Visionen und Prophezeiungen. Bedeutung und Beurteilung von Erscheinungen


Seminararbeit, 2010

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Biblische Wunder, Visionen und Prophezeiungen als unabdingbarer Bestandteil des Christentums
2.1 Vorchristliche Erzählungen
2.2 Christliche und Nachchristliche Erzählungen

3. Bewertung von nachchristlichen Erscheinungen
3.1 Zu den Begriffen „Vision“, „Prophezeiung“ und „Wunder“
3.2 Der Katechismus als Anhaltspunkt für die Beurteilung nachösterlicher Erscheinungen
3.3 Unterscheidungen von Visionen nach Karl Rahner
3.3.1 Mystische und prophetische Visionen
3.3.2 Inhaltliche Differenzen
3.3.3 Über den Wahrheitsgehalt
3.3.3.1 Das Problem der Subjektivität
3.3.3.2 Missbrauch von Visionen und andere Grenzfälle
3.4 Einwände der Psychologie, Psychoanalyse und Medizin
3.5 Das kirchliche Verfahren zur Approbation von Visionen
3.5.1 Instanzen und ihre Funktionen
3.5.2 Kriterienkatalog
3.5.3 Überlegungen zur Urteilsbildung

4. Anforderungen an den gläubigen Christen

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Jeder erwachsene Christ hat Bilder von Wundererzählungen in Erinnerung, die aus Kindertagen stammen, als der Gottesglaube durch farbenfrohe Geschichten vermittelt wurde: Der flammende Dornbusch, die Teilung des Wassers durch Moses, das Erscheinen von leuchtend weißen Engeln . Doch Wunder, Visionen und Prophezeiungen sind mehr, als bloße biblische Anschauungs- und Gestaltungsmittel zum Einstieg in die christliche Heilsbotschaft. Vielmehr noch haben sie den Rahmen der literarischen Form längst verlassen. Seit der nachapostolischen Zeit sind 914 Marienerscheinungen aufgezeichnet worden, und gerade in der Neuzeit mehren sich die Berichte.[1] Eine solche Fülle an Erscheinungen kann und darf nicht als Spinnerei und Sinnestäuschung Einzelner abgetan werden. Vielmehr stellen sie eine Herausforderung für den gläubigen Christen dar, denn die bloße Vermutung göttlicher Einmischung in unsere Zeit mischt kontroverse Fragen auf. Wie lassen sich Erscheinungen, biblische sowie neuzeitliche, mit dem aufgeklärten rationalen Verstand von heute vereinbaren? Kann es göttliche Botschaften in dieser Form überhaupt geben oder sind sie das bloße Ergebnis menschlichen Fehlverhaltens und Fehlinterpretation?

2. Biblische Wunder, Visionen und Prophezeiungen als unabdingbarer Bestandteil des Christentums

Ein Blick in das Buch der Bücher verrät, dass der christliche Glaube von Prophezeiungen und Wundergeschichten geprägt ist. Sie sind in beiden Testamenten zahlreich zu finden und sind unabdingbarer Bestandteil des Christentums als „übernatürlich geschichtliche Offenbarungsreligion“[2] und gehören damit zum Glaubensgut.

2.1 Vorchristliche Erzählungen

Im Alten Testament sind Wunder und Prophezeiungen selbstverständlich. Ob sie mit den physikalischen Gesetzen vereinbar sind oder nicht, ist eine Frage, die nicht einmal gestellt wird.[3] Dass alles, was geschieht, von Gott bewirkt wird, bestimmt schlicht und einfach das Denken der Autoren in der Entstehungszeit der Texte.

Alttestamentliche Wundererzählungen haben zweierlei Funktionen: Zum einen sind sie furchterregende Zeichen, „Großtaten“ und „Krafterweise“[4], die dem Volk die Macht Gottes beweisen und es in Staunen versetzen sollen. Häufig offenbart sich Gott durch symbolreiche Bilder der Stärke und Kraft. Zum anderen vermitteln die Taten Gottes, die insbesondere im Buch Exodus zu finden sind, die Botschaft der Nähe Gottes zu den Menschen und sein Interesse an dessen Wohl.[5] Gott mischt sich in das Geschehen ein und offenbart sich durch Wundertaten, um die Menschen in die Freiheit und zum rechten Glauben zu führen. Mehr noch spricht er sogar zum Volk, indem er Propheten schickt wie Jeremia oder Jesaja, die als Vermittler dienen. Nicht umsonst umfasst ein großer Teil des Alten Testaments die Bücher der Propheten. In einzelnen Schritten wird das Volk an die Offenbarung Jesu herangeführt: Es erhält den Dekalog, schließt den Bund und wird angewiesen, auf den Messias zu warten. Sämtliche Prophezeiungen laufen auf das Ankommen des Messias hinaus. Eine der wohl deutlichsten Visionen dürfte die des Daniel sein: „Ich hatte während der Nacht eine Vision: […] Da kam mit den Wolken des Himmels einer wie ein Menschensohn. […] Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft!“[6]

