Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Beschreibung der Studien
3. Allgemeine Diskussion
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Nach Bast (1975) ist Kindesmisshandlung eine nicht zufällige, bewusste oder unbewusste gewaltsame seelische und/oder körperliche Beeinträchtigung oder Vernachlässigung des Kindes durch Eltern oder andere Erziehungspersonen, die das Kind schädigt, verletzt, in seiner Entwicklung hemmt oder sogar zum Tode führt. Unter Misshandlung fallen sowohl körperlicher, emotionaler und sexueller Missbrauch, als auch Vernachlässigung (Barnett, Manly & Cicchetti, 1993 zit. nach Robinson, 2007).
Im Gegensatz zu den jährlich angezeigten Fällen von Kindesmisshandlung unterhalb der Ein-Prozent-Grenze, sprechen retrospektive Befragungen von Jugendlichen und Erwachsenen hingegen für Lebenszeitprävalenzen von über zehn Prozent. Die begrenzte Anzeigebereitschaft und- fähigkeit der minderjährigen Opfer und ihrer Bezugspersonen führe zwangsläufig zu einer drastischen Untererfassung der Viktimisierung von Kindern und Jugendlichen. Somit dürfte den Behörden die überwiegende Mehrzahl der Misshandlungs- und Vernachlässigungsfälle unbekannt bleiben (Pillhofer, Ziegenhain, Nandi, Fegert & Goldbeck, 2011).
Kindesmisshandlung- und vernachlässigung stellen allerdings hohe Risikofaktoren für die kindliche Entwicklung und zudem sogar teilweise eine Todesursache im Kindes- und Jugendalter dar (Pillhofer et al., 2011). Wie auch die in dieser Hausarbeit vorgestellten Artikel beschreiben, leiden betroffene Kinder und Jugendliche in der Folge an einer Bandbreite von psychischen-, Verhaltens- und interpersonalen Problemen. Wut, Feindseligkeit, Schuldgefühle, Scham, Angst und Depression sind häufig auftretende emotionale Reaktionen von Kindern, die Opfer von Misshandlung geworden sind (Runyon, Deblinger, Ryan & Thakkar-Kolar, 2004). Eine von Robinson im Jahr 2007 durchgeführte Studie zeigte, dass die Entwicklung von Emotionsregulation durch Misshandlungserfahrungen der Kinder deutlich beeinträchtigt ist. Der Prozess des Erlernens von Emotionsregulationsstrategien sei bei Kindern in hohem Maße von den Kompetenzen der Eltern in diesem Bereich abhängig. Zudem würden die elterliche Unterstützung und Sensitivität hier eine entscheidende Rolle spielen. Wenn es zu Misshandlung durch die Eltern kommt, sei diese Beziehung erwartungsgemäß gestört. Misshandelte Kinder in dieser Untersuchung wiesen entsprechend ein höheres Maß an Reizbarkeit, emotionaler Labilität und internalisierenden Verhaltens auf (Robinson, 2007).
Auch Zusammenhänge zwischen Misshandlung und einer posttraumatischen Belastungsstörung konnten in vielen Studien nachgewiesen werden (z.B. Ackermann, Newton, McPherson, Jones & Dykman, 1998 zit. nach Runyon et al., 2004). Zudem weisen 70 bis 100 Prozent der Kinder, die misshandelt wurden, eine unsichere Bindung zu ihren Bezugspersonen auf (z.B. Crittenden, 1988 zit. nach Robinson, 2007). Internale Arbeitsmodelle bezüglich der Bezugspersonen jener Kinder reflektieren entsprechend eine hohe Inkonsistenz hinsichtlich der Beziehung, sowie fehlende Sicherheit beziehungsweise Geborgenheit (Robinson, 2007).
Aufgrund der hohen Dunkelziffer und der enormen negativen Konsequenzen und Risiken für die Kindesentwicklung sind Programme und Interventionen, die der Prävention von Kindesmisshandlung- und vernachlässigung dienen, notwendig und sinnvoll.
Interventionen zur Förderung einer positiven Entwicklung setzen unter anderem an der Familie, der Schule und der Kommune an. Ziel ist es, jene sozialen Kontexte insofern zu verändern, als dass sie möglichst optimale Bedingungen für eine positive Entwicklung bieten (Pinquart et al., 2011).
