Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definitionen relevanter Begriffe
2.1 Definition der Armut und Kinderarmut
2.2 Definition der Bildung und Bildungsarmut
3. Bildungsbenachteiligung in Deutschland
4. Armut und Bildung: Untersuchungen nach PISA und IGLU
5. Folgen von Kinderarmut
6. Notwendige Veränderungen
7. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
„Das größte Problem in der Welt ist die Armut in Verbindung mit fehlender Bildung. Wir müssen dafür sorgen, dass Bildung alle erreicht.“
(Nelson Mandela, Interview im Reader´s Digest, April 2005)
Der südafrikanische Freiheitskämpfer Nelson Mandela beschrieb 2005 eines des immer noch aktuellen Probleme, welches ebenfalls in der westlichen Welt anzutreffen ist: Immer mehr Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland wachsen in armen Familien auf – mit gravierenden Folgen für die Zukunft der Betroffenen als auch der gesamten Gesellschaft.
„Armut“ und „Bildung“ und das Verhältnis beider stehen seit geraumer Zeit im Mittelpunkt zahlreicher Diskurse. Im Hinblick auf Ursachen sowie die Bekämpfung der Armut spielt die Bildung eine wesentliche Rolle, sowohl bei der Betrachtung sozialer Ungleichheiten und daraus resultierenden Bildungsunterschiede als auch bei der Zurückführung von Kinderarmut auf Bildungsmängel (Butterwegge 2011, S. 411). Dabei ist Bildung ein Menschenrecht und ist im deutschen Grundgesetz verankert:
„Jeder hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muss allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen."
(Artikel 26 (1) der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte)
Bildung ist die Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung und befähigt Menschen, ihre politische, soziale, kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation zu verbessern. Kinder aus sozial benachteiligten Familien gehören meist zu den Bildungsverlierern. Die Armut basiert jedoch selten auf fehlenden Schulabschlüssen, sondern wird dadurch nur verstärkt und ist nicht der Verursacher von Not.
In der vorliegenden Hausarbeit werden praxisorientierte Studien und theoretische Auseinandersetzung genutzt, um die Bestrafung von Kinderarmut und resultierende Folgen in Form von Bildungsbenachteiligung zu untersuchen. Es wird geprüft, in wie weit schlechte finanzielle Lage und fehlende Abschlüsse der Eltern die Bildungschancen ihrer Kinder beeinflussen können, welche weiteren Faktoren in gleichem Maße zur Bildungsbenachteiligung führen können und die Kinder somit mit der Bestrafung ihrer Armut zu kämpfen haben.
2. Definitionen relevanter Begriffe
Um die Thematik und Problemstellung dieser wissenschaftlichen Arbeit zu verdeutlichen, werden im folgenden Abschnitt die Begriffe „Armut“ und „Bildung“ definiert.
2.1 Definition der Armut und Kinderarmut
„Armut ist ein Zustand, in dem Menschen unzureichende Einkommen beziehen“. Diese Definition aus einem Lehrbuch der Ökonomie ist fragwürdig. Armut ist nicht nur ein „Zustand“, sondern ein Teil eines Prozesses und ist nicht einfach gegeben, sie wird erzeugt. Es ist ebenfalls umstritten, wie Armut gemessen werden kann, sodass von „unzureichend“ die Rede sein kann. Und letztens reduziert diese Definition „Armut“ auf das Einkommen, eine durch den Markt vermittelte Größe (Sedmak 2005, S. 59).
Im Wesentlichen werden drei Arten der Armut unterschieden:
Absolute Armut wird laut der Weltbank als eine Armut bezeichnet, die durch ein Einkommen von ca. einem Dollar pro Tag gekennzeichnet ist. Auf der Welt gibt es 1,2 Milliarden Menschen, die in diese Kategorie fallen. Von relativer Armut spricht man in Wohlstandsgesellschaften, in denen es absolute Armut kaum gibt, jedoch eine arme Unterschicht. Gefühlte oder auch sozio-kulturelle Armut lässt sich kaum an konkreten Einkommensgrenzen festmachen. Sie betrifft Menschen, die sich aufgrund ihrer allgemeinen gesellschaftlichen Ausgrenzung oder Diskriminierung als „arm“ betrachten oder Angst vor einer sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage haben und in ständiger Angst vor Armut leben (World Vision Institut für Forschung und Innovation).
