Ein Vergleich zweier Präsenzkonzeptionen nach Erika Fischer-Lichte und Hans-Thies Lehmann


Hausarbeit, 2014

12 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Vergleichende Darstellung der Konzepte Erika Fischer-Lichtes und Hans-Thies Lehmanns
2.1 Aspekte der Körperlichkeit
2.2 Aspekte der Präsenz
2.2.1 Die abgeschwächte Präsenz
2.2.2 Die intensive Präsenz

3 Reichweite und Leistungsfähigkeit

4 Ergebnis und Schlussbetrachtung

5 Quellenverzeichnis

1 Einleitung

Der Begriff Präsenz wird heutzutage vielfältig und besonders im theaterwissenschaftlichen Kontext wiederholt verwendet. Im Alltag steht Präsenz häufig als übergreifendes Schlagwort und wird daher oft relativ oberflächlich gebraucht als Bezeichnung für die Anwesenheit einer oder mehrerer Personen. Im allgemeinen Verständnis kann Präsenz also definiert werden als „bewusst wahrgenommene Gegenwärtigkeit“1. Dies beinhaltet allerdings nur eine Bedeutungswiedergabe des Begriffs. Während man auf der einen Seite von physischer und mentaler Anwesenheit spricht, spielt auf der anderen Seite auch die körperliche Ausstrahlungskraft und deren Wirkung eine Rolle. Hier entsteht Präsenz erst in der aktiven Wahrnehmung durch ein Gegenüber, auf das sie ausgerichtet ist.

Übertragen auf den theaterwissenschaftlichen Bereich lassen sich also zwei Arten von Präsenzen unterscheiden. Die „abgeschwächte“ Präsenz, also die leibliche Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern im Theater, die nichts anderes meint als die „gemeinsame [und] geteilte Anwesenheit von Schauspielern und Publikum im Hier und Jetzt“2 und die „in- tensive“ Präsenz, die mit „Dimensionen der Abwesenheit, des Bruchs, Mangels, Entzugs und des Nichtverstehens“,3 arbeitet. Diese beinhaltet Momente der Sprachlosigkeit, Überwäl- tigung und Faszination, welche im postdramatischen Theater als besonders markant gelten.

So stellt sich beim Auseinandersetzen mit dem Ereignis Präsenz die Frage: Wie lässt sich das Phänomen Präsenz theoretisch fassen und welche Aspekte können im Vordergrund der Bemühungen stehen?

In folgender Arbeit sollen genau diese Fragen aufgegriffen und anhand von zwei Modellen, zwei unterschiedlichen theoretischen Auffassungen des Präsenzbegriffs, beantwortet werden. Dafür ausgewählt wurden die Konzepte von Erika Fischer-Lichte und Hans-Thies Lehmann, die im Folgenden vorgestellt werden. Das Ziel ist demnach, während der Beschreibung und Erläuterung der Modelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen. Verglichen wer- den hier die Auffassungen der Theaterwissenschaftler zu den Begriffen Körperlichkeit und Präsenz. Aus diesen Ergebnissen soll abschließend die Reichweite und Leistungsfähigkeit der beiden vorgestellten theoretischen Konzepte ermittelt werden. Da im Rahmen dieser Arbeit nur ein kurzer Einblick in das komplexe Thema Präsenz möglich ist, beschränkt sich die Be- schreibung und Analyse der aufgeführten Sichtweisen auf die meiner Ansicht nach wichtigsten Punkte.

Meine Motivation, dieses Thema zu bearbeiten, ist vor allem darin begründet, dass für mich Präsenz ein sehr vielseitiges und verflochtenes Phänomen ist, welches mich besonderes deswegen fasziniert, da es nicht einfach und nicht eindeutig zu beschreiben ist. „Präsent sein“ kann ein Mensch oder ein Gegenstand auf verschiedene Art und Weise und auch im all- täglichen Leben treffen wir immer wieder auf Menschen, die wir als besonders präsent er- fahren. Sie verblüffen, sie verzaubern, sie ziehen uns in ihren Bann. Kurz gesagt: Sie über- zeugen.

Noch nie zuvor habe ich mich bewusst mit der für mich neuen Materie der Präsenz im theaterwissenschaftlichen Kontext auseinandergesetzt. Daher halte ich es für spannend, unvoreingenommen im Rahmen dieser Arbeit diesen Themenkomplex zu behandeln.

