Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Rolle der EZB in der europäischen Geldpolitik und ihr Vorgehen in der Krise .
3. Die EZB als Dreh- und Angelpunkt der Währungsunion
3.1 Fehlender fiskalpolitischer Rückhalt
3.2 EZB als Lender of last Resort für Staaten
3.3 Nicht ausreichende Konjunkturstimulierung
3.4 Vertrauensverlust und Kritik an der EZB
4. Das geld- und wirtschaftspolitische Umfeld der EZB
4.1 Natur des Währungsraumes
4.2 No-Bailout-Klausel
4.3 Maastrichter Defizit-Kriterien
4.4 Reformwillen der Mitgliedsstaaten
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Die 1998 gegründete Europäische Zentralbank (EZB) bildet die zentrale, makropolitische Institution der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Zusammen mit den nationalen Zentralbanken der Staaten, die den Euro als Zahlungsmittel eingeführt haben, bildet sie das Eurosystem. Gemeinsam sind sie für die Geldpolitik im Euroraum zuständig, mit der EZB in der Führungsrolle. Ihr oberstes Ziel ist die Wahrung der Preisstabilität im Euroraum. Die Wirtschaftskrise seit 2007 offenbarte grundsätzliche Probleme im Aufbau der europäischen Geldpolitik. Relativ schnell waren die konventionellen Maßnahmen der EZB erschöpft. Durch die Einführung von unkonventionellen Maßnahmen versucht die EZB der Krise entgegenzusteuern, doch auch diese sind in ihrer Funktionalität beschränkt und werden teilweise stark kritisiert. Es ist bislang noch nicht gelungen, die Inflationsziele wieder zu erreichen und das Wirtschaftswachstum in der Eurozone anzukurbeln. Momentan wird auf eine mögliche Deflationsspirale hingewiesen. An der Nullzinsgrenze angekommen, droht der Leitzins ins Negative zu rutschen. Erstmals seit 2009 zeigt sich zu Jahresbeginn 2015 eine Deflation im europäischen Raum. Entstehen daraufhin Deflationserwartungen, werden Ausgaben der Konsumenten und Investitionen der Unternehmen in die Zukunft verschoben, die Produktion wird zurückgefahren und es entsteht ein gefährlicher Teufelskreis, der zu einem Wirtschaftszusammenbruch führen kann.
Neben unterschiedlichen Ansichten über Aufgaben und Vorgehensweise der EZB in der Krise, wurde wiederholt auf architektonische Defizite in der Struktur der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) hingewiesen, die im großen Maße verantwortlich für das suboptimale Vorgehen aller Verantwortlichen während dieser Zeit erscheinen. Diese Defizite sollen, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit, in dieser Arbeit aufgezeigt und sogleich alternative Reformvorschläge für Veränderungen dargestellt werden, um ein einheitliches, effizientes Vorgehen während der derzeitigen Krise und in Zukunft gewährleisten zu können. Es ist unerlässlich, dass vor allen anderen besonders die Europäische Zentralbank in vollem Maße dazu berechtigt ist, notwendige Maßnahmen unmittelbar ergreifen zu können um das Abrutschen in eine Deflationsspirale zu verhindern (Meyer, 2011). Dazu werden im ersten Teil Defizite, welche die EZB unmittelbar betreffen genannt. Im zweiten Teil sollen Mängel, in dem sie umgebenden (geld-)politischen Umfeld beleuchtet werden. Um einen Überblick zu geben, wird zunächst die Position der EZB innerhalb dieses Umfeldes erläutert und die veränderten Herausforderungen durch die europäische Wirtschaftskrise, dargestellt.
