Zu Leibniz' Körperbegriff in seinen späten Jahren. Verhältnis von Monaden und Körpern


Masterarbeit, 2015

101 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Leibniz´ epistemologische Rahmensetzung
1.1 Vernunftwahrheiten
1.1.1 Der Satz des auszuschließenden Widerspruchs
1.1.2 Der Satz des ausgeschlossenen Dritten
1.1.3 Der Satz des zureichenden Grundes
1.1.4 Die Identität des Ununterscheidbaren und die Ununterscheidbarkeit des Identischen
1.2 Tatsachenwahrheiten

2. Die Annahme von Monaden
2.1 Das Problem der Annahme von Monaden in der Monadologie

3. Eigenschaften von Monaden
3.1 Monaden sind Einheiten per se
3.2 Perzeption und Apperzeption
3.2.1 Perzeptionsgrade
3.3 Appetition und Entelechie
3.4 Die punktuelle Struktur von Monaden

4. Eigenschaften von Körpern
4.1 Räumliche Ausdehnung
4.2 Besitz von Masse

5. Wie können Monaden Körper konstituieren?
5.1 Wie ist es möglich, dass Monaden Körper konstituieren?
5.1.1 Wie ermöglichen Monaden räumliche Ausdehnung?
5.1.2 Wie ermöglichen Monaden Masse?
5.1.2.1 Rekonstruktion von Saviles Argumentation
5.1.2.2 Reflexion der Rekonstruktion von Saviles Argumentation

6. Wie sind Körper zu begreifen?
6.1 Körper als Phänomene
6.1.1 Das Verhältnis zwischen Monaden und Körpern als Phänomene
6.1.1.1 Rekonstruktion der Entwicklung des Phänomenbegriffs anhand des Regenbogenbeispiels
6.2 Körper als „well-founded phenomena“

7. Emanation oder Emergenz?

8. Reflexion

9. Literaturverzeichnis

Einleitung

Woraus besteht die Welt? Auf den ersten Blick scheint dies nur eine rein ontologische Frage der Theoretischen Philosophie zu sein, da sie auf fundamentale Elemente und Grundstrukturen des Seins abzielt. Will man jedoch herausfinden, was das Sein konstituiert, so ist man gezwungen, den Bereich des Seins zu verlassen, um hinter das Sein blicken zu können. Spätestens hier sieht man, dass die Frage nach den grundlegenden Strukturen der Welt sowie des Seins eine ontologische und zugleich auch eine metaphysische Frage ist. Der deutsche Philosoph, Mathematiker, Logiker, Physiker, Jurist und Historiker Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) beschäftigte sich mit dieser metaphysischen Frage und fand eine Antwort darauf: Unsere Welt besteht aus unendlich vielen Monaden (gr. monás = Einheit). In seiner Monadologie (=M) aus dem Jahre 1714 beschreibt er Monaden als einfache Substanzen, die weder Teile noch Ausdehnung haben und somit unteilbar sind. „Und diese Monaden sind die wahren Atome der Natur oder mit einem Wort, die Elemente der Dinge.“[1] Die Monaden gehen miteinander Zusammensetzungen oder Aggregate ein. Diese Aggregate sind die Dinge in der Welt. Nun haben alle Dinge in der Welt eins gemeinsam – sie besitzen einen ausgedehnten, teilbaren, materiellen Körper. Wenn man über den Körperbegriff bei Leibniz sprechen möchte, dann ist man gezwungen, das Verhältnis zwischen Monaden und Körper zu untersuchen, da Körper aus Monaden bestehen.

Allerdings ist das Verhältnis zwischen Monaden und Körpern problematisch, da Monaden und Körper zwei verschiedenen ontologischen Bereichen angehören: Monaden gehören aufgrund ihrer Ausdehnungslosigkeit sowie ihrer Unteilbarkeit dem immateriellen Bereich an, wohingegen die Körper der Dinge aufgrund ihrer Ausdehnung und Teilbarkeit dem materiellen Bereich angehören. Aus dem ontologischen Dualismus von Monaden und Körpern ergeben sich zwei Fragestellungen, die unmittelbar zusammenhängen: Erstens, wie können Monaden Körper konstituieren und zweitens, wie sind diese Körper zu begreifen? Diese beiden Fragen sind die zentralen Fragestellungen der vorliegenden Arbeit. Die Gemeinsamkeit der beiden Fragen liegt im Untersuchungsgegenstand, der das Verhältnis von Monaden und Körpern ist. Der Unterschied der beiden Fragen scheint in der Untersuchungsrichtung zu liegen. Bei der ersten Frage wird von der Ebene der Monaden ausgegangen und gefragt, wie aus Monaden Körper entstehen können. Bei der zweiten wird vom Bereich der Körper ausgegangen, indem hier die Frage nach dem ontologischen Status physischer Körper gestellt wird. Mit dieser zweigeteilten Fragestellung ist es möglich, denselben Gegenstand aus zwei unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.