2 Vergleichende Darstellung der Konzepte Erika Fischer-Lichtes und Hans-Thies Lehmanns

2.1 Aspekte der Körperlichkeit

Erika Fischer-Lichte beschreibt in ihrer „Ä sthetik des Performativen “ , dass die Beziehung zwischen Akteur und seinem Körper dominiert wird von einer Spannung, „die sich zwischen dem phänomenalen Leib des Darstellers, seinem leiblichen In-der-Welt-Sein, und seiner Darstellung einer Figur ergibt.“4 Sie nennt ausgehend davon zwei Phänomene, bei denen sich diese Doppelung äußert: Den Prozess der Verkörperung und das Phänomen der Präsenz. Fischer-Lichte definiert dazu Verkörperung (Embodiment) folgendermaßen:

„Der Schauspieler sollte seinen phänomenalen sinnlichen Leib so weit in einen semiotischen Körper transformieren, daß dieser instand gesetzt würde, für die sprachlich ausgedrückten Bedeutungen des Textes als ein neuer Zeichenträger, als materielles Zeichen zu dienen. Die Bedeutungen, die der Dichter im Text zum Ausdruck gebracht hatte, sollten im Leib des Schauspielers einen neuen sinnlich wahrnehmbaren Zeichen-Körper finden, in dem alles ausgelöscht bzw. zum Verschwinden gebracht war, was nicht der Übermittlung dieser Bedeutungen diente [...] “5

Der Schauspieler setzt also alle Botschaften, Effekte und Absichten des Textes insofern um, indem er sie mit seinem Körper auszudrücken versucht. Hier unterscheidet Fischer-Lichte zwischen dem phänomenalen Leib und dem semiotischen Körper. Dabei bezeichnet der phänomenale Leib die physische Anwesenheit des Körpers des Schauspielers, während der semiotische Körper das umfasst, was zum Ausdruck gebracht wird. Betont werden muss, dass der phänomenale Leib nach Fischer-Lichte erst den „existentiellen Grund für die Entstehung der Figur“6 bildet. Er ist folglich die Voraussetzung für die Existenz und das Zustande- kommen des semiotischen Körpers.

Auch Hans-Thies Lehmann, Vertreter des postdramatischen Theaters, bezeichnet den Körper des Schauspielers als „das zentrale Theaterzeichen.“7 Er ist nicht mehr, wie im dramatischen Theater, als ein Sinnträger zu betrachten, sondern steht in seiner individuellen Physis und Gestikulation für sich selbst. Um das Abrücken des Körpers von Text und Sprache zu ge- währleisten, bedient sich das postdramatische Theater immer wieder Taktiken, bei denen die Schmerzgrenze überschritten wird. Die Akteure sollen an ihre körperlichen Grenzen gelangen und der Körper wird bewusst nicht in eine ästhetisch-ideale Form gebracht, sondern gerade fehlerhafte und unvollkommene Körperlichkeit soll dargestellt werden, um „unmoralische Faszination, Angst oder Unbehagen“8 auszulösen. Laut Lehmann wird der Körper „ab- solutiert“9 und „zum einzigen Thema.“10 Dazu bemerkt er, dass im postmodernen Theater die Selbstthematisierung des Performers mehr gewichtet wird und dass es weniger um die Fähigkeit der Verkörperung geht, als um die physische Individualität des einzelnen Performers.11 Er beruft sich immer wieder auf den Theater-Regisseur Einar Schleef, welcher in seinen Inszenierungen den Zuschauer häufig abschreckend mit unmoralischer Körperlichkeit konfrontiert. Mit seinen Worten: „Die Körperlichkeit des Theatervorgangs tritt in harten, sogar körperlich gefährlichen Aktionen der Spieler hervor.“12 Ziel soll es sein, das Publikum zu schockieren, ja zu verstören und so zum Nachdenken anzuregen.

Beide Theaterwissenschaftler sind davon überzeugt, dass die individuelle Physis eines Schauspielers erst die Bedingung dafür schafft, dass überhaupt eine Figur hervorgebracht werden kann. „Verkörperung setzt [...] Entkörperlichung voraus“13 so Erika Fischer-Lichtes betonte Aussage. Die oben erklärte Spannung zwischen dem leiblichen In-der-Welt-Sein des Schauspielers und seiner Darstellung einer Figur muss also bei Fischer-Lichte zugunsten der Darstellung aufgehoben werden.

