E.T.A. Hoffmanns "Das Fräulein von Scuderi". Schmiedekunst zwischen Genie und Wahnsinn


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Historische Quellen

3. Das Werk „Das Fräulein Scuderi“

4. Der Goldschmied René Cardillac

5. Madeleine de Scudery

6. Die Kunstfiguren Cardillac und Scuderi

7. Fazit

1. Einleitung

„Der Erfolg der Kriminalnovelle Das Fräulein von Scuderi war so groß, dass der Verleger dem Autor- zusätzlich zu seinem Honorar- fünfzig Flaschen Rheinwein Rüdesheimer Hinterhaus (…) schickte, über die sich E.T.A. Hoffmann herzlich gefreut hat.“1

Sein Werk fand tatsächlich großen Anklang in der breiten Gesellschaft. So teilte Schillers Gattin Charlotte am 5.2.1820 Carl Ludwig von Knebel mit: „ (…) Es ist das Beste, was ich von Hoffmann gelesen; es ist so schön erzählt, so verständig und in einer Folge dargestellt, daß (sic) man sich darüber erfreuen muß (sic).“2

Ebenso wie Hoffmann den Wein liebte, hatte er eine Neigung zum Anormalen und Abgründigen, was ebenfalls in seiner Erzählung „Das Fräulein von Scuderi“ erkennbar wird. An der Hauptfigur wird deutlich, dass nur ein schmaler Grad zwischen Genie und Wahnsinn liegt, der in den Abgrund führen kann.3 Bedingt durch seine andauernde und auffallend scharfe Selbstbeobachtung, schreibt der Dichter seine Einfühlungsgabe der seelischen Zwangslage eines Künstlers zu, der sich von einem Kunstwerk trennen soll.

Zuerst einmal werde ich auf die Historischen Quellen eingehen, an denen sich Hoffmann orientierte, um sein Werk zu schreiben. Danach wende ich mich dem Werk selbst zu. In diesem Abschnitt findet sich ebenfalls eine kleine Inhaltsangabe, die nötig ist, um die Hauptprotagonisten in den Kontext einordnen zu können. Danach handelt meine Hausarbeit von den beiden Hauptfiguren Cardillac und das Fräulein Scuderi. Ziel dieser Arbeit ist es, den Bezug zwischen Verbrechertum und Künstlertum darzulegen und die Kriminalität Cardillacs zu durchleuchten. Warum ist er zu diesem skrupellosen Mörder geworden? Darüber hinaus soll die Rolle der Scuderi in der Erzählung enthüllt werden.

2. Historische Quellen

Der Erstdruck wurde im Herbst 1819 publiziert und erschien in dem „Taschenbuch für das Jahr 1820. Der Liebe und Freundschaft gewidmet“ und später im Sammelwerk Serapions- Brüder. Er betrieb für seine Erzählung ein eingehendes Quellenstudium.4 „Symptomatisch für die Erzählweise Hoffmanns ist, dass er sich nahezu für alle Erzählungen eines historischen Quellenstudiums unterzieht, wobei das Quellenmaterial mehr oder weniger zuverlässig genannt werden mag.5 Vor allem stützte sich sein Werk auf die Übersetzung von Voltaires „Siécle de louis XIV“. Daher stammen viele Namen, die Hoffmann gebrauchte. Er erkundigte sich gewissenhaft über das geschichtliche Paris, damit er die Verhältnisse in Frankreich während des 17. Jahrhunderts wiedergeben konnte.6 Historische Geschehnisse werden fließend in die Erzählung mit eingebunden um somit das Entsetzen und die Momente des Verdachts der fiktiven Ereignisse zu bekräftigen. In einer andauernden Bezugnahme auf reale historische Abläufe orientiert Hoffmann sich hauptsächlich auf zwei Quellen, in welchen eine Schilderung Paris konstruiert wird: „Causes célébres et intéressantes“ von Gayot de Pitaval und „Nürnberger Chronik“ von Johann Christoph Wagenseils.7 Letzere war der Anlass zu der Erzählung Hoffmanns.

