendigkeit.

Das physische Übel oder das Übel der Strafe betrifft, schon dem Namen nach, das körperliche Leid aller mit Vernunft ausgestatteten Wesen. Es tritt beispielsweise in Form von Krankheiten oder Naturkatastrophen auf. Leibniz zufolge kann es als Strafe oder Warnung Gottes beabsichtigt sein. Im Gegensatz zum metaphysischen kann ein physisches Übel also durchaus gottgewollt sein. Wenn allerdings ein Mensch einen anderen aus Hass verletzt und das Leid menschenverursacht ist, gründet das körperliche Leid in einem moralischen Übel.42

Weit schwieriger verhält es sich mit der Erklärung dieses Übels. Das moralische Übel kann als Übel der Schuld oder als das moralisch Böse umschrieben werden43, was dem Begriff der menschenverursachten „Sünde“ entspricht.44 Eine moralisch gute oder verwerfliche Tat kann schließlich nur geschehen, wenn die handelnde Person Verstand und freien Willen besitzt, und dies trifft auf den Menschen zu.45 Leibniz stellt den Grundsatz auf, dass niemals ein moralisches Übel in Kauf genommen werden darf, es sei denn, dieses Übel ist notwendig für das Erreichen des Guten.46 Der Zweck heiligt nie die Mittel, ist aber manchmal unumgänglich. Begeht der Mensch trotzdem eine verwerfliche Tat und strebt geringeren Gütern als dem Guten nach, handelt es sich um einen Fehler im menschlichen Denken, um eine Privation des Willens oder des Verstandes.47

Ein moralisch verwerfliches Tun darf also nicht zum Erreichen eines größeren Gutes gebraucht werden. Auch wenn der Wert des Guten den Unwert des Verbrechens weit überragen würde, hätte jede Tat für die betroffenen Subjekte vollkommen unterschiedliche Auswirkungen, denn die Folgen einer Tat sind verwickelt.48 Leibniz erklärt, dass eine böse Tat nur als „integrierter Bestandteil eines größeren Ganzen, das sittlich erlaubt oder sogar geboten ist“49 gerechtfertigt ist. Das Gesamtergebnis ist von Bedeutung, nicht die unmittelbare Folge. Insofern darf eine Handlung, ob moralisch oder unmoralisch, nicht isoliert an ihrem unmittelbaren Ergebnis beurteilt werden, sondern muss immer in ihrem Gesamtkontext gesehen werden. Hier findet sich ein Rückbezug zur kompossibelen Zusammensetzung der Weltbestandteile: Da „schlechthin alles mit allem zusammen-hängt“50, wie es Leibniz‘ Weltsicht ist, kann man im Universum kein Übel auslassen und nichts ändern, ohne sein Gesamtwesen zu verletzen. „Wenn also das geringste Übel, das in der Welt geschieht, in ihr fehlte, so würde sie nicht mehr diese Welt sein“51. Ein Übel wegzulassen würde die Welt schlechter machen. Da ein Urteil über die Zusammenhänge des Universums das Denken des Menschen überfordern würde, kann nur der allwissende Gott ein Urteil über Geschehnisse fällen. Dieses Wissen entzieht sich dem Menschen schlichtweg: er kann nicht über Wert und Unwert einer Sache urteilen. Weiterführend wird deutlich, dass es aus göttlicher Sicht ohnehin nichts rein Unmoralisches geben kann: Jedes existierende Urteil ist notwendigerweise in das Universum integriert und trägt zum positiven Gesamtergebnis bei.52

[...]


1 Vgl. Tipton, Scott: Star Trek – Spiegelbilder.

2 Vgl. Schärtl, Thomas: Mögliche Welten. Versuch einer theologischen Aneignung, S. 33f.

3 Vgl. Fitzthum, Gerhard: Das Ende der Menschheit und die Philosophie, S. 82.

4 Poser, Hans: Gottfried Wilhelm Leibniz zur Einführung, S. 164.

5 Vgl. Coreth, Emerich; Schöndorf, Harald: Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 87f.

6 „Versuch der Theodizee Rechtfertigung Gottes über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels“.