2.2 Aspekte der Präsenz

2.2.1 Die „abgeschwächte“ Präsenz

Ausgehend von ihrer Definition von Körperlichkeit, entwickelt Erika Fischer-Lichte drei Präsenzkonzepte in Aufführungen. Das schwache, das starke und das radikale Konzept von Präsenz. Es ist bekannt, dass Fischer-Lichte die Aufführung grundsätzlich als Zwischenge- schehen versteht, das nur stattfinden kann durch die gleichzeitige Anwesenheit von Akteuren und Zuschauern. Dazu bemerkt sie, dass ein Austausch, eine gegenseitige Beeinflussung zwi- schen den Schauspielern auf der Bühne und dem Publikum stattfindet. Um diese Wechselwir- kung besser zu erklären, hat Fischer-Lichte das Modell der feedback -Schleife entworfen. Die Aufführung wird „von einer selbstbezüglichen und sich permanent verändernden feedback - Schleife hervorgebracht und gesteuert“14. Demnach kann davon ausgegangen werden, dass Reaktionen der Zuschauer die Handlungen auf der Bühne anregen und mitgestalten und spie- gelbildlich daher auch die Aktionen der Akteure Reaktionen des Publikums bedingen. Die Anwesenheit beider Gruppen und deren gegenseitige Beeinflussung werden von Fischer- Lichte als das schwache Konzept der Präsenz bezeichnet.

Hans-Thies Lehmann entwickelt in seinem Werk Postdramatisches Theater ein theoretisches Modell zum Umgang mit Präsenz im neuen Theater. Laut ihm haben wir es bei Präsenz mit einem theatralen Begriff zu tun. Gegenwart ist nicht einfach gegeben. Sie wird gebildet, pro- duziert in der Inszenierung, der Performance und der Wahrnehmung. Lehmann hebt seinen Begriff ab von dem Konzept der Gegenwärtigkeit im herkömmlichen traditionell-drama- tischen Theater. Hier liegt Präsenz im gegenseitigen Beeinflussen der beiden anwesenden Gruppen, Akteure und Zuschauer, begründet. Es lässt sich also sagen, dass das Konzept von Gegenwärtigkeit im dramatischen Theater dem schwachen Präsenzkonzept Erika Fischer- Lichtes entspricht. Bei Lehmann gibt es diese Einteilung in schwach, stark und radikal nicht. Unter Präsenz versteht er: „Anwesenheit, Präsenz, ist ein >>unzeitiger<<, nämlich zugleich innerhalb und außerhalb des Zeitverlaufs angesiedelter Bewußtsein-Prozeß.“15 Parallel zu Erika Fischer-Lichte, vertritt auch er die These, dass Gegenwart in der gleichzeitigen Anwesenheit von Akteuren und Zuschauern entsteht. Mit Theaterpräsenz bringen wir, die Zuschauer, zuerst immer die Anwesenheit von Schauspielern in Verbindung. Dies ist für Lehmann die normale Präsenz, ein abgeschwächtes Konzept von Gegenwärtigkeit.

[...]


1 www.duden.de/rechtschreibung/Praesenz

2 Fischer-Lichte/Kolesch/Warstat (Hg.): Metzler Lexikon Theatertheorie, Verlag J.B. Metzler Stuttgart und Weimar, 2005, S. 251

3 Ebd.

4 Fischer-Lichte Erika: Ä sthetik des Performativen, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 2004, S.129

5 Ebd., S.132f

6 Ebd., S.256

7 Lehmann, Hans-Thies, Postdramatisches Theater, Frankfurt am Main: Verlag der Autoren , 1999, S.163

8 Ebd.

9 Ebd. S.164

10 Ebd. S.165

11 vgl. Lehmann Hans-Thies: Die Gegenwart des Theaters in Fischer-Lichte, Erika u. Kolesch, Doris u. Weiler, Christel (Hg.): Transformationen: Theater der neunziger Jahre. Berlin 1999, S.17

12 Lehmann, 1999, S.165

13 Fischer-Lichte, 2004, S.133

14 Ebd. S. 59

15 Lehmann: Die Gegenwart des Theaters, 1999, S.13

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Ein Vergleich zweier Präsenzkonzeptionen nach Erika Fischer-Lichte und Hans-Thies Lehmann
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (ITM: Institut für Theater-und Medienwissenschaft)
Veranstaltung
Basisseminar Theatertheorie
Note
2,0
Jahr
2014
Seiten
12
Katalognummer
V321769
ISBN (eBook)
9783668211292
ISBN (Buch)
9783668211308
Dateigröße
479 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Präsenz, Theaterwissenschaft, Atmosphäre, Erika Fischer-Lichte
Arbeit zitieren
Anonym, 2014, Ein Vergleich zweier Präsenzkonzeptionen nach Erika Fischer-Lichte und Hans-Thies Lehmann, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/321769

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