Creative Writing als sozialpädagogisches Instrumentarium


Diplomarbeit, 2004

106 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung ins Creative Writing

2. Creative Writing in der Bundesrepublik Deutschland
2.1. Das IKS Institut für Kreatives Schreiben in Berlin
2.2. Der Segeberger Kreis
2.3. Kreatives Schreiben an den Volkshochschulen
2.4. Creative Writing an den Hochschulen
2.5. Deutsches Literaturinstitut Leipzig
2.6. Creative Writing an der Fachhochschule Wiesbaden
2.7. Kommentar

3. Schreibmethoden des Creative Writing
3.1. Cut-Up: Vom Schnitt der Zeilen
3.2. Vom Klangbild der Zeilenbrüche

4. Autobiografisches Schreiben
4.1. Die erste Kindheitserinnerung
4.2. „Wer bin ich?“
4.3. Der Zwei - Minuten - Text
4.4. „Zehn Höhepunkte aus meinem Leben“
4.5. Ein Geheimnis

5. Therapeutische Ansätze des Creative Writing
5.1. Das Cluster – Von der Ordnung im Chaos
5.2. Kindheitsmuster – die Ursprünge des natürlichen Schreibens
5.3. Die Interaktion der beiden Gehirnhälften
5.4. Fragen an Prof. Dr. Barbara Schulte – Steinicke
5.5. Das Cluster im autobiografischen Textlabor
5.6. Flow im Creative Writing

6. Heilende Poesie im Creative Writing
6.1. Die Prinzhornsammlung
6.2. Das Haiku – Meditation der Silben
6.2.1. Die Wurzeln der Haiku Dichtung
6.2.2. Was ist ein Haiku?

7. Erinnern – Wiederholen – Durcharbeiten
7.1. Erinnern
7.2. Wiederholen
7.3. Durcharbeiten

8. Creative Writing Seminar an der Fachhochschule Wiesbaden
8.1. Creative Writing Seminarplan „Wie schreibe ich einen guten Text?“
8.1.1. Die erste Sitzung
8.1.2. Reflexion der ersten Sitzung
8.2. Der Golfkrieg: Die aktuellen Ereignisse
8.2.1. Mein politisches Tagebuch – Aufzeichnungen von Dunja Sand
8.3. Reflexion der SeminarteilnehmerInnen Gabi Lauf und Dunja Sand

9. Das INKAS Institut für Kreatives Schreiben in Bad Kreuznach
9.1. Die Konzeption der intensiven Vermittlung von Creative Writing
9.2. Die einführenden Seminare mit thematischem Bezug
9.3. „edition maya“ – ein Verlag
9.3.1. Die Literaturzeitschrift eXperimenta
9.3.2. Die Lesungen
9.4. Intensive Vermittlung des Creative Writing - Reflexion von Theo Schmich

10. Die AutorInnenlesung
10.1. Die Idee
10.2. Das Publikum als Resonanzraum
10.3. Der Ort der Lesung
10.4. Das Zeitfenster
10.5 Die Öffentlichkeitsarbeit
10.6. Das Setting
10.7. Das Seminar zum Thema

11. Creative Writing als sozialpädagogisches Instrumentarium
11.1. Zehn Thesen zum Wert des therapeutischen Schreibens von Adams
11.2. Clustering ein Indikator der persönlichen Entwicklung
11.3. Fragen an Prof. Dr. Lutz von Werder
11.4. Ein Interview mit Helen Loewel, Autorin aus Berlin
11.5. Haiku - Dichtung in der Montessori Grundschule Wiesbaden

12. Interne Auswertung der Seminare
12.1. Das Schreib und Leseverhalten der SeminarteilnehmerInnen
12.2. Bewusstes literarisches Schreiben
12.3. Veränderung des Schreibstils
12.4. Zufriedenheit mit Aufbau und Inhalt der Seminare
12.5. Kommentar

13. Creative Writing mit Gruppen und die kritische Reflexion eigener Erfahrungen

14. Resümee

Literaturverzeichnis

Anhang

Adressenverzeichnis

Fragebogen

Titelillustration: DISKOS VON PHAISTOS. Der Diskos wird als „Objektbeschreibung“ im Creative Writing benutzt

1. Einführung ins Creative Writing

Kreatives Schreiben[1] oder „Creative Writing“ ist eine Methode zum Erlernen des literarischen Schreibens. Der Begriff Creative Writing, so die wissenschaftliche Bezeichnung, wurde in den USA geformt. Dort werden an den Hochschulen Schreibkurse in „Composition“ oder Creative Writing angeboten.

Nach Umfragen des Hochschuldidaktischen Zentrums der Alice Salomon Fachhochschule für Sozialpädagogik und Sozialarbeit in Berlin werden heute in Deutschland schätzungsweise 2000 Schreibwerkstätten an Volkshochschulen der Erwachsenenbildung angeboten, in denen etwa 40 000 Menschen vorwiegend „autobiografisch schreiben“ (HDZ-Info 1997: Heft 6). Autobiografisches Schreiben (Kapitel 4) bezieht sich auf den Erfahrungs- und Erinnerungsfundus der AutorInnen. Beim autobiografischen Schreiben werden individuelle Ressourcen gezielt ausgeschöpft, um die AutorInnen methodisch in eine Textkulisse einzuführen.

Was ist Creative Writing? Schreiben ist eine Kulturtechnik, die zu einem wesentlichen Bestandteil unseres Alltages geworden ist. Wir schreiben am Arbeitsplatz, in der Schule, füllen Formulare aus, schreiben Einkaufszettel und Liebesbriefe, notieren uns die Autonummer eines Verkehrssünders, wir schreiben am Computer, wir schreiben mit der Hand, wir schreiben mit einer mechanischen Schreibmaschine, wir schreiben mit einer elektrischen Schreibmaschine, mit einem Kugelschreiber, einem Bleistift, mit Kreide, mit Kohle. Wir schreiben mit unserem Finger eine Nachricht in den Sand. Schreiben. Schreiben. Schreiben.

Was soll also kreativ am Schreiben sein? Eine Antwort gibt uns Barbara Schulte-Steini>„ Kreativ daran ist alles, was über das rein handwerkliche Moment des Schreibens hinausgeht, aber auch über rein formales Tun, wie zum Beispiel das Ausfüllen von Formularen. Letzteres ist mit Sicherheit eine Art des Schreibens, aber ebenso sicher nur höchst selten kreativ“ (Schulte-Steinicke 1997: 42).

Barbara Schulte-Steinicke, die auch Gast Professorin an der Alice Salomon Fachhochschule ist, grenzt den Begriff des Creative Writing wie folgt ein:

- Das Erstellen von Texten, die originell und individuell sind, dabei kann es sich um das Schreiben von Literatur, aber auch um das Schreiben von Briefen handeln.
- Das Nutzen von Schreibtechniken, welche die Kreativität im Schreiben, aber auch durchaus in anderen Bereichen stärken.
- Der Ausdruck „Kreatives Schreiben“ erhält seinen Bedeutungsgehalt aus der Überzeugung: Das Schreiben guter Texte ist auf kreative Weise lernbar. (Schulte-Steinicke 1997: 42).

Lutz von Werder, ebenfalls Professor an der Alice Salomon Fachhochschule in Berlin, vertritt die Auffassung, dass Creative Writing eine Form des Schreibens ist, die für die Entfaltung des Einzelnen neue Ausdrucksmöglichkeiten entstehen lässt (von Werder 1993: 23).

Creative Writing ist ein Instrumentarium, das auf die Kulturtechnik des Schreibens zurückgreift. Mit methodischen Übungen versucht das Creative Writing die kreativen Ressourcen des Einzelnen zu entdecken, um sie im „Schreibprozess“ mit Hilfe des geschriebenen Textes zum Ausdruck zu bringen. Also ein gestalterischer Prozess, der in den beiden Hemisphären des Gehirns eine Interaktion von Ratio und Emotion auslöst. Diese Interaktion bringt einen kreativen Vorgang in Bewegung. Ob dieses, durch eine kreative Interaktion angeregte, „geschriebene Wort“ tatsächlich literarischen Qualitätsstandards entspricht, beantwortet das Creative Writing nicht.

