Auswirkung der Zensurengebung auf die Lernmotivation - Alternative Formen der Leistungsbeurteilung zur Förderung der Lernmotivation


Examensarbeit, 2002

108 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Elementare Motivationspsychologie
2.1. Motivationstheoretische Konzepte
2.1.1. Triebtheoretische Auffassung von Motivation
2.1.2. Neugiermotivation
2.1.3. Intrinsische kontra extrinsische Motivation
2.1.4. Anreiztheoretischer Ansatz
2.1.5. Entscheidungstheoretische Konzepte
2.2. Leistungsmotivation
2.2.1. Risikowahl- Modell nach Atkinson
2.2.2. Die Attributionstheorie von Weiner
2.2.3. Selbstbewertungsmodell nach Heckhausen

3. Stellenwert der Motivation für das Lernen
3.1. Definition Lernmotivation
3.1.1. Modell nach Heckhausen
3.1.2. Modell nach Krapp
3.2. Abgrenzung der Lernmotivation von der Leistungsmotivation
3.3. Intrinsische Lernmotivation
3.3.1. Abgrenzung intrinsischer von extrinsischer Motivation
3.3.2. Effekte und Vorteile für das Lernen
3.4. Konzeptionen der intrinsischen Lernmotivation
3.4.1. Triebe ohne Triebreduktion
3.4.2. Zweckfreiheit
3.4.3. Optimalniveau von Aktivation oder Inkongruenz
3.4.4. Selbstbestimmung
3.4.5. Freudiges Aufgehen in einer Handlung
3.4.6. Handlungsziel
3.4.7. Analyse der Selbstbestimmungstheorie

4. Leistungsbeurteilung und Zensuren
4.5. Geschichtlicher Überblick über den Leistungsbegriff und die Entstehung von Zensuren
4.6. Zur Funktion von Zensuren
4.6.1. Selektion und Stigmatisierung
4.6.2. Sozialisation
4.6.3. Kontrolle
4.6.4. Prognose
4.6.5. Information und Rückmeldung
4.6.6. Disziplinierung
4.6.7. Motivation/ Anreiz
4.6.8. Resümee
4.7. Theoretische Grundlagen des Beurteilens
4.3.1. Objektivität
4.3.2. Reliabilität
4.3.3. Validität
4.3.4. Resümee
4.8. Kritische Stellungnahme

5. Einfluss der Zensuren auf die Lernmotivation
5.1. Zensurengebung und Selbstbestimmung
5.2. Korrumpierungseffekt bzw. Überveranlassungseffekt
5.3. Leistungsbeurteilung und Kausalattributionen
5.4. Zensuren als extrinsisches Motivationsinstrument
5.5. Ausblick

6. Alternative Beurteilungsformen
6.1. Lehrerkommentare zu Noten
6.1.1. Kritische Stellungnahme
6.2. Benotung unter drei Bezugsnormen
6.2.1. Die soziale Bezugsnorm
6.2.1. Die sachliche Bezugsnorm
6.2.2. Die individuelle Bezugsnorm
6.2.3. Praktische Konsequenzen
6.3. Verbale Beurteilungen
6.3.1. Lernentwicklungsbericht
6.3.2. Kritische Stellungnahme
6.4. Schülerselbstbewertung
6.4.1. Formen der Selbstbeurteilung
6.4.2. Voraussetzungen für die Selbstbeurteilung
6.4.3. Dokumentation von Leistungen als Selbstbeurteilung
6.4.4. Grenzen der Selbstbeurteilung
6.4.5. Beispiele für Checklisten zur Selbstbeurteilung
6.4.6. Kritische Stellungnahme
6.5. Umgang mit Fehlern
6.5.1. Kritische Stellungnahme
6.6. Ausblick

7. Abschließende Bemerkung

Literaturverzeichnis

Anhang

Anlage zur Wissenschaftlichen Hausarbeit

1. Einleitung

Motivation bildet eine entscheidende Grundlage für das Lernen. Ohne Motivation würden wir nicht lernen. Der Mensch besitzt den intrinsischen Wunsch, seine Umwelt zu erforschen und zu verstehen. Er hat die natürliche Anlage, lernen und sich weiterentwickeln zu wollen. Die Motivation zur aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt ist bereits im frühen Stadium der Entwicklung gegeben und braucht keine Anleitungen oder äußere Zwänge. Sie bildet die wesentliche Grundlage für den Erwerb kognitiver Fähigkeiten. Besonders sichtbar wird es bei den jungen Grundschülern, die mit einer immensen Begeisterung und Faszination in die Schule kommen, um Lesen, Schreiben und Rechnen erlernen zu wollen. Das Lernen vollzieht sich von nun an in einer institutionalisierten Form und die Schule wird zum Ort des Lernens. Aus einem begeisterten und motivierten „Lernen-Wollen“ in den Anfangsjahren der Schulzeit wird in der Folge nicht selten ein wenig begeistertes und unmotiviertes „Lernen-Müssen“.

In meiner Arbeit möchte ich einen zentralen Punkt hervorheben, der wesentlichen Einfluss auf die Motivation und somit auch auf das Lernen hat. Leistungsbeurteilung, die sich in den meisten deutschen Schulen in Form einer Zensurengebung vollzieht, spielt meiner Meinung nach eine große Rolle in diesem Prozess. Das Lernen der Schüler wird in der Schule beurteilt und bewertet und mit einer Note dokumentiert.

Die zentrale Frage meiner Arbeit ist, welchen Einfluss diese Bewertung auf die Motivation und somit auf das Lernverhalten nimmt? Inwiefern greifen die Noten in den Lernprozess des Schülers ein? Inwieweit hemmen sie die Motivation und die effektive Lernleistung? Darf man die Zensurengebung absolut verurteilen oder kann sie sogar lernfördernd sein?

Meine persönlichen Erfahrungen mit der Zensurengebung führten im Laufe meiner Schulkarriere zu einer immer stärker werdenden Aversion gegen dieses System. Gerade im Rückblick auf meine Schulzeit hat sich die Schule vielmehr als ein Jagdterritorium nach guten Noten denn als ein Ort lustvollen und begeistert, motivierten Lernens in meiner Erinnerung gefestigt.

Schon Sir Karl Popper beklagte 1975 die zu Karriereschlüsseln hochstilisierten Noten, weil „... dem Studenten nicht wirkliche Liebe für den Gegenstand und die Forschung eingeflößt wird, sondern weil er angeleitet wird, sich nur so viel an Wissen anzueignen, als zur Bewältigung der (Noten-) Hürden (...) unbedingt notwendig ist“ (Vierlinger 1996, S. 29).

Beobachte ich Schüler während sie sich über einen Leistungstest oder eine Klausur unterhalten, so steht in ihren Gesprächen fast immer die Note im Vordergrund. Der Lerninhalt des Testes bzw. der Klausur wird kaum angesprochen und spielt nur eine untergeordnete Rolle. Die Schüler vergleichen die Anzahl der korrekten Aufgaben, zählen ihre Punkte zusammen und vergleichen ihre daraus erzielten Zensuren. Die Aufmerksamkeit wird vom Lernstoff abgelenkt und der Schüler lernt nicht mehr für die Sache, sondern um eine gute Zensur zu erzielen.