Bei der Behandlung der Frage, wie Monaden Körper konstituieren können, wird der Fokus auf M liegen, da der Aufbau von M der Untersuchungsrichtung dieser Fragestellung entspricht, wohingegen bei der Behandlung der Frage nach dem ontologischen Status von Körpern der Schwerpunkt auf „Ariew, Roger/Garber, Daniel (1989): G.W. Leibniz Philosophical Essays “ (=AG) liegen wird, weil Leibniz´ Erläuterungen hier fast ausschließlich von der physischen Dingwelt mit ihren Eigenschaften ausgehen und eine Erklärung im metaphysischen Bereich suchen.

Dem Titel dieser Arbeit ist zweierlei zu entnehmen: Problembereich und Arbeitsgrundlage.

Die Konstitution von Körpern ist ein zentrales Problem der Ontologie und Metaphysik, im Speziellen der Leibniz´schen Metaphysik vor dem Hintergrund seiner Monadenlehre. In der Leibniz-Forschung herrscht Einigkeit darüber, dass Leibniz das Problem des Verhältnisses zwischen Monaden und Körpern, genauer die Konstitution von Körpern durch Monaden nicht lösen konnte.[2] Der aktuelle Forschungsdiskurs beschäftigt sich daher mehr mit dem Problem, ob Leibniz in Bezug auf Körper eine realistische oder eine idealistische Position[3] vertrat und weniger mit der Konstitution der Körper durch Monaden. So vertritt Phemister die Ansicht, dass Leibniz hinsichtlich Körpern und körperlichen Substanzen eine realistische Position bezieht, wohingegen Loptson für eine idealistische Interpretation argumentiert.[4] Hartz und Arthur machen sich für einen Theoriepluralismus stark, indem sie sowohl den Idealismus als auch den Realismus als Theorien für den Leibniz´schen Körperbegriff akzeptieren.[5] Wenn man sich mit dem Körperbegriff bei Leibniz beschäftigt, dann sind hierbei zwei Gedanken relevant: Zum einen die Frage, wie diese Körper entstehen, und zum anderen, was entstanden ist.

Daher gehen wir im Gegensatz zum Gegenstandsbereich der obigen Autoren in dieser Arbeit einen Schritt zurück, indem wir uns zuerst die Frage stellen, wie Monaden Körper konstituieren können, um im Anschluss daran zu fragen, wie diese Körper zu begreifen sind.

Das Zeitfenster „späte Jahre“ soll die Arbeitsgrundlage dieser Arbeit anzeigen und eingrenzen. Während Garber in „ Leibniz: Body, Substance, Monad “ die Entwicklung des Leibniz´schen Körperbegriffs in seiner frühen, mittleren und späten Periode mit dem Ziel rekonstruiert, dass diese Rekonstruktion für eine (aristotelische) realistische Position des Körperbegriffs der Leibniz´schen Metaphysik in seiner mittleren Periode spricht, beschränken wir uns auf Leibniz´ späte Jahre. Dies hat den einfachen Grund, dass Leibniz´ Hauptwerke in diese Zeit zu verorten sind, insbesondere die Monadologie. Wir nehmen weiter an, dass die Vielzahl der Leibniz´schen Positionen seines Oeuvres, das zum Großteil aus einer unüberschaubaren Vielzahl an Briefwechseln, Aufsätzen und Anmerkungen besteht, hier in konzentrierter, systematischer und elaborierter Form dargestellt wird. Als Arbeitsgrundlage zur Behandlung der zentralen Fragestellungen werden wir auf die in diesem Kontext relevantesten metaphysischen Schriften von Leibniz zurückgreifen: Auf die „Metaphysische Abhandlung“ (=D), auf die „Auf Vernunft gegründeten Prinzipien der Natur und Gnade“ (=P), auf „Neues System der Natur und der Gemeinschaft der Substanzen, wie der Vereinigung zwischen Körper und Geist“ (=NS) sowie auf M – wenngleich wir den Fokus auf die M legen werden.[6] Das hat folgenden Grund: Das Thema der Substanzen behandelt Leibniz in D weniger ausführlich als in P und in M. In P und M behandelt er die Problematik der Substanzen ungefähr im selben Umfang, allerdings besitzt M hier im Vergleich zu P einen für die Behandlung unserer Fragestellung attraktiven Vorteil und dieser liegt schlicht darin, dass M im Gegensatz zu P eine einfachere, aber auch stärkere These im Hinblick auf zusammengesetzte Monaden vertritt.[7] In M sind zusammengesetzte Monaden keine Substanzen mehr, sondern haben einen von den immateriellen Substanzen ontologisch verschiedenen Status, nämlich einen materiellen. In P vertritt Leibniz in Bezug auf zusammengesetzte Substanzen eine kompliziertere und schwächere These. Hier begreift er zusammengesetzte Substanzen als eine Substanz eigener Art[8], weil die Konstitution dieser Substanz ihre Ursache entweder darin hat, dass eine körperliche Monade zusammen mit einer geistigen Monade der Substanz Identität stiften[9] oder dass die Ursache der Konstitution der Substanz in der speziellen Natur der Beziehungen zwischen den Monaden besteht[10]. Zur Bearbeitung unserer Fragestellung ist es somit sinnvoll, auf die einfachere und stärkere These der M hinsichtlich des Status zusammengesetzter Monaden zurückzugreifen.

