Foucault und die Dystopie. Disziplinar- und Bio-Macht in "Brave New World"


Hausarbeit, 2016

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhalt

1. Einleitung

2. Disziplinierung und Panoptismus

3. Regulierung und Bio-Macht

4. Das Kastensystem in Brave New World

5. Bewertung

6. Schluss

1. Einleitung

„Jahrtausende hindurch ist der Mensch das geblieben, was er für Aristoteles war: ein lebendes Tier, das auch einer politischen Existenz fähig ist. Der moderne Mensch ist ein Tier, in dessen Politik sein Leben als Lebewesen auf dem Spiel steht“ (Foucault 1995: 171). Dieses Zitat des französischen Philosophen Michel Foucault verkehrt das bekannte Aristotelische Postulat vom Menschen als zoon politikon, als soziales, politisches Wesen zur Erreichung des größt- möglichen Glücks, in sein Gegenteil und stellt die Politik als absolute Lebensnotwendigkeit in den Mittelpunkt des menschlichen Daseins. Foucault kommt zu diesem Schluss, weil „das Leben relativ beherrschbar geworden ist und die Optimierung dieser Beherrschung des Le- bens zum Gegenstand der Politik geworden ist“ (Heidenreich 2005: 113). Dies ist das Resultat seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit in den letzten Jahren seines Lebens, also den späten 1970er Jahren. Zentral war hier die Definition der verschiedenen Spielarten der Macht. Foucault zeigte, dass aus der bis zur frühen Neuzeit typischen Souveränitätsmacht, realhisto- risch und im Sinne Thomas Hobbes‘ Leviathans, die Disziplinarmacht, für welche er auch den Begriff des Panoptismus verwandte, und später die Bio-Macht, entstanden. Diese Konzepte, für welche u.a. seine Werke „Überwachen und Strafen“, „Der Wille zum Wissen“, sowie sei- ne in Buchform unter dem Titel „In Verteidigung der Gesellschaft“ herausgegebenen Vorle- sungen am Collège de France 1975/76 exemplarisch stehen, sind Gegenstand der vorliegen- den Arbeit. Jedoch sollen diese Konzepte nicht im luftleeren Raum analysiert werden. Gerade wegen der derzeitigen Aktualität von Debatten um Transhumanismus, also die Optimierung der menschlichen Möglichkeiten (Hänßler 2013), welche natürlich eng mit dem Begriff der Bio-Macht verknüpft sind, lohnt ein Blick in ein belletristisches Werk, welches u.a. genau dies zum zentralen Gegenstand hat. Mitentwickler des Transhumanismus war vor einigen Jahrzehnten der Biologe und Eugeniker Julian Huxley. Eben dieser war der Bruder des Schriftstellers Aldous Huxley, welcher mit seinem dystopischen Roman „Brave New World“ in den 1930er Jahren ein grauenhaftes Zukunftsszenario erstellte. Brave New World wurde, im Gegensatz zu einem anderen weltbekannten negativutopischen Romans „1984“ von George Orwell, vor den Erfahrungen des Nationalsozialismus und Stalinismus veröffentlicht. Aufgrund dessen funktioniert die Ausübung der Macht und Kontrolle in ersterem eher auf gewaltlosem und naturwissenschaftlichem Gebiet, beispielsweise durch Eugenik und Dysge- nik, während in letzterem klar Gewalt gegen Abweichler eingesetzt wird. Eben weil aber für Foucault nicht die offene, gewaltvolle, sondern die subtile, schleichend wirkende Macht von 1 Bedeutung ist, wird Huxleys Roman im Folgenden genutzt, um die Foucaultschen Machtkon- zepte plastischer darzustellen. Hierbei wird der Fokus speziell auf dem Aspekt des Kastensys- tems, respektive der Eugenik in „Brave New World“ liegen. Die zu beantwortende Frage lau- tet also: Wie und wo finden sich Foucaults Konzepte der Disziplinar- und Bio-Macht im Kas- tensystem von „Brave New World“ wieder? Hierzu sollen im Folgenden zuerst die beiden Konzepte der Macht einzeln vorgestellt werden, worauf eine kurze Darstellung des Kasten- systems in „Brave New World“ folgt, um schlussendlich beides zusammenzuführen und zu analysieren. Hierfür war neben den genannten Werken der Primärliteratur unter anderem auch der Sammelband „Biopolitik. Ein Reader“ von großer Hilfe. Die beiden Herausgeber, welche beide profilierte Wissenschaftler im Bereich der Foucault Forschung sind, analysieren und versammeln hier diverse Konzepte der Biopolitik und Bio-Macht, ausgehend von Foucault über Giorgio Agamben bis hin zu Michael Hardt und Antonio Negri. Während sich der Sam- melband vom Herausgeber Felix Heidenreich „Technologien der Macht: Zu Michel Foucaults Staatsverständnis“ eher auf die politisch-staatliche Ebene konzentriert, widmet sich Thomas Krämer mit „Die Ökonomie der Macht“ eher dem Aspekt der rationalen Machtausübung, welche im Spätwerk Foucaults eine große Rolle spielt.