Die Entstehung von psychischen Problemen wird generell auf Basis des Zusammenspiels von Risiko- und Schutzfaktoren erklärt, weshalb Präventionsmaßnahmen an der Verringerung von Risikofaktoren und/oder der Stärkung von Schutzfaktoren ansetzen. Zum Einsatz kommen zum Beispiel Programme zur Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern. Familienbasierte Interventionen streben allgemein eine Verbesserung des Elternverhaltens und/oder der gesamten Familienumwelt an. Dies kann unter anderem durch ein Elterntraining, in welchem Eltern Wissen über die normale Entwicklung von Kindern vermittelt wird, erreicht werden. Sensibilisierung für die Bedürfnisse der Kinder und das Erlernen günstigen Erziehungsverhaltens, etwa das konsistente Anwenden von Regeln und den stärkeren Einsatz von Belohnungen bei erwünschtem Verhalten anstatt nur unerwünschtes Verhalten zu bestrafen, stehen dabei im Vordergrund. (Pinquart, Schwarzer & Zimmermann, 2011).
Unter Erziehungsstilen verstehen Darling und Steinberg (1993) Muster von elterlichen Einstellungen, Handlungsweisen und nichtsprachlichen Ausdrucksweisen, die die Art der Interaktion von Eltern mit ihrem Kind über eine Vielzahl von Situationen kennzeichnen.
Maccoby und Martin postulierten 1983 ein zweidimensionales System, in welchem sich der elterliche Erziehungsstil als Funktion der zwei Dimensionen Responsivität beziehungsweise Unterstützung, was auch Anerkennung und Wärme beziehungsweise Zuneigung beinhaltet, und Lenkung in Form von Anforderungen und Kontrolle, ergibt. Daraus lassen sich vier verschiedene Erziehungsstile ableiten, je nachdem, wie hoch die entsprechende Ausprägung auf den zwei Dimensionen ausfällt. Autoritativ erziehende Eltern weisen sowohl in Bezug auf die Zuneigung, als auch was Lenkung angeht eine hohe Ausprägung auf. Autoritäre Eltern hingegen stellen zwar hohe Anforderungen und neigen zu erhöhter Kontrolle, zeigen allerdings wenig Zuneigung (Maccoby & Martin, 1983 zit. nach Darling & Steinberg, 1993). Sie tendieren dazu, strenge disziplinäre Strategien zu verwenden, die die Autonomie des Kindes einschränken und es entmutigen, eigene Entscheidungen zu treffen. Jene Eltern verhalten sich weniger warmherzig als Eltern, die einen autoritativen (demokratischen) Erziehungsstil verfolgen. Autoritär erzogene Kinder zeigen weniger Sozialkompetenz und sind in der Folge häufig weniger akzeptiert durch Gleichaltrige (Travillion & Snyder, 1993). Nachgiebige, permissive Eltern weisen hohe Zuwendung auf, legen aber weniger Wert auf Anforderung und Kontrolle. Ein vernachlässigender Erziehungsstil ergibt sich aus geringen Ausprägungen in beiden Dimensionen (Maccoby & Martin, 1983 zit. nach Darling & Steinberg, 1993).
Das jeweilige Maß an Autorität und Sensitivität in der Kindererziehung führt auch laut Diana Baumrind (1971) zu unterschiedlichen elterlichen Einstellungen in Bezug auf die Kindererziehung. Eltern von Kindern, die sich am meisten selbstständig, selbstkontrolliert, explorativ und zufrieden zeigten, waren in ihren Untersuchungen zwar kontrollierend und anspruchsvoll, aber auch warmherzig und empfänglich für die kindliche Kommunikation. Diese Kombination aus Kontrolle und positivem Zuspruch wird auch hier als autoritatives elterliches Verhalten bezeichnet. Autoritär erziehende Eltern werden von Baumrind als kontrollierend und weniger warmherzig als andere Eltern charakterisiert, was zur Folge hätte, dass die Kinder mehr Unzufriedenheit, Introversion und Misstrauen aufweisen (Baumrind, 1971). Eltern, die sehr fordernd sind, gleichzeitig aber nicht die individuellen Grenzen und Bedürfnisse ihrer Kinder anerkennen, exemplifizieren laut Wolfe (1991 zit. nach Cowen, 2001) das Muster körperlich und emotional missbrauchender Eltern, während Eltern, die nur sehr geringe oder gar keine Ansprüche haben und zudem keine Struktur bieten, eher einen vernachlässigenden und unbeteiligten Erziehungsstil verkörpern.