Bei der Zitation von Aufsätzen, Briefen oder Anmerkungen zu Briefen werde ich auf AG zurückgreifen. Es mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, hier auf eine Zusammenstellung von Briefen und Schriften in englischer Sprache zu rekurrieren, wenngleich diese doch auch in deutscher Sprache in der Standardwerksausgabe Leibniz, Gottfried Wilhelm (1923ff): Sämtliche Schriften und Briefe “ (=A) enthalten sind. Der Grund für die Wahl von AG als primäre Arbeitsgrundlage hinsichtlich Leibniz´ Briefen und Kommentaren ist, dass das Konzept der Zusammenstellung von Briefen und Anmerkungen in AG dem Zeitfenster sowie dem Problembereich vorliegender Arbeit entgegenkommt. Da das Zeitfenster von AG auf „Leibniz´s mature philosophical thought“ eingeschränkt ist und sich die Auswahl von „lesser-known pieces from Leibniz´s mature thought – the late 1670s on – that deal with Leibniz´s [...] account of body“ auf den Gegenstand dieser Arbeit bezieht, ist AG als Arbeitsgrundlage in zweifacher Hinsicht attraktiv.[11]

Diese Arbeit ist nach folgenden Überlegungen aufgebaut: Zu Beginn stellen wir Leibniz´ epistemologischen Rahmen dar, innerhalb dessen Erkenntnis möglich ist. Dies erfolgt durch eine Beschreibung von Vernunft- und Tatsachenwahrheiten. Anhand der Anwendung von Vernunft- und Tatsachenwahrheiten werden wir sehen, wie Leibniz auf die Annahme von Monaden kommt und welche Probleme sich daraus ergeben.

Aus den Eigenschaften von Monaden und den Thesen von M ergibt sich nun die Frage, wie Monaden Körper konstituieren können. Diese Frage lässt sich in drei Varianten darstellen: Formen sich Eigenschaften um? Fließen Eigenschaften aus den alten heraus? Kommen neue Eigenschaften hinzu? Wir werden sehen, dass wir die Möglichkeit einer positiven Antwort auf die zweite und dritte Fragevariante nicht ausschließen können. Kommen nun bei der Zusammensetzung von immateriellen Substanzen neue Eigenschaften hinzu, so ist die Frage danach, wie dies möglich ist, von höchstem Interesse. Die Behandlung der Frage nach der Möglichkeit der Konstitution physischer Körper durch immaterielle Substanzen setzt voraus, dass wir die Eigenschaften von Monaden genauer untersuchen.

Im Anschluss daran betrachten wir die notwendigen Bedingungen, die zusammen hinreichend für den Begriff von physischen Körpern sind und untersuchen, ob und wenn ja wie Monaden diese Eigenschaften ermöglichen. Als notwendige und hinreichende Bedingungen von physischen Körpern nennen wir räumliche Ausdehnung, den Besitz von Masse und Materialität. Da räumliche Ausdehnung und Masse hinreichende Bedingungen für den Begriff der Materie sind, genügt hier die Untersuchung der Eigenschaften von räumlicher Ausdehnung und des Besitzes von Masse.

Bei der Frage, wie Monaden räumliche Ausdehnung ermöglichen, versuchen wir, ausgehend von Rutherfords grundsätzlichen Überlegungen im Kontext des Analysis-Problems, eine eigene Antwort zu finden. Bei der Frage, wie Monaden Masse ermöglichen, werden wir näher auf Saviles Argumentation eingehen.