Die moderne Kreativitätsforschung beschreibt den Kreativitätsprozess als einen Akt, der für ein Individuum etwas Neues darstellt oder im weiteren Sinne etwas Neues für einen Kulturkreis oder die Menschheit bedeutet (vgl. U. Beer 1974: 9).

Creative Writing nennt sich das Schreiben, das dem Individuum bei der Entfaltung neuer Ausdrucksmöglichkeiten und Kommunikationsformen Wege zur Selbsterkenntnis eröffnet. Menschen, die sich schreibend definieren, sind in der Lage ihren Individuationsprozess und den des „ästhetischen Tuns“ zu aktivieren. Creative Writing hat den Anspruch, durch die Aktivierung der Imagination etwas Neues entstehen zu lassen. Es soll eine neue Sicht auf Bekanntes realisiert werden (vgl. Spinner 1993: 21). Altes wird demzufolge neu bewertet. Diese neue Bewertung entwickelt sich, nach Spinners Auffassung, aus der Bedeutung „kreativ“ zu sein.

Das Creative Writing kann als ein ganzheitlicher Vorgang angesehen werden, der Ausdruck eines elementaren Wunsches ist. Das Erfahrene und Erlebte soll zu einer sprachlichen Form gestaltet werden.

Im Creative Writing werden alle Sinne einbezogen: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen. Unser Gehirn nimmt ständig Eindrücke auf, speichert sie und gibt diese, wenn die Anreize da sind, wieder nach außen. Die Anregung der Sinne, beispielsweise durch Farben, Musik, Natureindrücke, Gerüche, Hautkontakte, ist hierbei ein wesentlicher Auslöser für die Öffnung unserer inneren Ausdrucksfähigkeit. So gesehen ist das Creative Writing auch immer im Kontext einer kontinuierlichen Selbsterfahrung zu verstehen, die schreibende Menschen bei ihren Aktionen begleitet.

In den USA haben die Methoden des Creative Writing eine lange Tradition. Lutz von Werder datiert den Beginn in die zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Dort begannen die Pioniere mit der Organisation der ersten Schreibkurse an der University of Iowa. ProfessorInnen fiel auf, dass StudentInnen, die über ein fundiertes Fachwissen verfügten, Schwierigkeiten beim schriftlichen Verfassen ihrer wissenschaftlichen Arbeiten hatten. Diesen vordergründigen Störungen beim Schreiben eines Textes, die wir heute unter dem Begriff „Schreibblockaden“[2] kennen, versuchten die HochschullehrerInnen mit antiken Schreibspielen entgegen zu wirken. Diese Schreibspiele sind unter anderem „Epigramme“ (pointierte lyrische Kleinform), die „Xenien“ (kurzes Sinngedicht) oder die „Aphorismen“ (in sich geschlossener Sinnspruch), die auch heute noch im Creative Writing angewendet werden. Bei diesen Schreibmethoden wird versucht, mit wenigen Worten eine essenzielle Aussage zu treffen.

Augenblicklich studieren etwa 7 000 Studenten und Studentinnen in den USA Creative Writing. Insgesamt 418 Universitäten erforschen das Creative Writing in den Wissenschaften. 16 Zeitschriften publizieren über Schreibforschung. Jedes Jahr werden ungefähr 2 000 Aufsätze zum Thema veröffentlicht. In den USA beschäftigen sich 1500 SchreibforscherInnen mit dem Schreiben literarischer Texte auf der Grundlage des Creative Writing.

Ein Blick auf Deutschland wirkt ernüchternd:

„Es gibt weder eine etablierte Schreibforschung noch ein Schreibcurricular. Es gibt keine Schreibberatungsstellen an Schulen oder Hochschulen und es gibt nur wenige Schreibforscher“ (vgl. von Werder 1997: 14).

Dieses Zitat Lutz von Werders mag zwar 1997 in dieser Radikalität seine Daseinsberechtigung gehabt haben, dennoch haben in der Vergangenheit in der deutschen Schreibbewegung positive Veränderungen statt gefunden (vergl. Kapitel 2).

In Deutschland ist die Creative - Writing - Bewegung erst in den 70er Jahren entstanden. Mit den Methoden des Creative Writing wurden neue Formen der Literaturproduktion hervorgebracht. In Schreibwerkstätten, Schreibkursen oder in Schreibseminaren konnten die Methoden als literarisches Schreibinstrumentarium gelehrt und eingeübt werden.

Die schnellen Erfolge für das Schreiben von Texten sind für AnfängerInnen zunächst überraschend, denn die Qualität der neu entstandenen Texte hebt sich zunächst deutlich von älteren Textproduktionen ab. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass die, nennen wir sie „AutobiografInnen“, die Kontrolle[3] über ihren Schreibprozess verlieren und wieder in ihr ursprüngliches Schreibmuster zurückfallen, weil sie (aus welchen Gründen auch immer) nicht in einen Entwicklungsprozess eintreten, der ihre individuelle „Kunst des Schreibens“ entfaltet.

Persönliche Seminarerfahrungen als Dozent im Creative Writing mit Kindern in der Grundschule, aber auch in der Erwachsenenbildung und der Arbeit mit den StudentInnen an der Fachhochschule für Sozialwesen in Wiesbaden sollen Grundlage meiner Untersuchungen sein.

Die bedeutendste Begegnung mit dem Creative Writing hatte ich Mitte der 90er Jahre. Damals besuchte ich ein AutorInnenseminar, das von der Schule für Dichtung[4] in der Kunsthochschule im Frankfurter Städel veranstaltet wurde. Die DozentInnen, Anne Waldmann (USA) und Ed Sanders (USA) lehrten zu diesem Zeitpunkt als ProfessorInnen für Creative Writing an der Jack Kerouac School, die der Naropa University in Bolder / Colorado angeschlossen ist. Diese intensive Begegnung mit dem Creative Writing bedeutete für mich einerseits eine positive Erfahrung, andererseits aber war ich skeptisch: denn ich konnte mir nicht vorstellen, mit diesen Methoden das Handwerkszeug zu haben, um einen ganzen Roman zu schreiben.

Trotzdem beschäftigte ich mich von diesem Zeitpunkt an intensiver als vorher mit dem Creative Writing.

Die Lektüre des „Lehrbuch für Kreatives Schreiben“ von Lutz von Werder, einem Standardwerk der deutschen Variante des Creative Writing, brachte mich auf die Idee, selbst Schreibgruppen anzubieten. Da ich in dieser Zeit noch freiberuflich als Autor und Journalist publizierte, erschien mir die Möglichkeit, Schreibseminare zu leiten, ein weiteres Standbein zur Erhaltung meiner Selbstständigkeit. So kam es, dass ich innerhalb eines kurzen Zeitraums Dozent in der Erwachsenenbildung[5] wurde.

Meine Erfahrungen mit Menschen, die sich in der Regel autobiografisch ausdrücken wollten, waren und sind sehr unterschiedlich. Abgesehen von den bemerkenswerten Qualitätsunterschieden der Texte der einzelnen AutobiografInnen, fiel mir auf, dass Menschen mit der Form des Schreibens, des Kreativen Schreibens, eine Plattform gefunden hatten, mit der sie von anderen wahrgenommen wurden.

Andy Warhol hat einmal gesagt:

„Jeder Mensch braucht einmal in seinem Leben einen Auftritt von zehn Minuten in den Medien!“ Andy Warhol

Ich kann dieses Zitat nur bestätigen; denn im Verlauf meiner Seminarleitererfahrung wurde mir klar, dass Schreiben eine psychosoziale Komponente hat, die dem Individuum dabei hilft, Beachtung von anderen zu bekommen - eben diese zehn Minuten Medienauftritt, von denen Warhol gesprochen hat.