3. Das Werk „Das Fräulein von Scuderi“

Der Ort der Handlung von Hoffmanns Werk ist Paris in der Zeit Ludwigs XIV., worauf schon der Untertitel des Werks schließen lässt. Somit bietet Hoffmanns Werk aus diesem Zeitalter eine geschichtlich- politische Dimension, welche das Geschehen realistisch fixiert. Dies zeigt sich als der eine Grundpfeiler, welcher gepaart mit der inneren Welt Cardillacs als weiterer Stützpfeiler das Erzählgerüst trägt. Der Bereich der zeitgenössischen Naturphiloshie wird hingegen herangezogen, um die Darbietung der inneren Welt Cardillacs veranschaulichen zu können. Zudem demonstriert er hiermit die Abhandlung schicksalhafter Verflechtungen „wie mit dem Keim der schönsten Blume der Wurm mit geboren werden kann, der sie zum Tode vergiftet.“8

„Das Fräulein von Scuderi“ ist verknüpft von äußerer (historischer) und innerer (poetischer) Welt der dichterischen Vorgehensweise, des so genannten serapiontischen Prinzips. Für Hoffmanns Werk „Das Fräulein von Scuderi” gibt es diverse Interpretationen, über welche sich die Forschung bis dato noch streitet: als erste Detektiverzählung, als Gesellschafts- und Herrschaftskritik, als Heilgeschichte oder als Künstlernovelle. Erst zusammen liefern die einzelnen Aspekte die Erzählung. Oder mit anderen Worten:

„Eine Detektivhandlung umrahmt von einer galanten Hofgeschichte, eingewoben, in eine Kriminalhandlung, die sich aus dem verbrecherischen Untergrund von Paris und aus dem Abgrund der Seelen hervordrängt.“9

Bedeutsam ist für ihn die Einbildungskraft, welche die Verhältnisse von Welt und Gesellschaft unwirksam werden lässt. Seine romantische Objektivität baut auf souveräne Weise mittels der Ironie ein neues Bezugssystem, in welchem die Verbindungen der realen Welt auf absonderliche Weise bizarr dargestellt werden können. Ironie und Komik konstruieren eine reiche innere Welt. Dabei geht der Wechsel vom Realen zum Fantastischen, vom Normalen zum Anormalen, vom Gesunden zum Kranken ineinander über. Psychologische, künstlerische und juristische Einflüsse Hoffmanns treffen in dieser Novelle aufeinander.

Vor dem Hintergrund einer charakteristischen Biografie und weitreichenden politischen Geschehnisse, ist Hoffmanns Werk als Teil eines künstlerischen Gesamtwerks, welches ebenfalls Musik, Theater und Malerei beinhaltet, zu betrachten.10

Hoffmann war als Jurist an den preußischen Staat als Arbeitgeber gebunden. Das Dienstverhältnis war geprägt von Maßnahmen wie Strafversetzung und Zensur. Trotz alldem war er in seinem Denken und Handeln autonom.

Hoffmanns typische Erzählkunst ist deutlich erkennbar, nämlich die fatalistische Schutzlosigkeit seiner Protagonisten gegenüber einem absonderlichen, düsteren Schicksal. Diesem und undurchsichtigen dämonischen Gewalten sind sie erlegen. Darüber hinaus wird die Kompliziertheit und Vielschichtigkeit der Verbindungen und die Komplexität der Charaktere durch Hoffmanns brillanten und effektvolle Erzähltechnik gesteigert, die den Leser in einen regelrechten Erzählstrudel hineinzieht.

Die Geschichte spielt zur Zeit der Regentschaft des Sonnenkönigs Ludwig XIV. In der Stadt Paris gab es eine Serie von Raubmorden. Junge, vermögende Liebhaber, die wertvolle Schmuckstücke von dem Goldschmied Cardillac ihrer Geliebten schenken wollten, wurden auf dem Weg zu ihnen getötet. Der König bat um die Aufklärung der Taten, doch seine Beamten wussten ebenfalls keinen Rat. Um die Wichtigkeit zu unterstreichen, übermittelte man dem König ein Gedicht im Namen der Gefährdeten. Als er darauf um die Meinung der 73-jährigen, angesehen Schriftstellerin Scuderi bat, gab diese ihm folgende Antwort:

„Un amant, qui craint les voleurs, n’est point digne d’amour.“11 Der König war von diese Äußerung überrascht, so dass er das Fräulein sogleich mit der Aufdeckung vertraut machte. Ein paar Tage später klingelte ein unbekannter Mann an der Haustüre der Scuderi und überbrachte dem Fräulein ein kleines Kästchen. Als die alte Dame das Kästchen öffnete, erspähte sie ein Schmuckstück, welches ebenfalls ein Werk von dem Goldschmied war. Ihr war durchaus bewusst, dass sie diesen Schmuck nicht behalten konnte, daher wollte sie sich mit Cardillac treffen. Dieser war so angetan von der Dame, sodass er ihr den Schmuck schenkte. Ein paar Monate später händigte ihr ein Unbekannter einen Zettel aus, auf welchen geschrieben stand, dass sie den geschenkten Schmuck sofort zurückgeben müsse, ehe noch Schlimmeres passiere.

