"Lieutenant Gustl" von Arthur Schnitzler. Literatur als Reaktion auf politische und soziokulturelle Konventionen


Hausarbeit, 2016

16 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Hinführung

2. Arthur Schnitlzer und das Militär
2.1 Schnitzler und die Rolle des Militärs in der Wiener Moderne
2.2 Der Konflikt mit dem österreichischen Militär

3. Leutnant Gustl, ein Spiegel des Offiziers?
3.1 Das Wesen des Protagonisten
3.2 Der Konflikt des Protagonisten

4. Drei zeittypische Konventionen in Schnitzlers Werk
4.1 Die menschliche Psyche
4.2 Die Duellpraxis
4.3 Der Ehrbegriff

5. Fazit

6. Quellebverzeichnis

1. Hinführung

Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit Lieutenant Gustl, einer Novelle Arthur Schnitzlers, die am 25. Dezember 1900 erschien und im Modernen Wien für große Auf­ regung bei den Rezipienten sorgte. Insbesondere das Militär hatte sich angegriffen und in seiner Ehre verletzt gefühlt. Die Forschung setzte sich vorwiegend mit dem soziopoli­ tischen und zeitkritischen Gehalt der Novelle auseinander. Die Erzählung wurde als kri­ tischer Zeuge des militärischen Ehrencodex, Mysogonie und Antijudaismus k.u.k. der Schattenseite der Wiener Moderne verstanden. Schnitzler bezog nie eindeutig Stellung zu den Interpretationen seiner Rezipienten und doch schwingen in seinem Werk Nuan­ cen, der von den Lesern empfundenen Kritik, mit. Die vorliegende Arbeit knüpft an die Frage, an inwieweit Schnitzlers Lieutenant Gustl als Reaktion auf soziopolitische Ver­ hältnisse und Konventionen zu verstehen ist. Dabei soll aufgezeigt werden, in welcher Verbindung Schnitzler zum österreichischen Militär stand sowie geklärt werden, wie und warum er auf dessen Anschuldigungen in einer so bestimmten Weise reagierte. Zu­ dem soll die Frage beantwortet werden, ob und inwiefern der Protagonist Gustl als Spie­ gel des Offiziers gelten kann. Schließlich soll erläutert werden, ob ein Meinungsbild Schnitzlers in seiner Erzählung betreffend drei zeitgenössischer Konventionen auszuma­ chen ist. Der Fokus liegt dabei auf dem konventionellen Umgang mit der menschlichen Psyche, dem Duellwesen und dem kontroversen Ehrbegriff.

2 Arthur Schnitlzer und das Militär

2.1 Schnitzler und die Rolle des Militärs in der Wiener Moderne

Der Oberarzt Arthur Schnitzler hat mit seiner Erzählung die Ehre des Militärs und des­ sen Würde gezielt hinterfragt1. Schnitzler habe desweiteren die alltägliche Wirkung des militärisch­autoritären Ehrbegriffs in das Persönliche übersetzt. Ihm gelingt es, der hochtrabenden Selbstwahrnehmung des Militärs einen moralisch fragwürdigen, launischen jungen Leutnant gegenüberzustellen, der durch ungünstige Zufälle handlungsun­ fähig wird. Welche Angriffsfläche bietet das österreichische Militär der Wiener Moder­ ne? Welche Rolle nimmt es überhaupt ein? Zur Jahrhundertwende und bis in das frühe 20. Jahrhundert ist die Wiener Gesellschaft gespalten. In den letzten Jahren der Habs­ burger Monarchie existieren mehrere Sprach­ und Denkwelten gegeneinander2. Gegen­ über denjenigen, die in der nüchternen Realität des Niederganges einer Ära angekom­ men sind, steht eine große Masse von illusioniert­euphorisierten Menschen, die nach wie vor an die heile Welt der Monarchie glauben und nur Verständnis für die kaiserli­ che Denk­ und Sprechwelt aufbringt. Die höchste Exekutive dieser Welt ist das Militär. Doch dieses scheint zur Jahrhundertwende, nach den letzten wenig erfolgreichen krie­ gerischen Auseinandersetzungen sensibilisiert. Da eine Epoche, die von militärischer Gewalt sowie Autorität geprägt ist, im „Fin de siecle“ allmählich seinen Ausklang fin­ det, trifft Schnitzler mit seinem Werk den Nerv der Zeit. Übriggeblieben ist das Ehrver­ ständnis pangsionierter Militärs, die im mattgewordenem Glanze und mit Degen dem Gewaltmonopol nachtrauern und duellfreudig durch die Straßen marschieren. Nicht nur in seinem Werk nimmt Schnitzler Bezug auf die Duellpraxis. Auch privat tritt der Lite­ rat einem satisfaktionsfähigen Kritiker mit Ablehnung entgegen3. Er widersetzt sich da­ mit dem militärischen Duellzwang und steht für seine Überzeugungen ein. Obschon der Autor jüdischer Abstammung sich nicht prinzipiell gegen das Duell ausspricht, so übt er Kritik an der Satisfikation und der Pflicht zum Duell. Begreiflich wird dies durch weitreichende Versuche der Obrigkeit, Juden die Satisfikationsfähigkeit abzu­ sprechen, da sie als minderwertig angesehen waren. Zeitlebens, vor allem während sei­ ner Zeit beim Militär ist Schnitzler Diskriminierungen ausgesetzt.