Drei verschiedene Armutskategorien bestimmen das Feld der Kinderarmut unterschiedlich: Einkommensarmut, Zertifikatsarmut und Kompetenzarmut (Allmendinger & Leibfried 2003, S.110). Die Einkommensarmut wirkt sich über das Defizit an Konsumchancen und Gelegenheiten zur Gestaltung der Sozialisationsprozesse aus - einschließlich der kognitiven Sozialisation und der Motivation zum Lernen und damit auf die Bildungschancen und Selektionsperspektiven in der Schule. Zertifikatsarmut wirkt sich auf den Übergang eines Jugendlichen in das Erwerbsleben aus, indem sie formale Voraussetzungen für den Zugang zum Qualifikationserwerbs und damit auch des Statuserwerbs nicht erfüllen kann. Das sind Voraussetzungen, die Jugendlichen einen Weg aus der Armut öffnen könnten. So trägt Zertifikatsarmut entscheidend zur Vererbung der Armut an die nächste Generation bei. Kompetenzarmut ist ein neues Konzept, das erst nach der PISA-Studien entstanden ist. Sie fokussiert auf die kognitiven und kulturellen Implikationen der Armut und auf deren Folgen (Edelstein 2006, S.123).
Für alle diese drei Kategorien gilt, dass ihre Auswirkungen auf den Bildungs- und Berufserfolg und den damit verbundenen Lebenserfolg der Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreffen. Einigen einkommensschwachen Familien gelingt es, ihre Kinder zu fördern. Bildungsarme Jugendliche können über Umwege oder mit Hilfe zu Erfolg gelangen, und Kinder, die in Tests als „kompetenzarm“ bezeichnet wurden, können durch pädagogische Interventionen bessere Kompetenzen erlangen.
Inwiefern sich die drei Kategorien der Armut auf die Bildungsbenachteiligung auswirken, wird in Abschnitt 3 näher erläutern (Edelstein 2006, S. 124).
Um die weiteren Inhalte der Armut und Kinderarmut der wissenschaftlichen Arbeit näher zu beleuchten, soll Abbildung 1 darstellen, wie viele Menschen in Deutschland in unterschiedlichen Alterskategorien und Haushaltstypen tatsächlich von Armut betroffen sind und wie sich die Zahlen vom Jahr 2001 zu 2006 verändert haben.
Abb. 1 : Armut in Deutschland 2001 – 2006 (Angaben in Prozent)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt 2008: SOEP 2001, 2006
2.2 Definition der Bildung und Bildungsarmut
„Das Recht auf Bildung ist nicht nur ein eigenständiges Menschenrecht sondern auch ein zentrales Instrument um den Menschenrechten zur Geltung zu verhelfen. [Es] hat eine wichtige Bedeutung für die Befähigung von Menschen, sich für die eigenen Rechte einzusetzen und sich im solidarischen Einsatz für Menschenrechte anderer zu engagieren “ (Motakef 2006, S. 13).
Das Menschenrecht auf Bildung korrespondiert mit dem Menschrechtlichen Diskriminierungsverbot: „[…] jedes Menschenrecht muss allen Menschen frei von Diskriminierungen gewährt werden “ (Motakef 2006, S. 25).