An dieser Stelle verlagert sich die Motivation in eine andere Dimension. Intrinsische Motivation wird behindert, da der Schüler seine Aufmerksamkeit auf die Zensur richtet. Wie selbstverständlich und gewöhnlich dies für die Mehrzahl der Schüler ist, macht folgende Schüleraussage deutlich:

„Eines Tages saß ich in der Pausenhalle, vor mir auf der Bank ein Chemiebuch. Eine Freundin kam vorbei und fragte mich erstaunt, ob wir eine Arbeit schreiben würden. Als ich verneinte, wollte sie wissen, wozu um alles in der Welt ich dann etwas lernen würde. Ich erwiderte, dass ich es aus privatem Interesse heraus täte. Sie war vollkommen verdutzt“ (Zinnecker 1982, S. 77).

Benotete Leistungsprüfungen in der Schule sind das am weitesten verbreitete Mittel zur Kontrolle der Lernleistung. In meiner Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern diese Kontrollform, in der die Lernmotivation von außen aufoktroyiert wird, die Effektivität des Lernens beeinträchtigt.

Zum Aufbau der Arbeit

In Kapitel 2 werden zunächst exemplarisch, wesentliche Theorieansätze der Motivation skizziert, um für die Fragestellung relevante Befunde in ein theoretisches Konzept einzubetten.

Im Anschluss wird im dritten Kapitel der Stellenwert der Motivation für das Lernen deutlich gemacht. Hierzu werden verschiedene Modelle der Lernmotivation erläutert. In dieser Phase werde ich bereits einen Schwerpunkt meiner Arbeit setzen, indem ich den Stellenwert der intrinsischen Motivation für erfolgreiches und effektives Lernen hervorhebe. Zur Verdeutlichung stelle ich im Weiteren die Selbstbestimmungstheorie als eine Konzeption der intrinsischen Lernmotivation dar. Sie hebt die Bedeutung der natürlichen Neugierde und Faszination während des Lernvorganges in den Vordergrund. Interessen, Vorlieben und Neigungen der Schüler werden beachtet und danach untersucht, inwiefern diese sinnvoll in den Lernprozess integriert werden können.

Kapitel 4 beleuchtet zunächst die schulpädagogische Entstehungsgeschichte der Leistungsbeurteilung und in spezieller Form der Zensurengebung. Anschließend wird ein Überblick über die vielfältigen und zum Teil widersprüchlichen Funktionen der Leistungsbeurteilung sowie der Zensurengebung gegeben.

Im 5.Kapitel werden die vorangegangenen Grundlagen miteinander verknüpft. An dieser Stelle wird erörtert, welchen Einfluss die Zensurengebung auf die Lernmotivation haben kann.

Zum Abschluss werden in Kapitel 6 mögliche Alternativen zur Zensurengebung diskutiert. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, Leistung nicht lediglich anhand von Zensuren zu beurteilen. Alle Alternativen werden in ihrem Wert und Einfluss auf die Motivation und der daraus resultierenden Lerneffektivität untersucht.

Ziel der Arbeit ist es neben dem Aufzeigen von Grenzen und Problemen der Zensurengebung, Maßnahmen zur pädagogischen Verbesserung der Leistungsbeurteilung vorzuschlagen. Weiter gilt zu klären, inwiefern Leistungsbeurteilung so ablaufen kann, dass sachbezogene Lernmotivation gefördert wird.

2. Elementare Motivationspsychologie

Das Verhalten des Menschen wird in hohem Maße von seiner Motivation bestimmt. Die Motivationspsychologie versucht u. a. bestimmtes Verhalten zu erklären und spezielle Gründe dafür zu suchen, warum jemand gewisse Handlungen vollzieht. Was verspricht man sich bei der ausführenden Tätigkeit für eine positive Folge bzw. Begleiterscheinung? Der Anreiz einer Zielrichtung ist dabei nicht immer eindeutig zu erkennen. Möglicherweise ist es eine ganze Reihe von bewussten oder unbewussten Gedanken (Kognitionen), die jemanden zur Aktivität motivieren. Ebenso können Affekte, innere Zustände (Instinkte oder Triebe) dafür verantwortlich sein.

Verschiedene Konzepte der Motivationspsychologie stellen unterschiedliche Sachverhalte in den Mittelpunkt. Die heutige Forschung geht von einer Wechselwirkung beider grundlegender Erklärungen aus: Kognition und Affekte. Die Motivationspsychologie befasst sich damit, Richtung, Ausdauer und Intensität von Verhalten zu erklären.

Aus Sicht der modernen Motivationspsychologie muss zunächst einmal zwischen „Motiv“ und „Motivation“ unterschieden werden. Unter Motiv wird ein von außen nicht erkennbarer Beweggrund bezeichnet, der menschliches Verhalten aktiviert und auf ein bestimmtes Ziel hin steuert. Hunger ist zum Beispiel ein solches Motiv. Er ist als solches nicht beobachtbar, es kann lediglich aufgrund der Menge und der Schnelligkeit des Essens auf ,,Hunger- Haben“ geschlossen werden. Dieses Motiv treibt einen an, aktiv zu werden, und steuert einen auf ein bestimmtes Ziel hin - etwa zum Brotkasten und zum Kühlschrank.

Motivation dagegen soll die Vorgänge einer zeitweiligen und situativen Aktivierung einzelner Motive bezeichnen, die man bei sich selbst und bei anderen wahrnehmen kann. Mit dem Begriff „milde Form der Besessenheit“ (Rheinberg 1997, S. 12) gelingt es DeCharms (1979), eine treffende Umschreibung des Phänomens der Motivation zu geben. Heckhausen (1989, S. 3) definiert Motivation als „...eine momentane Gerichtetheit auf ein Handlungsziel, die sich aus einer Person- Situations- Interaktion entwickelt“ und betont damit zusätzlich den Person- Umweltbezug.

Der Versuch einer allgemeinen Definition von Motivation fällt jedoch schwer. Es handelt sich hier nämlich nicht um etwas unmittelbar Wahrnehmbares. Motivation ist immer nur über Anzeichen erschließbar, sie ist eine gedankliche Hilfsgröße, die uns bestimmte Verhaltensbesonderheiten erklären soll. Wir kennen Zustände, die wir als Streben, Wollen, Drängen, Bemühen, Wünschen, Hoffen, Verlangen etc. bezeichnen. Allen diesen Phänomenen ist eines gemeinsam: „... die Komponente einer aktivierenden Ausrichtung des momentanen Lebensvollzuges auf einen positiv bewerteten Zielzustand“ (Rheinberg 1997, S. 13).

