Anselm von Canterbury ist einer der bedeutendsten Philosophen aus dem Mittelalter. Er war ein gläubiger Philosoph, der im Proslogion versucht, ein Argument für das Dasein Gottes zu schaffen. Ziel von Anselm von Canterbury war es, seinen Glauben durch ein ontologisches Argument zu beweisen. Dieses Argument stößt aber auch auf Kritik. Welche Kritik das ist, wird in diesem Essay erläuternd dargestellt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Rekonstruktion des ontologischen Arguments
3. Kritik am ontologischen Argument
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Anselm von Canterbury ist einer der bedeutendsten Philosophen aus dem Mittelalter. Er war ein gläubiger Philosoph, der im Proslogion versucht, ein Argument für das Dasein Gottes zu schaffen. Ziel von Anselm von Canterbury war es, seinen Glauben durch ein ontologisches Argument zu beweisen. Dieses Argument stößt aber auch auf Kritik. Welche Kritik das ist, wird in diesem Essay erläuternd dargestellt.
2. Rekonstruktion des ontologischen Arguments
Im Proslogion hat Anselm ein ontologisches Argument formuliert, welches die Existenz Gottes beweisen soll. Hierbei greift er auf ein logisches Beweisverfahren, reductio ad absurdum[1], zurück. In seinem Argument startet Anselm mit einer Quasi-Definition:
[1] Gott ist etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. [2]
Anselm definiert also Gott durch diesen Satz, auf den das gesamte Beweisverfahren aufbaut. Darauf folgend schafft Anselm sich einen imaginären Gegenpart, den Tor. Er ist ein Ungläubiger, auf den er in seinem nächsten Schritt eingeht:
[2] Wenn der Tor die Quasi-Definition hört, dann versteht er sie.[3]
Hieraus folgt laut Anselm sogar, egal ob das explizite Wesen dadurch wirklich verstanden wurde:
[3] „(…) und was er versteht, ist in seinem Verstande (…)“ .[4]
Man muss dazu sagen, dass Anselm zwischen, was man im Verstand hat und dem Verständnis, dass etwas ist, unterscheidet. Dieser dritte Punkt sagt also noch nichts über die Existenz Gottes aus. Nun beginnt Anselm mit dem Widerspruchsbeweis, indem er eine Annahme stellt:
[4] „Das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, existiert nur im Verstande, aber nicht in der Wirklichkeit“. [5]
Diese Annahme versucht Anselm von Canterbury nun zu widerlegen. Dafür führt er zwei weitere Prämissen ein:
[5] „Wenn etwas im Verstande existiert, kann gedacht werden, dass es auch in Wirklichkeit existiert“ [6] und [6] „Wenn etwas in Wirklichkeit besteht, ist es Größer (…), als wenn es nur im Verstande existiert“. [7]
Nun entsteht der Widerspruch, denn:
[6] „Das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, ist etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann.“[8]
Und genau diese Aussage ist ein Widerspruch zu den Argumenten [5] und [6]. Somit ist ein ontologisches Argument geschaffen, welches mit Mitteln der Logik die Existenz Gottes beweisen soll. Abschließend sollte noch geklärt werden, was im Proslogion mit dem Wort „größer“ gemeint ist. Anselm sieht das größer-sein als eine Art vollkommener-sein. Er versteht Gott also als das vollkommenste, was überhaupt existent ist.
3. Kritik am ontologischen Argument
Die erste große Kritik bezieht sich auf Schritt [3]. Heute kann wohl kaum noch jemand einsehen, was es bedeutet, wenn etwas im Verstande existiert. Zwar war im Mittelalter allgemein anerkannt, dass alles, worüber ich nachdenke, woran ich mich erinnere, sogar alle Wahrnehmungen im Verstand sind, jedoch wurde dieses Bild inzwischen überholt.[9] Man ist sich inzwischen im Klaren, dass nur Repräsentationen von Dingen im Verstand sind. Ansgar Beckermann nennt dazu das Beispiel eines Baumes: „Wenn ich einen Baum sehe, habe ich einen Wahrnehmungseindruck des Baumes in meinem Geist. (…) Der Wahrnehmungseindruck eines Baums ist aber nicht dieser Baum selbst (Auch nicht in einer besonderen abgeschwächten Seinsweise)“.[10] Wenn man dieses aktualisierte Bild auf Anselms dritten Schritt überträgt, so kann man sagen, dass dies das Gewicht Anselms Argumentationskette sehr verringert. Dadurch, dass Gott nach der neueren Auffassung durch das Verständnis seiner Definition nicht wirklich im Verstande ist, sondern nur eine Repräsentation dessen, was wir uns darunter vorstellen, kann man nicht auf seine Existenz schließen.