Eine Studie, die elterliche Wahrnehmungen bezüglich Kindererziehungsstrategien untersuchte, fand eindeutige Unterschiede in den Erziehungsstilen misshandelnder und nichtmisshandelnder Eltern. Es wurde berichtet, dass misshandelnde Eltern weniger zufrieden in Bezug auf ihre Kinder sind. Zudem nehmen sie die Kindererziehung als schwieriger wahr, haben weniger Freude an ihrer elterlichen Rolle, drücken häufiger negativen Affekt dem Kind gegenüber aus und bestrafen es häufiger als nicht-misshandelnde Eltern (Trickett & Susman, 1988 zit. nach Cowen, 2001). Physisch misshandelnde Eltern würden zudem häufig ihr Missfallen in Bezug auf ihre elterliche Rolle demonstrieren, würden die Bedürfnisse und Fähigkeiten ihrer Kinder missachten, hätten häufig die Ansicht, das Kind würde sie absichtlich nerven und würden ineffektive, inkonsistente Erziehungspraktiken anwenden (z.B. Azar & Rohrbeck, 1986 zit. nach Cowen, 2001). Im Allgemeinen kommt es in Familien, in denen Misshandlung der Kinder stattfindet, seltener zu (vor allem positiven) Eltern-Kind-Interaktionen (Lober, Felton & Reid, 1984 zit. nach Runyon et al., 2004) und den Eltern fehlt es an Problemlösekompetenzen, was oft dazu führt, dass sie Fehlverhalten der Kinder sehr harsch bewerten (Azar, Robinson, Hekimian & Twentyman zit. nach Runyon et al., 2004) und unrealistische Erwartungen an ihre Kinder haben (Azar, 1997 zit. nach Runyon et al., 2004).
Charakteristiken, die mit vernachlässigenden Eltern assoziiert sind, würden eine unreife, kindhafte Persönlichkeit einschließen, welche mit wenig Selbstbewusstsein, geringer Impulskontrolle und Problemlösefähigkeit, sowie mit geringen finanziellen und haushaltsmanagementlichen Kompetenzen und wenig sozialer Kompetenz einherginge (z.B. Azar, Robinson, Hekimian & Twentyman, 1984 zit. nach Cowen, 2001). Sowohl bei vernachlässigenden, als auch bei misshandelnden Eltern können laut Wolfe (1985) stressbedingte Symptome auftreten, welche ihre elterliche Kompetenz beeinträchtigen.
Die Prävention von Vernachlässigung und Misshandlung wird in Deutschland seit einigen Jahren verstärkt diskutiert (Pillhofer et al., 2011). Programme zur Elternbildung sind inzwischen weit verbreitet – allerdings häufig ohne eine empirisch belegte Basis zu haben. Die Untersuchung solcher Verfahren ist laut Cowen (2001) allerdings wichtig im Hinblick auf die Evaluation ihrer Effektivität und um letztlich den Personen, die über jene Effektivität entscheiden, eine Leitlinie und Orientierung zu bieten.
Der Impuls für die Entwicklung solcher Verfahren war die Überzeugung, dass ein Mangel an Wissen in Bezug auf die Kindesentwicklung, sowie unzureichende elterliche Kompetenzen zwei Faktoren darstellen, die bei der Kindesmisshandlung eine wichtige Rolle spielen (Wolfe, 1985). Der deutliche Anstieg der in der Kinder- und Jugendhilfestatistik aufgeführten ambulanten Hilfeformen, wie beispielsweise institutionelle Beratung, erzieherische Hilfen außerhalb des Elternhauses oder die sozialpädagogische Familienhilfe, spiegeln laut Pillhofer und Kollegen (2011) möglicherweise eine generell zunehmende Überforderung von Eltern wieder, die wiederum Misshandlung und Vernachlässigung eines Kindes wahrscheinlicher werden lässt.
Ob und in welchem Ausmaß Misshandlung und/oder Vernachlässigung langfristig gesehen negative Folgen für das Kind haben, hängt laut Cohen und Mannarino (2010) davon ab, ob das Kind wirksam behandelt wird oder nicht. In entsprechenden Programmen werden den Eltern Kompetenzen vermittelt, die ihre elterlichen Ressourcen und Bewältigungsstrategien in Bezug auf die Kindererziehung verbessern sollen. Eltern sollen positive Strategien und Einstellungen in Bezug auf die Kindererziehung erlernen. Jene Programme werden sowohl generell zur Prävention, als auch für „high-risk“-Gruppen, wie beispielsweise Eltern, welche im Teenageralter Kinder bekommen haben, als auch in Familien, in welchen es bereits zu Misshandlung der Kinder gekommen ist, eingesetzt (Altpeter & Walker, 1992 zit. nach Cowen, 2001). Anhand der im Folgenden an zweiter Stelle vorgestellten Studie, welche die Effektivität des ‚Bavolek Nurturing Program‘ untersucht hat , soll eine Möglichkeit der Intervention zur Prävention von Kindesmisshandlung und deren Wirksamkeit dargestellt werden.
Im Rahmen dieser Hausarbeit soll herausgearbeitet werden, welche Rolle der elterliche Erziehungsstil bei der Entwicklung kindlicher Regulationsfähigkeit spielt und ob Interventions- beziehungsweise Präventionsprogramme, welche am elterlichen Erziehungsverhalten und an elterlichen Problemlösestrategien ansetzen, eine gute Möglichkeit darstellen, Kindesmisshandlung vorzubeugen.