Zusammenfassend lässt sich zum Motivationsbegriff sagen, dass er eine Abstraktion darstellt, die oben erwähnte Zustände des Selbsterlebens beinhalten kann. Drei gemeinsame Merkmale sind festzuhalten: Jemand hat ein Ziel vor Augen, er strengt sich an, dies zu erreichen, und er bleibt ablenkungsfrei bei der Sache.

2.1. Motivationstheoretische Konzepte

In der Motivationspsychologie lassen sich eine Reihe grundlegender Modelle unterscheiden. Im Schulleben spielen u. a. die Neugiermotivation sowie die Leistungsmotivation eine zentrale Rolle. Bei jeder Person sind die individuellen Motive unterschiedlich ausgeprägt. Die aktuelle Motivation einer Person ergibt sich aus einem internen Abwägungsprozess zwischen den angesprochenen Motiven. Die Aspekte der Neugier und der Leistung sind für schulisches Lernen von besonderem Interesse.

Im Folgenden werden einzelne motivationstheoretische Konzepte dargestellt.

2.1.1. Triebtheoretische Auffassung von Motivation

Robert Woodworth (1918) führte die Motivation als ein Konzept eines inneren Triebes (,,drive“), der das Verhalten bestimmt, in die Psychologie ein. Er definiert Trieb im biologischen Sinn als Energie, die ein Organismus freisetzt, als ,,Treibstoff für Handlungen“, der durch Reiz ausgelöst und für zielgerichtete Handlungen bereitgestellt wird. Hull (1952) nahm in seiner Triebtheorie an, Motivation sei eine notwendige Voraussetzung für das Lernen. Lernen wiederum sei eine wesentliche Bedingung für eine erfolgreiche Anpassung aller Lebewesen an die Umwelt. Er betont die Bedeutung der Spannung bei der Motivation und der Spannungsreduktion als Verstärker.

Darüber hinaus war er der Meinung, Primärtriebe seien biologisch bedingt und würden ausgelöst werden, wenn der Organismus sich in einem Mangelzustand befände. Diese Triebe aktivieren den Organismus. Sobald sie befriedigt seien höre der Organismus auf zu handeln. Entzieht man einem Tier viele Stunden das Futter, wird ein Hungergefühl ausgelöst, das Nahrungssuche und Fressverhalten motiviert. Die Reaktionen des Tieres, die zur Nahrungsaufnahme führen, werden verstärkt, da sie mit Spannungsreduktion, die das Fressen hervorruft, assoziiert werden.

2.1.2. Neugiermotivation

Das folgende Modell erscheint bei der Diskussion über Auswirkungen der Zensurengebung auf die Motivation von zentraler Bedeutung zu sein. Da man dieses Modell als Musterfall einer intrinsischen Motivation[1] ansieht, muss über die Auswirkungen und den Sinn einer externen Bestärkung in Form von Zensuren innerhalb dieses Modells diskutiert werden.

Das Konzept unterstellt, dass Menschen und Tiere permanent aktive Lebewesen sind und Reize aufsuchen. Ein Ungleichgewicht, wie im triebtheoretischen Ansatz ist nicht länger Voraussetzung für eine Anregung. Das Explorationsbedürfnis wird ebenso wie Hunger, Durst und Sexualität als primäres Bedürfnis angesehen. Oft erkunden Lebewesen mit enormer Ausdauer und Intensität ihre Umgebung. Dieser Vorgang geschieht nicht wahllos. So kennen wir die Entscheidung zwischen Handeln und Passivität, die in diesem Fall auf „Neugier“ oder „Furcht vor Neuem“ zurückzuführen ist.

Aktivation beschreibt die Erregung sowohl im physiologischen Sinn (Erregung des Nervensystems) als auch im psychologischen Bereich (emotionale Erregung und erhöhte Verhaltensbereitschaft). Berlyne (1974) ist der Ansicht, dass alle Lebewesen einerseits ständig aktiv sind, andererseits aber nach einer Reduzierung der Erregung streben. Sowohl in völlig neuartigen und nicht überschaubaren Situationen als auch in Situationen, die sehr einfach strukturiert und leicht überschaubar sind, wird der Organismus relativ stark aktiviert: „Bei Situationen mit sehr hohem oder sehr niedrigem Reiz- Input kommt es zu einem hohen Aktivationsniveau“ (Edelmann 1993, S. 376).

Der Mensch ist nicht - wie im triebtheoretischen Konzept nahegelegt - durch ein grundlegendes Bedürfnis nach Ruhe zu kennzeichnen, also er versucht nicht, Spannungs- und Erregungszustände zu verringern oder Reizwirkung zu minimalisieren, sondern das für jedes Individuum optimale Reizniveau zu erreichen.

Berlyne unterscheidet zwischen gerichtetem Neugierverhalten, das durch bestimmte Reizqualitäten ausgelöst wird, und diversivem Neugierverhalten, das in reizarmen Situationen auftritt. Das gerichtete Neugierverhalten tritt auf, wenn gewisse Reizqualitäten plötzlich vorzufinden sind, die das Explorationsbedürfnis in bestimmtem Maße erregen. Hierbei darf die Diskrepanz zwischen altem und neuem Wissen weder zu groß noch zu klein sein, so dass eine optimale Inkongruenz- Diskrepanz zwischen Reiz- Input und vorhandenem Wissen entsteht. Einige wichtige Reizquellen sind v.a. Neuheit, Ungewissheit und Komplexität. Diese Reizquellen schaffen in der Person eine subjektive Unsicherheit, die einen dazu veranlassen, kognitive Konflikte mittels Exploration abzubauen. Eine Situation wirkt in dem Fall optimal motivierend, wenn sie weder zu bekannt noch zu unbekannt ist. In reizarmen Situationen wächst das Bedürfnis nach Sinneserfahrungen, Stimulation und Abwechslung. In diesem Fall spricht man von einem diversiven Neugierverhalten.

In Bezug zur Zensurengebung erscheint dieses Modell sehr interessant, da es davon ausgeht, dass man für diese Form der Motivation weder Belohnung noch Zwang braucht.

2.1.3. Intrinsische kontra extrinsische Motivation

Das Verhalten eines Menschen ist entweder von „außen her“, durch Zurückführen auf externale Verhaltensfolgen in Gestalt von Bekräftigungen (extrinsisch) oder von „innen heraus“, um seiner selbst willen (intrinsisch) motiviert.

Nach einer rein instrumentellen Auffassung steht das Verhalten nur im Dienste des Organismus. Es wird zur Befriedigung körperlicher Bedürfnisse benötigt, um homostatische Krisen zu bewältigen, um Lust zu suchen und Unlust zu vermeiden. Gegen diese Konzeption wandte sich in den 50er Jahren eine Gegenströmung, die Verhalten (auch) als intrinsisch reguliert verstanden wissen wollte.

Auf einige zentrale Konzeptionen, die bei der Diskussion über mögliche Auswirkung der Zensurengebung auf die Lernmotivation hilfreich erscheinen, werde ich in Kapitel 3.3. näher eingehen.