7 Poser, Hans: Gottfried Wilhelm Leibniz zur Einführung, S. 164, Z. 24.

8 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Confessio philosophi, S. 39, Z. 10ff.

9 Vgl. Poser, Hans: Gottfried Wilhelm Leibniz zur Einführung, S. 164ff.

10 Vgl. Fitzthum, Gerhard: Das Ende der Menschheit und die Philosophie, S. 82f.

11 Schockenhoff, Eberhard: Theologie der Freiheit, S. 42, Z. 23.

12 Vgl. ebd.: S. 42.

13 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Abhandlung, §5.

14 Vgl.: Weidemann, Christian: Die Unverzichtbarkeit natürlicher Theologie, S. 181.

15 Vgl.: Liske, Michael-Thomas: Gottfried Wilhelm Leibniz, S. 202.

16 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Dritter Teil, §288.

17 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Die Sache Gottes, §5.

18 Vgl. ebd.: §§4f.

19 Vgl.: Poser, Hans: Gottfried Wilhelm Leibniz zur Einführung, S. 154f.

20 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Die Sache Gottes, §18.

21 Vgl.: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Erster Teil, §24.

22 Ebd.: §8.

23 Holz, Hans Heinz: Gottfried Wilhelm Leibniz, S. 121, Z.29f.

24 Vgl.: Holz, Hans Heinz: Gottfried Wilhelm Leibniz, S. 121f.

25 Vgl.: Kreiner, Armin: Gott im Leid, S. 324.

26 Vgl.: Coreth, Emerich; Schöndorf, Harald: Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 93, Z.30ff.

27 Vgl.: Evers, Dirk: Gott und mögliche Welten, S. 116.

28 Vgl.: Schupp, Franz: Neuzeit, S. 259.

29 Vgl.: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Die Sache Gottes, §42.

30 Coreth, Emerich; Schöndorf, Harald: Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 93, Z.37.

31 Vgl.: Schupp, Franz: Neuzeit, S. 257.

32 Vgl.: Liske, Michael-Thomas: Gottfried Wilhelm Leibniz, S. 202.

33 Vgl.: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Die Sache Gottes, §41.

34 Vgl.: Kraus, Georg: Welt und Mensch, S. 265.

35 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Die Sache Gottes, §35.

36 Vgl. ebd.: §36.

37 Vgl.: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Die Sache Gottes, §30.

38 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Erster Teil, §31.

39 Vgl.: Liske, Michael-Thomas: Gottfried Wilhelm Leibniz, S. 203f., Z.31ff.

40 In wörtlicher Übersetzung „Beraubung“, vgl.: Kann, Christoph: Art. Privation, Sp. 603.

41 Vgl.: Poser, Hans: Gottfried Wilhelm Leibniz zur Einführung, S. 168.

42 Vgl.: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Die Sache Gottes, §31; Erster Teil, §23.

43 Vgl.: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Die Sache Gottes, §§30-32.

44 Vgl.: Kraus, Georg: Welt und Mensch, S. 265.

45 Vgl.: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Die Sache Gottes, §98.

46 Vgl. ebd.: §36; Erster Teil, §§ 24f.

47 Vgl.: Hermanni, Friedrich: Das Böse und die Theodizee, S. 193f.

48 Vgl.: Liske, Michael-Thomas: Gottfried Wilhelm Leibniz, S. 205f.

49 Ebd.: S. 206, Z.10ff.

50 Ebd.: S. 207, Z.3f.

51 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Erster Teil, §9.

52 Vgl.: Liske, Michael-Thomas: Gottfried Wilhelm Leibniz, S. 204-207.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Problematik der Übel bei Gottfried Wilhelm Leibniz
Hochschule
Universität Augsburg  (Katholisch-Theologische Fakultät)
Veranstaltung
Theodizee-Seminar
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
16
Katalognummer
V321247
ISBN (eBook)
9783668206274
ISBN (Buch)
9783668206281
Dateigröße
444 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gottfried Wilhelm Leibnitz, Science-Fiction
Arbeit zitieren
Alexander Winter (Autor:in), 2011, Die Problematik der Übel bei Gottfried Wilhelm Leibniz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/321247

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