2. Disziplinierung und Panoptismus

„Überwachen und Strafen“ erschien erstmals 1975, neun Jahre vor dem Tod Foucaults zählt es also zu dessen Spätwerk. In ihm stellt er „Die Geburt des Gefängnisses“, der Untertitel des Werks, dar. Ausgehend von der frühen Neuzeit beginnt das Werk mit der Schilderung einer brutalen Marter-, Folter- und Todesstrafe an dem Königsmörder Damien 1757. Diese steht exemplarisch für die Macht des Souveräns, welcher durch die Ausübung der peinlichen, zur Schau stellenden Strafe, seine durch die kriminelle Handlung verletzte Macht wiederherstellt. Während die Marter „auf einer quantifizierenden Kunst des Schmerzes“ (Foucault 2015: 46) beruhte, verschwand in den Jahren darauf jedoch sukzessive „der Körper als Hauptzielscheibe der strafenden Repression“ (ebd.: 15). Zum Verständnis dieses Übergangs stellt Foucault zu- erst ein Reglement einer verpesteten Stadt Ende des 17. Jahrhunderts dar. Die Stadt reagierte auf die existenzielle Bedrohung mit einer totalen Quarantäne. Jede Handlung der Individuen wurde notiert und es wurde, beispielsweise durch Anwesenheitskontrollen, ein lückenloses Kontrollsystem etabliert. Obwohl die verpestete Stadt im Gegensatz zur Disziplinargesell- schaft einen Ausnahmezustand darstellt, ist sie „die Utopie der vollkommen regierten Stadt/Gesellschaft“ (ebd.: 255). Diese Mechanismen bleiben jedoch auch in der nachfolgen- den Zeit erhalten, intensivieren sich sogar. Die Unterscheidung zwischen Normalem und Anormalen manifestiert sich: „Die Existenz zahlreicher Techniken und Institutionen, die der Messung, Kontrolle und Besserung der Anormalen dienen, hält die Disziplinierungsverfahren am Leben, die einst von der Furcht vor der Pest herbeigerufen worden sind“ (ebd.: 256). Im Laufe der darauffolgenden Jahre wurde das Gefängnis, welches bis dato nur zur Festsetzung der Gefangen bis zur Bestrafung diente, selbst zum Ort der Bestrafung. Durch die ständige Rationalisierung und Ökonomisierung des Gefängnisses entwickelte der englische Philosoph Jeremy Bentham Ende des 18. Jahrhunderts das Panopticon, als ideale Strafanstalt. Ein ein- zelner Aufseher reicht aus, um von einem Turm das gesamte Gefängnis zu überwachen. Die- ser Überwacher ist durch bestimmte Vorrichtungen in der Lage, sogar die Gefangenen in den entlegensten Zellen zu beobachten, wird jedoch selbst niemals gesehen, da das Panopticon durch bestimmte Vorrichtungen zur Scheidung des Paares sehen und gesehen werden führt. Die Hauptwirkung ist „die Schaffung eines bewußten [sic!] und permanenten Sichtbarkeitszu- standes beim Gefangenen, der das automatische Funktionieren der Macht sicherstellt“ (ebd.: 258). Das Subjekt der Macht wird unsichtbar, nur das Objekt der Macht bleibt weiterhin im Scheinwerferlicht. Somit hat sich „ein Verhältnis […] umgekehrt: wo zuvor der höchste Sou- verän als Individuum sichtbar war, ist nun das Zentrum der Macht verschwunden und durch eine Apparatur ersetzt worden, die autonom, anonym und automatisch funktioniert“ (Schnei- der 2004: 127). Die Macht wird entkörpert, automatisiert und entindividualisiert, der Souve- rän muss seine Macht nicht mehr demonstrieren, sie wirkt subtil. In diesem Zusammenhang schreibt Foucault auch vom Wandel der Makrophysik hin zu einer Mikrophysik der Macht (vgl. Foucault 2015: 178). Dies alles wäre jedoch nicht von so großer Bedeutung, wenn es nur auf die Methoden innerhalb der Haftanstalt beschränkt wäre. Die Sprengkraft Foucaults Theo- rie resultiert jedoch auf seiner Verallgemeinerung auf die gesamte Gesellschaft: Ausgehend von Militär, Fabrik und Schule - die Funktion der Disziplinen wird hier umgekehrt und in das Paradigma der Ökonomisierung