2.1.4. Anreiztheoretischer Ansatz

Dieser Theorieansatz beruht im Wesentlichen auf der Feldtheorie von Kurt Lewin (1963). Charakteristisch an diesem Ansatz ist, dass Verhalten weder allein aus Merkmalen der Person (Instinkte, Triebe, Motive) noch alleine aus Merkmalen der Situation zu erklären sind. Stattdessen wird Verhalten als Resultat der Wechselbeziehung zwischen einer bestimmten Person und einer bestimmten Situation gesehen.

Lewins Theorie entwickelte sich aus den Prinzipien der Gestaltpsychologie. Seine Konzeption der Motivation beinhalten die Prinzipien des Hedonismus und der Homöostase[2]. Lewin ist ein Phänomenologe, d.h. er betont vor allem die wahrgenommene und weniger die objektive Umwelt.

Die Feldtheorie geht von der Annahme aus, dass Verhalten durch das zu einem bestimmten Zeitpunkt existierendem Feld determiniert wird. Der Begriff des Feldes umfasst Bedingungsfaktoren sowohl der ,,äußeren“ Situation (der Umgebung) wie der inneren Situation (der Person). Nach Lewin wird menschliches Verhalten durch bestimmte Situationen und Umwelteinflüsse mitbestimmt. Beispielsweise kann ein Problem oder eine unfertige Aufgabe eine Spannung erzeugen, bis eine Lösung also eine Bedürfnisbefriedigung erreicht ist. Die von der Umwelt gegebenen Anreize können verschieden stark auf eine Person wirken, je nachdem ob die damit verbundene Handlung positiv oder negativ belegt ist. So kann der Arbeitsauftrag ,,Lesen eines Buches“ einen hohen Aufforderungscharakter besitzen, wenn die Person bereits gute Erfahrung mit dieser Tätigkeit gemacht hat. Wichtige Aufgabe des Lehrers ist es, erwünschtes Verhalten bei den Schülern positiv zu belegen.

2.1.5. Entscheidungstheoretische Konzepte

Dieses Konzept basiert grundsätzlich auf dem Prinzip der Nutzen- und Gewinnmaximierung. Momentane Entscheidungen werden in der Erwartung und Antizipation künftiger Ereignisse beeinflusst, in der die motivationale Bedeutung liegt. Menschen entscheiden sich in Wahlsituationen für jene Alternative, die im subjektiven Kalkül die günstigste Bilanz aus materiellen und immateriellen Nutzen und Kosten ergibt und eine bestimmte Erfolgswahrscheinlichkeit aufweist. Folgendes Beispiel soll diesen Zusammenhang verdeutlichen:

Ich entscheide mich für eine schwere/ umfangreiche Aufgabe, deren positive Bewältigung zur Folge eine gute Note hat oder ich entscheide mich für eine leichte Aufgabe, da dieser Lehrer immer gute Noten verteilt.

2.2. Leistungsmotivation

„Leistungsmotiviert im psychologischen Sinn ist ein Verhalten nur dann, wenn es auf die Selbstbewertung eigener Tüchtigkeit zielt, und zwar in Auseinandersetzung mit einem Gütemaßstab, den es zu erreichen oder zu übertreffen gilt. Man will wissen, was einem in einem Aufgabenfeld gerade noch gelingt und was nicht, und strengt sich deshalb besonders an“ (Rheinberg 1997, S. 58).

Gegenbeispiel hierzu wäre die besondere Anstrengung in einem Schulfach, nur um eine gute Note zu erreichen oder eine Klausur zu bestehen. Derartige Auslöser für ein gesteigertes Arbeitsverhalten haben nichts mit Leistungsmotivation zu tun. Der Stolz, etwas persönlich Anspruchsvolles erreicht zu haben und die daraus resultierende Zufriedenheit mit der eigenen Tüchtigkeit hingegen genügen, um leistungsmotiviertes Verhalten zu charakterisieren. In der Alltagssprache kennen wir für dieses Phänomen Ausdrücke wie „gutes Gefühl“ oder „Erfolgserlebnis“. Beides stellt sich nur dann ein, wenn man den Erfolg sich, seiner Fähigkeit oder seinem Bemühen und nicht äußeren Ursachen wie Glück, der Hilfe anderer, einer leichten Aufgabenstellung usw. selbst zuschreiben kann.

Inwiefern die Zensurengebung diesen Prozess beeinflusst muss später diskutiert werden. Obwohl der Schwerpunkt der Diskussion im Bereich der Lernmotivation liegt, darf der Bereich der Leistungsmotivation nicht außer Acht gelassen werden. Eine genaue Abgrenzung beider Begriffe erfolgt in Kapitel 3.2.

2.2.1. Risikowahl- Modell nach Atkinson

Warum sind manche Menschen erfolgreich und andere nicht? Wir möchten verstehen, welche motivierenden Kräfte Menschen dazu bewegen, verschiedene Leistungsniveaus anzustreben. Das Risikowahl-Modell wurde 1957 von Atkinson (1975) entwickelt. Leistungsmotivation wird dabei als Ergebnis eines Konfliktes zwischen Annäherungs- und Vermeidungstendenzen aufgefasst. Die Entscheidung, ob eine Person eine Leistung in Angriff nimmt oder nicht, wird entweder beeinflusst von einer ,,Hoffnung auf Erfolg“ mit dem nachfolgenden Gefühl des Stolzes oder einer ,,Furcht vor Misserfolg“ mit dem damit verbundenem Gefühl der Scham.

Ein intrinsisch leistungsmotiviertes Handeln findet dann statt, wenn die Tendenz ,,Hoffnung auf Erfolg“ die Tendenz ,,Furcht durch Misserfolg“ überwiegt.

Kommt zu der intrinsischen Komponente eine extrinsische hinzu - in Form einer positiven (Belohnung) oder negativen Verstärkung (Zwang) - kann es auch bei niedrig leistungsmotivierten Personen zu einem insgesamt mittleren bis hohen Maß von Anstrengung und Ausdauer beim Leistungshandeln kommen.

Die Leistungsmotivation lässt sich durch eine Formel ausdrücken, die eine intrinsische mit einer extrinsischen Komponente verbindet.

Tab. 1: Die Leistungsmotivation kann aus einer intrinsischen oder einer extrinsischen Komponente bestehen (aus Edelmann 2000, S. 254).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Leistungsmotivation ist ein Vermögen, Erfolg durch internale Faktoren - insbesondere durch Anstrengung - verursacht zu erleben.

Möchte man erreichen, dass Schüler vorwiegend intrinsisch motiviert sind, dann ist eine Voraussetzung hierfür, dass sie bei ihren Aktivitäten häufig Erfolge erzielen. Dieses hat im Besonderen positive Wirkung bei niedrig leistungsmotivierten Menschen. Misserfolge hingegen hemmen ihre Leistungsbemühungen. Bei Schülern mit hoher Leistungsmotivation können dagegen Misserfolge die Leistungsbemühung noch steigern (Edelmann 2000, S. 253f).