Was aber bedeutet diese Erkenntnis im Zusammenwirken der Methoden des Creative Writing mit den Möglichkeiten sozialpädagogischen Handelns? Ist es möglich, Creative Writing als sozialpädagogisches Instrumentarium zu nutzen?

Kreatives Schreiben ist meiner Ansicht nach nicht unbedingt eine Technik, die im 20. Jahrhundert in den USA entstanden ist. Ein Blick auf die DaDa Bewegung[6] im Europa der 20er Jahre zeigt uns, dass auch hier bereits Formen des Creative Writing (die auch heute noch gelehrt werden siehe Kapitel 3.1) praktiziert wurden, die der aktuellen Form des Creative Writing in Nichts nachstehen.

Selbst die alten Griechen hatten Schreibspiele entwickelt, die auch heute noch im Creative Writing benutzt werden. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die chinesische Han Shan Dichtung (lyrische Prosa mit acht Zeilen) aufmerksam machen, die wir in der japanischen Variante als Tanka- oder Haiku- Dichtung kennen. Ein Tanka ist ein Gedicht mit fünf Zeilen, wobei die einzelnen Zeilen in verschiedene Silbenfolgen (5 / 7 / 5 / 7 / 7) aufgeteilt sind. Das Haiku hat nur drei Zeilen (5 / 7 / 5) mit siebzehn Silben (das Kapitel 6.2. beschäftigt sich intensiv mit der Haiku Dichtung). Die genannten Lyrik- oder Prosaformen waren immer auch in einen gesellschaftlichen Kommunikations- und Interaktionsprozess eingebunden, der sich schreibend artikulierte.

Kreatives Schreiben als eine Form der Interaktion menschlichen Zusammenlebens - wir haben es hierbei mit einer lebendigen literarischen Kommunikationsform zu tun, in der sich AutobiografInnnen in einen interaktiven Prozess begeben, um Erfahrungen und Erkenntnisse auszutauschen. In diesem Kommunikationsprozess besteht für die AutorInnen die Möglichkeit, über ihre Texte und eingebettet in eine Gruppendynamik, individuelle Entwicklungen einzuleiten. Aus dieser Perspektive gesehen könnte das Creative Writing auch als sozialpädagogischer Arbeitsansatz entwickelt werden.

Welche Möglichkeiten es gibt, das Creative Writing in der sozialpädagogischen Arbeit zu benutzen, versuche ich in den folgenden Kapiteln herauszuarbeiten.

Doch zunächst möchte ich mich mit den bereits vorhandenen Bildungsangeboten des Creative Writing in Deutschland beschäftigen.

2. Creative Writing in der Bundesrepublik Deutschland

Creative Writing entwickelte sich in der Bundesrepublik Deutschland Anfang der 70er Jahre. Das Entstehen dieser Bewegung ist mit den Auswirkungen der 68er Revolte in Verbindung zu bringen. Die Selbstverwirklichung des Individuums zeigte sich in diesen Jahren nicht nur im politischen Protest. Dieser Protest drückte sich auch in der Bildenden Kunst, in der Musik und in der Literatur aus.

Mit dem Creative Writing wurde eine Möglichkeit gefunden, sich als Individuum schreibend zu verwirklichen. In diesen Jahren entstanden zum kollegialen Austausch AutorInnengruppen, Schreibkurse und Schreibwerkstätten.

Die Bildung von Schreibwerkstätten ist auf zwei Ursprünge der jüngeren literarischen Zeitgeschichte zurückzuführen: da ist zunächst die Gruppe 47 und auch die Gruppe 61. Wir haben es hierbei mit zwei AutorInnengruppen zu tun, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Aus der Gruppe 47 und aus der Gruppe 61 gingen später die Werkstätten , beziehungsweise „Werkkreise der Literatur der Arbeitswelt“ hervor. Bereits in der Gruppe 47 wurden die Grundlagen für eine Schreibqualifikation gelegt. Schreibqualifikationen beinhalteten einen sachlichen Umgang mit Textkritik, Textarbeit, Sprachanalysen und Stildebatten. Diese Kriterien wurden von der Gruppe 61 und im „Werkkreis der Literatur der Arbeitswelt“ übernommen (von Werder 1997:9).

Da es keine genaue Abgrenzung des Begriffes „AutorIn“ gibt, soll in diesem Zusammenhang auf die Unterschiede von „etablierten“ AutorInnen und „nicht etablierten“ AutorInnen hingewiesen werden. „Etablierte AutorInnen“ sind nur solche, die bereits mehrere eigenständige Werke in einem Verlag publiziert haben. Diese AutorInnen können durchaus einen Hauptberuf haben, in dem sie ihren Lebensunterhalt verdienen. „Professionelle AutorInnen“ leben nur vom Schreiben. Sie haben keine andere Einnahmequelle.

AutorInnen, die sich auf dem Weg befinden etablierte AutorInnen zu werden, können noch keine eigenständigen Publikationen vorweisen.

Parallel zu den AutorInnenengruppen entstanden Schreibwerkstätten als Schreibkurse in den Volkshochschulen und anderen Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Eine signifikante Entwicklung der Schreibkurse ist daran zu erkennen, dass beispielsweise im Jahre 1970 in Niedersachsen nur ein Schreibkurs an einer deutschen Volkshochschule angeboten wurde. Heute werden an jeder Volkshochschule im gesamten Bundesgebiet ein oder sogar mehrere Schreibkurse im Programm angeboten. In der Bundesrepublik gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt rund 2 000 Volkshochschulen und Akademien in der Erwachsenenbildung mit etwa 1 500 Schreibkursen, die pro Jahr durchgeführt werden. Während an den Volkshochschulen die Schreibkurse unter dem Einfluss des „Creative Writing“ stattfinden, werden die Schreibangebote an den Regelschulen eher didaktisch strukturiert durchgeführt. Jedoch ist zu beobachten, dass seit einigen Jahren die Methoden des Creative Writing auch in den Regelschulen (Kapitel 11.5) Einzug gehalten haben. Mittlerweile hat sich das Creative Writing ebenfalls an deutschen Hochschulen und Universitäten etabliert. Es gibt fast keine Hochschule mehr, in der nicht Seminare und studentische Arbeitsgemeinschaften angeboten werden, in denen mit den Methoden des Creative Writing Texte geschrieben werden.

An der Universität in Hildesheim gibt es seit 2002 eine Professur für Kreatives Schreiben, die von dem Romanautor Hanns-Josef Ortheil ausgeübt wird. Das Kreative Schreiben wurde dort als Studiengang eingerichtet.

Vor der Wende gab es in Leipzig ein Literarisches Institut, das noch heute besteht. Dort werden AutorInnen zu DiplomschriftstellerInnen ausgebildet.

Die wissenschaftliche Form des Creative Writing, methodisch mit autobiografisch Erlebtem an Texte heranzugehen, hat sich in der Bundesrepublik noch nicht flächendeckend etabliert. Das heißt , an Volkshochschulen und auch in anderen Einrichtungen der Erwachsenbildung unterrichten oftmals DozentInnen, die selbst keine Erfahrung im Schreiben von größeren Textkulissen haben. In diesem Zusammenhang soll darauf hingewiesen werden, dass es nicht genügen kann , Seminare im Creative Writing zu belegen, um im Anschluss daran als DozentIn in der Erwachsenenbildung zu unterrichten. Als Standard sollten sich die Vorraussetzungen für das lehren von Creative Writing auf folgende Kriterien stützen:

- Die Veröffentlichung eines eigenen Buchprojektes mit einer ISBN[7]. Eine ISBN besagt, dass der Autor, die Autorin in einem von der Buchhändler Vereinigung legitimierten Verlag publiziert hat. Die ISBN ist auch gleichzeitig eine Zugangsberechtigung für etablierte AutorInnenverbände, etwa den VS[8] oder die VG Wort[9].
- Der Besuch anerkannter Seminare.
- Die Erfahrung, sich in größeren Textkulissen schreibend bewegen zu können.
- Die Erfahrung im Umgang mit AutorInnenlesungen.