In Bezug auf die zweite zentrale Fragestellung – wie Körper zu begreifen sind – werden wir als Antwort das „well-founded phenomena“-Modell behandeln, indem wir Elemente dieses Konzepts herausarbeiten und versuchen, diese auf physische Körper zu übertragen.

Abschließend treffen wir noch eine Entscheidung dahingehend, welcher Veränderungsbegriff das Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Eigenschaften von Monaden und den physischen Eigenschaften von Körpern am besten fassen kann. Diese Entscheidung wird zugunsten des Emanationsbegriffs ausfallen.

Bevor wir mit der Motivation der Fragestellung beginnen, ist es sinnvoll, sich einen Überblick über die M zu verschaffen. Die M ist das Kernstück der Leibniz´schen Metaphysik, eine Art metaphysisch-logischer Atomismus in dem er unter anderem zum einen begründet, warum man Monaden als die die Realität konstituierenden, fundamentalen Bausteine annehmen muss und zum anderen, welche Eigenschaften diese grundlegenden Elemente des Seins haben. In M 1-19 beschreibt Leibniz Merkmale von Monaden und deren wesentliche Eigenschaften: Perzeption und Appetition, aufgrund derer er sie auch als Entelechien bezeichnet (M 18). In den darauf folgenden Erläuterungen M 19-29 wendet er sich einer epistemologischen Erläuterung dessen zu, was er unter Perzeption versteht, indem er ihr Begriffe wie Empfindung (M 19), Schlaf und Ohnmacht (M 20) gegenüberstellt und verschiedene Grade von Perzeptionen unterscheidet, angefangen von den einfachen Perzeptionen von Monaden (M 21) über die Perzeptionen von Tieren (M 25) bis hin zu denen des Menschen (M 29). Die Perzeptionen des Menschen ermöglichen ihm die Erkenntnis von Vernunftwahrheiten, die aus den Prinzipien des Satzes des auszuschließenden Widerspruchs[12], des Satzes des ausgeschlossenen Dritten, sowie des Satzes des zureichenden Grundes bestehen, und Tatsachenwahrheiten, mit deren Erläuterung sich Leibniz in M 30-37 beschäftigt. In M 38-48 möchte er die Existenz Gottes, den er als „notwendige“ (M 38) und „höchste Substanz“ (M 40) beschreibt, sowohl mit dem Satz des zureichenden Grundes aposteriorisch (M 38f) als auch mit dem Satz des auszuschließenden Widerspruchs apriorisch (M 43-45) beweisen. Dem Bereich der Geschöpfe, der Welt und der Wahl Gottes derselben als die beste aller möglichen Welten wendet er sich in M 48-55 zu, bevor er in den M 56-60 seine Spiegel-These (M 56) präsentiert und die Gradualität der Repräsentationen von Monaden (M 60) darlegt. Den universalen Zusammenhang zwischen Monaden und deren Entelechien und Körpern beschreibt Leibniz in M 61-77. Die Lösung des Leib-Seele-Problems sieht er in der prästabilierten Harmonie und erläutert diese in M 78-81. Auf den Unterschied zwischen Monaden und Geistern, die Leibniz als vernünftige Seelen bezeichnet, geht er in den M 82f ein, bevor er mit seiner These, dass diese Geister Gemeinschaften eingehen können, in M 84 Moral mit ins Spiel bringt. Im Idealfall kann aus der Gemeinschaft ein Gottesstaat entstehen, der „eine moralische Welt in der natürlichen Welt“ ist (M 86) und in der Gott „Monarch“ (M 87) „Architekt“ und „Gesetzgeber“ (M 89) ist.

1. Leibniz´ epistemologische Rahmensetzung

Wie anfangs erwähnt, handelt es sich bei der Frage danach, woraus die Welt besteht, um eine substanzontologisch-metaphysische Fragestellung, die auf die Struktur und die Elemente der basalen Natur abzielt. Als Rationalist war Leibniz davon überzeugt, dass man allein durch vernünftiges und logisches Nachdenken eine Antwort auf diese Frage finden kann. Die logische Annahme von Monaden ist motiviert durch Leibniz´ Prinzipien der Vernunftwahrheiten und der Tatsachenwahrheiten.

1.1 Vernunftwahrheiten

Wie der Begriff der Vernunftwahrheiten anzeigt, handelt es sich hierbei um Wahrheiten, die aus rein logischen und begrifflichen Gründen heraus wahr sind. Zum Beispiel ist der Satz „2+2=4“ aus logischen Gründen wahr ebenso wie der Satz „Jeder Körper ist ausgedehnt“ aus begrifflichen Gründen wahr ist. Wenn etwas aus logischen und begrifflichen Gründen wahr ist, dann ist dieses etwas notwendig wahr. Vernunftwahrheiten sind notwendig wahr, weil ihr Gegenteil unmöglich ist.[13] Unmöglich bedeutet hier, dass man das Gegenteil von Vernunftwahrheiten nicht denken kann, weil es hier nichts zu verstehen gibt, das bedeutet, dass das Gegenteil einer Vernunftwahrheit sinnlos ist.