Bildung ist nicht abhängig von ihrer Verwertbarkeit, sondern ein Menschenrecht und Voraussetzung für ein Teilhaben am sozialen Leben. In Margarethe Werdermanns „Kinderarmut und Bildung“ wird Bildung definiert als „die Befähigung zu einer eigenständigen und selbstverantwortlichen Lebensführung und sozialer, politischer und kultureller Eingebundenheit und Verantwortung“ (Werdermann 2008, S. 47). Bildung sollte Fähigkeiten vermitteln, um in einer komplexen Umwelt handeln zu können, aber auch die Fähigkeit, sich mit Mitmenschen auseinander zu setzen und mit ihnen entsprechend umzugehen. Bildung umfasst auch die politische Mündigkeit, soziale Verantwortung und demokratische Teilhabe laut BMFSFJ 2006. Mit dem Erlangen von Bildung sollten u.a. folgende Zielvorstellungen verbunden sein: die Fähigkeit zu kritischem Denken und kritischer Reflexion, zu individueller Selbstbestimmung, bestehende soziale, politische und wirtschaftliche Strukturen zu erkennen, die Fähigkeit, sich kreativ mit Herausforderungen auseinander zu setzen und zu alternativem Denken und Handeln fähig zu sein und ebenso die Fähigkeit zur Kreativität, Kommunikation, Kritik, Kooperation und Mitentscheidung (Werdermann 2008, S. 48).
Unter „bildungsarme“ Personen fallen Menschen, die keinen höheren Sekundarabschluss aufweisen oder nach dem PISA-Test zur „Risikogruppe“ gehören. Bildungsarmut lässt sich anhand von fehlenden Zertifikaten oder anhand von geringen Kompetenzen messen.
Bildungsarmut kann negative Auswirkungen auf den finanziellen sowie sozialen Status der Betroffenen haben. Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind bei ungenügenden Bildungszertifikaten gering, vor allem in Deutschland (Werdermann 2008, S. 52).
Zwischen Bildungsarmut und sozioökonomischer Herkunft besteht eine enge Verbindung. Auf diese wird in den folgenden Abschnitten näher eingegangen.
3. Bildungsbenachteiligung in Deutschland
Anknüpfend an Abschnitt 2.1 entstehen Zertifikatsarmut und Kompetenzarmut zum größten Teil in Haupt- und Sonderschulen und gehen nicht einfach auf die Pädagogik dieser Schulen oder auf nicht angemessenen Förderung zurück. Vielmehr können diese Schulen im selektiven Schulsystem die betroffenen Schüler in ihrer kulturellen Lebenslage und fehlende Unterstützung in Elternhäusern nicht ausgleichen. Kompetenzarmut und Zertifikatsarmut entstehen zwar in Haupt- und Sonderschulen, sie sind jedoch Folge des selektiven Schulsystems. Bildungsarmut bestimmt in Gestalt von Zertifikatsarmut und Kompetenzarmut den Lebensverlauf der Betroffenen. Sie wird als Einkommensarmut an die nächste Generation weitergegeben. Herkunft aus Armutsverhältnissen ist ein bedeutender Faktor für Kompetenzarmut und Zertifikatsarmut. Armut gebiert Armut und Schulen in Deutschland fördern sie, wenn sie sie nicht gar selber erzeugen (Edelstein 2006, S. 128).
In keinem anderen Industriestaat entscheidet die sozioökonomische Herkunft so sehr über den Schulerfolg und die Bildungschancen wie in Deutschland (BMBF 2007).
Die Benachteiligung beginnt früh: So ergab eine OECD-Studie, dass Menschen mit relativ niedrigem Einkommen ihre Kinder zu einem vergleichsweise geringen Anteil in Kindertagesstätten unterbringen (OECD 2004, S. 64). Betroffen sind davon besonders Familien mit Migrationshintergrund. Gerade aufgrund des stattfindenden Wandels von einer Betreuungsperspektive bis hin zur frühkindlichen Bildung, wird eine Steigerung der Beteiligung und Bildungsförderung von Kindern aus benachteiligten Familien immer wichtiger.
Eine weitere wichtige Hürde im deutschen Schulsystem ist die Schullaufbahnempfehlung nach der Grundschule. Eine Reihe von Studien weisen darauf hin, dass Kinder mit einer niedrigen sozialen Herkunft bei gleicher oder ähnlicher Kompetenz viel seltener eine Gymnasialempfehlung bekommen als Schüler aus Mittel- und Oberschichtsfamilien (OECD 2004, S. 66).
