Soziale Diagnostik in der Kinder-und Jugendhilfe. Modelle und Anwendung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

13 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Was ist Soziale Diagnostik

Verhältnis der Sozialen Arbeit zur Diagnostik

Modell nach Mollenhauer und Uhlendorff

Anwendung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe (ASD/RSD)

Zusammenfassung

Quellen

Was ist Soziale Diagnostik

Soziale Diagnostik wird in vielen Bereichen der Sozialen Arbeit angewendet (häufig auch unbewusst), in der Regel wird diese lediglich anders oder auch gar nicht benannt. Die Diagnose, welche eher im Bereich der Medizin oder der Psychologie angesiedelt ist, stellt eine Einschätzung oder eine Aussage dar. Diese Annahmen durch einen „erkennenden Menschen“ beanspruchen vorläufige Geltung und sollen eine Grundlage oder eine Anleitung für das folgende Handeln darstellen (Staub-Bernasconi 2003, S. 35). Daher wage ich die These, dass jeder fachlichen Leistungserbringung durch Sozialarbeiter / Sozialpädagogen eine Diagnostik zu Grunde liegt. Die Fachkräfte der Sozialen Arbeit beobachten, beschreiben, analysieren und bewerten, um zu einer Beurteilung eines Falles zu gelangen. Im Feld der Kinder- und Jugendhilfe werden Leistungen des SGB VIII als Interventionen bei familiären Problemen, Lernstörungen, Entwicklungsverzögerungen und vor allem bei Erziehungsproblemen und zur Gefährdungsabwehr realisiert. In der Regel obliegt die Einschätzung oder Diagnostik in diesen Fällen den Sozialarbeitern / Sozialpädagogen des Jugendamtes (ASD / RSD). Bei Burkhard Müller wird dieser Vorgang auf die zwei Grundfragen verdichtet. Die erste lautet: „Wer hat welches Problem?“ Die zweite lautet: „Was ist aus fachlicher Sicht zu tun?“ (vgl. Müller 2009, 117 ff). Die Antwort auf die erste Frage ist bereits Teil der Diagnostik und Voraussetzung um die zweite Frage beantworten zu können. Schrappner plädiert ebenso wie Müller für eine eigenständige sozialpädagogische Diagnostik oder Fallanalyse und beschreibt hierbei drei aktuelle Verfahren:

- „Entscheidungsorientiert-legitimatorische Verfahren:

Relevante Fakten, Belastungen und Konflikte werden zusammengefasst und ausgewertet. Hierdurch werden vor allem Interventionen legitimisiert.

- Biographisch-rekonstruktive Verfahren:

Das Material für diese Analysen wird aus möglichst offenen Selbstdeutungen gewonnen. Ziel hierbei ist es, Muster zu erkennen, welche die Wahrnehmungen und Interpretationen eines Menschen geprägt haben.

- Beziehungsanalytische-inszenierende Verfahren:

Fälle werden innerhalb eines Teams vorgestellt und beraten, um Dynamiken zu erkennen, Ressourcen aufzudecken, Rollen zu verstehen und somit einen distanzierten Deutungsprozess zu ermöglichen“ (Schrappner 2004, S. 46 ff.)

Es kann daher in der Diskussion um die soziale Diagnostik nicht mehr um die Beantwortung der Frage gehen, ob Professionelle überhaupt Annahmen über die Realität der Fälle entwickeln, die ihr anschließendes intervenierendes fachliches Handeln begründen und anleiten. Zu klären ist vielmehr die Frage, auf welche Weise sie zu diesen Annahmen gelangen und welche Methoden (Verfahren) sie ggf. anwenden.

