Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Soziale Diskriminierung
2.1 Sozialpsychologische Ansätze
2.2 Soziologische Ansätze
3. Integration nach Hartmut Esser
3.1 Systemintegration
3.2 Sozialintegration
4. Bildung, institutionelle Diskriminierung und Integration
4.1 Institutionelle Diskriminierung im deutschen Bildungssystem
4.2 Institutionelle Diskriminierung und Integration
5. Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 - Artikel zu Migration / Integration in deutschen Fachzeitschriften
Abbildung 2 - Typen der Sozialintegration von MigrantInnen
Abbildung 3 - Systemintegration und die vier Dimensionen der Sozialintegration
Abbildung 4 - Schulabsolventen/-abgänger nach Staatsangehörigkeit und Abschlussart 1992, 1998 und 2008
Abbildung 5 - Ausländische und deutsche Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen in der Sekundarstufe I und II im Schuljahr 2005/2006
1. Einleitung
Es ist laut! Die Stadt ist voll von Shopping-Hungrigen, die mit schweren Taschen und bunten Plastikbeuteln von Ladenzeile zu Ladenzeile ziehen. Im Trubel der Betriebsamkeit hört man fremde Sprachen und erkennt Menschen, die offensichtlich anders sind als der Großteil der Menschenmenge. An der Ecke zum neuen Kaufhaus singt erneut die Sinti-Familie und erbittet von den mit Beuteln beladenen Vorbeiziehenden ein „Almosen“ für ihre Darbietung. Eine Straße weiter verkauft ein Türke mit emotionaler Hingabe und ausschweifenden Gesten seine traditionellen Landesgerichte. Weitere Nationen reihen sich in die kulinarische Vielfalt der Angebotspalette ein. Chinesen, Vietnamesen und Inder bieten ihre Produkte und Dienstleistungen zum Kauf an und kommunizieren in gebrochener deutscher Sprache mit ihren Kunden. Diese Menschen sind ein Teil des Stadtbildes geworden und doch werden sie als Fremde erkannt und kategorisiert. Im alltäglichen Leben spielen sie oftmals nur in genannter Art und Weise eine Rolle im Gefüge der deutschen Gesellschaft. Selten trifft man den Türken am Nachmittag im Fußballverein oder geht mit der Sinti-Familie einen Kaffee trinken, um Neuigkeiten des Lebens auszutauschen...
Hat Integration versagt, wenn Menschen aus anderen Ländern mit andersartigen Merkmalen geduldet, aber nicht beachtet werden? Sind es Vorurteile und Stereotype, die den Deutschen davon abhalten, den Fremden in die Mitte seines Lebens aufzunehmen? Oder benötigen wir sogar die Unterschiede, um uns selbst zu erkennen? Glaubt man den Sozialpsychologen Mummendey, Kessler und Otten, so wird „erst mit der Wahrnehmung unterschiedlicher Gruppen in einem gemeinsamen sozialen Kontext [...] die jeweilige Gruppenzughörigkeit sichtbar.“ (Mummendey / Kessler / Otten, 2009, S. 47). Ähnlich beschreibt es auch Mead (1934), der sich sicher ist, dass wir nur ein Bewusstsein von uns selbst entwickeln können, wenn wir uns aus der Sicht der anderen beobachten (Abels, 2004, S. 295). Demnach unterscheiden wir Menschen, die uns ‚ähnlich’ sind von denen, die ‚anders’ sind als wir. Aber wer sind diese ‚anderen’? Oft sind es unterschiedliche Kulturen, Religionen oder ethnische Hintergründe, die den Vergleich zwischen Menschen ermöglichen. Aber auch äußerliche Merkmale wie Hautfarbe, Geschlecht und Alter spielen eine wichtige Rolle. Die „anderen“ durchdringen sämtliche Bereiche des Lebens, werden meist negativ bewertet und mit Gefühlen wie auch Urteilen belegt. Schnell entstehen Muster, die sich in Stereotype gießen und sich quer durch die Gesellschaft manifestieren. Die große Gefahr, die dahinter steht, ist die soziale Diskriminierung. Wenn die ‚anderen’ nicht nur beurteilt, sondern auch benachteiligt behandelt werden, dann spricht man von Diskriminierung (Kessler / Mummendey, 2007, S. 489). „Vorurteile, Stereotypen und Diskriminierung sind keine Erfindung der Wissenschaft, sie sind reale Phänomene.“ (Förster, 2009, S. 13). „Neben dieser Betrachtungsweise von Diskriminierung als Interaktion von Individuen oder Gruppen wird in der Soziologie heute zusätzlich Diskriminierung durch Institutionen und Strukturen erfasst.“ (Liebscher / Fritzsche, 2010, S. 27). In dieser Arbeit werden die Untersuchungsfelder der Sozialpsychologie und Soziologie zum Thema ‚Soziale Diskriminierung’ vorgestellt und ihre Begrifflichkeiten skizziert. Weiter wird Integration nach Hartmut Esser definiert und überprüft, ob ‚Soziale Diskriminierung’ einen Einfluss auf Integration ausübt. Da das Forschungsgebiet schier unerschöpflich scheint, wird in dieser Abhandlung das Themenfeld Bildung hinsichtlich institutioneller Diskriminierung genauer betracht
In dem genannten Bereich wird untersucht, ob ‚Soziale Diskriminierung’ relevant ist und welche Einwirkung sie auf Migranten in diesem Lebenskomplex hat.