Erkennen kann man Vernunftwahrheiten durch den Gebrauch der Vernunft, die durch eine fortschreitende Zergliederung von Sachverhalten und Gegenständen letztendlich auf notwendige Wahrheiten trifft: 33. […] Falls eine Wahrheit notwendig ist, kann man den Grund dafür durch Analyse finden, indem man sie auf Ideen und einfachere Wahrheiten auflöst, bis man zu den anfänglichen gelangt.[14]

Der Begriff der Vernunftwahrheiten besteht bei Leibniz in M aus zwei großen Prinzipien. Diese zwei Prinzipien der Vernunftwahrheiten sind epistemologisch betrachtet apriorische Sätze.

Leibniz erläutert seinen Begriff des ersten Prinzips der Vernunftwahrheiten in M 31 genauer: 31. Unsere Überlegungen gründen auf zwei großen Prinzipien, demjenigen des Widerspruchs, aufgrund dessen wir das als falsch beurteilen, was Widersprüchliches oder Falsches einhüllt und als wahr, was diesem entgegengesetzt ist,…[15]

Es fällt hierbei auf, dass Leibniz´ Beschreibung des ersten Prinzips der Vernunftwahrheiten bipolar ist, da er sowohl eine negative („aufgrund dessen wir als falsch beurteilen, was Widersprüchliches oder Falsches einhüllt“) als auch eine positive Bestimmung („und als wahr, was diesem entgegengesetzt ist“) in seine Ausführung aufnimmt. Das negative Element in der Bestimmung der Vernunftwahrheiten nennt man den „Satz des auszuschließenden Widerspruchs“ und das positive Element bezeichnet man als „Satz des ausgeschlossenen Dritten“.

Wir werden gleich sehen, dass sich diese beiden Prinzipien ergänzen und zwar in dem Sinn, dass uns der Satz des auszuschließenden Widerspruchs als negative Bestimmung sagt, was falsch ist, sowie uns der Satz des ausgeschlossenen Dritten als positive Bestimmung sagt, was wahr ist.

Allerdings können wir hier bereits festhalten, dass Vernunftwahrheiten logisch vom Satz des auszuschließenden Widerspruchs abhängen.

1.1.1 Der Satz des auszuschließenden Widerspruchs

Der Satz des auszuschließenden Widerspruchs besagt schlicht, dass etwas nicht zugleich der Fall ist und der Fall nicht ist. Dieser Satz ist auf Aristoteles zurückzuführen, der in seiner Metaphysik darlegt, dass ein Prädikat einem Subjekt nicht zugleich in derselben Hinsicht zukommen kann und nicht zukommen kann.[16] In aussagenlogischer Notation lässt sich der Satz des auszuschließenden Widerspruchs so ausdrücken:[17]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ausformuliert: Es ist nicht wahr, dass A der Fall ist und nicht der Fall ist. Wenn etwas zugleich der Fall ist und nicht der Fall ist, dann ist das ein Widerspruch, wie zum Beispiel der widersprüchliche Satz „Ich habe zwei Beine und ich habe keine zwei Beine“. Solche vernunftwidrigen, widersprüchlichen und sinnlosen Sätze sollen durch den Satz des auszuschließenden Widerspruchs ausgeschlossen werden. Der Satz des auszuschließenden Widerspruchs erzeugt in seiner negativen Bestimmung als eliminierende Methode – er eliminiert Widersprüche, indem er sie ausschließt – einen Pool an widerspruchsfreien, sinnvollen Sätzen. Erst bei diesen sinnvollen, weil widerspruchsfreien Sätzen, kann man danach fragen, ob sie wahr oder falsch sind. Mit der Frage nach der Wahrheit von Sätzen sind wir auch schon beim positiven Element in Leibniz´ Erläuterung der Vernunftwahrheiten angekommen und zwar beim Satz des ausgeschlossenen Dritten.