Ein weiteres Problem in Anselms Argumentationsweg ist Schritt [5]. Dies kritisiert auch Gaunilo in seinen Einwänden schon. Gaunilo spricht an, dass es auch sein kann, dass das über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann nur so im Verstand ist, wie zweifelhafte und falsche Entitäten[11]. Dies kann aber nicht sein, da z.B. weder ein Einhorn (falsche Entität), noch ein Alien (Zweifelhafte Entität), nur weil es in unserem Verstand ist, auch in Wirklichkeit existiert.[12] Allerdings findet Anselm hierzu direkt einen Einwand, indem er im Geistesprozess zwischen intelligere[13] und cogitare[14] unterscheidet. Er sagt, nur Richtiges könne man verstehen und solche Entitäten könne man denken, man könne sie aber niemals im Verstande haben.[15]
Das aber wohl größte Problem ist das Existenzproblem. Dieses taucht in der Argumentationskette in Schritt [6] auf. Hier kommt sowohl eine Kritik von Kant, als auch eine von Frege zum Tragen. Hierzu braucht man einen kurzen Einblick in Kants Kritik der reinen Vernunft. In der Kritik der reinen Vernunft wird von Kant zwischen analytischen und synthetischen Sätzen unterschieden. Analytische Sätze sind solche, bei denen „(…)das Prädikat B (…) zum Subjekt A als etwas [gehört], was in dem Begriffe A (versteckter Weise) enthalten ist“.[16] Um dies zu verstehen kann man viele Beispiele nennen, z.B. die Aussage „alle Körper sind ausgedehnt“[17]. Hierbei steckt in dem Begriff „Körper“ schon das Ausgedehnt-sein drin. Sätze synthetischer Art sind nun Sätze, bei dem das Prädikat nicht schon von vornherein im Begriff drin steckt.[18] Im Bezug auf Anselms ontologisches Argument bezweifelt Immanuel Kant, dass der Satz „Gott existiert“ analytisch ist. Diese Zweifel zieht er aus einem traditionellen Verständnis analytischer Sätze, dass die Annahme, sie seien falsch, einen Widerspruch ergibt. Ansgar Beckermann erklärt dies folgendermaßen: „Kants Überlegung bezieht sich auf analytische Wahrheiten der Form ‚Alle F sind G‘. Wenn man bei solchen Aussagen das Subjekt behält, aber das Prädikat aufhebt, so entsteht ein Widerspruch“.[19] Nun ist das Prädikat in dem Satz „Gott existiert“ das Wort „existieren“. Wenn man den Satz „Gott existiert“ negiert in „Es gibt keinen Gott“, so entsteht kein Widerspruch. Somit ist dieser Satz keine analytische Wahrheit.[20] Da nur analytische Wahrheiten einen a priori-Charakter haben, kann dieser Satz nicht unabhängig von der Erfahrung sein. Nun geht Kant aber noch einen Schritt weiter, indem er die Bedeutung des Begriffs „existieren“ als ein Prädikat in Frage stellt. Er sieht den Begriff nicht als ein Prädikat, wie zum Beispiel „essen“, das irgendeinem Ding eine bestimmte Eigenschaft zuschreibt. In diesem Fall wäre die Eigenschaft, dass dieses Ding isst. Hierzu schreibt Kant: „ Sein ist offenbar kein reales Prädikat, d.i. ein Begriff von irgendetwas, was zum Begriffe eines Dinges hinzukommen könne. Es ist bloß die Position eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen an sich selbst. Im logischen Gebrauch ist es lediglich die Kopula[21] eines Urteils“.