und Rentabilität eingeordnet - dehnen sich die panoptischen Methoden subtil auf die gesamte Bevölkerung aus: die Disziplinargesellschaft formiert sich. Wichtig für diese Entwicklung ist auch, dass sich die Disziplinarmechanismen sukzessive desinstitutionalisieren, sie werden subjektlos: „Waren die ‚Feste des Marterns‘ lokale, außer- gewöhnliche Ereignisse, so durchdringen die neuen Disziplinartechniken unsere ganze Kultur, und ihre funktionale Bedeutung wird durch ihre völlige Unsichtbarkeit am eindrucksvollsten belegt“ (Leist 1991: 174). Diese Entwicklung ging einher mit der Entwicklung des Industrie- kapitalismus. Die zu kontrollierenden Gruppen werden größer, der Produktionsapparat wächst weiter an: Mit der Akkumulation des Kapitals geht, in einem interdependenten Verhältnis, eine Akkumulation der Menschen einher. Im Narrativ des ständig fortschreitenden Kapitalis- mus kann es keine unproduktiven, nicht rentablen Bereiche geben: „Es gilt also gleichzeitig die Fügsamkeit und die Nützlichkeit aller Elemente des Systems zu steigern“ (Foucault 2015: 280). Infolgedessen steht aber auch immer das Verhältnis zwischen Nutzen und Machteinsatz im Fokus der Disziplinen. Diese müssen durch möglichst geringe Kosten eine möglichst in- tensive Wirkung hervorrufen. Eine weitere Entwicklung, die von der Disziplinargesellschaft begünstigt wurde, respektive diese auch wiederrum die Disziplinargesellschaft ermöglichte, ist die Entwicklung der rechtlich egalitären parlamentarischen Demokratie. De jure existiert in ihr ein Gesellschaftsvertrag, welcher Rechtssubjekte qualifiziert und rechtliche Souveränität garantiert, de facto stellt dies jedoch nur den Überbau dar. Der Unterbau besteht aus den Dis- ziplinen, welche ein subtil wirkendes Gegenrecht darstellen. Diese Disziplinen charakterisie- ren, klassifizieren und hierarchisieren, die Teile der Gesellschaft, sie tragen letztendlich maß- geblich zur Entwicklung der Humanwissenschaften, wie Psychologie und Pädagogik bei. Das Wissen über die Menschen ist für Foucaults Machtbegriff von zentraler Bedeutung: „Ohne Wissen und Normen könnte es […] kein Handeln auf ein anderes Handeln, könnte es keine Machtbeziehung geben, da ohne Wissen und Normen schlichtweg die zum Handeln erforder- liche Spezifität oder Bestimmtheit fehlen würde. […] Macht wirkt produktiv, aber sie tut dies für Foucault immer auf der Grundlage eines Wissens und den mit ihm korrelierenden Nor- men“ (Lepold 2014: 310). Foucault formuliert also keineswegs einen negativen, repressiven, gar destruktiven Machtbegriff. Der mächtige Souverän war noch gezwungen, notfalls durch brutale Vernichtung jegliche Widerstände zu unterdrücken. In der Disziplinargesellschaft hin- gegen tritt „an die Stelle des Prinzips von Gewalt/Beraubung […] das Prinzip von Mil- de/Produktion/Profit“ (Foucault 2015: 281). Die ständige Überwachung, das Messen und Ab- schätzen, die infinitesimale Kontrolle ausgerichtet auf die bestmögliche produktive Verwal- tung des Humankapitals und somit auch des Kapitals an sich werden zum Dogma des herr- schenden Systems. Es erschafft gleichzeitig neue Individuen, verändert sowohl Wünsche, als auch Denk- und Verhaltensweisen. Dieses Dogma, der Panoptismus, gleicht allerdings eben nicht einer Unfreiheit, da die Disziplinen das subjektive Empfinden und Wissen derart beein- flussen, dass sich die Subjekte nicht als unterdrückt begreifen: „Die Subjekte sind auch in den konkreten Machtbeziehungen wirklich frei, da sie in der Lage sind, sich als bestimmte Sub- jekte autonom zu führen auf Grundlage ihrer eigenen Interpretationsleistungen, ihrer Ausle- gung des Wissens und der Normen“ (Lepold 2014: 315).