2. Soziale Diskriminierung
„Erfahrungen von sozialer Benachteiligung und Diskriminierung gehören in fast allen Teilen der Welt für viele Menschen zu den alltäglichen Erfahrungen des Lebens.“ (Ziegler / Beelmann, 2009, S. 357). Diskriminierung kann sich hierbei in variantenreichen Formen wiederfinden und ist in den unterschiedlichsten Kontexten „[...] zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Handelns [...]“ nachweisbar. „Sie kann auf interpersonaler, intergruppaler, struktureller oder institutioneller Ebene erfolgen und sich auf verschiedene biologische und soziale Merkmale wie zum Beispiel Ethnie, Geschlecht, Alter und soziale Klasse beziehen.“ (Ziegler / Beelmann, 2009, S. 357). Diese einführende Einschätzung von Ziegler und Beelmann beschreibt die Vielfältigkeit der Thematik und verdeutlicht, dass vor allem die unterschiedlichen Ebenen die Wissenschaft vor Herausforderungen stellen und verschiedene Ansätze zur Erklärung des Phänomens ‚Soziale Diskriminierung’ nötig sind. Fachbereiche der Sozialpsychologie als auch der Soziologie arbeiten seit vielen Jahrzehnten an der Erstellung von Theorien, welche den jeweiligen Entstehungsprozessen von ‚Sozialer Diskriminierung’ in den genannten Ebenen gerecht werden sollen. Im Folgenden werden zunächst die sozialpsychologischen Ansätze erläutert, die sich vorwiegend auf die interpersonalen und intergruppalen Ebenen beziehen (Jonas / Beelmann, 2009, 24). Eine anschließende Sicht auf die soziologischen Untersuchungen beschreibt zum einen, dass das Phänomen ‚Soziale Diskriminierung’ auch aus systemtheoretischer Perspektive betrachtet werden muss und zum anderen eine Überschneidung der Fachbereiche keineswegs ausgeschlossen ist (Hormel, 2007, S. 17).
2.1 Sozialpsychologische Ansätze
‚Soziale Diskriminierung’ ist seit den Forschungsanfängen der Sozialpsychologie eines der zentralen Themen der psychologischen Theorienbildung (Petersen / Six, 2008). „Die einflussreichste Definition von sozialer Diskriminierung in der Psychologie stammt von Gordon W. Allport (1954): ‚Diskriminierung liegt vor, wenn einzelnen oder Gruppen von Menschen die Gleichheit der Behandlung vorenthalten wird, die sie wünschen. Diskriminierung umfaßt alles Verhalten, das auf Unterschieden sozialer oder natürlicher Art beruht, die keine Beziehung zu individuellen Fähigkeiten oder Verdiensten haben noch zu dem wirklichen Verhalten der individuellen Person.’ “ (Petersen / Six, 2008, S. 161). Kessler und Mummendey folgen dieser Definition und heben vor allem das negative, benachteiligende oder abwertende Verhalten gegenüber sozialer Gruppen und ihren Mitgliedern hervor (Kessler / Mummendey, 2007, S. 489). Weitere neuere Auslegungen betonen, dass soziale Diskriminierung schon entsteht, wenn allein über Bevorzugung oder Ablehnung von Personen oder Gruppen entschieden wird, einzig auf Basis der Zugehörigkeit zu anderen Gruppen oder Kategorien (Petersen / Six, 2008, S. 161). In der Sozialpsychologie werden die Begriffe Gruppe und Kategorie streng von einander getrennt. Während die soziale Gruppe eine Anzahl von Individuen darstellt, die auf sozialen Beziehungen und einer gemeinsamen Identität beruht, also interagiert, gemeinsame Interessen und Ziele verfolgt; beschränken sich die Kategorien auf Bezeichnungen sozialer Gruppen. Dies kann entweder aus der psychologischen Selbstkategorisierung entspringen, also von innen, oder aus der soziologischen Kategorisierung, eben von außen (Jonas / Beelmann, 2009, S. 22). „Der Unterschied zwischen den Begriffen soziale Gruppe und Kategorie besteht also darin, dass soziale Gruppen tatsächliche Beziehungen und soziale Strukturen kennzeichnen, während Kategorien allein Selbst- und Fremdbezeichnungen von sozialen Gruppen sind.