Am nächsten Tag wurde Cardillac tot in seiner Werkstatt aufgefunden. Als Verdächtiger wurde Cardillacs Gehilfe Olivier Brusson verhaftet. Die darauffolgende Handlung ist jedoch für das Verständnis der beiden Charaktere, die im folgenden beschrieben werden, nicht relevant. Wichtig ist, dass Cardillac nicht auf das brutale Zurückholen seines Schmucks verzichten konnte. Als er das Schmuckstück, welches er der alten Dame netterweise übergab, zurückholen wollte, kam es aus Versehen zu einem Konflikt zwischen einen Offizier, welcher Cardillac tödlich verwundete. Da Olivier Brusson dieses Geschehen sah, zog er seinen tödlich verletzten Meister zur Werkstatt, wo dieser letzten Endes starb. Daher dachte man, dass Olivier der Mörder wäre. Diese Vermutung wurde jedoch im Laufe der Geschichte revidiert und Olivier wurde freigesprochen.

4. Der Goldschmied René Cardillac

Hoffmann lässt abrupt mit dem ersten Besuch Oliviers bei Frau Scuderi die Handlung beginnen. Danach führt er den Leser mit außergewöhnlicher erzählerischer Raffinesse über die Vordergrundhandlung des historischen Szenariums und über die Rolle der Scuderi hin zur Zentralfigur des Goldschmieds, die im dubiosen Dunkeln bleibt.

Cardillac wirkt durch seine Ermordung erst einmal frei von jedem Verdacht, lustigerweise geht es dabei um den Totschlag des Mörders. Durch das sogenannte „Bandenmotiv“ wird der Leser anfangs in die Irre geführt. Bereits zu Beginn der Juwelenmorde gibt es latente Anspielungen auf ein mögliches Verschulden des Goldschmieds, jedoch gilt dieser lange Zeit als Unverdächtiger.

Der Dichter betont von vorneherein das Doppelbödige und Vielschichtige an Cardillacs Erscheinungsbild und Wesen. Einerseits verkörpert er den Künstler par excellence, andererseits geht etwas Unheimliches und Unberechenbares von seinem Wesen aus. Das Zwiespältige und Absonderliche Cardillacs zeichnet Hoffmann deutlich in des Goldschmiedes Verhältnis zum kostbarem Geschmeide. „René Cardillac war damals der geschickteste Goldarbeiter in Paris, einer der kunstreichsten und zugleich sonderbarsten Menschen seiner Zeit.. „(...) Wäre Cardillac nicht in ganz Paris als der rechtlichste Ehrenmann, (…)„.der ehrliche, brave Meister“ (…) „sein ganz besonderer Blick (...) die grün funkelnden Augen hätten ihn in den Verdacht heimlicher Tücke und Bosheit bringen können.“12 Der achtsame Leser kann bereits bei dieser zwiespältigen Schilderung ahnen, dass sich hinter der Fassade des Künstlers etwas Abgründiges verbergen könnte.13 Darauf weißen vor allem seine „funkelnden Augen“ hin. E.T.A Hoffmann benutzt in seinen Erzählungen immer wieder das sogenannte „Augenmotiv“. Das bedeutet, dass das Auge das Organon der Seele ist, an welchem Gefühle und Charaktereigenschaften erkennbar sind. Spätestens in der Romantik gilt es als „Sprachorgang des Gefühls“.14

Mit vehementer Charakterisierungskunst initiierte Hoffmann die Enthüllung des kriminalistischen Mysteriums, welches psychologisch mit der prekären Existenz eines künstlerischen Genies in einem bizarr hässlichen Körper konstruiert wurde.

Mit seiner einmaligen Kunstfertigkeit verwandelte er sogar minderwertige Steine zu hinreißenden Schmuckstücken und wollte dafür nicht teuer entlohnt werden. Er nahm alle Aufträge mit „brennender Begierde“15 an. „Mit Besessenheit“16 führte er seine Aufträge aus. Als er aber seine fertigen Schmuckstücke ausliefern hätte sollen, wurde er „grob und trotzig“17 oder weinte und schluchzte, denn er wollte die in Auftrag gestellten Arbeiten nicht hergeben. „Selbst wusste ich nicht, wie es kam, dass ich einen unaussprechlichen Haß auf die warf, denen ich Schmuck gefertigt.