Die extrinsische Motivation ist allerdings nicht unproblematisch. Ihre negativen Auswirkungen werden in Kapitel 5 näher diskutiert. Zu den Vorzügen der intrinsischen Motivation werde ich im Weiteren noch intensiv zu sprechen kommen.

2.2.2. Die Attributionstheorie von Weiner

Menschen haben das Bedürfnis, Phänomene, wie Erfolg und Misserfolg auf bestimmte Bedingungen zurückzuführen (Attribution = Ursachenzuschreibung).

Nach Weiner (1984) verankert man die Ursache für Erfolg und Misserfolg entweder internal (in der Person liegend) oder external (in der Situation liegende). Sowohl bei der internalen, wie auch bei der externalen Attribution können die Gründe zusätzlich stabil (zeitlich überdauernd) oder variabel (innerhalb einer Zeitspanne sich verändernd) sein. Dieser Zusammenhang wird in dem folgenden Vier-Felder-Schema von Weiner aus dem Jahre 1972 dargestellt (siehe Tabelle 2).

Tab. 2: Klassifikationsschema der Gründe für Handlungsergebnisse

(aus Rheinberg 1997, S. 80)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Tabelle entnimmt man, dass sich eine Person Erfolg oder Misserfolg internal durch...

- Fähigkeit (Begabung oder mangelnde Fähigkeit) oder
- Anstrengung (Fleiß oder mangelnde Anstrengung)

oder external durch...

- Aufgabenschwierigkeit (schwere oder leichte Aufgaben/ Vorbereitung) oder
- Zufall (Glück oder Pech)
erklären kann.

Wer sich einen Misserfolg aus mangelnder Begabung erklärt, wird beim nächsten Versuch, diese Aufgabe zu lösen, nicht mehr an Erfolg glauben; wer seine schlechte Leistung jedoch mangelnder Anstrengung zuschreibt, wird sich beim nächsten Mal mehr Mühe geben, da Anstrengung im Gegensatz zur Begabung zeitlich variabel eingesetzt, d.h. zu anderer Zeit gesteigert werden kann. Wenn Erfolg der eigenen Fähigkeit zugeschrieben wird, werden Freude und Zufriedenheit erlebt, wenn dieser jedoch durch ein zufälliges Ergebnis oder durch leichte Aufgaben erklärt wird, bleiben solche positiven Gefühle aus (Rheinberg 1995, S. 80ff.).

Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen tendenziell Erfolge eher der eigenen Person und Misserfolge eher widrigen Umständen der Situation zuschreiben. Auf diese Weise ist es der Person möglich, eine Beeinträchtigung ihres Selbstwertgefühles zu vermeiden.

2.2.3. Selbstbewertungsmodell nach Heckhausen

Heckhausen fasst 1972 die gesicherten Erkenntnisse der klassischen Motivationspsychologie mit dem neuen Wissen über die kognitiven Prozesse bei der Ursachenerklärung zusammen.

Tab. 3: Das Selbstbewertungsmodell der Leistungsmotivation von Heckhausen 1972 (aus Rheinberg 1995, S.84)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Er erweitert das Motivverständnis von dem bedürfnisähnlichen, überdauernden Personenmerkmal hin zu einem beweglichen System, das aus drei Teilprozessen besteht: dem Anspruchsniveau (Vergleich des möglichen Ziels mit einem Standard), den Kausalattributionen (Ursachenerklärung von Erfolg und Misserfolg) und der Selbstbewertung (Zufriedenheit/ Unzufriedenheit mit dem Resultat). Diese Faktoren beeinflussen sich gegenseitig (Rheinberg 1995, S. 83ff).

Erfolgszuversichtliche sehen den Zusammenhang zwischen Anstrengung und Resultat einer Handlung viel eher, da sie sich realistische Ziele vornehmen. Sie können beobachten, dass Übung die eigene Leistung steigern kann.

In Zusammenhang mit oben beschriebenen Eigenschaften ergibt sich eine positive Selbstbewertungsbilanz. „Diese Asymmetrie der Selbstbekräftigung (...) macht Leistungssituationen insgesamt eher anziehend und legt nahe, die eigene Tüchtigkeit an realistische Anforderungen zu erproben, was die (...) erfolgszuversichtlichen Besonderheiten der Kausalattribution und Selbstbekräftigung weiter stabilisiert“ (Rheinberg 1997, S. 83). Ein so positiver Kreislauf existiert hingegen bei Misserfolgsmeidenden nicht. Eher das Gegenteil ist der Fall: Ein Erfolg bedeutet Glück und nicht Können. Ein Misserfolg bedeutet Pech oder geringe Fähigkeit und belastet das Selbstwertgefühl nachhaltig. Daher ist ihre Selbstbekräftigungsbilanz negativ. Auch wenn Erfolge genauso oft eintreten wie Misserfolge, aufgrund ihrer Erklärungsmuster haben sie nicht das Gefühl, durch ihre Fähigkeit etwas erreichen zu können.

Ziel muss es sein, die Kausalattribution der Schüler positiv zu beeinflussen, damit sie realistische Einschätzungen ihrer Leistungen machen können. Leistungsbeurteilung darf nicht dazu führen, dass Misserfolgsmeidende in ihrer Form der Ursachenerklärung bestärkt werden. Es geht darum, dass sie lernen, Erfolge auf ihre persönliche Anstrengung zurückzuführen und Misserfolge durch mangelndes Engagement zu erklären.

3. Stellenwert der Motivation für das Lernen

Um sich über gewisse Auswirkungen der Zensurengebung auf die Lernmotivation Gedanken machen zu können, muss zunächst geklärt werden was man überhaupt unter Lernmotivation versteht. Inwiefern beeinflusst und bestimmt die Motivation das Lernen. Welchen Stellenwert nimmt die Motivation ein? Wie wichtig ist sie für den Lernprozess, in welchen Bereichen greift sie ein? Erst nach einer Klärung dieses Sachverhaltes, kann man zu dem Einfluss der Zensurengebung in diesem Prozess Stellung nehmen.

3.1. Definition Lernmotivation

Lernmotivation ist die momentane Bereitschaft eines Individuums, sensorische, kognitive und motorische Funktionen in einer durch schulische Anforderungen vorstrukturierten Lernsituation darauf zu richten und darauf zu koordinieren, dass ein gegebenes Lernziel erreicht wird (Heckhausen 1965, In Knörzer 1976, S. 139). Der Begriff Lernmotivation bezeichnet also jene Strukturen, die das Zustandekommen und die Effekte des Lernens erklären (Krapp 1993, S. 188).

Lernmotivation in der Schule ist nicht nur von der Gruppe, dem Lehrer, der speziellen Unterrichtssituation und deren spezifischer oder allgemeiner Anregung bestimmter Motive abhängig, sondern ebenso von meist vor- und außerschulisch erworbenen, relativ überdauernden Motiven und Persönlichkeitsvariablen (Todt 1977, S. 201ff). Folglich handelt es sich bei der Lernmotivation um ein Zusammenwirken von unterschiedlichen Motiven und situativen Anregungen.