Schnitzler nimmt auch in seinen Aphorismen und Betrachtungen Bezug auf die das Mo­ derne Wien. Der Arzt, der sich intensiv mit der Psychoanalytik Freuds befasst, bezeich­ net die ästhetische Lebensform als Resultat einer Angstneurose4. Das Volk wähle den Ästhetizismus als Kompensation für die vergangenen prägenden Ereignisse. Von vielen wurde das Militär unwillkürlich mit diesen Ereignissen assoziiert. Zudem war das Bürgertum uneinverstanden mit der Asymetrie, die zwischen Militär und aufstere­ benden Zivilisten herrschte. Der Status des Militärs wurde weiterhin von der Obrigkeit gewahrt, doch von der Zivilbevölkerung nicht durchweg anerkannt. Deren veralteter Kodex und die sonderberechtigenden Privillegien standen der Emanzipation des Bür­ gertums im Weg.

2.2 Der Konflikt mit dem österreichischen Militär

Nach der Veröffentlichung am 25.12.1900 in der Weihnachtsbeilage der Neuen Freien Presse waren die Reaktionen auf Lieutenant Gustl verschieden. Während viele zeige­ nössische Schriftsteller und die Presse Schnitzlers Werk lobten, hatte das österreichi­ sche Militär den Protagonisten der Novell als Verlustigung des Offizierscharakters auf­ gefasst. Dies galt gleichermaßen als persönlicher Angriff auf das Militär. Gustav Davis zeigte sich besonders empört über Schnitzlers Werk. Er wollte im Namen aller spre­ chen, als er das Werk als empfundene Verhöhnung jedes Militärs bezeichnete und Gustl als charakterloses und jämmerliches Subjekt abtat, dessen Leutnantsherrlichkeit ein Ende finden würde, alsbald jemand seiner Unwürde und Ehrlosigkeit auf die Schliche käme5. Davis als Offizier des Militärs unternahm den fragwürdigen Versuch zu bestrei­ ten, dass es im Militär möglicherweise Offieziere hätte geben können, die ähnlich fehl­ bar wie Gustl konstituiert waren. Trotzdem liegt der Verdacht nahe, dass nicht jeder Of­ fizier dem Ideal militärischer Ideologie entsprach und das mindestens einer unter zehn der Versuchung hätte unterliegen können, seiner Karriere nach Möglichkeit trotz verlo­ rener Ehre nachzugehen. Im Buch der Sprüche und Bedenken bezieht sich Schnitzler unmissverständlich auf die Anschludigungen des Militärs insofern, dass er darin schreibt: “Wenn du es dir einfallen lässt, Abschätziges über einen Stand zu äußern, wer den sich immer die übelsten Vertreter getroffen fühlen [...]“6.

Als Lieutenant Gustl erschien, war Schnitzler militärischer Reserveoffizier. Nach Neu jahr 1901 musste er sich zu Verfassung seiner Novelle von Weihnachten 1900 beken­ nen. Der Literat bekannte sich zu der Erzählung fügte jedoch noch hinbei, dass er be­ treffend seiner literarischen Tätigkeit keiner dienstlichen Meldepflicht unterstehe7. Durch den bewussten Verzicht einer Stellungnahme und der Bekennung, ging Schnitz­ ler auf Konfrontationskurs mit dem Militär. Schon am 24. januar musste er sich vor ei­ nem ehrenrätlichen Ausschuss der Landeswehroffiziere und Kadetten in Wien verant­ worten. Den Termin versäumte er nach Besprechung mit seinem Anwalt absichtlich mit der Begründung, dass die Veröffentlichung seiner Novelle nicht dem Ehrengerichtsver­ fahren unterstehe. Erneut verweigerte sich Schnitzler jeder Stellungnahme oder Recht­ fertigung und leistete damit passiven Widerstand gegen die Anschludigungen des Mili­ tärs. Eine Bestätigung der Vorwürfe gegen Schnitzler ist daher nicht zweifelsfrei auszu­ machen. Das Werk ist deshalb so stark, weil es sich jeder eindeutigen Interpretation ent­ zieht, obschon es durch zahlreiche subversive Anspielungen geprägt ist, die den Ver­ dacht einer Kritik des Autors bestätigen könnten. Schnitzler gelingt es durch sein be­ stimmtes selbstbewusstes Auftreten beabsichtigt oder unbeabsichtigt Schlagzeilen zu machen und die weitreichend unasgesprochene Spannung um des Szene des Militärs in den öffentlichen Diskurs zu erheben. Die Wiener Allgemeine Zeitung bringt den Skan­ dal am 21.06.1901 zur Sprache8. Sie stellt die Frage, ob die Ehre des Militärs tatsäch­ lich durch Schnitzlers schmale Erzählung gekränkt worden sei und ob Lieutenant Gustl wirklich das österreichische Militär repräsentiere. Auf diesen Beitrag reagierte Schnitz­ ler mit einer Parodie des originalen Texts. Es handelt sich dabei um ein fünfseitiges Typoskript, das den Protagonisten Gustl als überkorrektes Paradebeispiel des Offizier­ charakters darstellt. Durch die starke Überzeichnung Gustls karrikiert der Autor seinen Protagonisten offensichtlicher und belustigt sich dadurch wenig subtil über die als über­ zogen empfundenen Anschuldigungen des Militärs.