1.1.2 Der Satz des ausgeschlossenen Dritten

Im Ausdruck „Satz des ausgeschlossenen Dritten“ bezeichnet das Objekt „des ausgeschlossenen Dritten“ übrigens den Widerspruch, der durch den Satz des auszuschließenden Widerspruchs ausgeschlossen wurde. So gesehen ist der Satz des ausgeschlossenen Dritten das logische Produkt des Satzes vom auszuschließenden Widerspruch. Durch den Ausschluss des Widerspruchs verändert sich die logische Form des Satzes vom auszuschließenden Widerspruch, die eine negierte Konjunktion ist, hin zur logischen Form einer ausschließlichen[18] Disjunktion. Mit anderen Worten, es verändert sich die logische Form eines verneinten Und-Satzes zur logischen Form eines (bejahten) Oder-Satzes. In aussagenlogischer Notation sieht die Darstellung einer Disjunktion so aus:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ausformuliert: Es ist wahr, dass A der Fall ist, oder es ist nicht wahr, das A der Fall ist. Übertragen auf unseren Beispielsatz bedeutet das „Entweder ich habe zwei Beine oder ich habe keine zwei Beine“. Im Vergleich mit unserem sinnlosen Beispielsatz „Ich habe zwei Beine und ich habe keine zwei Beine“ hat der Satz „Entweder ich habe zwei Beine oder ich habe keine zwei Beine“ sehr wohl einen Sinn, da man ihn verstehen kann, den anderen hingegen nicht. Somit ist der Satz vom ausgeschlossenen Dritten als Disjunktion eine positive Bestimmung in zweifacher Hinsicht. Zum einen kann man ihn als sinnvollen Satz verstehen und zum anderen ist er in der Anwendung eine epistemische Methode, mit der man Wahrheiten erkennen kann, weil nur eins der beiden Disjunkte wahr sein kann.

Nachdem mit dem Satz des auszuschließenden Widerspruchs und dem Satz des ausgeschlossenen Dritten das erste Prinzip der Vernunftwahrheiten negativ und positiv bestimmt wurde, gehen wir nun zum zweiten großen Prinzip über.

1.1.3 Der Satz des zureichenden Grundes

Die Erläuterungen zum zweiten großen Prinzip der Vernunftwahrheiten knüpft Leibniz nahtlos in M 32 an die Erläuterungen zum ersten Prinzip in M 31 an: 32. …und dasjenige des zureichenden Grundes, aufgrund dessen wir keine Tatsache als wahr oder existierend annehmen, keine Aussage als wahrhaftig, ohne daß es einen zureichenden Grund gäbe, weswegen es sich so verhielte und nicht anders, obgleich sehr häufig diese Gründe uns nicht bekannt sein können.[19]

Man erkennt hier, dass der Satz des zureichenden Grundes als epistemologisches Prinzip aus der Empirie abgeleitet wird und daher haben wir es epistemologisch mit einem aposteriorischen Satz zu tun. Für den Rationalisten Leibniz besitzt der Satz des zureichenden Grundes allerdings apriorische Gültigkeit, da er ihn als ein Vernunftprinzip ansieht, mit dem man durch reines Nachdenken nicht nur Schlüsse im Bereich der Logik und Mathematik ziehen kann, sondern darüber hinaus auch noch im Bereich der Naturwissenschaft und Metaphysik.

Alles was es in der Welt gibt und was in der Welt geschieht hat Gründe. Es gibt und es geschieht nichts grundlos in der Welt.

Hierbei denkt man wohl zuerst an die physischen Ursache- und Wirkungsverhältnisse, die in der Welt herrschen. Diesen physischen Sinn des Grundes zeigt Leibniz mit der Verwendung des Wortes „Tatsache“ in M 32 an und kann wohl am besten mit dem Begriff der Ursache bezeichnet werden. Jede Ursache erzeugt eine bestimmte Wirkung und jede Wirkung hat eine bestimmte Ursache. Allerdings ist wiederum auch jede Wirkung selbst eine Ursache, die eine andere Wirkung auslöst. Das bedeutet weiter, dass wir es bei Ursache und Wirkung mit ganzen Kausalketten zu tun haben, die den Weltverlauf konstituieren und bestimmen. Mit dem Satz des zureichenden Grundes ist es nach Leibniz möglich, diese Kausalketten bis hin zu einer ersten Ursache aufschließend zurück zu verfolgen.

Neben dem physischen Sinn des Grundes gibt es aber auch noch einen nichtphysischen Sinn den Leibniz mit der Verwendung des Ausdrucks „Aussage“ bezeichnet. Hierunter fallen alle Gründe, die keine physischen Ursachen sind wie zum Beispiel logische, mathematische und religiöse Sachverhalte sowie psychologische Motive und Haltungen.

Ohne den Satz des zureichenden Grundes gäbe es in der Welt Dinge ohne Ursache und grundlose Sachverhalte. In so einer Welt könnte sich zum Beispiel mein Schreibtisch grundlos und ohne Ursache zuerst in einen Elefanten verwandeln, danach in eine Tüte Bonbons und danach spurlos verschwinden. Dieser Gedanke ist jedoch absurd und hat nichts mit der Welt zu tun, wie wir sie kennen. Der Satz des zureichenden Grundes ist somit eine plausible Beschreibung basaler Strukturen, die die Welt konstituieren.