2.2 Christliche und Nachchristliche Erzählungen

Der Großteil der Wunder im Neuen Testament sind im Wirken Jesu zu finden, insbesondere in Form von Exorzismen und Heilungen. Auch die Apostel verfügen über diese Fähigkeiten.[7] Visionen finden sich im Neuen Testament nur in geringer Zahl, vor allem bei den Berufungserzählungen der Apostel: Paulus zum Beispiel spricht mehrere Male von den Visionen, in denen ihm Christus erscheint.[8]

Insgesamt fehlt ein exakter Wunderbegriff im Neuen Testament; Wunder werden höchstens als „Zeichen“ oder „Großtaten“[9] bezeichnet. Einstimmig bezeugen die Evangelisten, dass die Wunder Jesu wichtiger Bestandteil seiner Botschaft sind und auf das „heilsgeschichtliche Zentralereignis“[10], dem Ostergeschehen, hinweisen und seine Göttlichkeit unterstreichen. Sie sind als Symbole für die neu begonnene Gottesherrschaft zu deuten.[11] Das größte Wunder ist freilich die Auferstehung Jesu selbst. In diesem Ereignis erfüllen sich die Prophezeiungen der alten Schriften. Die endgültige Offenbarung Gottes ist mit dessen Menschwerdung geschehen, das Ende der Zeit ist gekommen. Was wichtig ist, wurde gesagt. Von nun an können die Menschen nur noch den Jüngsten Tag erwarten.[12]

3. Bewertung von nachchristlichen Erscheinungen

Umso verwirrender erscheint es, dass es heute trotzdem noch Erscheinungen geben soll. Seit Papst Johannes Paul II. werden Marienerscheinungen immer populärer, indem dieser sehr stark den Fokus auf solche legte. Der Papst hat mit Vorliebe Wallfahrtsorte auf der ganzen Welt besucht, an denen die Mutter Gottes erschienen sein soll – er selbst war davon überzeugt, dass sie mit ihm zusammen die Katholische Kirche lenke und ihre Erscheinungen in der Welt Teil einer göttlichen Botschaft sind.[13] Aber war nicht mit der Offenbarung Jesu alles gesagt? Angenommen, diese Erscheinungen sind als gottgewirkt zu bezeichnen – worin liegt dann ihre Funktion?

3.1 Zu den Begriffen „Vision“, „Prophezeiung“ und „Wunder“

Zunächst einmal sollen die grundlegenden Begriffe „Vision“, „Prophezeiung“ und „Wunder“ geklärt werden, da sie zum Teil eine gemeinsame Schnittmenge haben.

Die Bedeutungen der Begriffe gehen fließend ineinander über. Als Vision wird ein Vorgang bezeichnet, durch den „Gestalten […] oder Zusammenhänge aus einer der phänomenalen Welt nicht angehörenden oder sie übersteigenden Realität, einzelnen Spezialisten sichtbar werden, ohne daß dadurch der Unterschied zwischen der alltäglichen und der außeralltäglichen Wirklichkeit aufgehoben wäre“[14] Dasselbe gilt für Auditionen, nur dass sie ein anderes Sinnesorgan ansprechen.

Prophezeiungen können Bestandteil von Visionen oder Auditionen sein, insofern diese eine Botschaft oder Vorhersage enthalten. Wunder wiederum können als Begleiterscheinungen auftauchen oder für sich allein dastehen. Zu nennen wären hier zum Beispiel die Wunderheilungen von unheibaren Krankheiten, die nach dem Verzehr des Quellwassers von Lourdes verzeichnet worden sind. Solche Wunder sind insofern hilfreich zur Beurteilung des Wahrheitsgehaltes der Erscheinung, da sie, wenn sie ausreichend geprüft worden sind, als „Glaubwürdigkeitskriterium der Offenbarung“[15] dienen können.

In einem späteren Abschnitt dieser Arbeit sollen und werden Visionen noch differenzierter betrachtet werden in der Weise, wie es Karl Rahner tat.