Diese Kriterien sind ein bedeutender Bestandteil für die Lehrtätigkeit von DozentInnen im Creative Writing. Da es im Bundesgebiet nur wenige DozentInnen gibt, die über die oben genannten Voraussetzungen verfügen, ist die Effektivität anderer Schreibgruppen fraglich.

Barbara Schulte-Steinicke vertritt die Auffassung, dass:

„(...) die Mehrzahl der Angebote in Volkshochschulen von eher weniger ausgebildeten Lehrern betreut werden, welche dringend Qualifikationsmöglichkeiten suchen“ (Schulte-Steinicke 2000:21).

Lutz von Werder belegt in seinem Manifest des Kreativen Schreibens mit Zahlen den Mangel an Schreibförderung in der Bundesrepublik Deutschland:

- 50 % der StudentInnen brechen ihr Studium ab.
- 87 % der StudentInnen haben Konzentrations- und Arbeitsstörungen. Sie haben Schreibstörungen, Schreibkrisen, Schreiblähmungen, oder Schreibblockaden und wollen zu 15% in eine Psychotherapie (von Werder 1997:13).

2.1. Das IKS Institut für Kreatives Schreiben in Berlin

Das Institut für Kreatives Schreiben (IKS) wurde 1986 in Berlin als gemeinnütziger Verein gegründet. Die Schwerpunkte des Instituts sind unter anderem die Ansätze des Kreativen Schreibens in Literatur, Wissenschaft, Beruf, Therapie und Philosophie zu erforschen. Am Institut können die StudentInnen Creative Writing in vier Semestern als Fern- oder Präsenzstudium zu studieren. Außerdem bietet das Institut noch Zusatzqualifikationen für engagierte MulitiplikatorInnen an. Dieses Angebot richtet sich insbesondere an pädagogische, therapeutische, psychologische, wissenschaftliche und philosophische PraktikerInnen, die das Instrumentarium des Creative Writing in ihre wissenschaftliche Arbeit oder in ihren Berufsalltag einfließen lassen möchten. Diese Ausbildungen münden in der Qualifikation zur Poesie- PädagogIn oder aber zur AnleiterIn für „poetische Selbstanalyse“. In dem erwähnten Studiengang und auch in der Zusatzausbildung können Zertifikate erworben werden, die allerdings ohne eine staatliche Anerkennung sind (Uschtrin 2001: 388).

Das IKS gehört mit seinem Curriculum zu den ersten Instituten, die das Creative Writing in der Bundesrepublik etabliert haben. Ohne staatliche Förderungen ist das Institut auf die monatlichen Studiengebühren der StudentInnen angewiesen. Es kann unter diesen Umständen keine Rücksicht auf Begabung oder Nichtbegabung von AutorInnen genommen werden. Aus diesem Grund sind die Zugangsvoraussetzungen zum Studium auch nicht begrenzt. Ein Nachteil dieses Projektes, weil die Existenzfrage des Instituts ein Auswahlverfahren der StudentInnen nur im geringen Umfang erlaubt.

2.2. Der Segeberger Kreis

Der Segeberger Kreis – Gesellschaft für Kreatives Schreiben e.V. versteht sich als Verein von Schreibenden, die an Hochschulen, Schulen und in der Erwachsenenbildung Creative Writing Seminare oder Kurse anbieten. Der Segeberger Kreis wurde 1982 in Bad Segeberg gegründet. Die Aufgabenstellung des Kreises besteht darin, das „Kreative Schreiben“ zu praktizieren und auch zu etablieren. Die Gesellschaft richtet sich an Schreibinitiativen, die sie mit Theorieseminaren und auch einem kollegialen Austausch unterstützen möchte. Schwerpunktmäßig sind die AdressatInnnen des Segeberger Kreises SchreibgruppenleiterInnen, die unter fachlicher Anleitung ein Forum für den Erfahrungsaustausch suchen. Der Kreis trifft sich einmal im Jahr zu einer Tagung (Uschtrin 2001: 392).

Der Segeberger Kreis trägt nicht unbedingt zur Standardisierung von Qualitätsfragen bei den Voraussetzungen für Creative Writing DozentInnen bei. Jede AutorIn kann Mitglied im Segeberger Kreis werden. Die Mitgliedschaft beinhaltet ein gewisses Renommee für die DozentInnen. Dennoch ist es fraglich, ob eine Mitgliedschaft auch automatisch die Voraussetzungen erfüllt, um als Creative Writing DozentIn zu unterrichten.

2.3. Kreatives Schreiben an den Volkshochschulen

Die Schreibwerkstätten und Kurse im Kreativen Schreiben, die in der Bundesrepublik angeboten werden, sind in den vergangenen Jahren, wie bereits erwähnt, sprunghaft angestiegen. In fast allen Städten der Bundesrepublik, aber auch in ländlichen Regionen finden wir im Einzugsbereich der Volkshochschulen Schreibkurse, die zu den unterschiedlichsten Themen angeboten werden. Die Palette reicht vom autobiografischen Schreiben über das Schreiben in Lebenskrisen, bis hin zum literarischen Schreiben von Texten. Die Vielfalt dieser nichtkommerziellen[10] Schreibwerkstätten hat eine große Spannweite. Die „Szene“ ist ständig in Bewegung. Immer mehr Schreibangebote kommen hinzu (Uschtrin 2001: 385 f).

Quantität ist in diesem Fall nicht unbedingt auch ein Qualitätsmerkmal. Ein Mangel an gut ausgebildeten oder gut vorbereiteten DozentInnen kann ihre MultiplikatorInnenwirkung beeinträchtigen. Was soll eine DozentIn, die über eine mangelhafte Ausbildung verfügt, ihren SchülerInnen vermitteln?

Es gibt in der Erwachsenenbildung und im Bereich der Volkshochschulen keine Standards, die es erlauben würden, die Qualität einzelner Kurse zu untersuchen.

2.4. Creative Writing an den Hochschulen

Inzwischen haben fast alle Hochschulen der Bundesrepublik Seminare, studentische Arbeitsgemeinschaften und Workshops, in denen sich die StudentInnen mit den Möglichkeiten des Creative Writing beschäftigen.

An der Universität in Hildesheim gibt es einen Studiengang Kulturpolitik und Kulturmanagement mit den Hauptfächern: Schreiben und Literatur. Dort können die StudentInnen einen Hochschulabschluss als Diplom – KulturwissenschaftlerInnen erlangen.

Die Akademisierung des Creative Writing an bundesdeutschen Hochschulen ist noch weit vom Selbstverständnis an US-amerikanischen Hochschulen entfernt. Im Augenblick gibt es auch keine Anzeichen dafür, dass eine Etablierung der Schreibförderung an den Hochschulen vorgesehen ist (Uschtrin 2001: 391).

2.5. Deutsches Literaturinstitut Leipzig

In der DDR gab es das Johannes-R. Becher Institut an der Universität Leipzig. Dort wurden StudentInnen zu Diplom-SchriftstellerInnen ausgebildet. Nach der so genannten Wende tauchte im kulturpolitischen Zusammenhang die Frage auf: „Was soll aus dem Institut werden?“ – Es blieb erhalten.

Die Antwort war das „Deutsche Literaturinstitut Leipzig“ (DLL). Im Sommersemester 1995 nahm es erstmalig seinen Studienbetrieb (wieder) auf. Prof. Bernd Jentzsch war Gründungsdirektor des Instituts. Das DLL bietet einen Studiengang von sechs Semestern an, in denen schwerpunktmäßig drei Fächer gelehrt werden: Prosa, Lyrik und Dramatik.