Die Autoren und Autorinnen der IGLU-Studie fassen dies so zusammen: „Die Befunde zum sozialen Hintergrund des Kindes zeigen, dass in allen hier berichteten Ländern der sozioökonomische Status des Elternhauses, in Baden-Württemberg auch der Migrationsstatus der Familie, einen nicht zu vernachlässigenden Zusammenhang mit der Schullaufbahnempfehlung für das Kind hat“ (Bos 2004, S. 28). Kinder, die den beiden oberen Schichten der Untersuchung angehören, haben bei gleichen Ausgangskompetenzen eine 2,6-fach höhere Chance, eine Gymnasialempfehlung zu bekommen, wenn man sie mit Kindern der unteren Kategorien vergleicht (OECD 2003, S. 19).
Im internationalen Vergleich zählen die frühe Selektion und die hierarchisch gegliederte Sekundarstufe zu den auffälligsten Strukturmerkmalen des deutschen Schulsystems. International außergewöhnlich ist auch die Förderschule, die etwa fünf Prozent aller Schüler besuchen. Diese Schulform ist in Vergleichsländern internationaler Studien nicht vorhanden, weil in anderen Ländern Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf in die Regelschule integriert werden.
Kompetenzmessungen und erreichte Zertifikate werden mehr und mehr auch zum Maß von Bildungsarmut (BMBF 2004, S. 55). Dabei ist auffällig, dass mangelnde Bildung auch zu gesellschaftlichem Ausschluss auf mehreren Ebenen führt. Ländervergleiche (etwa Großbritannien, Finnland, Südkorea) zeigen, dass der Bildungsarmut stattfindet und dass das gegliederte deutsche Schulsystem keinesfalls eine Lösung auf gegebene Verteilungen gesellschaftlicher Intelligenz ist (Allmendinger 2003, S. 115). Das deutsche Schulsystem wird heute sogar als „Armutsfalle“ gesehen, also als das Gegenteil zu einer Einrichtung, welche sozialen Ausgleich bewirkt (Edelstein 2007, S. 13). Nur wenige Schulsysteme innerhalb der OECD sind auf so eine erhebliche Weise sozial selektiv wie das deutsche. Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und einem erfolgreichen Verlauf der Schullaufbahn ist in Deutschland wesentlich deutlicher zu sehen, als in den anderen an der Vergleichsuntersuchung beteiligten Ländern. Besonders betroffen davon sind Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, Kinder aus ärmeren Familien und Kinder und Jugendliche mit Lernbehinderungen. Der internationale Vergleich zeigt außerdem, dass ein solcher Zusammenhang - zum Nachteil betroffener Kinder - nicht anzutreffen sein sollte und verhindert werden kann, wie ein Blick auf andere Länder zeigt, welche den Sprung zu mehr Förderung schaffen (Overwien 2010, S. 32 f).
Über 30 Jahre sind nach der Umsetzung der Bildungsreformen vergangen, die zu einem gewaltigen Ausbruch institutionalisierter Bildung führte, wie die nachfolgende Abbildung 2
zeigt. Auffallend ist insbesondere der gewaltige Abbau des Anteils von Hauptschülern auf der einen Seite und der Anstiegs von Realschülern und Gymnasiasten auf der anderen Seite.
Abb. 2 : Welche Schule die 14-Jährigen 1952 und 2000 besuchten (Angaben in Prozent)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt (Stand 2001)
Wenn auch ganz allgemein festgestellt werden kann, dass die Bildungsexpansion den Kindern aus nahezu allen Bevölkerungsgruppen zum Vorteil kam, kann von einer Umverteilung der Bildungschancen zugunsten der benachteiligten unteren Schichten nicht die Rede sein. Wie in Abbildung 3 verdeutlicht wird, ist der angestrebte soziale Ausgleich durch Bildung keineswegs eingetreten.
Abb. 3 : Bildungschancen (Angaben in Prozent)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
4. Armut und Bildung: Untersuchungen nach PISA und IGLU
Ein Zusammenhang zwischen der schulischen Leistung und der sozialen Herkunft ist in jedem Staat gegeben – das zeigen die internationalen Vergleichsstudien. Die Studien zeigen jedoch auch, dass dieser Zusammenhang in keinem der beteiligten OECD-Länder so stark ist wie in Deutschland (OECD 2001, 2004). Zur Erklärung des Zusammenhangs wird üblicherweise auf die dreifache Benachteiligung von Kindern aus unteren Sozialschichten verwiesen, tatsächlich handelt es sich jedoch in Deutschland um eine vierfache Benachteiligung (Wernstedt 2008, S. 5).