3.1.1. Modell nach Heckhausen

Das Zusammenwirken der verschiedenen Motivationsarten, die zusammen die Lernmotivation ergeben, hat Heckhausen 1966 in einer Formel dargestellt (Meister 1977, S.40):

Lernmotivation =

(Leistungsmotiv x Erreichbarkeitsgrad des Lernziels x Anreiz der Aufgabe)

+ Sachbezogener Anreiz + Neuigkeitsgehalt

+ (Bedürfnis nach Identifikation mit einem Erwachsenenvorbild

+ Bedürfnis nach Zustimmung + Bedürfnis nach Abhängigkeit von Erwachsenen

+ Bedürfnis nach Geltung und Anerkennung + Bedürfnis nach Strafvermeidung)

In dieser Formel werden (zeitlich überdauernde) Motive und situative Anregungen der Lernmotivation unterschieden.

- Leistungsmotiv, Erreichbarkeitsgrad der Aufgabenlösung und Anreizwert der Aufgabe

Das Leistungsmotiv[3] ist für Heckhausen die allgemein bedeutsame Determinante der Lernmotivation. Die Stärke des Leistungsmotivs ist mit zwei situativen Anregungsbedingungen multiplikativ verknüpft: dem Erreichbarkeitsgrad der Aufgabenlösung und dem Anreizwert der Aufgabe. Auf diese Art und Weise kommt die Leistungsmotivation im Wirkungsgefüge der Lernmotivierung nicht zustande, wenn eine dieser beiden Variablen gleich Null ist (Schiefele, Haußer & Schneider 1979, S. 4).

- Sachbezogener Anreiz

Mit dem sachbezogenen Anreiz, einer situativen Anregung, sind die fachbezogenen Interessen gemeint, z.B. die Werthaltung, Einstellung gegenüber einem Lehrinhalt.

- Neuigkeitsgehalt des Lernstoffes

Heckhausen rechnet auch den Neuigkeitsgehalt des Lernstoffes nicht zu den Motiven, sondern zu den situativen Anregungsvariablen.

Die im Folgenden erläuterten Bedürfnisse stehen in der Formel von Heckhausen zusammen in einer Klammer. Sie lassen sich alle von der sozialen Situation des Lernenden ableiten und werden deshalb auch als „sozialbezogene Motivation“ bezeichnet (Schiefele, Haußer & Schneider 1979, S. 4).

- Bedürfnis nach Identifikation mit einem Erwachsenenvorbild

Unter diesem Bedürfnis versteht man den Wunsch und das Verlangen, die Ähnlichkeit der eigenen Person bezüglich der Handlungen, Einstellungen, emotionalen Reaktionen usw. mit dem Vorbild der erlebten Erwachsenenperson soweit wie möglich zu steigern.
- Bedürfnis nach Zustimmung, nach Abhängigkeit von Erwachsenen und nach Geltung und Anerkennung
Diese Motive, die sogenannten „Affiliationsbedürfnisse“, beinhalten das Bemühen, eine positive affektive Beziehung zu einer anderen Person zu etablieren, zu behaupten oder wiederherzustellen. Beispielsweise wünscht sich der Schüler eine möglichst positive Bewertung seiner Leistungen seitens des Lehrers.
- Bedürfnis nach Strafvermeidung
Das Motiv nach Strafvermeidung erklärt Heckhausen mit „... negative Sanktionen in der Schule und im Elternhaus meiden, die durch ungenügende Übernahme der schulischen Forderungen ausgelöst werden“ (Heckhausen 1968, In Todt 1977, S.209).

Es ist der Verdienst Heckhausens, Lernmotivation als Interaktion verschiedener Motivationen und Motive konzipiert zu haben. Er hat sich nicht nur darauf beschränkt, auf Persönlichkeitsvariablen hinzuweisen, sondern ebenfalls situativen Variablen des Unterrichtsgeschehens Beachtung geschenkt (Knörzer 1976, S. 171). Lernmotivation ist also keine feste Eigenschaft des Schülers, sondern ein Produkt der Wechselwirkung zwischen Schülermotiven und situativen Anregungsvariablen der Unterrichtsführung (Heckhausen & Rheinberg 1980, S. 7).

Doch gibt die Formel auch Anlass zur Kritik. Sie abstrahiert die Motivation zum Lernen in bedenklichem Ausmaß, da sie die Lernmotivation in verschiedenste zusammengesetzte Kategorien von Motiven und situativen Anregungen untergliedert und deren Umrechnung in Werte fordert. Ebenso fehlen bei diesem Modell zum „Errechnen“ der Lernmotivation jegliche Erkundungs- und Neugiermotive seitens der Schüler und Schülerinnen.

Außerdem sind einige Bedürfnisse wie z.B. das Leistungsmotiv, die Strafvermeidung oder die Abhängigkeit von Erwachsenen zwar real, aber in dieser starken Betonung nur schwer mit Leitlinien und Richtzielen der Erziehung in Einklang zu bringen (Meister 1977, S. 40ff).

Eine exakte Bestimmung über Auswirkungen der Zensurengebung kann nicht getroffen werden. Es liegt zumeist im Erleben des Schülers, inwiefern er eine Zensurengebung als Ansporn oder Bedrohung ansieht. Tendenziell können jedoch Aussagen getroffen werden, in welchen Bereichen die Zensurengebung die Lernmotivation beeinflussen kann. Eine eingehende Diskussion erfolgt in Kapitel 5.

3.1.2. Modell nach Krapp

Prof. Dr. Andreas Krapp (1993) hat versucht unterschiedliche Ansätze zur Motivationspsychologie aufzugreifen und in einem Rahmenmodell darzustellen. Dieses allgemeine Modell soll pädagogisch relevante Sachverhalte nennen und zugleich Anhaltspunkte für die theoretische Einordnung und pädagogische Bewertung psychologischer Forschungseinrichtungen liefern.

Tab. 4: Rahmenmodell zur Strukturierung pädagogisch relevanter Komponenten der Lernmotivation (Krapp 1993, S.190)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dieses Rahmenmodell zeigt stark vereinfacht das Gesamtgefüge der hypothetischen Relationen und die empirisch überprüften Zusammenhänge, die die Sachverhalte der Lernmotivation darstellen. Von links nach rechts besteht nach Krapp eine „undirektionale Schrittfolge von (direkten) Abhängigkeiten“ (Krapp 1993, S. 188). Das bedeutet, die Faktoren bedingen sich zwar üblicherweise in zeitlicher Folge gegenseitig, jedoch gibt es zwischen den anderen Variablengruppen genauso Zusammenhänge und ebenso Rückkopplungsprozesse. So kann beispielsweise das soziale Umfeld des Lernenden langfristige Folgen haben, z.B. wenn sich jemand durch die starke Lernbegeisterung und hohe Motivation seiner Freunde in einem bestimmten Schulfach „anstecken“ lässt.