Das Studium gliedert sich in ein Grundstudium von zwei Semestern und in ein Hauptstudium mit drei Semestern. Im sechsten Semester arbeiten die StudentInnen an einem eigenständigen Textprojekt aus den Bereichen Lyrik oder Prosa. In der Abschlussprüfung werden die Fähigkeiten der künstlerischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse der StudentInnen festgestellt. Die professionelle Kenntnis allgemeinliterarischer und fachspezifischer Voraussetzungen, in Verbindung mit den Grundlagen ihres Studiums und den wesentlichen Forschungsergebnissen in den gewählten Fächern, sind für die Ausübung des Berufs einer SchriftstellerIn im Curriculum des Instituts festgelegt. Die Studentinnen können am DLL einen Hochschulabschluss mit dem Titel: „Diplom des Deutschen Literaturinstituts Leipzig“, erlangen (Uschtrin 2001: 375).

2.6. Creative Writing an der Fachhochschule Wiesbaden

An der Fachhochschule für Sozialwesen in Wiesbaden wird seit einigen Jahren das Fach Theaterpädagogik von Prof. Dr. Rita Rosen angeboten. Im Rahmen des Gebrauchs der Sprache auf der Bühne wurde die Idee entwickelt, selbst Texte von den SpielerInnen schreiben zu lassen, um sie szenisch umzusetzen. Auf dieser Grundlage entstand das Konzept der SCHREIBWERKSTATT AN DER FH WIESBADEN. Die Schreibwerkstatt besteht nun schon seit zehn Jahren. Im Laufe der Zeit besuchten unterschiedliche AutorInnen die Schreibwerkstatt unterschiedlich lange. Inzwischen hat sich eine Kerngruppe von acht bis zehn AutorInnen herausgebildet, die bereits über einen längeren Zeitraum kontinuierlich zusammen arbeitet. Die Konzeption der Schreibwerkstatt sieht vor, Texte, die zu Hause geschrieben wurden, im Kreis gleichgesinnter AutorInnen vorzustellen. In einer kritischen und konstruktiven Form werden die Texte von den GruppenmitgliederInnen kommentiert. Auf diese Weise entsteht eine neue Basis für die Überarbeitung, Präzisierung und die Vervollständigung der Texte. Die AutorInnen hören sich, für gewöhnlich, unkommentiert die Anmerkungen ihrer KollegInnen an. Damit soll die Wirkung konstruktiver Anregungen einen inneren Entscheidungsprozess auslösen, der in die Textgestaltung mit einfließen kann. Es ist die freie Entscheidung der AutorInnen, die Anregungen der Gruppe umzusetzen oder nicht. Bisher wurden die Textgattungen Kurzgeschichte, Roman, Lyrik und Haiku in der Schreibwerkstatt vorgestellt.

Alle AutorInnen der Gruppe sind an Publikationen interessiert. Bisher gab es zwei Anthologien mit aktuellem Textmaterial, die im Verlag der Fachhochschule herausgegeben wurden.

Regelmäßig veranstaltet die AutorInnengruppe Lesungen in Kultur Einrichtungen. Das Projekt: LESEN IM KNAST wurde im Winterhalbjahr 2003 / 2004 durchgeführt. Dabei wurde einer Gruppe von Jugendlichen, die im Strafvollzug waren, eigene Texte vorgetragen, die anschließend diskutiert wurden. Die Reaktion der Jugendlichen auf dieses Projekt war positiv.

Aufgrund der intensiven Beschäftigung mit dem „Haiku“ einer spezifischen japanischen Dichtform – wurde ein KASEN gegründet. Zum KASEN treffen sich DichterInnen, um gemeinsam im geistigen Austausch „Haiku“ zu schreiben (Rosen: 2004).

Mit dem Beginn des Sommersemesters 2003 habe ich eine studentische Arbeitsgemeinschaft angeboten, die sich mit dem Creative Writing kontinuierlich beschäftigt. Das Seminar findet einmal in der Woche statt. Über die Erfahrungen in diesen beiden Seminaren berichte ich im Kapitel 8.

„Mein eigener Schreibstil wurde mir stärker bewusst und ich habe die Liebe zum Lyrikschreiben entdeckt, insbesondere des Cut-Up Schreibens.

Kreatives Schreiben bekam für mich die Form von Stil, Spiel und Therapie“. Beate Giebel , ehemalige Studentin des Creative Writing.

2.7. Kommentar

Der Gedanke, Annette Droste-Hülshoff, Schiller, Heinrich Heine oder Goethe wären zum literarischen Schreiben über das Creative Writing gekommen, ist ungewöhnlich; denn im „Land der Dichter(innen) und Denker(innen)“ waren die TextproduzentInnen immer auch AutodidaktInnen. Es gab keine Akademien, die das literarische Schreiben als Studium anboten. Warum auch? Schließlich hat unser Land vier Literaturnobelpreisträger hervorgebracht: Thomas Mann, Hermann Hesse, Heinrich Böll und Günter Grass. Mit den Methoden des Creative Writing wäre ihr Schreibstil vermutlich ein anderer geworden. Wir wissen nicht, wie. Wir wissen auch nicht, ob diese AutorInnen einen qualitativ besseren Schreibstil kultiviert hätten. Wir wissen nur, dass die AutorInnen auch ohne die Methoden des Creative Writing in den „Olymp der PoetInnen“ aufgestiegen sind.

Im Gegensatz zur deutschen Tradition des literarischen Schreibens kennen wir aus dem angloamerikanischen Raum AutorInnen wie: Anne Waldman, Thomas Wolfe, Eugene O´Neil, T.C. Boyle oder Liesel Mueller (sie heißt wirklich so), die über das Studium des Creative Writing ihren eigenen literarischen Stil entwickelt haben. Boyle, Mueller und Waldman unterrichten neben ihrer AutorInnentätigkeit auch Creative Writing. Während Anne Waldman an der Jack Kerouack School Creative Writing unterrichtet, hat der Kultautor T.C. Boyle[11] eine Professur für Creative Writing an der University of Southern California in Los Angeles.

Die Frage, ob Dichten durch ein Studium erlernbar ist, kann an dieser Stelle nicht mit aller Klarheit beantwortet werden.

Der Begriff Autor leitet sich aus dem lateinischen Wort „auctor“ ab. In der Übersetzung bedeutet dieser Begriff so viel wie: Urheber, Schöpfer oder Verfasser. Im übertragenen Sinne besagt dies, dass der Autor selbst in Bewegung kommt, um seine Texte zu kreieren; unabhängig von einer schriftstellerischen Ausbildung.

Der positive Effekt des Creative Writing besteht darin, auch Menschen anzusprechen, die sich nicht zutrauen, aus eigener Initiative „etwas“ zu schreiben.

Welche Methoden es im Creative Writing gibt, um in einen Schreibprozess zu kommen, darüber berichtet das nächste Kapitel.

3. Schreibmethoden des Creative Writing

In diesem Kapitel werden Schreibübungen dargestellt, die der modernen Lyrik entnommen sind. Sie dienen den AutobiografInnen als methodischer Fundus, innere Prozesse mit äußeren Hilfsmitteln sichtbar zu machen. In den Schreibseminaren werden diese Übungen angeboten. Die Ergebnisse versetzen oftmals die AutobiografInnen in Verwunderung, weil mit diesen literarischen Formen etwas Gestalt annimmt, was zuvor konturenlos war.

Die Übungen sind auch dazu geeignet, sie in der sozialpädagogischen Arbeit mit KlientInnen methodisch anzuwenden. Da zunächst keine literarischen Kenntnisse vorausgesetzt werden, haben diese Schreibtechniken einen spielerischen Charakter. Die Freude am Praktizieren steht bei diesen Übungen im Vordergrund. Aus dem spielerischen Ereignis kann ein autobiografischer Prozess herausgelöst werden, der dazu beiträgt, unbekannte Seiten zum Vorschein zu bringen.