“ (Jonas / Beelmann, 2009, S. 22). Nach der Beschreibung von Allport (1954) dient die soziale Kategorisierung als Grundlage für ‚Soziale Diskriminierung’. Entscheidend ist hierbei die Tatsache, dass Allport den Opfern die Zuschreibung von Diskriminierung in die Hände legt und sie darüber bestimmen lässt, ob die Behandlung durch Dritte illegitim ist oder nicht. „Bemerkenswert bei dieser sogenannten relationalen Definition von Diskriminierung ist, dass nur das Opfer erfahrene Behandlung beziehungsweise Verhalten des Dritten zu Diskriminierung erklären kann.“ (Jonas / Beelmann, 2009, S. 24). Somit wird der Begriff Diskriminierung aus der Opferperspektive erläutert und bedarf einer Aushandlung zwischen Opfern und Tätern so wie nicht direkt betroffenen Personen und Gruppen. Eine mitunter große Perspektivendivergenz der einzelnen Akteure geht dieser Tatsache voraus und beschreibt, dass unterschiedliche Meinungen und Ansichten über die Rechtmäßigkeit eines Verhaltens vorhanden sein können (Jonas / Beelmann, 2009, S. 23). Neben der relationalen Annahme wird in der Sozialpsychologie auch der normative Ansatz erforscht, der sich aus der Vorurteilsperspektive erklärt. „Im Vergleich zur Diskriminierung ist aber in der Vorurteilsperspektive die normative Frage der Rechtfertigung bei der Ausführung vorurteilsbehafteter Verhaltens bereits beantwortet, der gesellschaftliche Aushandlungsprozess bereits durchlaufen.“ (zit. nach Sechrist / Stangor, 2001 zit. In: Jonas et al., 2009, S. 24). Vorurteile werden durch Brown (1995) als „negativer Affekt“ oder „feindliches Verhalten“ gegenüber bestimmten sozialen Gruppen oder ihren Mitgliedern definiert, welches auf Antipathie und abwertenden Einstellungen beruht (Kessler / Mummendey, 2007, S. 489). „Der Begriff Vorurteil beschreibt somit Emotionen und Verhalten und bewertet sie vor einem normativen Hintergrund.“ (Jonas et al., 2009, S. 23). Auch wenn Vorurteile und Diskriminierungen in positiver Form auftreten können, konzentriert sich diese Arbeit auf die negativen Ausprägungen des Phänomens. Jonas und Beelmann unterscheiden in der Sozialpsychologie zwei unterschiedliche Forschungsansätze, die sich weitgehend der Vorurteils- beziehungsweise Diskriminierungssichtweise zuordnen lassen. Zum einen gibt es die Intergruppenpsychologie, die Aushandlungsprozesse zwischen Opfer- und Tätersicht untersucht und eher dem relationalen Definitionsansatz folgt (Jonas et al., 2009, S. 24f). Hierzu gehört unter anderem das Paradigma der minimalen Gruppe, welches speziell zur Untersuchung von Kategorisierungseffekten als erstes von Tajfel im Jahr 1971 verwendet wurde (Petersen / Blank, 2008, S. 200). Zum anderen verfolgt die Sozialpsychologie den eher normativen „ Social-Cognition Ansatz“, der sich mit den interpsychischen, kognitiven Prozessen des Individuums befasst. „Zentrale Gegenstände sind die Wahrnehmung, die Bewertung und die Repräsentation sozialer Stimuli, die kognitiven und affektiven Determinanten menschlicher Informationsverarbeitung und die verhaltensrelevanten Konsequenzen dieser Prozesse [...].“ (Jonas et al., 2008, S. 25). Hier sind als Wegweiser der Sozialpsychologie vor allem die Wissenschaftler Adorno, Frenckel-Brunswick, Levinson und Sanford zu nennen, die 1950 mit ihrer berühmten Theorie der autoritären Persönlichkeit einen Grundstein für die weitere Forschung legten (Kessler / Mummendey, 2007, S. 491).