Verhältnis der Sozialen Arbeit zur Diagnostik

Alice Salomon führte bereits im Jahr 1926 mit ihrer Übersetzung des amerikanischen Lehrbuches von Mary E. Richmond auch den Begriff der Sozialen Diagnose in die deutsche Soziale Arbeit ein. Wie bereits erwähnt, ist der Begriff der Diagnose trotzdem eher in den klassischen Disziplinen (Medizin, Psychologie, etc.) angesiedelt. Zum Begriff der Diagnosen innerhalb der Sozialen Arbeit haben viele Vertreter ein eher ambivalentes Verhältnis. Professionelle scheinen die Vertreter der klassischen Disziplinen auf der einen Seite für ihre eindeutigen „Urteile“ zu beneiden, andererseits lehnen sie Diagnosen ab, da diese einen stigmatisierenden Charakter haben können. Dies erscheint nicht realitätsnah, da in vielen Bereichen der Sozialen Arbeit entweder interdisziplinär gearbeitet wird oder aber Diagnosen von Ärzten oder Psychologen sinnhaft hinzugezogen werden. In der Sozialpsychiatrie ist dieser Weg auch andersherum möglich, hierbei stützen sich Mediziner auch auf soziale Anamnesen oder Diagnosen. Dabei erscheint der Begriff der Sozialen Diagnose als eine Möglichkeit professionelles Handeln von Sozialarbeitern / Sozialpädagogen transparent zu machen und somit die eigene Expertise gegenüber anderen Professionen fachlich begründet und nachvollziehbar darzustellen. Die Diskussion über ein eigenes Diagnoseverfahren ist also auch ein Teil der fortlaufenden Professionalisierungsdebatte in der Sozialen Arbeit. Die Profession und ihre Vertreter müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie häufig „der Dominanz fremder Beurteilungsinstanzen unterliegt“ (Heiner 2011 S. 12) und sich leider auch meist damit zufrieden geben. Dies kann nur mit der Stärkung des eigenen Urteils und somit auch der Methodisierung des genutzten Verfahrens erfolgen. Die Expertise von Sozialarbeitern / Sozialpädagogen muss auf einem nachprüfbaren Verfahren begründet sein, es reicht nicht mit Talent, Erfahrung, Intuition oder sonstigem zu argumentieren. Ausgehend von dieser Basis kann sich die Soziale Arbeit von konkurrierenden Deutungsinstanzen emanzipieren und zum Beispiel gegenüber Sozialleistungsträgern Ansprüchen von Klienten besser darstellen und begründen. Es sollten hierbei nicht vergessen werden, dass es bei einer methodisch belegten Sozialen Diagnose vor allem darum geht, Ansprüche von Klienten strukturiert und transparent zu schildern, um ggf. eine Hilfeleistung einrichten zu können und Fälle besser zu verstehen; das potentiell gesteigerte Ansehen der Profession ist dabei ein positiver „Nebeneffekt“. Weiterhin haben Klienten einen Anspruch auf eine methodisch fundierte Diagnostik, welche eine Beteiligung des Klienten ermöglicht und ggf. auch einen Widerspruch oder eine Infragestellung zulässt. Dies kann nur erfolgen, wenn eine Diagnostik nicht auf Mutmaßungen beruht, sondern auf begründeten fachlichen Urteilen nach methodischen Regeln, welche Überprüfungs- und Einspruchsmöglichkeiten enthalten. Letztlich geht es hier auf der technischen Seite um Validität der Verfahren und auf der personalen Seite um die Objektivität der Verfahren. Trotz dieser Argumente werden immer wieder zwei Ebenen der Kritik an einer methodischen Diagnostik in der Sozialen Arbeit angeführt:

- Methodisierte Verfahren sozialer Diagnostik würden den Fachkräften der Sozialen Arbeit nicht zur sach- und fachgerechten Erkenntnis der sozialen Realität verhelfen (vgl. Kunstreich u.a. 2005).
- Im Gegensatz dazu wird bezweifelt, ob verbesserte Erkenntnisverfahren überhaupt wünschenswert seien. Die - durchaus für möglich gehaltene - Fortentwicklung der Fähigkeit in der Sozialen Arbeit, die Lebensweise ihrer Adressatinnen komplex zu verstehen, ist in diesem Licht als ein „Angriff auf die letzten noch der Öffentlichkeit entzogenen Bereiche des privaten Lebens vor allem der Unterschichtsbevölkerung“ deutbar, der letztendlich „auf die Enteignung ihres Bewusstseins“ abzielt (Brumlik 1984, S. 40).