3.1. Cut-Up: Vom Schnitt der Zeilen

Das „Cut-Up“ wurde durch den rumänischen Dadaisten Tristan Tzara für die Dichtkunst etabliert. Er zerschnitt die Seite einer Tageszeitung, legte die Papierschnipsel, auf denen Sätze, Satzfragmente, Worte, Wortfetzen standen, in einen Hut, um sie danach wahllos wieder aus dem Hut zu ziehen und diese Zeilenstücke zu einem Gedicht zusammenzusetzen. Experimentelle DichterInnen haben diese Vorgehensweise übernommen, die auch in der modernen Lyrik noch praktiziert wird. William S. Burroughs, ein amerikanischer Dichter, ging sogar so weit, einen ganzen Roman mit dem Titel Nova Express, der erstmals im Jahre 1964 erschienen ist, in Cut-Up-Technik zu schreiben. In einem Interview, erklärt er die Technik des Cut-Up so:

„Ich würde einfach sagen, dass meine interessanteste Erfahrung mit den früheren Techniken die Erkenntnis war, dass man bei Cut-Up nicht einfach völlig zufällige Nebeneinanderstellungen von Wörtern erhält, sondern, das sie etwas bedeuten und dass sich diese Bedeutungen oft auf ein zukünftiges Ereignis beziehen (Burroughs: Gespräche mit Daniel Odier: 12).

Das Cut-Up also ein Runenorakel der Neuzeit? SchriftstellerInnen und DichterInnen, die sich dieser Technik bedienen, arbeiten ähnlich wie FilmemacherInnen: Bilder, Szenen und „O-Töne“[12] werden geschnitten (Cut) und dann wieder zu einem lyrischen Gesamtwerk zusammengefügt. Der Schnitt der Zeilen lässt ebenso wie der Zeilenbruch ein neues Bild bei den RezipientInnen entstehen. Das Gedicht im Kopf entsteht da, wo der Schnitt ist. Im Klartext: Unter dem gedruckten Vers verbirgt sich noch ein anderes Gedicht, das nur darauf wartet, abgerufen zu werden.

Sophie Goll ist eine Dichterin des deutschsprachigen Cut-Up. Auch sie bedient sich der Tages- Wochen- und Monatszeitungen, die nach deren Lektüre in Einzelteile zerschnitten werden, um sie dann später nach dem Zufallsprinzip wieder zusammenzufügen. Auf diese Weise gelingt es ihr, die Gesellschaft in ihrer Banalität zu entlarven. Der rudimentäre Schnitt wird nicht zum Fragment, sondern durch die Montage in ein lyrisches Bild verwandelt, das einem Spiegel der Gesellschaft zu gleichen scheint:

Keiner ist für dich o Auto

Keiner wird für dich, o

Liebling, je zu viel überrollt

Menschenleben sind egal

6 Milliarden zerstören den Globus total

Dann verwaist bei küstenmäßig starkem

Wind auch des Herrn von Luft Kreuz & Quer-Phantasie

( ...)

Sophie – Goll: 2000. Sophies Sampling: 94

Cut Up Dichtung eröffnet mit ihren experimentellen Elementen die Möglichkeit, mit Überraschungen zu arbeiten, ohne die Kontrolle über die Wörter zu verlieren; denn die Manipulationsmöglichkeiten der DichterInnen finden durch die Auswahl des Printmediums und der darin publizierten Themen statt.

3.2. Vom Klangbild der Zeilenbrüche

Um die zeitgenössische Lyrik, also die Lyrik um die Jahrtausendwende zu begreifen, müssen wir uns zunächst in die die USA begeben, denn dort wurde kontinuierlich am Klang der Sprache weiter gearbeitet. Die Ergebnisse dieser lyrischen Experimente wurden besonders von deutschsprachigen LyrikerInnen übernommen und individuell weiterentwickelt.

Der amerikanische Poet William Carlos Williams war ein Meister des Zeilenbruchs. In mancher Form der Poesie kann das Zeilenbrechen dazu beitragen, die Brillanz eines Gedichtes zu bestimmen. Zum Beispiel das Gedicht des William Carlos Williams:

The Red Wheelbarrow

so much depends

upon

a red wheel

barrow

glaced with rain

water

beside the white

chickens

William Carlos Williams

Das Gedicht des amerikanischen Poeten William Carlos Williams ist ein klassischer Zeilenbruch. Der Dichter verwendet ein scheinbar triviales Thema, dem er mit dem Zeilenbruch eine Sprachdichte verleiht. Erst durch den Zeilenbruch wird es zu einem zeitgenössischen Gedicht.

An dieser Stelle der Versuch, dieses Poem in eine andere Form zu bringen:

so much depends upon a red wheelbarrow glaced with rain water beside the white chickens.

Dieses in seinem Ursprung geniale Gedicht verliert seinen Glanz, da die Zeilen nicht wie bei Williams gebrochen wurden. Das Poem wurde als Prosatext wiedergegeben. Somit entsteht eine andere Wahrnehmung des Textes.

Der Zeilenbruch ermöglicht der RezipientIn, die lyrischen Bilder im Gehirn anders entstehen zu lassen. DichterInnen schreiben die Noten und LeserInnen spielen mit ihrer Fantasie die Melodie der Zeilen. Das ist das eigentliche Phänomen am Zeilenbruch, erlaubt er doch eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten. So viele LeserInnen eines Gedichtes, so viele Gedichte.

Es gibt sie also: die Muse der Zeilen und die Muse des Zeilenbruchs. Einige zeitgenössische DichterInnen verfügen über ein ausgeprägtes Talent, den Punkt zu bestimmen, an dem die Zeile gebrochen wird, um eine neue Zeile zu beginnen. Das ist die Kunst oder die Muse des Zeilenbruchs (Ed Senders in einem Vortrag aus dem Jahre 1998).

Eine weitere Muse ist die des Versmaßes und des Reims. Die heutigen Gedichte sind in sehr komplexen Versmaßen geschrieben. DichterInnengenerationen der vergangenen Epochen bedienten sich strukturierter Formen, etwa dem Sonett, die lyrische Kompositionen zu einem kalkulierbaren Klang- und Rhythmuserlebnis machten.

Ein Blick auf William Shakespeare, ein Meister der Sonettkunst, lässt uns an diesem rhythmischen Klangeschehen teilhaben.

Die schönsten Wesen, sie solln sich vermehren,

Damit die Rose Schönheit nie verdorrt.

Muss auch die Zeit den reifen Mann verheeren.

In seinem zarten Sprößling lebt er fort.

Doch du, vom eignen Augenstrahl gebannt,

Verzehrst dich selber brennend, vor Begier,

Schaffst Hunger, wo uns Fülle übermannt,

Dir selber feind und allzu hart zu dir.

Noch schmückt die Welt dein frischer Jugendschein,

Du Herold, der uns prallen Lenz verheißt,

Ins Knospengrab schließt du Erfüllung ein,

Wenn du so wüst mit deinen Reizen geizt.

Erbarme dich, dass nicht verschlungen wird

Vom Grab und dir, was aller Welt gebührt.

William Shakespeare

Die Dichtung des 20. Jahrhunderts kennt keine Regeln mehr. Sie ist zügellos. Vielleicht besteht ja sogar die einzige Regel darin, keine Vorgaben zu machen. Vordergründig erscheint sie uns vielleicht als Lyrik aus dem Bauch, was sie letztendlich auch ist. Dennoch haben wir es hier durchaus mit durchstrukturierten Formen von lyrischer Gestaltung zu tun, die die Absicht der DichterIn, erkennen lassen.