Eine Typisierung von ‚Sozialer Diskriminierung’ wurde in der sozialpsychologischen Forschung nur von wenigen vorangetrieben. Feagin und Eckberg unternahmen 1980 den Versuch und unterschieden zwischen isolierter Diskriminierung, Diskriminierung durch Gruppen und institutioneller Diskriminierung (Petersen / Six, 2008, S. 161). Bei der isolierten Diskriminierung gehen Feagin und Eckberg davon aus, dass diskriminierende Verhaltensweisen von einzelnen Personen gegenüber anderen Personen ausgeübt werden, weil sie einer bestimmten Gruppe oder sozialen Kategorie angehören. Ein institutioneller Kontext ist hier noch nicht erkennbar. Die Diskriminierung durch Gruppen ist dann zu betrachten, wenn kleine Gruppen andere Gruppen aufgrund ihrer Zugehörigkeit und Kategorie diskriminieren. Wichtig ist hierbei, dass die Gruppen dieses Verhalten ohne direkte Unterstützung von Institutionen oder Organisationen aufzeigen (Petersen / Six, 2008, S. 161). „Unter institutioneller Diskriminierung verstehen Feagin und Eckberg solche diskriminierenden Verhaltensweisen, die durch institutionelle oder organisationsbedingte Kontexte hervorgerufen, aufrechterhalten oder verstärkt werden (z. B. die in Südafrika bis in die neunziger Jahre praktizierte Apartheidpolitik).“ (Petersen / Six, 2008, S. 161). Vor allem die Theorie der institutionellen Diskriminierung findet in der Soziologie der Bundesrepublik Deutschland starken Widerhall und wird von SoziologInnen wie Hormel, Scherr, Gomolla und Radtke vertiefend aufgegriffen (Hormel, 2007).
2.2 Soziologische Ansätze
Aufbauend auf soziologische Konstrukte und Theorien von Blumer (1980), Schütz (1957) und Elias (1960), sind es vor allem Hormel und Scherr, die eine sozialwissenschaftliche Diskriminierungsforschung in Deutschland fokussieren, welche nicht auf handlungstheoretische oder gruppenbezogene Analysen beschränkt ist (Hormel, 2007). Vielmehr geht es den deutschen Wissenschaftlern um die gesellschaftsstrukturelle, kulturelle, institutionelle sowie organisatorische Betrachtung von Diskriminierung (Hormel / Scherr, 2010, S. 11). „Im Unterschied zur angelsächsischen Soziologie (s. etwa Bilton/u.a. 1993: 135ff.; Giddens 1993: 255f.) ist Diskriminierung in der Bundesrepublik jedoch bislang nicht als eine eigenständige Kategorie soziologischer Gesellschaftsanalyse etabliert [...].“ (Scherr, 2008, S. 2008). Anschließend an die angelsächsische Debatte über „institutional racism“ von Feagin und Boher Feagin (1986) und die Analyse von Benachteiligung von Migranten im deutschen Bildungssystem von Gomolla und Radtke, sprechen sich Hormel und Scherr für eine weiterführende Diskriminierungsforschung aus, die nicht nur auf individuelle Meinungen, Einstellungen und sozialpsychologisch zu erklärende Gruppenprozesse aufbaut, sondern auf die Grundstruktur sozialer Systeme und ihre Realitäten schaut (Hormel / Scherr, 2010, S. 12ff.). „Folglich sind Unterschiede zwischen Klassen- und Schichten von Diskriminierungen als unterschiedliche Formen der (Re-)Produktion sozial relevanter Ungleichheiten nicht im Hinblick auf davon betroffene Gruppen, sondern dahingehend zu unterscheiden, was die jeweiligen strukturellen Bedingungen und die Prozesse sind, die jeweilige Unterschiede hervorbringen.“ (Scherr, 2008, S. 2008). Ein wichtiger Bezugspunkt ist für Scherr die offensichtliche Diskrepanz moderner Gesellschaften, die einerseits nach gleichen und freien Individuen streben und andererseits in der Realität ungleiche Lebenschancen und -bedingungen legitimieren (Scherr, 2010, S. 35).