3. Regulierung und Bio-Macht

Das Konzept der Bio-Macht entwickelte Foucault sowohl in seiner eigenen Biographie chro- nologisch, als auch realhistorisch auf dem Konzept der Disziplinarmacht aufbauend. Wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich hierbei um ein Machtprinzip, dessen Ziel weniger das Verhalten, beziehungsweise das Denken der Individuen, als vielmehr das Leben der Ge- samtheit ist. Es fokussiert sich auf die Geburtenrate und -kontrolle, auf die Sterberate, auf das Gesundheitsniveau und ähnliche, lebensrelevanten, das gesamte Kollektiv betreffenden Ange- legenheiten. Ihr Kerngebiet ist medizinischer Natur, von welcher sie auch profitiert: „Medical advances have greatly expanded the realm of biopower“ (Macey 2009: 202). Jedoch ist die Bio-Macht nicht nur eine Weiterentwicklung der Disziplinarmacht, denn diese existiert ja weiterhin. Vielmehr ist sie eine andere Seite der gleichen Macht-Medaille:

„Disziplinarmacht auf der einen und Biomacht auf der anderen Seite sind für Foucault jedoch nicht als zwei gegensätzliche Formen der Macht zu verstehen. Vielmehr bilden sie für ihn zwei in Beziehung zueinanderstehende Pole einer Machtausübung, die durch die Disziplinie- rung des Individualkörpers einerseits und durch die Regulierung der Bevölkerung andererseits auf das Leben, auf seine Hervorbringung und seine Produktiv-Machung gerichtet sind“ (Krä- mer 2011: 83).

Foucault erwähnt dieses Konzept erstmals im Rahmen einer Vorlesung am Pariser Collège de France 1975 und 1976, welche gedruckt unter dem Titel „In Verteidigung der Gesell- schaft“ vorliegt und spezifiziert dies später im ersten Band seiner „Histoire de la sexualité“, welcher in deutscher Sprache unter dem Titel „Der Wille zum Wissen“ erschien. Die wohl bekannteste Definition seines Konzepts der Bio-Macht manifestiert sich wieder in der Darstel- lung des Kontrasts zur Souveränitätsmacht. Es geht darum, dass der Souverän seine Macht über das Leben ausübte, in dem er Menschen am Leben oder töten ließ. Seine Macht über das Leben fand also nur indirekt statt und manifestierte sich in der Macht über den Tod.

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Details

Titel
Foucault und die Dystopie. Disziplinar- und Bio-Macht in "Brave New World"
Hochschule
Universität Regensburg  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Grundkurs Einführung in die politische Philosophie
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
15
Katalognummer
V323705
ISBN (eBook)
9783668228450
ISBN (Buch)
9783668228467
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politische Philosophie, Foucault, Huxley, Brave New World, Disziplinarmacht, Bio-Macht, Topic_Dystopien
Arbeit zitieren
Michael Kienastl (Autor:in), 2016, Foucault und die Dystopie. Disziplinar- und Bio-Macht in "Brave New World", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/323705

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