Der Dichter Uwe Kolbe bewegt sich mit seinen Sprachkreationen ebenfalls im Zeilenbruch.

Landpartie mit E.F.

Es ist banal,

sagen die Besitzer der Gärten.

Es für dich, sagen die Vögel.

Ist es im Internet?

fragen die Jüngsten.

Es ist im Netz, das mich hält, sage ich.

Ist das ein Gedicht?

mäkeln Gebildete.

Ich weiß, es ist ein schöner Augenblick.

Sie lacht,

die kleine Göttin

an meiner Seite.

Uwe Kolbe

Dank der französischen, der amerikanischen, der deutschen und der italienischen sowie auch englischen DichterInnen der letzten achtzig bis hundert Jahre, hat sich die Lyrik vollkommen neu definiert.

Robert Lax, ein Dichter, der aus dem US amerikanischen Alltag ausstieg, um zwischen den griechischen Inseln Kalymnos und Patmos dichtend hin und her zu pendeln, versucht mit seiner Dichtung die Atmosphäre der Empfindung nachzudichten:

versuche, mich bereit zu halten

bereit zu sein

zu deinem empfang

eine kühle brise, ein ruhiges meer

nicht das ruhigste meer

aber ein ruhiges

kühle brise – ruhiges

meer – nicht das

ruhigste – aber

ruhig

Robert Lax

4. Autobiografisches Schreiben

AutobiografInnen beschreiben die äußere und die innere Entwicklung ihres Lebenslaufes. In diesem Zusammenhang werden besonders die individuellen Lebenskrisen berücksichtigt (von Werder 1996:225).

Entlang der einzelnen Stationen im Lebenslauf eines Individuums übernimmt das autobiografische Schreiben eine „biografische Selbstreflexion“.

„Alles Schreiben ist autobiografisch“, so ein Zitat des amerikanischen Schreibforschers D.M. Murray. Das bedeutet aber nicht, dass alles Schreiben in einer Autobiografie endet, sondern alles Schreiben schöpft aus dem „autobiografischen Erleben“. Moderne Menschen haben mit ihrem Fundus an Gefühlen, Erfahrungen, Gedanken, Träumen, Symbolen, Personen, Handlungsmustern und Krisen eine unerschöpfliche Quelle, die nicht nur autobiografisch in Literatur transformiert werden kann; sondern dieser Fundus ist auch für alle anderen Formen der Poesie nutzbar. Der autobiografische Fundus kann Grundlage für Erzählungen, Shortstories, Gedichte oder szenische Kulissen (Hörspiele, Theaterstücke) sein.

Fragmente ungeschriebener autobiografischer Texte sind in jedem Menschen vorhanden. Die Impulse, das Erlebte aufzuschreiben, erwachen häufig in Lebenskrisen. So wird ein aktuelles Krisenerlebnis Auslöser, um sich schreibend aus einer Situation herauszuarbeiten.

Hier einige Methoden aus dem autobiografischen Schreiben, die für die sozialpädagogische Arbeit kompatibel sind:

4.1. Die erste Kindheitserinnerung

Die AutobiografInnen versetzen sich in ein Erlebnis ihrer frühen Kindheit. Vielleicht erinnern sie sich sogar noch an ihre „erste Kindheitserinnerung“. Diese Erinnerung wird zunächst im Cluster (Kapitel 5.1) visualisiert. Der Kern oder Schlüsselbegriff des Clusters heißt in diesem Zusammenhang: Eine Kindheitserinnerung. Alles, was der AutobiografIn zu einer Kindheitserinnerung einfällt, wird im Cluster verknüpft.

Beim nächsten Schritt nimmt sich die AutobiografIn einen Clusterpunkt heraus und beginnt einen Brief an eine Person zu schreiben, die in der Kindheitserinnerung aufgetaucht ist. Die literarische Form des Briefes, die Vorstufe eines inneren Monologes, kann dann in weiteren Schritten entweder zur Selbstanalyse verwendet werden oder in ein literarisches Kunstprodukt (ohne Anspruch auf Authentizität) umgearbeitet werden.

4.2. „Wer bin ich?“

Diese Creative Writing Methode im autobiografischen Schreiben korrespondiert mit einer spirituellen Übung, die bei den Sufis praktiziert wird. Immer wieder stellen sie sich in einem rituellen Akt die Frage: „Wer bin ich?“ Mit dieser Frage der Selbsterkenntnis begeben sie sich in eine spirituelle Trance.

Bei dieser Übung schreibt die AutobiografIn in das Zentrum eines weißen Blattes die Frage: „Wer bin ich?“ Anschließend wird um diese Frage herum alles aufgeschrieben (Brainstorming), was im Augenblick zu dieser Frage auftaucht. Die Gedanken und Gefühle, die auftauchen, sollten möglichst authentisch aufgeschrieben werden.

4.3. Der Zwei-Minuten-Text

Der „Zwei-Minuten-Text“ regt den Schreibprozess an. Die Übung wird über einen Zeitraum von zwei Wochen gemacht. Die Autobiografin schreibt in einem so genannten Zwei-Minuten-Buch täglich zwei Minuten lang auf, welche Gedanken während des Schreibvorgangs auftauchen. Die Zeit darf nicht überzogen werden. Die AutobiografInnen müssen bei dieser Übung mitten im Satz oder mitten im Wort aufhören zu schreiben, auch wenn der Gedanke noch nicht zu ende formuliert worden ist. Diese Disziplin, nicht weiter schreiben zu dürfen, aktiviert die unterbewussten, kreativen Ressourcen der AutobiografInnen. Der Wunsch, mehr schreiben zu wollen, wird als Grundlage für autobiografische Textkulissen verwendet.

4.4. „Zehn Höhepunkte aus meinem Leben“

Die AutobiografInnen schreiben ohne Anspruch auf Chronologie oder Vollständigkeit zehn Höhepunkte ihres Lebens auf, die in ihnen auftauchen. Diese Höhepunkte müssen nicht unbedingt immer positiv besetzt sein. Erlebnisse, wie Verlust eines nahe stehenden Menschen, Trennung von einem Lebenspartner oder Niederlagen können auch von den AutobiografInnen als Höhepunkte gedeutet werden.

Nachdem die zehn Höhepunkte aufgeschrieben wurden, suchen sich die AutobiografInnen einen Höhepunkt heraus, den sie näher betrachten möchten. In einem nächsten Schritt suchen sich die AutobiografInnen eine Person aus ihrem näheren Umfeld aus, der sie gerne diesen Höhepunkt erzählen würden. Die AutobiografInnen verwenden wieder die Briefform, um mit einem inneren Monolog der Person ihres Vertrauens dieses Ereignis aus ihrem Leben zu erzählen.

4.5. Ein Geheimnis

Bei dieser Übung wird die Anweisung gegeben, dass sich die AutobiografIn eine Person ihres Vertrauens vorstellt, der sie ein Geheimnis mitteilen möchte. Es soll bei der Anweisung darauf hingewiesen werden, dass der entstehende Text nicht vorgetragen werden muss. Bei dieser Übung geht es um den Prozess, in den sich die AutobiografIn begibt. Sie begibt sich in einen inneren Dialog mit der vertrauten Person. Zunächst beschreibt sie ein Geheimnis, das sie in ihrem Innern aufbewahrt. Nachdem sie das Geheimnis mitgeteilt hat, stellt sie ihrem imaginären Gegenüber die Frage: „Wie wirkt mein Geheimnis auf dich?“

Es beginnt nun ein innerer Dialog mit einer imaginierten Person zum Inhalt des Geheimnisses.

Das autobiografische Schreiben kann eine heilende Funktion bei den AutobiografInnen auslösen. Im Creative Writing gibt es „therapeutische Ansätze“, die aus einer Krisensituation heraus eine gewisse Ordnung schaffen, um Unsichtbares sichtbar machen zu können.