[22] Man kann also nicht, wie es Anselm tut, Existenz als eine Eigenschaft sehen, die zur Definition eines Merkmals gehört. Hierzu fasst Ansgar Beckermann das Argument Kants sehr treffend zusammen: „Angenommen ich besaß gestern keine hundert Taler, bekommen heute aber hundert Taler geschenkt, dann habe ich heute genau das, was mir gestern fehlte. Wenn der Begriff hundert Taler sich aber dadurch ändern würde, dass sie jetzt existieren, dann hätte ich heute etwas anderes als das, was ich gestern nicht hatte; denn dann hätte ich heute hundert existierende Taler, während mir gestern hundert nicht existierende Taler fehlten“.[23]
Auch Frege´s Theorie der Existenz entspricht nicht dem Existenzbegriff Anselms. Dieser teilt Begriffe in Stufen ein. Begriffe erster Stufe sind in Sätzen wie „Frank isst“ und „Hans liest“ enthalten. Hierbei sind „isst“ und „liest“ Begriffe erster Stufe. Dies sind sie, weil bestimmte Gegenstände unter diese Begriffe fallen. In den genannten Beispielen fällt Frank unter den Begriff „isst“ und Hans fällt unter den Begriff „ liest“. Dann gibt es aber noch Begriffe zweiter Stufe. Ein Begriff zweiter Stufe ist zum Beispiel „oft“. Diese Begriffe können noch unter die Begriffe erster Stufe fallen: „Frank isst oft“ oder „Hans liest oft“. Dieser Begriff sagt lediglich aus, dass es Zeitpunkte gibt, an denen Hans liest oder Frank isst, also dass der Begriff erster Stufe „liest“ nicht leer ist. Nun sagt Frege, dass „Existenz“ ein Begriff zweiter Stufe ist. Wenn ich also sage, dass Aliens existieren, sage ich damit lediglich aus, dass die Begrifflichkeit „Aliens“ nicht leer ist, also dass mindestens ein Gegenstand existiert, der unter diesen Begriff fällt. Nun sagt Frege, es gäbe für Begriffe erster Stufe genau drei Möglichkeiten, wie sie existieren: 1. Sie sind leer, also es fällt kein Gegenstand unter den Begriff; 2. Einige Einzelgegenstände fallen unter den Begriff, andere aber nicht; 3. Es fallen alle Einzelgegenstände unter den Begriff. Nun fällt also ein Begriff erster Stufe unter den Begriff „Existenz“, wenn er nicht leer ist. Laut Frege ist der beste Ausdruck für „Existenz“ der Existenzquantor „ “. Nun haben Aussagen mit dem Wort „Existenz“ formal die Form „ . Nun wurde aber gezeigt, dass man durch den Existenzquantor einen Begriff erster Stufe bilden kann, der dem in der Umgangssprache verwendeten Begriff der Existenz entspricht, nämlich „ . Dieser Begriff hat zur Folge, dass man den Ausdruck „a existiert“, wobei „a“ für einen Einzelgegenstand steht, für jeden Gegenstand anwenden kann, und der sogar trivialerweise wahr ist. Setzt man Gott als einen Einzelgegenstand a, so ergibt „ einen Satz, der trivialerweise wahr ist.[24] Zwar hat man dadurch natürlich gezeigt, dass „Gott existiert“ trivialerweise wahr ist, allerdings wird ja in diesem Satz nach Frege´s Auslegung schon die Existenz vorausgesetzt. Hier gäbe es also keinen großen Erkenntnisgewinn. Oder man kann in „Gott existiert“ Gott als Begriff auffassen, wo aber das Argument des Nicht-Widerspruchs bei seiner Negierung von Kant dagegen spricht. Man sieht, dass der Begriff der Existenz eine große Diskussionsquelle in Anselms Argumentationskette ist.