Das Schema verdeutlicht, dass die aktualisierte Lernmotivation (1) von unterschiedlichen Faktoren abhängig ist:

- von den „Antezedenzbedingungen“, so nennt Krapp die hypothetischen Bedingungsfaktoren, die in einer Situation Einfluss auf die Motivierung haben. Dazu gehören in diesem Modell die früheren Entwicklungsbedingungen (3), also Entwicklungsfaktoren, die sich in vorausgegangenen Sozialisationsprozessen in der Persönlichkeit des Lernenden ausgewirkt und verfestigt haben. Weitere Antezedenzbedingungen sind die aktuellen Bedingungsfaktoren (2). Sie sind in Form von Motiven, Wertorientierungen, Einstellungen oder Zielerwartungen in der Person des Lernenden selbst verankert (2a), oder in dem sozialen Umfeld erkennbar, z.B. in den gruppendynamischen Faktoren der Schulklasse oder in dem Verhalten der Einstellung des Lehrers (2b). Es können aber auch Bedingungen sein, die sich aus äußeren Lernsituationen und den Lerngegenständen ergeben, beispielsweise aus dem Schwierigkeitsgehalt oder dem Interesse für den Lernstoffs (2c).
- von den kognitiven und emotionalen Prozessen während der Lernhandlung (4), denn Lernprozesse können hinsichtlich ihrer Qualität unterschiedlich sein. Die informationsverarbeitenden Vorgänge können intensiv oder oberflächlich sein, wobei die Lernorganisation und die Lernkoordination sinnvoll oder gedankenlos geschehen kann. Geeignete Lernstrategien und konkrete Techniken des Wissenserwerbs können angewandt werden. Zudem kann Spannung oder Langeweile, Stolz, Freude, Vergnügen oder Frust erlebt werden.
- von den „Konsequenzen “, zu denen sowohl die unmittelbaren Effekte und Ergebnisse (5) einer Lernhandlung, - hierzu zählen die am Ende einer Lernphase summativ festgestellten Fähigkeiten und Fortschritte - als auch die mittelbaren Folgen und die übergeordneten Ziele(6) gehören. Letztere besitzen einen indirekten Anreizwert, da zwischen dem unmittelbaren Lernergebnis und den längerfristigen Zielen eine Zweck-Mittel-Relation besteht. So lernen Schüler z.B. nicht nur um ihre Englischkenntnisse in speziell dieser zu lernenden Lektion zu erweitern, sondern auch wegen der Folgen dieser erbrachten Leistung, sei es, um Anerkennung vom Englischlehrer zu erlangen oder um sich in den Ferien in London verständlich machen zu können (Krapp 1993, S.191).

3.2. Abgrenzung der Lernmotivation von der Leistungsmotivation

Die Lern- und Leistungsmotivation wurde im Hinblick auf Motivationsförderung, Schulleistung, Zensurenwesen und Bewertungsmaßstäbe von der Schulpädagogik reichlich untersucht und diskutiert: Hoffnung auf Erfolg soll gestärkt, Furcht vor Misserfolg abgebaut werden[4], die Leistungsbereitschaft gesteigert, die kognitive Ursachenzuschreibung[5] und die Selbstbewertung der Schüler[6] optimiert werden. Man bemühte sich um die Beschreibung von Motiven und situativen Anregungs- und Anreizbedingungen[7]. Diese sollen in Wechselwirkung mit der Stärke des individuellen Leistungsmotivs geeignet sein, die Variabilität leistungsorientierten Verhaltens zu erklären (Weinert 1980a, S. 4). Es steht, wie diese komprimierte Darstellung zeigt, immer das Leistungsmotiv im Mittelpunkt des Interesses - sei es in der Leistungsmotivationsforschung selbst oder in der Lernmotivationsforschung.

Da in den meisten Lernsituationen die „Auseinandersetzung mit einem Gütemaßstab“ eine Rolle spielt, ist es auch nicht verwunderlich, dass Lern- und Leistungsmotivation oft verwechselt oder einander gleichgesetzt werden (Jahnke 1977, S. 41). Aus diesem Grund soll an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Lernmotivation keineswegs nur von Leistungsmotiven, sondern auch von einer Reihe anderer Motive und deren situativer Anregung beeinflusst wird (Heckhausen & Rheinberg 1980, S. 7). Denn wenn man das Motivationsproblem unter pädagogischen Zielaspekten wie Eigenständigkeit, Selbstverantwortung und -verwirklichung betrachtet, erscheint die Stellung der Leistungsthematik längst nicht mehr so überragend, wie sie sich in der Literatur darstellt (Schiefele, Haußer & Schneider 1979, S. 1). Trotz dessen ist das Leistungsmotiv bis heute das am besten untersuchte Motiv. Darüber hinaus dominiert die Theorie der Leistungsmotivation ebenso im pädagogischen Feld, was von psychologischen sowie pädagogischen Schriften immer wieder kritisiert worden ist. Diese Vorherrschaft der Leistungsmotivation liegt nicht nur in der „... vordergründig plausiblen Implikation einer Leistungsschule in der Leistungsgesellschaft“ (Schiefele, Haußer & Schneider 1979, S. 12), sondern basiert auch auf der Tatsache, dass vergleichbare theoretische Alternativen fehlen.

Mit den Theorien der Lernmotivation wurde ein erster Schritt geschaffen, sich von dieser „Leistungsdominanz“ zu entfernen. Das Leistungsmotiv ist in ihnen nur noch ein Teil der Motivation, welche zum Lernen anregt. Heute geht die Forschung zu lernrelevanter Motivation noch deutlicher über den engen Bezugsrahmen leistungsmotivationaler Phänomene hinaus. „Erklärungen von Lernmotivation sind heute nicht mehr auf eine Erklärung leistungsbezogener Bestandteile solcher Motivation reduziert“ (Perkun 1993, S. 72). Das Modell der Lernmotivation wurde neu überdacht und erweitert, willenspsychologische Untersuchungen wurden wiederaufgenommen. Ebenso hat man differenzierte Sichtweisen entwickelt, insbesondere die intrinsischen Motivationsprozesse wurden weiter erforscht und dadurch neue Forschungsansätze geschaffen.

3.3. Intrinsische Lernmotivation

In den letzten Jahren haben verschiedene Ansätze im Bereich der intrinsischen Lernmotivation an Bedeutung gewonnen. Dieses Kapitel soll durch die Charakterisierung intrinsischer Motivation und deren Effekte die folgenden intrinsischen Motivationstheorien einleiten, die in Kapitel 3.4. vorgestellt werden.