Die Methode des autobiografischen Schreibens hat auch einen therapeutischen Ansatz, der im nächsten Kapitel behandelt wird.

5. Therapeutische Ansätze des Creative Writing

„Big Sur“ Mitte der sechziger Jahre. Ein grüner Landstreifen an der Pazifikküste Kaliforniens, dreihundert Kilometer südlich von San Francisco. Die USA befinden sich mitten im Vietnamkrieg: Während die GI´s in der grünen Hölle zugekifft um ihr nacktes Überleben kämpfen und dabei anderen Menschen das Leben nehmen, entwickelt sich in ihrem Heimatland eine Bewegung, die sich für Freiheit, Frieden und Individualität des Menschen einsetzt.

Das Zentrum dieses jungen „Human – Potential – Movement“ ist ein indianischer Kultplatz der Esalen Indians, die auch diesem Ort den Namen gaben.

Die heißen Quellen von Esalen machten ihn zu einem Kraftplatz, der Heilung und des Wohlbefindens. Dort lebte und arbeitete Fritz Perls, der Mitbegründer der Gestalttherapie, die sich als Initiator einer therapeutisch-spirituell-politischen Aufbruchsbewegung verstand. Perls gab Workshops, leitete Gruppen und machte Forschungsarbeiten. Schwerpunkt seiner Arbeit in Esalen war unter anderem die Gestalt - Traumarbeit. In Zusammenarbeit mit Lore Perls entwickelte er in den 30er und 40er Jahren im südafrikanischen Exil die Gestalttherapie (Perls 1998: 9). In den USA begegneten die beiden deutschen Psychoanalytiker dem amerikanischen Sozialphilosophen und Schriftsteller Paul Goodman. Goodman, ein unbequemer Zeitgenosse und zudem ein rebellischer Schriftsteller, der keinen Zugang zu den akademischen Institutionen bekam, weil er sich zu seiner Homosexualität bekannte, lebte von Gelegenheitsarbeiten; sein Einkommen lag nur knapp über dem Existenzminimum. Die Bücher, die Goodman schrieb, wurden in Kleinverlagen veröffentlicht, die keine Honorare zahlen konnten.

Gestalttherapie und Schreiben (Creative Writing oder Composing) korrespondieren bereits seit dem Entstehen dieser Therapieform miteinander.

Paul Goodman, der unter den Literaten seiner Zeit ein Geheimtipp war, veröffentlichte 1941 den Band „Stop Light": 5 Dance Poems. Ein Jahr später schreibt er „Don Juan or: The Continue of The Libido." Dieses ungewöhnliche Textprojekt passte in keine literarische Gattung, aus diesem Grund wurde es von den Verlagen zurückgewiesen. Außerdem war sein offener Umgang mit Sexualität nicht zeitadäquat. Die explosive Mischung aus akademischer Bildung, Literatur und Stigmatisierung ließen bei Goodman eine Denkkultur mit bemerkenswerter Intensität entstehen. In seiner Shortstory „A Ceremonial" übt Goodman Kritik gegen die Institutionen, aber auch gegen die Unbekümmertheit der Menschen, die sich von diesen Institutionen ein gewöhnliches Leben aufzwingen lassen (Blankertz 2003: 28).

Auch Fritz Perls hat sich immer wieder mit lyrischen Texten beschäftigt. Sein Gedichtband „Texte aus der Mülltonne" war ein Nebenprodukt seiner therapeutischen Arbeit. Perls benutzte das Schreiben als Ventil für seine Seele. Über die Anwendung des autobiografischen Schreibens in seiner gestalttherapeutischen Arbeit gibt es keine Hinweise. Er hat sie in seiner gestalttherapeutischen Praxis nicht angewandt.

Creative Writing, als Ausdrucks- und Forminstrumentarium der Gestalttherapie ist bisher nur wenig bekannt. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle versucht Zusammenhänge und Korrespondenzen des Creative Writing und der Gestalttherapie aufzuzeigen. Dabei begeben wir uns mit meiner Spurensuche an die Wurzeln der Sprache. Die Sprache, besonders das gesprochene Wort ist eine Ausdrucksform des Unterbewussten, das gestalttherapeutisch einsetzbar ist. Die Metaphern „Worte können heilen" oder "Worte können verletzen" kommen nicht von ungefähr. Schreiben als Medium der Seele. Die Möglichkeit mit einem Stift Buchstaben zu Worten werden zu lassen, um somit seinem Innenleben „Ausdruck" zu verleihen, ist eine Form, seinen Gefühlen im Außen Gestalt zu geben. Somit ist das Schreiben ein gestalttherapeutisches Instrumentarium, dem Abstrakten eine kognitiv erfassbare Wahrnehmung zu verleihen. Namenloses wird benannt, Chaotisches geordnet und die Angst kann ihr Grauen verlieren (Rico 1999: 20).

Dadurch, dass wir mit Sprache Gefühle zum Ausdruck bringen, erlangen wir die Fähigkeit, verantwortungsbewusst mit unserem Leben umzugehen. Die Sprache als Ausdruck des Unterbewussten macht Unsichtbares sichtbar, indem sie Verletzungen und Schmerzen der Seele eine Gestalt gibt.

Goodman, der 1972 das Buch: Speaking and Language bei Random House veröffentlichte, beschäftigt sich in seinem Werk mit der „Verteidigung der neuen Dichtkunst". In diesem Essay stellt er allerdings keinen Bezug zur gestalttherapeutischen Form des Schreibens her. Vielmehr beschränken sich seine Ausführungen auf die Kritik an der wissenschaftlichen Linguistik und deren Bezug zur „wirklichen" Sprache.

[...]


[1] Da es sich bei dem Begriff „Kreatives Schreiben“ um einen Eigennamen handelt, verwende ich im Folgenden die Großschreibung.

[2] Emotionale Unsicherheit beim Verfassen von schriftlichen Arbeiten.

[3] Der Kontrollverlust einer AutobiografIn zeigt sich in einer emotional stark überlagerten Textkulisse. Gottfried Benn hat einmal gesagt: „Kunst muss kühl bleiben“. Die Kühle im Text ermöglicht den RezipientInnen die Möglichkeit, ihre eigenen Emotionen und Imaginationen in die Textkulisse einzuweben.

[4] Schule für Dichtung in Wien.

[5] Volkshochschulen, Katholische Erwachsenenbildung, Kunstzentrum Bosener Mühle, Laudinella in St. Moritz.

[6] Im Kapitel 3.1 . Cut Up vom Schnitt der Zeilen, behandele ich den Einfluss der DaDa Bewegung auf das Creative Writing.

[7] ISBN: Internationale Bestellnummer, die ein Buch haben muss, wenn es über den Buchhandel zu beziehen sein soll. Die ISBN wird von der Deutschen Buchhändlervereinigung, mit Sitz in Frankfurt, vergeben.

[8] VS Verband deutscher Schriftsteller.

[9] VG Wort: Verwertungsgesellschaft Wort, mit Sitz in München, schützt die Urheberrechte von AutorInnen.

[10] Die Kursgebühren bewegen sich in der Regel auf der Selbstkostenbasis.

[11] T.C. Boyls jüngster Roman „Drop City“ ist 2003 im Hanser Verlag erschienen.

[12] Ein O-Ton ist ein Originalton. O-Töne werden in Reportagen für Hörfunk, Fernsehen oder Printmedien eingesetzt.

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Creative Writing als sozialpädagogisches Instrumentarium
Hochschule
Hochschule RheinMain  (Sozialwesen)
Veranstaltung
Kreativitätsförderung
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
106
Katalognummer
V32201
ISBN (eBook)
9783638329798
Dateigröße
966 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Creative, Writing, Instrumentarium, Kreativitätsförderung
Arbeit zitieren
Rüdiger Heins (Autor:in), 2004, Creative Writing als sozialpädagogisches Instrumentarium, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32201

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