3.2 Der Katechismus als Anhaltspunkt für die Beurteilung nachösterlicher Erscheinungen

Der Katechismus liefert eine erste Hilfestellung zu der Frage nach göttlichen Offenbarungen in nachösterlicher Zeit. Es wird dort festgehalten, dass Gott mit der Offenbarung in seinem Sohn Jesus Christus erschöpfend offenbart hat, sodass es keiner neuen oder gar fortsetzenden Offenbarungen bedarf. Christus ist das „vollkommene, unübertreffbare, eingeborene Wort des Vaters“[16].

Dennoch wird auch zu Privatoffenbarungen, wie es bei den Marienerscheinungen der Fall ist, Stellung bezogen. Ihre Funktion sei auf keinen Fall, die Botschaft der Offenbarung zu erweitern oder gar zu vervollständigen – aber sie können als Hilfestellung dazu dienen, „in einem bestimmten Zeitalter tiefer aus ihr zu leben“[17]. Hierbei ergibt sich die logische Schlussfolgerung, dass sich Privatoffenbarungen inhaltlich nicht von den Worten Jesu unterscheiden dürfen. Beurteilung und Bewertung obliegen der Katholischen Kirche.[18]

Die Kirche geht jedoch äußerst vorsichtig und misstrauisch mit nachösterlichen Visionen, Auditionen und Wundern um. Denn seit dem Tod der Apostel ist die Glaubensgrundlage, das „depositum fidei“, gelegt. Dieses Glaubensgut gilt für alle gläubigen Christen und entfaltet sich allenfalls im Laufe der Geschichte, durch die sich die Kirche als Heilsgemeinschaft pilgernd befindet. Visionen und Erscheinungen hingegen sind in der Regel an Einzelpersonen, die Empfänger, gerichtet. Letzten Endes unterscheidet sich diese Art von Offenbarung essentiell von der Offenbarung in Jesus Christus, so der Theologe Karl Rahner. Letztere war nämlich heilsnotwendig an alle Menschen gerichtet. Denn obwohl dann für gewöhnlich nur ein kleiner Kreis von Gläubigen angesprochen wird, kann trotzdem sofort nach dem Empfangen der jeweiligen Botschaft für den Hörer oder Seher eine Pflicht („fides divina“) entstehen, die Botschaft zu glauben und weiterzutragen. Schließlich folgt aus Gottgewirktheit automatisch ein Wahrheitsanspruch.[19]

Drängender noch ist die Frage nach dem Sinn und Zweck nachösterlicher Offenbarungen. Denn was kann nach Christus noch geoffenbart werden? Vor dem Auftreten Jesu war die Geschichte noch offen, es kamen immer wieder Neuerungen, wie der Dekalog, hinzu. Das Volk Israel musste sich auf jede neue Botschaft Gottes neu einstellen. Nun, mit Christus, befinden wir uns in der Endzeit. Irgendwie müssen sich heutige Erscheinungen derart von der Offenbarung Christi unterscheiden, dass sie notwendig wurden bzw. werden. Allerdings, wie bereits festgestellt, nicht in ihrem Wahrheits- und Bedeutungsgehalt, denn wie kann etwas von oder über Gott weniger oder mehr wahr sein? Die einzig befriedigende Antwort lautet, so Rahner, dass Privatoffenbarungen „in ihrem Wesen ein Imperativ“[20] sind, also eine Aufforderung, die sich auf den jeweiligen zeitgeschichtlichen Hintergrund bezieht. Sie sind Anweisungen, wie sich der Mensch in einer konkreten Situation verhalten soll. Manchmal ist es schwierig, aus den allgemeinen Dogmen des christlichen Glaubens Antworten für eine ganz konkrete Problemsituation abzulesen; dann kann eine Vision, in der z.B. Maria zu einem Seher spricht, Impulse für richtiges Verhalten in der jeweiligen Sache oder Angelegenheit geben. Damit sind sie natürlich um Einiges eindrucks- und wirkungsvoller: Hier spricht Gott den Menschen schließlich „persönlich“ an, wenn auch durch einen Mittler.[21] Im Saarland zum Beispiel soll Maria erst im Jahre 1999 drei Frauen erschienen sein und zu ihnen gesagt haben, dass mehr Menschen in die Kirchen gehen sollen, weil diese so leer seien. Auch wenn diese Erscheinung längst nicht kirchlich anerkannt ist, so zeigt sie doch eindrucksvoll, wie ein aktuelles Problem, nämlich das der sinkenden Kirchenbesucherzahlen, aufgegriffen wird.[22]

3.3 Unterscheidungen von Visionen nach Karl Rahner

Mit seinem Werk „Visionen und Prophezeiungen“ von 1958 hat Karl Rahner den Grundstein für jede weitere Forschung über nachösterliche Erscheinungen gelegt. Seine Gedankengänge sind insofern interessant, weil sie, ohne die Lehrmeinung der Katholischen Kirche zu verlassen, sowohl Gläubige, als auch Skeptiker ansprechen.