Die primäre Benachteiligung für Kinder aus bildungsfernen Familien besteht darin, dass sie schlechtere Voraussetzungen mitbringen und weniger Unterstützung im Elternhaus bekommen.
Eine zweite und dritte Benachteiligung von Kindern aus bildungsfernen Familien findet am Übergang in weiterführende Schulen statt, der in Deutschland recht früh durch die Grundschulempfehlungen erfolgt. IGLU 2006 zeigt: Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern erhalten von ihren Lehrern erst bei deutlich höherer Leistung eine Gymnasialempfehlung als Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern. Für die Einschätzung der Lehrer gilt: Kinder aus der oberen Dienstklasse haben eine fast 5-mal höhere Chance, eine Gymnasialempfehlung von ihren Grundschullehrern zu erhalten. Dieser Befund ist 2006 noch deutlicher als 2001 sichtbar. PISA bestätigt ebenfalls diese hohe soziale Selektivität des deutschen Bildungssystems, die höher ist als in jedem vergleichbaren Land. Das Problem liegt darin, dass auch heute die soziale Herkunft eines Kindes nach wie vor über seinen Bildungserfolg entscheidet. So stellt Renate Valtin ausgehend von den IGLU-Befunden fest: „ Kinder aus der oberen Dienstklasse haben eine fast 5-mal höhere Chance als Kinder un- und angelernter Arbeiter, eine Gymnasialempfehlung von ihren Grundschullehrern und -lehrerinnen zu erhalten “ – und das bei gleichen Kompetenzwerten (Wernstedt 2008, S. 7).
Schüler in Deutschland sind aber noch einer vierten Benachteiligung ausgesetzt. Die frühe Aufteilung in unterschiedliche Schulformen und die damit verbundenen schulische und soziale Hierarchie führt zu einer sozialen Segregation der Kinder und Jugendlichen. Diese soziale Segregation ist charakteristisch für das differenzierende deutsche Schulsystem. Deshalb stellen die weiterführenden Schulen, wie die PISA-Autoren beschreiben, „unterschiedliche Entwicklungsmilieus“ bereit und sind mit „differenziellen Chancen des Kompetenzerwerbs verbunden“ (Baumert & Schümer, 2001, S. 354). An Schulen mit einem höheren Anteil benachteiligter Schüler leisten diese weniger, als man aufgrund ihrer individuellen Lernvoraussetzungen erwarten könnte. In Staaten mit Schulsystemen, in denen die Gliederung zu einem frühen Zeitpunkt beginnt, entstehen große sozioökonomische Ungleichheiten (OECD 2007).
Die Abbildung 4 belegt, wie die Zusammensetzung der Schüler hinsichtlich sozialer Schicht und Schulform ist und wie stark sich die Schulformen in Hinsicht auf sozialer Zusammensetzung voneinander unterscheiden. Besonders deutlich ist die soziale Segregation an Gymnasien und Hauptschulen. Während über 50 Prozent der Schüler, deren Eltern der oberen Dienstklasse angehören, das Gymnasium besuchen, sind über 40 Prozent der Kinder von Ungelernten auf der Hauptschule. Bei Familien mit Migrationshintergrund ist der Anteil noch höher, nämlich 50 Prozent. Kinder aus Familien der oberen Dienstklasse finden wir hier nur zu 10 Prozent. Es lässt sich kurz sagen: Wer arm an kulturellen und materiellen Gütern ist, hat es bis heute schwerer, einen Bildungsweg am Gymnasium einzuschlagen als ein Kind aus der sozialen Oberschicht. Die Ergebnisse der PISA-Studie stützen letztendlich das, was die Bildungsforschung seit Jahren zeigt: Soziale Unterschiede werden durch Bildungsprozesse nicht verhindert, sie werden unterstützt und wirken sich auf den Lebenslauf der Kinder und Jugendlichen aus (PISA 2001, S. 37).
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