Wir haben es hier also mit zwei entgegen gesetzten Zweifeln zu tun: Soziale Diagnostik erfasst die Wirklichkeit womöglich zu wenig - das ist schlecht. Und: Soziale Diagnostik erfasst die Wirklichkeit womöglich zu genau - das ist auch schlecht. Diese Kritik zeigt auf, dass Soziale Diagnostik ihre emanzipatorische Kraft entwickeln sollte, die sie im Interesse der Klienten der Sozialen Arbeit haben kann, sich aber zugleich nicht zu Stigmata verfestigen sollte; so ergeben sich hieraus Forderungen, die auch als Gütekriterien genutzt werden können. Sie dienen gewissermaßen als Präzisierungshilfen im Entwicklungsprozess von Methoden Sozialer Diagnostik. Anhand dieser Parameter ergeben sich folgende Anforderungen an eine Soziale Diagnostik:

- Eine Soziale Diagnostik muss sich vor einer singulären Betrachtungsweise verwehren. Dies würde vielen Auftraggebern der Sozialen Arbeit zwar entsprechen, da diese häufig monetäre Aspekte in den Vordergrund einer Bedarfsfeststellung stellen, aber die Soziale Arbeit muss hier ihre Stärke, soziale (nicht triviale) Probleme aus mehreren Perspektiven zu beleuchten, beibehalten.
- Die angewendeten Verfahren sollten den gängigen Gütekriterien entsprechen und so weit wie möglich ihre Reliabilität, Validität und Objektivität erweisen, also darauf getestet sein, inwiefern sie ihren Gegenstand wirklich erfassen.
- Die Verfahren sollten unbedingt transparent sein, damit auch in Infragestellung der Diagnose durch den Klienten möglich gemacht wird.
- Der Umfang der Verfahren sollte im Verhältnis zum Arbeitsauftrag angemessen sein.
- Die Anwendung solcher Verfahren sollte in einem angemessenen Rahmen vermittelt werden. Hierzu sind Fortbildungen durch zertifizierte Fachkräfte notwendig.

Anhand dieser Kriterien sollte sich ein konkretes Verfahren für die praktische Anwendung orientieren, damit es den Grundsätzen der Profession und den Klienten entsprechen kann.

Modell nach Mollenhauer und Uhlendorff

Als ein geeignetes und vor allem praxistaugliches Verfahren soll im Folgenden der sozialpädagogische-hermeneutische Diagnoseprozess nach Mollenhauer und Uhlendorff beschrieben werden.