2. Beschreibung der Studien
In der Studie Parenting style as a mediating link between parental emotional health and adjustment of maltreated children (Haskett et al., 1995) werden zwei Risikofaktoren, die mit kindlicher sozialer und emotionaler Fehlanpassung zusammenhängen, näher beleuchtet - Kindesmisshandlung und elterliche Psychopathologie. Viele vorangegangene Studien zeigten, wie auch in der Einleitung beschrieben, dass eine Misshandlung durch die Eltern negative Folgen für die sozial-emotionale Entwicklung von Kindern hat (z.B. Conaway & Hansen 1989, zit. nach Haskett et al.).
Studien konnten weiterhin zeigen, dass geringe emotionale Gesundheit der Eltern, im Besonderen Schizophrenie und Depression, in Verbindung mit negativen Outcomes für die Entwicklung der Kinder steht (Haskett et al., 1995). Kinder, deren Eltern unter Depressionen leiden, weisen laut Downey und Coyne (1990, zit. nach Haskett et al.) ein höheres Risiko auf, verschiedenste Schwierigkeiten in Bezug auf Lernen, Verhalten und Emotionen zu entwickeln. Auch Defizite in der kindlichen Sozialkompetenz wie beispielsweise erhöhte Aggressionen, welche laut Haskett und Kistner (1991, zit. nach Haskett et al., 1995) häufig zu geringer Beliebtheit bei Gleichaltrigen führen, (George & Main 1979, zit. nach Haskett et al., 1995) seien bei Kindern, deren Mütter depressiv sind, zu erwarten.
Ein weiterer wichtiger Faktor, auf Basis dessen die Hypothese dieser Studie unter anderem entstand, ist der elterliche Erziehungsstil. Angeführt wird in diesem Zusammenhang Literatur, welche einen ineffektiven Erziehungsstil von emotional gestörten Müttern beschreibt. Insbesondere depressive Mütter berichten von weniger Selbstvertrauen in der elterlichen Rolle und von stärkeren Gefühlen der Zurückweisung und Feindseligkeit ihren Kindern gegenüber (z.B. Davenport, Zahn-Waxler, Adland & Mayfield, 1984 zit. nach Haskett et al., 1995). Sie interagieren laut Sameroff, Siefer & Zax (1982, zit. nach Haskett et al.) weniger mit ihren Kindern und zeigen mehr negatives Verhalten als nicht depressive Mütter (Lovejoy, 1991 zit. nach Haskett et al.,1995). Zudem ziehen sie sich eher zurück, wenn es darum geht Disziplin beizubringen, da sie laut Goodman und Bromley (1990, zit. nach Haskett et al., 1995) daran scheitern, Struktur und effektive Anleitung zu geben.
Forschung bezüglich kindlicher Sozialisation hat gezeigt, dass frühe Erfahrungen in Eltern-Kind Interaktionen mit der Entwicklung kindlicher Sozialkompetenz zusammenhängen (Haskett et al., 1995). Fehlangepasste, vor allem feindselige, kontrollierende und inkonsistente Elternverhaltensweisen seien in hohem Ausmaß für negative Outcomes in der kindlichen sozial-emotionalen Entwicklung verantwortlich. Fokussiert wird in dieser Studie auf zwei der in der Einleitung beschriebenen Dimensionen der Kindererziehung – den autoritären und den autoritativen Erziehungsstil. Misshandelnde Eltern werden häufig ähnlich wie autoritär erziehende Eltern beschrieben, da sie ihren Kindern häufiger Befehle geben, eingreifende Aussagen machen und mehr disziplinäre Strategien anwenden als nicht-misshandelnde Eltern (Susman et al., 1995 & z.B. Oldershaw, Walters & Hall, 1986 zit. nach Haskett et al., 1995).
Da Risikofaktoren häufig gleichzeitig in Familien auftreten, sei es laut Autoren notwendig, sowohl ihre Effekte an sich, als auch mögliche Interaktionseffekte zu untersuchen, wenn man Determinanten der Misshandlung bestimmen will. Ziel dieser Studie war es folglich, die Effekte des Erziehungsstils und die der elterlichen emotionalen Gesundheit gleichzeitig zu untersuchen, um die Beziehung zwischen diesen Faktoren, die beide Einfluss auf die Entwicklung junger, misshandelter Kinder haben, erklären zu können (Haskett et al., 1995). Haskett und Kollegen überprüften in ihrer Studie die Hypothese, dass der elterliche Erziehungsstil als Mediator zwischen dem Einfluss elterlicher emotionaler Gesundheit und kindlicher Regulationsfähigkeit fungiert.
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