Um das sozialpsychologische Verständnis von Vorurteilen als Ursache diskriminierender Handlung zu überwinden, beschreiben Hormel und Scherr weiterführende Dimensionen von Diskriminierungsformen und unterscheiden zwischen struktureller, institutioneller und interaktioneller Diskriminierung (Hormel, 2007, S. 14). „Individuelle Diskriminierung und Diskriminierung als Gruppenpraxis können als interaktionelle Diskriminierung charakterisiert werden, deren Grundlage sowohl diskriminierende Absichten, als auch Stereotype und Deutungsmuster sein können, die zu diskriminierenden Handlungen ohne bewusste Diskriminierungsabsicht führen.“ (Hormel / Scherr, 2004a, S. 28 zit. In: Hormel, 2007, S. 14f.). Strukturelle Diskriminierung umfasst vielmehr den „Normalvollzug“ etablierter Strukturen auf gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Ebene und schließt dabei institutionelle Diskriminierung ein. Hier sind Praktiken gemeint, die „[...] in rechtlichen oder organisationsspezifischen Erwartungsstrukturen begründet sind.“ (Hormel / Scherr, 2004a, S. 28 zit. In: Hormel, 2007, S. 14f.). Das Wort ‚institutionell’ beschreibt die Verortung der Ursachen von Diskriminierung und bezieht sich auf das Handeln im organisatorischen Sinne, welches in Netzwerken zentraler gesellschaftlicher Institutionen zu finden ist. Als Beispiele seien hier genannt der Bildungs- und Ausbildungssektor, Arbeits- und Wohnungsmarkt und das Gesundheitswesen (Gomolla, o. J., S. 2). „Die von Joe R. Feagin und Clairece Feagin (1986) vorgenommene Unterscheidung zwischen direkter und indirekter institutioneller Diskriminierung korrespondiert mit den Antidiskriminierungsgesetzen in einigen Ländern [z. B. das britische Antidiskriminierungsgesetz von 1976].“ (Gomolla, o. J., S. 2 eigene Hervorhebungen). Formen direkter institutioneller Diskriminierung sind demnach wiederkehrende, zielgerichtete Handlungen in Organisationen z. B. Vorschriften, gesetzlich-administrative Regelungen oder informelle routinemäßige Praktiken, die in den Organisationen verankert sind und sich unter anderem im Aufenthaltsrecht oder im Arbeitserlaubnisrecht wiederfinden. „Die indirekte institutionelle Diskriminierung zielt dagegen auf die gesamte Bandbreite institutioneller Vorkehrungen [,so genannter ‚ungeschriebener Gesetze’], die Angehörige bestimmter Gruppen [unbeabsichtigt] überproportional negativ treffen.“ (Gomolla, 2010, S. 67 eigene Hervorhebungen). In den Antidiskriminierungs-Richtlinien der EU (Richtlinie 2000, 43, EG) wird hingegen von unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung gesprochen (Scherr, 2008, S. 2011).
Weitere dichotome Unterscheidungsmöglichkeiten von Diskriminierung wie bewusste und unbewusste oder offene und verdeckte Diskriminierung lassen sich in der Fachliteratur ausmachen und beschreiben, dass diskriminierende Handlungen individueller Akteure nachteilige Folgen für andere Akteure produzieren (Liebscher / Fritzsche, 2010, S. 27). Aufgrund wahrgenommener sozialer oder ethnischer Unterschiede werden die Akteure einer anderen Gruppe demnach als minderwertig und ungleich angesehen und „[...] im Vergleich zu den Angehörigen des eigenen Kollektivs [...] entsprechend abwertend behandelt.“ (Liebscher et al., 2010, S. 27). In der vorliegenden Arbeit soll vor allem die institutionelle Diskriminierung gegenüber MigrantInnen in dem gesellschaftlichen Teilbereich Bildung skizzenhaft untersucht und ausfindig gemacht werden. Außerdem wird geprüft, inwieweit institutionelle Diskriminierung Einfluss auf die Integration von MigrantInnen ausübt.