2. Die Rolle der EZB in der europäischen Geldpolitik und ihr Vorgehen in der Krise
Wie bereits oben erwähnt, ist die Wahrung der Preisstabilität zentrale Aufgabe der europäischen Geldpolitik. Diese wird als Anstieg der durchschnittlichen Preise im Euro-Raum von unter aber nahe zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr definiert. Darüber hinaus soll die Geldpolitik die europäische Wirtschaftspolitik unterstützen, vorausgesetzt das Ziel der Preisstabilität wird nicht beeinträchtigt. Die geldpolitischen Entscheidungen trifft die EZB. Deren Umsetzung liegt in der Hand der nationalen Zentralbanken. Für die weiteren Ausführungen ist es außerdem bedeutsam, auf die institutionelle, operative, finanzielle und personelle Unabhängigkeit der EZB hinzuweisen und das Verbot der monetären Staatsfinanzierung zu nennen. Dieses beinhaltet jede Art von Kreditfazilitäten der Europäischen Zentralbank oder der nationalen Zentralbanken an die Mitgliedstaaten und jeden bevorrechtigten Zugriff öffentlich-rechtlicher Institutionen auf die Banken. Auch der unmittelbare Erwerb von Staatsanleihen durch die Zentralbanken ist verboten.
Während der Krise wurde der EZB eine bisher nie dagewesene Aufmerksamkeit zuteil und gleichzeitig auch damit verbundene Kritik. Bis kurz nach dem Ausbruch der Krise beschränkte sich die europäische Geldpolitik auf konventionelle Maßnahmen, namentlich Einlagefazilität, Refinanzierungsfazilität, Offenmarktgeschäfte und Mindestreserve. Da diese als erschöpft angesehen wurden, versuchte die EZB ab Oktober 2008 mit unkonventionellen Maßnahmen der Krise entgegenzusteuern. Über zahlreiche weitere Maßnahmen wurde versucht, zusätzliche Liquidität den Märkten bereitzustellen. Zu diesen können die Vollzuteilungspolitik sowie die sehr umstrittenen Securities-Markets-Programme (SMP) und Outright-Monetary-Transactions-Programme (OMT) der EZB gezählt werden (Fuest, 2013). Diese Maßnahmen erhöhen das Risiko einer Politisierung der EZB und einer folgenden Reduzierung der Unabhängigkeit.
Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Ursachen für die nicht zufriedenstellende Wirkung der Maßnahmen in der Krise nicht, wie häufig kritisiert, auf Unzulänglichkeiten der EZB, sondern in erster Linie auf defizitären Strukturen der EWWU zurückzuführen sind.
3. Die EZB als Dreh- und Angelpunkt der Währungsunion
3.1 Fehlender fiskalpolitischer Rückhalt
Die Euro-Architektur sieht eine strikte Trennung zwischen der Zentralbank und der staatlichen Finanzwirtschaft vor. Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung unterstreicht diese Trennung. Im Zuge der Krise sah und sieht sich die EZB, als einer der letzten handlungsfähigen Akteure jedoch gezwungen, Spannungen abzubauen. So übernahm sie zunehmend quasifiskalische Aufgaben. Grund hierfür ist das Fehlen fiskalischen Rückhalts der EZB. Ihr steht keine ebenbürtige, für die Wirtschafts- und Finanzpolitik verantwortliche Institution gegenüber wie es in Nationalstaaten der Fall ist. Der Markt der EWWU basiert auf tiefe Finanzintegration ohne eine explizit koordinierte gemeinsame Finanz- und Finanzkrisenpolitik. Dadurch fehlt der EZB auf europäischer Ebene nicht nur ein Gegenspieler, sondern auch ein wichtiger Partner für die gemeinsame Bewältigung wirtschaftspolitischer Herausforderungen wie es beispielsweise das amerikanische Schatzamt für die Fed ist (Bibow, 2011; Handschuch, 2011).
Daraus resultierende Konsequenzen:
Um dieses strukturelle Defizit zukünftig zu beheben, muss eine stärkere, finanzpolitische Koordinierung auf europäischer Ebene erfolgen. Hierzu muss die bereits verabschiedete Europäische Bankenunion vollständig umgesetzt werden. Außerdem ist die Schaffung einer neuen europäischen Institution notwendig, die die Kompetenz hat, fiskalpolitische Ziele durchzusetzen. Dafür müssen die Maastrichter Verträge geändert werden. Möglichkeiten sind die Schaffung eines europäischen Finanzministeriums oder eines europäischen Finanzkommissars.