Das Verfahren richtet sich nicht an einzelne Helfer, sondern an kleinere Fachteams (3-6 Personen). Die Problemdefinition und Handlungsplanung wird nicht an außenstehende „Experten“ abgegeben, sondern obliegt den Bezugsbetreuern, welche einen regelhaften Kontakt haben (vgl. Krumenacker 2004, S. 92). Das Verfahren eignet sich eher für „schwierige Fälle“ und nicht zum routinemäßigen Einsatz, da der zeitliche Aufwand als sehr hoch eingeordnet werden muss (vgl. Krumenacker 2004, S. 94). Die Leistungsfähigkeit eines solchen Verfahrens kann natürlich nur schwer bemessen werden. Erfahrungsberichte beschreiben aber, dass auch bei länger bekannten Jugendlichen (Klienten) sich zwar nicht das Gesamtbild des Jugendlichen ändert, „aber der Blick der Professionellen wurde häufig für zusätzliche Aspekte sensibilisiert“ (Kumenacker 2004, S. 94). Als Grundlage für das Verfahren nach Mollenhauer und Uhlendorff dient ein ca. 1-1,5 Std. halbstrukturiertes Interview mit dem Jugendlichen. Dieses Interview soll den Charakter eines flexiblen Gesprächs haben und den Jugendlichen Raum für Erinnerungen, aktuelles Erleben und Zukunftsvorstellungen geben (vgl. Krumenacker 2004, S. 95). „Der Interviewer soll hierbei ermutigen, möglichst viel von sich zu erzählen und dabei seinem Gegenüber den Redefluss überlassen“ (Krumenacker 2004, S. 95). Gezielte Nachfragen sind, wenn erforderlich, durchaus anzubringen. In dem Interview soll „aus der Perspektive der Jugendlichen möglichst viel über deren gegenwärtige Lebenssituation und ihre derzeitigen Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung“ in Erfahrung gebracht werden (Krumenacker 2004, S. 96). Anhand des Materials aus dem Interview sollen 3-5 sogenannte „Lebensthemen“ gefiltert werden. Mollenhauer und Uhlendorff meinen damit „übergeordnete und mit Konflikten besetzte Thematiken“ in dem Interview, anhand dieser sollen die Aussagen sinnhaft strukturiert werden (Krumenacker 2004, S.99 zit. n. Mollenhauer / Uhlendorff 1992, S. 35). Hierdurch sollen die komplexen und manchmal auch sehr zahlreichen Schilderungen der eigenen Biographie (meist mit bereits vorhandenen Hilfeabbrüchen) zusammengefasst und strukturiert werden, damit neue Ansatzpunkte für die Fallarbeit gefunden werden können. Weiterhin sollen die Lebensthemen die Existenz von zwei vorhandenen Perspektiven veranschaulichen: Die Perspektive des Professionellen und die des Klienten. Die Erkenntnisse über diese zwei durchaus voneinander abweichende Perspektiven erscheint hierbei nicht überraschend, allerdings sollten Professionelle sich immer wieder die Divergenz der Perspektiven vor Augen halten, denn dieser Zugang ermöglicht es, die Perspektive des Klienten besser zu verstehen. Ein Verständnis der Perspektive ermöglicht wiederum auch ein Verständnis für die Realität und die Aktionen/Reaktionen des Klienten. Ziel des Zugangs über die Lebensthemen des Klienten ist es, dies erscheint zuerst auch nicht neuartig, eine Perspektive zu entwickeln. Dies erfolgt, indem ein „Begehren“ ermittelt wird und dieses mit den realistischen Möglichkeiten abgeglichen wird, hierbei geht es nicht darum, Ziele als unrealistisch abzuwerten, sondern „Realitätsspielräume“ aufzudecken und aufzuzeigen. Mollenhauer ergänzt hierzu, dass es bei der Umsetzung der Lebensthemen wichtig ist, „die mitteleuropäischen Standarderwartungen und Chancen für zum Beispiel Jugendliche nicht zum unreflektierten Bezugs- oder Fluchtpunkt der Deutungen“ zu machen (Krumenacker 2004, S. 100 zit. n. Mollenhauer / Uhlendorff 1992, S. 35). Das bedeutet, dass Professionelle sich mit den Klienten auch bei unkonventionellen Projekten solidarisch zeigen sollten. Mollenhauer unterstreicht mit seiner Vorgehensweise zum einen, dass sich auch sozialpädagogische Fachkräfte der Differenz der Themen der Klienten und denen der Professionellen bewusst sein sollten und zum anderen, dass die Lebensthemen der Klienten sehr häufig mit Konflikten aus der eigenen Biographie (häufig im Rahmen der eigenen Familie) im Zusammenhang stehen. Dies zeigt sich sehr beispielhaft an Jugendlichen, bei denen häufig angenommen wird, dass sie sich mit Fragen der Verselbstständigung und der eigenen peer-group auseinandersetzen. Die Interviews im Rahmen der Sozialen Diagnostik zeigten, dass sich schwer belastetete Jugendliche zum Beispiel noch stark mit den Konflikten mit der eigenen Familie und der Vergangenheit auseinandersetzten (vgl. Krumenacker 2004, S. 101).