3.3.1 Mystische und prophetische Visionen

Karl Rahner unterscheidet zunächst zwischen zwei Typen von Privatoffenbarungen, die sich in der Absicht, die Gott mit ihrer Hervorrufung hat, unterscheiden: Offenbarungen, die sich nur auf das Leben des Sehers alleine beziehen, nennt er „mystische Visionen“ (= „relevatio privata“[23] ). Ist der Vision ein Auftrag, eine Prophezeiung, eine Botschaft o. ä. hinzugefügt, die der Seher befolgen oder verkündigen soll, handelt es sich um eine „prophetische Vision“ (= „relevatio publica“[24] ). Die Unterscheidung ist insofern wichtig, als sie in ihren unterschiedlichen Herausforderungen an den Visionär auch unterschiedliche Interpretationen aus einem objektiven Standpunkt heraus fordern.[25]

[...]


[1] Vgl. Beinert, Wolfgang: Art. Marienerscheinungen, 2006, Sp. 1369.

[2] Rahner, Karl; Schlier, Heinrich (Hg.): Visionen und Prophezeiungen, 1958, S. 17.

[3] Vgl. Figl, Johann u. a.: Art. Wunder, 2006, Sp. 1311-1319.

[4] Ebd., Sp. 1312ff.

[5] Vgl. Fuchs, Andreas: Mariologie und Wunderglaube, 2009, S. 95f.

[6] Dan 7, 2a.14.

[7] Vgl. Heilung des Gelähmten im Tempel Apg 3, 1-10; Zeichen und Wunder der Apostel Apg 5, 12-16.

[8] Vgl. 1 Kor 15,8.

[9] Figl, Johann u. a.: Art. Wunder, 2006, Sp. 1312.

[10] Fuchs, Andreas: Mariologie und Wunderglaube, 2009, S. 89.

[11] Vgl. ebd., S. 97.

[12] Vgl. Rahner, Karl; Schlier, Heinrich (Hg.): Visionen und Prophezeiungen, 1958, S. 25-26.

[13] Vgl. Englisch, Andreas: Wenn Gott spricht, 2009, S. 240-250.

[14] Bucher, Anton u. a.: Art. Vision, Sp. 811.

[15] Fuchs, Andreas: Mariologie und Wunderglaube, 2009, S. 108.

[16] Katechismus der Katholischen Kirche, Satz 65.

[17] Ebd., Satz 67.

[18] Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Sätze 65-67.

[19] Vgl. Rahner, Karl; Schlier, Heinrich (Hg.): Visionen und Prophezeiungen, 1958, S. 23-24.

[20] Rahner, Karl; Schlier, Heinrich (Hg.): Visionen und Prophezeiungen, 1958, S. 27.

[21] Vgl. Rahner, Karl; Schlier, Heinrich (Hg.): Visionen und Prophezeiungen, 1958, S. 24-30.

[22] Vgl. Schönborn, Christoph: Offenbarung und Privatoffenbarung, 1999, S. 153.

[23] Fuchs, Andreas: Mariologie und Wunderglaube, 2009, S. 92.

[24] Ebd.

[25] Vgl. Rahner, Karl; Schlier, Heinrich (Hg.): Visionen und Prophezeiungen, 1958, S. 18-19.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Visionen und Prophezeiungen. Bedeutung und Beurteilung von Erscheinungen
Hochschule
Universität Augsburg  (Katholisch-Theologische Fakultät)
Veranstaltung
Seminar
Note
2,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
17
Katalognummer
V323425
ISBN (eBook)
9783668224346
ISBN (Buch)
9783668224353
Dateigröße
604 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bibel, Christ, Erscheinung, Prophezeiung, Vision, Wunder
Arbeit zitieren
Alexander Winter (Autor:in), 2010, Visionen und Prophezeiungen. Bedeutung und Beurteilung von Erscheinungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/323425

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