3.3.1. Abgrenzung intrinsischer von extrinsischer Motivation

Motivation ist eine Bedingung, eine zentrale Voraussetzung des Lernens. Jedoch ist nicht nur die Stärke der Motivation für das Lernen relevant, sondern vielmehr auch die Art der Motivation (Csikszentmihalyi & Schiefele 1993, S. 207). Sie kann sowohl intrinsisch als auch extrinsisch vorliegen. Wenn eine Handlung intrinsisch motiviert vollzogen wird, liegen die Gründe der Durchführung im Bereich der Handlung selbst, weil sie als interessant oder spannend erlebt wird. Csikszentmihalyi (1985) verwendet den Begriff „autotelisch“, um die Spontaneität dieser Art „freundvollen Tuns“ (Deci & Ryan 1993, S. 225) zu kennzeichnen. Neben Spontaneität beinhaltet intrinsische Motivation Neugier, Exploration und Interesse an den unmittelbaren Gegebenheiten der Umwelt.

Im Gegensatz dazu liegen bei einer extrinsisch motivierten Handlung die Gründe der Durchführung in deren Folgen, sei es eine Belohnung bei gut vollbrachter Leistung oder einer Bestrafung bei weniger gut, oder nicht vollbrachter Leistung. Diese Folgen haben nichts mit der Lernhandlung und dem Gegenstand selbst zu tun.

Die Gegenüberstellung extrinsischer und intrinsischer Motivation kann mit der Unterscheidung zwischen situativer und subjektiver Lernmotivation von Perkun (1993) verglichen werden. Situative Lernmotivation liegt darin begründet, dass eine Aufgabenstellung und -lösung zu einem Kompetenzzuwachs führt. Bei subjektiver Lernmotivation hingegen liegt das Ziel aus der Lernperspektive primär in der Aufgabenbearbeitung und nicht im resultierenden Lerngewinn, wie es zum Beispiel bei Diskussionen, Aufsätzen und Mannschaftsspielen der Fall sein kann (Perkun 1993, S. 72). Der Unterschied zwischen der klassischen Unterscheidung in intrinsische und extrinsische Motivation und dieser Differenzierung der Lernmotivation von Perkun ist rein begrifflicher Art: Perkun schreibt nicht von einer allgemeinen „Belohnung“, mit der üblicherweise die extrinsische Motivation definiert wird, sondern von dem Anreiz „Kompetenzzuwachs“.

Die intrinsische Lernmotivation wurde in den letzten zwanzig Jahren vielfach untersucht. Man differenziert zwischen intrinsischer Lernmotivation als aktuellen Zustand sowie als stabilen Persönlichkeitszustand. Außerdem wird unterschieden zwischen der Motivierung, die aus der Aktivität der Lernhandlung heraus entspringt (beispielsweise aus dem Lesen, welches selbst motivierend wirkt), und der Motivation, die durch die Eigenschaften des Gegenstandes der Handlung hervorgerufen wird (dann ist nicht das Lesen Hauptgrund der Motivation, sondern die Physik, über die im Buch geschrieben wird). Schiefele & Schreyer (1994) bezeichnen diese zwei verschiedenen Arten der intrinsischen Lernmotivation als tätigkeits- oder gegenstandszentriert.

3.3.2. Effekte und Vorteile für das Lernen

Es gibt einige Studien (vgl. Schiefele & Schreyer 1994), die darauf hindeuten, dass intrinsisch motiviertes Lernen positivere Folgen als das extrinsisch motivierte hat,

- sei es im emotionalen Erleben,
- das Selbstwertgefühl betreffend,
- im Bewältigungsverhalten nach Misserfolg
- oder ob es die Ergebnisse von Lernprozessen betrifft.

Daher gilt die intrinsische Lernmotivation als pädagogisch wünschenswert und es wird nach Methoden geforscht, die diese intrinsische Motivation fördern und im schulischen Unterricht erhöhen können. Schiefele und Schreyer (1994) haben unterschiedliche Studien dieser Art untersucht und zusammen ausgewertet. Sie kamen dabei zu folgenden Ergebnissen:

- Intrinsische Motivation beeinflusst bzw. steigert die Lernleistung weitgehend unabhängig von kognitiven Fähigkeiten.
- Intrinsische und extrinsische Motivation unterscheiden sich hinsichtlich des tiefergehenden Lernens, da bei der intrinsischen Lernmotivierung die Lerneffekte über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben.
- Intrinsische Lernmotivation korreliert signifikant positiv mit der Verwendung tiefergehender Lernstrategien, d.h. intrinsisch motivierte Personen wenden weniger oberflächliche als strategisch sinnvollen Lernmethoden an (Schiefele & Schreyer 1994, S. 5ff).

Dem Ansatz der intrinsischen Motivation wurde aufgrund dieser Feststellung in den letzten Jahren immer mehr Beachtung geschenkt. Es haben sich viele einzelne Forschungsgebiete innerhalb des Großbereichs der intrinsischen Motivation gebildet. Wegen ihrer wachsenden Bedeutung werden im Rahmen dieser Arbeit in den nächsten Kapiteln verschiedene Konzeptionen aufgelistet, wobei die Selbstbestimmungstheorie detailliert diskutiert wird.

3.4. Konzeptionen der intrinsischen Lernmotivation

Der Forschungsbegriff der intrinsischen Lernmotivation kreiste zum einen um das Problem der Verminderung vorhandener intrinsischer Motivation aufgrund externer Verstärkung (z.B. Cameron & Pierce 1994) und zum anderen um die Frage, wie das Phänomen „Intrinsische Motivation“ an sich zu erklären sei (vgl. White 1959; Berlyne 1974).

Heckhausen (1989) beschreibt sechs Konzeptionen intrinsischer Lernmotivation, die jeweils einen anderen Aspekt betonen. Allen gemeinsam ist, dass intrinsisches Verhalten um seiner selbst willen oder aufgrund von Zielzuständen, die eng damit verbunden sind, erfolgt.

[...]


[1] vgl. Kapitel 3.3.

[2] Homöostase beschreibt die (selbstgesteuerte) Regulierung eines auftretenden Mangelzustandes. Diese Defizite werden durch Aktivität der Person behoben (vgl. Edelmann 2000).

[3] vgl. Kapitel 2.2.

[4] vgl. Kapitel 2.2.1.

[5] vgl. Kapitel 2.2.2.

[6] vgl. Kapitel 2.2.3.

[7] vgl. Kapitel 3.1.2.

Ende der Leseprobe aus 108 Seiten

Details

Titel
Auswirkung der Zensurengebung auf die Lernmotivation - Alternative Formen der Leistungsbeurteilung zur Förderung der Lernmotivation
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
108
Katalognummer
V32151
ISBN (eBook)
9783638329415
Dateigröße
1407 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Auswirkung, Zensurengebung, Lernmotivation, Alternative, Formen, Leistungsbeurteilung, Förderung, Lernmotivation
Arbeit zitieren
Benjamin Gill (Autor:in), 2002, Auswirkung der Zensurengebung auf die Lernmotivation - Alternative Formen der Leistungsbeurteilung zur Förderung der Lernmotivation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32151

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