Gleichzeitig denkbar ist die Etablierung eines sogenannten Fiskalrats (eng. fiscal council). Dieser soll das Europäische Finanzministerium bzw. den Finanzkommissar beratend unterstützen.
3.2 EZB als Lender of last Resort für Staaten
Der EZB ist es durch Artikel 123 des AEU-Vertrages untersagt, Staaten durch Zentralbankgeld zu finanzieren. Mit diesem soll die Unabhängigkeit der EZB garantiert werden. Während der Zuspitzung der Krise und einer schleichenden Gefahr des Auseinanderbrechens der EWWU, sah sich die EZB jedoch veranlasst, nachdem sie bereits als letzter Kreditgeber für Banken aufgetreten ist, auch als Lender of last Resort für Staaten zu agieren. Damit begab sie sich rechtlich gesehen in eine Grauzone und Kritik wurde laut, die EZB überschreite mit dieser Handlung ihr Mandat und verstoße indirekt gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Demary, Matthes, 2013). Im Zuge der Pläne der EZB zu Beginn des Jahres 2015, im großen Stil Staatsanleihen zu kaufen, ist dieses Thema hoch präsent. Expertenmeinungen zu diesem gehen weit auseinander: einerseits wird neben den ökonomischen Risiken besonders davor gewarnt, die EZB begebe sich durch solche Maßnahmen in Abhängigkeiten und verliere an Glaubwürdigkeit. Andererseits wird argumentiert, die EZB müsse, alle notwendigen Mittel einschließlich unkonventioneller Maßnahmen ergreifen können, um ihr Mandat zu erfüllen.
Daraus resultierende Konsequenzen:
Die Frage die sich daraus ergibt, ist folgende: Benötigt die EZB die Legitimation, um zukünftig als Lender of last Resort wie beispielsweise die Bank of England agieren zu können? Sollte gänzlich auf solche Maßnahmen verzichtet werden oder sollte diese Funktion eine von der EZB getrennte Institution übernehmen? Ist man der Meinung, dass die EZB zur Aufrechterhaltung der Finanz- und Preisstabilität als Lender of last Resort auftreten muss, müsste die Unabhängigkeit der EZB in dieser Funktion durch fiskalische Hoheitsrechte der nationalen Parlamente gestärkt werden. Da sich die Aktivitäten des Lender of last Resort immer zwischen Geld- und Fiskalpolitik bewegen, muss eine klare Trennung zwischen geldpolitischen Aufgaben und fiskalischen Risiken erfolgen. Dies ist aber nur dann möglich, wenn die Übernahme eventuell auftretender Verluste durch demokratisch legitimierte Garantien der Fiskalbehörden abgedeckt ist. Dies spricht erneut für eine weitere fiskalpolitische Integration.
Die andere Option ist die Einführung einer, von der Zentralbank getrennten, Institution, sodass diese zukünftig selbstständig als Lender of last Resort agieren kann. So könnte man beispielsweise den Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) mit einer Banklizenz ausstatten (Illing, König, 2014) oder einen neuen Mitspieler mit einbringen, wie eine Europäische Finanzagentur (Palley, 2011). Im ersten Fall wäre eine Liquiditätshilfe auf Krisenzeiten beschränkt. Man geht davon aus, dass der ESM nur befristet besteht und somit als Lender of last Resort agieren kann. Das entsprechende Signal an die europäische Politik wäre somit, dass eine letzte monetäre Hilfe nicht unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen garantiert ist. Folglich kann das Risiko des Moral Hazards eingedämmt werden. Der zweite Vorschlag würde eine Neuordnung der geldpolitischen Organisation beinhalten. Dieser besitzt somit eine langfristige Perspektive.
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