Mollenhauer und Uhlendorff gehen in ihrem Konzept davon aus, dass die Auseinandersetzung der Klienten mit den Lebensthemen eine Entwicklung bei den Klienten in Gang setzt oder das „belastende Themen nicht mehr in destruktiven Tätigkeiten umgesetzt wird, sondern in ein konstruktives Tätigsein überführt“ (Krumenacker 2004, S. 109 zit. n. Mollenhaupt/Uhlendorff 1992, S. 137). Damit von den gefilterten Lebensthemen entsprechende Tätigkeiten einfacher abgeleitet werden können, haben Mollenhauer und Uhlendorff ein Schema für Professionelle entwickelt. Hierbei werden unter Einbezug von prägenden Herkunftserfahrungen und daraus in der Regel resultierenden Lebensthemen „Tätigkeiten mit vermutlich heilender Wirkung“ in Zusammenhang gebracht.

Beispiel:

- Herkunftserfahrung: Frühkindliche Vernachlässigung (leibliche / emotionale Versorgung)
- Lebensthema: körperliches Wohlbefinden
- Heilsarme Tätigkeit: Kochen / Sport / Waschen

Dieses Konzept bietet trotz der vielen Möglichkeiten einen Aspekt, welchen viele Praktiker von theoretischen Ansätzen häufig fordern, Handlungsanweisungen für die Professionellen. Weiterhin ist er im Ergebnis auch nicht nur abstrakt und theoretisch gelagert, dies wird bei den Klienten für Zuspruch sorgen. Das Verfahren der sozialpädagogisch-hermeneutischen Diagnose beschränkt sich aber nicht nur auf das Aufspüren der „lebensthematischen Diagnose“. Mollenhauer und Uhlendorff filtern zusätzlich aus den Lebensthemen „ihnen zu Grunde liegende und verallgemeinerbare Selbstdeutungsmuster“ (Krumenacker 2004, S. 112 zit. n. Mollenhauer/Uhlendorff 1997, S. 7). Mollenhauer und Uhlendorff beschreiben hierbei sechs Dimensionen oder zentrale Bildungsdimensionen: „Zeit, Körperbilder, Selbstentwürfe, normative Orientierungen, Devianz und Interaktionsstrategien“ (Krumenacker 2004, S. 112 zit. n. Mollenhauer/Uhlendorff 1995, S. 121). Für die Praxis bedeutet das, sollte in den Interviews mit den Klienten etwas über die genannten Dimensionen in Erfahrung gebracht werden, dann kann man wahrscheinlich auch nützliche Angaben für das Hilfeplanverfahren filtern und Angaben zu Unterstützungsmöglichkeiten oder sinnhaften Aufgabenstellungen darlegen.

Anwendung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe (ASD/RSD)