4. Fazit
Wie wir im Hauptteil des Essays gesehen haben, gibt es nicht gerade wenig Kritik an Anselms Argument. Jedoch ist die logische Abfolge korrekt, die Quasi-Definition Gottes ist sehr gut gewählt und die Gedankenabfolge ist durch den Charakter des unum argumentums leicht zu verstehen, anders als im Monologion. Anselm hätte die Definition auch einfach fassen können, in dem er Gott als das absolut vollkommene Wesen definiert. Allerdings sah Anselm die Kritik schon, welche kommen würde, weil sein Gott eben nicht alle Vollkommenheiten besitzt. Anselm selbst wollte sein Proslogion „Glaube der nach Einsicht sucht“ nennen, da er in seinem Glauben nach der Einsicht Gottes sucht. Und genau hier setzt, meiner Meinung nach trotz der vielen Kritik der wichtigste Punkt dieses Versuchs eines Gottesbeweises an: Durch die Intellektualisierung der Welt, entwickelte sich ein Verlangen der Menschen, alles immer beweisen zu müssen. Genau dies fehlte allerdings der Religion, ein Beweis. Und solch ein Beweis wurde, auch wenn er umstritten ist, von Anselm mit bloßen Vernunftmitteln geschaffen. Kurt Flasch sagt in seinem Buch „Warum ich kein Christ bin“:
„Anselms Argument hatte große Vorzüge: Es macht das Gottesbewu[ss]tsein der Christen unabhängig von jedem Außending der Welt, auch von der Kirche. Die menschliche Vernunft gab sich selbst die Gottesgewi[ss]heit, und zwar so, da[ss] sie das Gegenteil nicht fürchten mu[ss]te“.[25]
Religion war zu Anselms Zeit wichtig für die Gesellschaft. Und Anselm versucht, seinen Gottesglauben zu beweisen in einer Art, dass jeder dies verstehen kann. Und letztendlich macht nicht nur die möglichst geringe Kritik ein großes Werk aus, sondern das allerwichtigste ist, was dieses Werk bewirkt. Und für die damalige Zeit schafft Anselm Halt für die Religion innerhalb einer Beweisverlangenden Gesellschaft.
Auch wenn die Kritik, gerade die Kants, in der heutigen Zeit erdrückend scheint, ist der Beweis doch in historischem und religiösem Kontext sehr wichtig.
Literaturverzeichnis
Beckermann, Ansgar: Glaube. Berlin [u.a.] : De Gruyter, 2013 – ISBN 3-11-027985-1
Flasch, Kurt: Warum ich kein Christ bin : Bericht und Argumentation. München : Beck, 2013 – ISBN 978-3-406-56284-4
Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft/1, Kant, Immanuel: Werkausgabe. Bd. 3. Frankfurt a. M. : Suhrkamp, 1976 – ISBN 3-518-07655-8
Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft/2, Kant, Immanuel: Werkausgabe. Bd. 4. Frankfurt a. M. : Suhrkamp, 1976 – ISBN 3-518-07655-8
Prechtl, P. (Hrsg.): Metzler-Lexikon Philosophie : Begriffe und Definitionen. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2008 – ISBN 978-3-476-02187-8
Theis, R. (Hrsg.): Anselm von Canterbury : Proslogion/ Anrede. Stuttgart : Reclam, 2005 – ISBN 978-3-15-018336-6
[...]
[1] Lat. Zurückführung auf den Widersinn
[2] Vgl. Theis, S.23
[3] Vgl. Theis, S.23
[4] Theis, S.23
[5] Beckermann, S.52
[6] Beckermann, S.52
[7] Beckermann, S.52
[8] Beckermann, S.52
[9] Vgl. Beckermann, S.55
[10] Beckermann, S.55
[11] „Als E[ntität] bezeichnet man ein einzelnes, individuell seiendes, unteilbares (substantielles) Etwas und zugleich sein Wesen“. (Metzler, S.138)
[12] Vgl. Theis, S.78 f.
[13] Lat. verstehen
[14] Lat. denken
[15] Vgl. Theis, S.109 f.
[16] Kant/1, S. 52
[17] Beckermann, S.57
[18] Vgl. Kant/1, S.52
[19] Beckermann, S.58
[20] Vgl. Beckermann, S.58
[21] Eine Kopula ist ein sprachliches Mittel, wodurch ein Subjekt mit einem Prädikat verbunden wird und somit zu einem Urteil wird. (Vgl. Metzler, S.314)
[22] Kant/2, S.533
[23] Beckermann, S.60
[24] Vgl. Beckermann, S.60 ff.
[25] Flasch, S.144
- Arbeit zitieren
- Janik Richter (Autor:in), 2015, Kritik am ontologischen Argument von Anselm von Canterbury, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/322822
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