1.1.4 Die Identität des Ununterscheidbaren und die Ununterscheidbarkeit des Identischen

Obwohl Leibniz das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren und das Prinzip der Ununterscheidbarkeit des Identischen nur implizit in M 9 erwähnt, sind diese beiden Prinzipien den Vernunftwahrheiten zuzuordnen und daher ebenso grundlegend wie die anderen Vernunftwahrheiten.[20] Auf den ersten Blick scheinen die beiden Prinzipien eine synonyme Bedeutung zu haben. Der Unterschied zwischen den beiden wird erkennbar, wenn man diese ausformuliert und in logischer Notation darstellt. Das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren besagt, dass wenn a und b die gleichen Eigenschaften besitzen, dann sind sie identisch. In aussagenlogischer Notation lässt sich dieses Prinzip so darstellen:[21]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ausformuliert: Für alle Eigenschaften F gilt, dass genau dann, wenn F eine Eigenschaft von a ist und F eine Eigenschaft von b ist, dann folgt daraus, dass a und b identisch sind. Im Vergleich zum Prinzip der Ununterscheidbarkeit des Identischen ist das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren mehr umstritten, da hier qualitative Identität numerische Identität garantieren soll.

Das weniger umstrittene Prinzip der Ununterscheidbarkeit des Identischen besagt, dass, wenn zwei Dinge identisch sind, dann sind sie nicht zu unterscheiden. Bei diesem Prinzip soll numerische Qualität qualitative Identität garantieren. In aussagenlogischer Notation können wir das Prinzip der Ununterscheidbarkeit des Identischen so darstellen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ausformuliert: Wenn a und b identisch sind, dann folgt daraus, dass für alle Eigenschaften F gilt, genau dann wenn F eine Eigenschaft von a ist, dann ist F auch eine Eigenschaft von b. Leibniz akzeptiert sowohl das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren als auch das Prinzip der Ununterscheidbarkeit des Identischen.

Nachdem wir die Leibniz´schen Vernunftwahrheiten dargestellt haben, gehen wir nun zu den Tatsachenwahrheiten über.

1.2 Tatsachenwahrheiten

Im Gegensatz zu Vernunftwahrheiten, die abstrakte, notwendige Entitäten sind, beziehen sich Tatsachenwahrheiten auf konkrete Dinge in der Welt, die der Fall sind.[22] Tatsachenwahrheiten sind kontingent und das bedeutet, dass die Dinge in der Welt so oder anders sein können.[23] Zum Beispiel kann eine Katze ein weißes oder ein schwarzes Fell haben. Keine Katze hat aber notwendig ein schwarzes oder weißes Fell, weil es denkbar und daher möglich ist, dass das Fell der Katze eine andere Farbe hat. Weitere Beispiele für Tatsachenwahrheiten sind die Sätze „Angela Merkel ist die Bundeskanzlerin von Deutschland“, „Der Eiffelturm ist 324 Meter hoch“ und „Professor La Sala hat im Sommersemester 2015 eine Veranstaltung zu Leibniz´ metaphysischen Schriften angeboten“. Alle diese Sätze sind wahr, weil sie eine korrekte Beschreibung der Wirklichkeit liefern. Aber sie sind nicht notwendig wahr, da es denkbar und daher möglich ist, dass Angela Merkel zum Beispiel Finanzministerin von Deutschland ist und dass der Eiffelturm statt 324 Meter 318 Meter misst.

Nachdem wir nun einen Eindruck davon gewonnen haben, was Leibniz unter Vernunftwahrheiten, die aus den Prinzipien des Satzes des auszuschließenden Widerspruchs, des Satzes des ausgeschlossenen Dritten und des Satzes des zureichenden Grundes bestehen, und unter Tatsachenwahrheiten versteht, wollen wir nun einmal sehen, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang dieser Prinzipien die Annahme von Monaden ergibt.