Die Anwendung der Sozialpädagogischen Diagnose nach Mollenhauer und Uhlendorff bezieht sich eher auf Kinder und Jugendliche, die sich bereits in einem Kontext der Jugendhilfe befinden. Ihr Ansatz soll es zum Beispiel Fachkräften der stationären Jugendhilfe ermöglichen, neue Perspektiven einzunehmen und neue Handlungsoptionen mit dem Jugendlichen zu ergründen. „Krumenacker/Ziegler fordern eine Ergänzung von Diagnosen die eine Auswahl des spezifischen Settings erlauben“ (Müller 2004, S. 63 zit. n. Krumenacker/Ziegler 1999, S. 155). In der Kinder- und Jugendhilfe obliegt es den Fachkräften des ASD/RSD des zuständigen Jugendamtes einzuschätzen, ob ein Anspruch auf eine öffentliche Unterstützung im Rahmen des SGB VIII besteht und ob ggf. das Kindeswohl gefährdet ist. Diese beiden hoheitlichen Aufgaben sind im § 8a SGB VIII (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung) und in den §§ 27 ff. SGB VIII (Hilfen zur Erziehung) geregelt. Die Fachkräfte des ASD/RSD geben somit in diesen beiden Bereichen Einschätzungen ab, welche Eindeutig eine Sozialpädagogische Diagnostik darstellt. Der ASD/RSD erscheint ein Tätigkeitsbereich zu sein, in welchem die meisten Sozialpädagogischen Diagnosen angefertigt werden. Sowohl die Einschätzung, ob ein Anspruch auf Hilfen zur Erziehung besteht, als auch insbesondere die Einschätzung zur potentiellen Gefährdung des Kindeswohles sind Bewertungen mit weitreichenden Folgen. Ein Anspruch auf Hilfen zur Erziehung besteht nach dem § 27 SGB VIII zum Beispiel, wenn „eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist“ (§ 27, Abs. 1 SGB VIII). In diesem Fall erfolgt in der Regel aufgrund der Einschätzung des Sozialarbeiters im ASD/RSD eine Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII und ggf. die Einsetzung einer Hilfe zur Erziehung, welche dann durch einen freien Träger der Jugendhilfe durchgeführt wird. Die Folgen der Einschätzung sind hierbei also der Arbeitsauftrag an einen freien Träger, die Zusammenarbeit der Helfer mit der Familie oder dem Jugendlichen und die Verwendung (und Verantwortung) von öffentlichen Geldern (Steuermitteln). Bereits hier wird klar, dass die Sozialpädagogische Einschätzung oder Diagnostik weitreichenden Folgen hat. Müller sieht die Hilfeplanung an sich noch nicht als Diagnostik an, sondern als „Verhandlungsverfahren, in welchem die Leistungen der Hilfe ausgehandelt werden“ (Müller 2004, S. 70), aber die „Erarbeitung eines fachlich vertretbaren Standpunktes“ mit dem die Fachkraft des ASD/RSD in diese Verhandlung geht bezeichnet Müller hierbei als Diagnose (Müller 2004, S. 70). Das bedeutet, dass „Psychosoziale Diagnoseverfahren solche sind, in denen Fachleute unter sich begründete Meinungen darüber erarbeiten, was als nächstes getan werden sollte; sie zu entwickeln und fortzuschreiben ist Voraussetzung für eine vernünftige Verhandlung über Hilfepläne, aber nicht deren Ergebnis“ (Müller 2004, S. 70). Noch gewichtiger erscheinen die Auswirkungen der Sozialpädagogischen Diagnose im Bereich des Kinderschutzes. Hierzu soll § 8a Abs. 2 SGB VIII angeführt werden: „Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen; dies gilt auch, wenn die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken. Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen“ (§ 8a Abs. 2 SGB VIII). Dieser Paragraph macht eindrücklich die Verantwortung der Fachkräfte des ASD/RSD im Rahmen des Kinderschutzes und einer potentiellen Gefährdung des Kindeswohls deutlich. Es sind hierbei gleich mehrere Sachverhalte zu beurteilen:

[...]

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Soziale Diagnostik in der Kinder-und Jugendhilfe. Modelle und Anwendung
Hochschule
Fachhochschule Potsdam  (Sozialwesen)
Veranstaltung
Handlungsstrategien und Arbeitsformen im Feld der Familie
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
13
Katalognummer
V322589
ISBN (eBook)
9783668217485
ISBN (Buch)
9783668217492
Dateigröße
687 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
soziale, diagnostik, kinder-und, jugendhilfe, modelle, anwendung
Arbeit zitieren
B.A. David Deter (Autor:in), 2015, Soziale Diagnostik in der Kinder-und Jugendhilfe. Modelle und Anwendung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/322589

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