[...]


1 Vgl.: Lübke, Diethard: E.T.A. Hoffmann. Das Fräulein von Scuderi. Kriminalnovelle. Berlin 2006. Einleitung.

2 Vgl. Ebd.: S. 82.

3 http://www.zeit.de/2013/34/psychopaten-irre-erfolgreich-manager/seite-3 (zuletzt aufgerufen am 21.03.2016).

4 März 1818 schreibt Hoffmann in Berlin an seinen Leibibliothekar Kralowsky: „ Mit dem verbindlichsten Danke sende ich Ihnen, Verehrtester Freund! Die Meierschen Briefe und ,Paris wie es war´ pp zurück, aus denen ich einige Notizen entnommen. Sollten Sie nicht die Übersetzung von Voltair´s Siecle de Louis XIV besitzen, so giebt (sic) es ein Paar Romane von der Frau von Genlis (sic) die im ZeitAlter (sic) Ludwig des Vierzehnten spielen, der eine ist ni fallor, de Geschichte der La Valiere pp. Außerordentlich würden Sie mich verbinden, wenn Sie mich mit einem solchen Werklein aus der Verlegenheit ziehen könnten. Hochachtungsvoll Hoffmann 28 Maerz (sic). Die Bücher, die von Hoffmann in diesem Schreiben erwähnt werden, sind alle als Quellen für die Novelle „ Das Fräuein von Scuderi“ auszumachen. Dies ist der erste indirekte Hinweis auf die Arbeit an der Novellenkonzeption. Aus einem Brief Hoffmanns an die Salonschriftstellerin Helmina von Chézy vom 17.10.18 geht hervor, dass der Dichter das Manuskript der Erzählung an den Herausgeber des „Taschenbuchs für das Jahr 1820. Der Liebe und Freundschaft gewidmet“ abgesandt hattte.
Vgl.: Günzel, Klaus: E.T.A Hoffmann. Leben und Werk in Briefen, Selbstzeugnissen und Zeitdokumenten. Berlin 1976. S. 22f.

5 Vgl.: Bahners, Klaus; Eversberg, Gerd; Poppe, Reiner: E.T.A Hoffmann. Hollfeld 1995. S. 109.

6 Vgl.: Bönnighausen, Marion: E.T.A. Hoffmann. Der Sandmann/ Das Fräulein von Scuderi. München 1999. S. 71.

7 Vgl. Ebd.: S. 71.

8 Vgl.: Deterding, Klaus: Das allerwunderbarste Märchen. E.T.A Hoffmann Dichtung und Weltbild. Band 3. Würzburg 2003. S. 136.

9 Vgl.: Bönnighausen, Marion: E.T.A. Hoffmann. Der Sandmann/ Das Fräulein von Scuderi. S. 82.

10 Vgl.: Ponert, J. Dietmar: E.T.A Hoffmann- Das bildkünstlerische Werk. Ein kritisches Gesamtverzeichnis. Band 1. Bamberg 2012.

11 Vgl.: E.T.A Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi. Stuttgart 1994 . S. 18 .

12 Vgl.: E.T.A Hoffmann (Hg.): Das Fräulein von Scuderi. S. 11. https://wolnelektury.pl/media/book/pdf/das-fraulein-von-scuderi.pdf (zuletzt aufgerufen am 21.03.2016).

13 Vgl.: Bönnighausen, Marion: In: Vormbaum, Thomas (Hg): Das Fräulein von Scuderi. Juristische Zeitgeschichte. Abteilung 6. Münster 2010. S. 100.

14 Vgl. Ebd.: S. 100f.

15 Vgl: https://wolnelektury.pl/media/book/pdf/das-fraulein-von-scuderi.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.03.2016).

16 Vgl. Ebd.: S.13f.

17 Vgl. Ebd.: S. 12

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
E.T.A. Hoffmanns "Das Fräulein von Scuderi". Schmiedekunst zwischen Genie und Wahnsinn
Hochschule
Universität Wien
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
16
Katalognummer
V321519
ISBN (eBook)
9783668209374
ISBN (Buch)
9783668209381
Dateigröße
498 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
E.T.A. Hoffmann, Das Fräulein von Scuderi, historische Quellen
Arbeit zitieren
Stefanie Fritz (Autor:in), 2016, E.T.A. Hoffmanns "Das Fräulein von Scuderi". Schmiedekunst zwischen Genie und Wahnsinn, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/321519

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