Durch die Aberkennung des Offiziertitels und die Degradierung zum Sanitätssoldaten verlieh das Militär der Schonungslosen Selbstaussprache Gustls, der den militärischen Prinzipien nicht entsprechen kann, eine Ernsthaftigkeit, wodurch der komödiantischen

Novelle realistische Züge anerkannt werden.

3. Leutnant Gustl, ein Spiegel des Offiziers?

3.1 Das Wesen des Protagonisten

Schnitzler portraitiert in seinem Werk einen illusionierten, selbstvergessenen, durch­ schnittlichen Offizier, der seine Identität einzig über die Zugehörigkeit zum Militär de­ finiert. Das Militär, dass sich darin versteht Kriege zu führen ist derzeit nicht gefragt. Leutnant Gustl gerät durch diese Tatsache in Existenznot. Da das zivile Leben für ihn nicht sinnstiftend ist und er sich im bürgerlichen Stand nicht etablieren kann (Lange­ weile im Konzert) sehnt er sich nach Auseinandersetzungen, in denen er durch gewalt­ tätige Heldentaten seine Person unter Beweis stellen könne. Sein Ehrgefühl ist sein wichtigstes Gut obgleich er den Inhalt des Ehrbegriffs nie verstanden hat. Obschon Gustl kein Held ist, verlangt er nach Anerkennung und Heldentum. Doch schon zu Beginn der Erzählung im Konzerthaus wird sich der Protagonist seiner Anonymität be­ wusst. Seegers bezeichnet Gustls gesamte Ausgangssituation als frustrierend9. Seiner unwillkürlichen Langeweile beim Konzert müsse er sich der Etikette wegen aussetzen. Die Spannung, die die Pflicht sich standesgemäß zu verhalten mit sich bringt, sei Gustl machtlos ausgeliefert. Für Doppler ist die empfundene Langeweile Gustls im Konzert das Resultat langen wartens auf Krieg, in dem Gustl Zivilisten, Juden und Sozialisten k.u.k. den Minderwertigen seinen Rang beweisen könne10. Jäger geht sogar soweit an­ zunehmen, dass Gustls Ungeduld im Konzert eine beschriebene Müdigkeit der Men­ schen sei, die sich durch den allmählichen Zerfall der Donaumonarchie auftue11. Beide Ansätze könnten eine mögliche Interpretation darstellen, entfernen sich aber zunächst sehr weit von der Rahmenhandlung.

[...]


1 Vgl. Madlener, Elisabeth: Die Duellfrage ist in ihrem Kern eine Sexualfrage, S. 164

2 Vgl. Huemer, Peter: Die Armee.Die Ehre.Der Leutnant, S. 74

3 Vgl. Madlener, Elisabeth: Die Duellfrage ist in ihrem Kern eine Sexualfrage, S. 64

4 Schnitzler, Arthur: Aphorismen und Betrachtungen, S.367

5 Vgl. Gustav Davis. Er begann eine Offizierslaufbahn, gab seine Karriere aber zugunsten einer Journalistentätigkeit auf. Er war der Herausgeber und Gründer der Kronenzeitung, die um 1900 gegründet wurde.

6 Schnitzler Arthur: Aphorismen und Betrachtungen, S. 46f

7 Vgl. Schinnerer, Otto P.: Schnitzler and the Military Censorship, S. 239-246

8 Renner, Ursula: Lieutenant Gustl (1900), S. 187

9 Seegers, Andre: Der k.u.k. Soldat im Werk Arthur Schnitzlers, S. 21

10 Doppler, Alfred: Innerer Monolog und soziale Wirklichkeit, S. 57

11 Jäger, Manfred: Schnitzlers „Leutnant Gustl“, S. 309

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
"Lieutenant Gustl" von Arthur Schnitzler. Literatur als Reaktion auf politische und soziokulturelle Konventionen
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
2
Autor
Jahr
2016
Seiten
16
Katalognummer
V323057
ISBN (eBook)
9783668221666
ISBN (Buch)
9783668221673
Dateigröße
849 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
lieutenant, gustl, arthur, schnitzler, literatur, reaktion, konventionen
Arbeit zitieren
Lukas Treiber (Autor:in), 2016, "Lieutenant Gustl" von Arthur Schnitzler. Literatur als Reaktion auf politische und soziokulturelle Konventionen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/323057

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