3. Integration nach Hartmut Esser
Deutschland gilt nach Hans seit dem Machtwechsel zur rot-grünen Bundesregierung im Jahr 1998 als Einwanderungsland. „Der eingeleitete Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik und die sich zunehmend zeigenden Folgen der Versäumnisse vergangener Jahre führten dazu, dass Integration als dringliches Thema wahrgenommen wurde.“ (Hans, 2010, S. 14). Zu diesem Zeitpunkt lebten bereits 15 Millionen Menschen - ungefähr 20 Prozent der BRD-Gesamtbevölkerung - in Deutschland, die entweder im Ausland geboren worden oder im Ausland geborene Eltern hatten (Statistisches Bundesamt zit. In: Hans, 2010, S. 14). Anders als im Einwanderungsland USA, wurde das Phänomen der Migration soziologisch erst spät im deutschsprachigen Raum thematisiert. Erst Mitte der 90er Jahre wurden vermehrt Artikel mit migrationsbezogenen Inhalten abgedruckt und veröffentlicht (vgl. Abbildung 1; Hans, 2010, S. 16). „Die Artikel in der Zeitschrift für Soziologie sind dabei größtenteils Hartmut Esser zuzuschreiben.“ (Hans, 2010, S. 16). Die Theorie von Esser beschreibt Integration langfristig als unausweichlich und ist eine der Klassiker der deutschen Integrationsforschung (Fincke, 2008, S. 24). „Unter Integration wird – ganz allgemein – der Zusammenhalt von Teilen in einem „systemischen“ Ganzen verstanden, gleichgültig zunächst worauf dieser Zusammenhalt beruht. Die Teile müssen ein nicht wegzudenkender, ein, wie man auch sagen könnte, „integraler“ Bestandteil des Ganzen sein.“ (Esser, 2001, S. 1). Hiernach grenzt sich das System durch den beschriebenen Zusammenhalt von einer „bestimmten Umgebung“ ab und wird selbst als System erkannt (Esser, 2001, S. 1). Hans beschreibt, dass das Zusammenwirken der wechselseitig abhängigen Elemente einen anhaltenden Bestand des Systems gewährleistet, sich dieses aber auch verändern dürfe (Hans, 2010, S. 47). Integration ist für Esser in funktional differenzierten Gesellschaften am besten aus handlungstheoretischer-individualistischer Sicht zu betrachten. Demnach analysieren Akteure ihre Situation, wählen ein Verhalten und die unterschiedlichen persönlichen Entscheidungen verfestigen sich in einem gesellschaftlichen Ergebnis. „Dieser Dreischritt von Situationslogik, Wahllogik und Aggregationslogik wird getragen von rationaler Wahl (‚rational choice’), die auf dem geschätzten Nutzwert eines Verhaltens basiert.“ (zit. nach Esser, 2003 zit. In: Fincke, 2008, S. 24f.). Den Gegensatz zu Integration stellt die Segmentation dar und meint das beziehungs- und systemlose Nebeneinanderstehen der einzelnen Teile. „Integriert wäre beispielsweise eine Nachbarschaft als soziales System, wenn sich die Familien kennen und gegenseitig besuchen, sogar, wenn sie zeitweise in Konflikten miteinander stehen. Nicht-integriert bzw. segmentiert wäre die Nachbarschaft, wenn die Familien zwar räumlich beieinander wohnen, aber sonst nichts miteinander zu tun haben, isoliert nebeneinander her existieren und voneinander keinerlei Notiz nehmen.“ (Esser, 2001, S. 1). Das Nebeneinander ist nach Esser meist ungleich und ist gekennzeichnet von systematischer vertikaler sozialer Ungleichheit zwischen den ethnischen Gruppen und kann als „ethnische Schichtung“ bezeichnet werden (Fincke, 2008, S. 25). Soziale Systeme, also Gesellschaften, begründen sich nach Esser über soziale Verbindungen und soziales Handeln. Hierunter sind wechselseitig bezogene Orientierungen und Akte aber auch soziale Kontakte, Interaktionen, Transaktionen, Kommunikationen oder soziale Beziehungen und Konflikte zu verstehen. „Hinter diesen Vorgängen stehen drei Arten grundlegender gesellschaftlicher Strukturierungen: Materielle Interdependenzen [Ressourcen und Markt], institutionelle Regelungen [Verfassung, informelle und formelle Normen] und von den Akteuren geteilte kulturelle Orientierungen [Sprache, Werte, Gefühle und Bürgersinn].“ (Esser, 2001, S. 1ff. eigene Hervorhebungen).
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