2. Die Annahme von Monaden

Wenn man wissen möchte, woraus die Welt besteht, dann könnte der Untersuchungsablauf mit den Leibniz´schen Prinzipien so aussehen: Der Satz des auszuschließenden Widerspruchs besagt in diesem Kontext, dass es nicht wahr ist, dass die Welt aus etwas besteht und dass sie nicht aus etwas besteht. Schließt man diesen Widerspruch aus, so ergibt sich gemäß dem Satz des ausgeschlossenen Dritten, dass die Welt entweder aus etwas besteht oder dass sie nicht aus etwas besteht. Ein Blick in die Welt eröffnet uns eine Tatsachenwahrheit, nämlich, dass die Welt aus etwas besteht, weil es Dinge in der Welt gibt. Eine weitere Tatsachenwahrheit über diese Dinge ist, dass sie zusammengesetzt sind, weil man sie entweder faktisch oder zumindest gedanklich teilen kann. Alles was zusammengesetzt ist, muss aus irgendetwas zusammengesetzt sein. Zu dieser Annahme zwingt der Satz des zureichenden Grundes. Bleibt man hier auf der Ebene der dinglichen Welt, so handelt es sich um eine Tatsachenwahrheit, abstrahiert man allerdings von der dinglichen Welt, so handelt es sich um eine Vernunftwahrheit zu der der Satz des zureichenden Grundes ebenfalls zwingt. Es ist somit eine Vernunft- und Tatsachenwahrheit, dass die Welt aus Elementen zusammengesetzt ist. Jedoch sind diese Elemente selbst wiederum faktisch oder gedanklich immer weiter teilbar und alles was potentiell weiter geteilt werden kann, endet in einem unendlichen Regress der Teilbarkeit. Dieser unendliche Regress der Teilbarkeit liefert keine ursprünglichen Elemente, die nicht mehr teilbar sind und aus denen sich die Dinge der Welt zusammensetzen können. Hier fordert der Satz des zureichenden Grundes fundamentale Elemente, die nicht weiter teilbar sind und somit geeignet sind, die Teilbarkeit der Dinge zu erklären. Mit anderen Worten: Der Satz des zureichenden Grundes zwingt zur Annahme von Elementen, die Teilbarkeit erst ermöglichen. Gemäß der Prinzipien der Ununterscheidbarkeit des Identischen und der Identität des Ununterscheidbaren ergibt sich, dass die fundamentalen Elemente und die zusammengesetzten Dinge nicht identisch sind, weil sie sich in mindestens einer Eigenschaft voneinander unterscheiden oder weil sie sich in mindestens einer Eigenschaft unterscheiden, sind sie nicht identisch: Die fundamentalen Elemente sind nicht teilbar, wohingegen die zusammengesetzten Elemente teilbar sind. Diese fundamentalen Elemente sind unteilbare Monaden.

Es ist ersichtlich, dass der Satz des zureichenden Grundes die Annahme von Monaden motiviert. Wir wissen, dass der Satz des zureichenden Grundes ein aus der Empirie abgeleitetes Prinzip mit apriorischer Gültigkeit ist und das bedeutet weiter, dass Erkenntnisse, die man durch die Anwendung des Satzes des zureichenden Grundes als epistemologische Methode gewinnt, keine absolute Notwendigkeit besitzen, sondern eine hypothetische.[24] Daher besitzt die Annahme von Monaden eine hypothetische Notwendigkeit.[25]

2.1 Das Problem der Annahme von Monaden in der Monadologie

Nachdem wir anhand unserer Anwendung der leibnizschen Vernunft- und Tatsachenwahrheiten gesehen haben, was die logische Annahme von Monaden motiviert, gehen wir zu den ersten drei Paragraphen der M über, in denen Leibniz die Annahme von Monaden in konzentrierter Form darstellt:

1. Die Monade (Hervorhebung von Leibniz, Anm. d. Verf.), von der wir im folgenden sprechen werden, ist nichts anderes als eine einfache Substanz, welche in die Zusammensetzungen eingeht; einfach, das heißt ohne Teile.
2. Einfache Substanzen muß es geben, weil es Zusammensetzungen gibt; denn das Zusammengesetzte ist nichts anderes als eine Anhäufung oder ein Aggregat (Hervorhebung von Leibniz, Anm. d. Verf.) von Einfachem.
3. Dort, wo es keine Teile gibt, gibt es weder Ausdehnung noch Gestalt, noch mögliche Teilbarkeit. Es sind diese Monaden die wahrhaften Atome der Natur und, kurz gesagt, die Elemente der Dinge.[26]

M 1 gibt eine Antwort auf die Frage, was Monaden sind und welche Eigenschaften sie haben. M 2 liefert eine Erklärung dafür, warum wir an die Existenz von Monaden glauben sollten. M 3 führt nochmals Eigenschaften von Monaden an, aber darüber hinaus beschreibt er Monaden als die die Realität tatsächlich konstituierenden Bausteine. Obwohl Leibniz in diesen ersten drei Paragraphen der M den Begriff der Materie nicht verwendet, können wir davon ausgehen, dass die Eigenschaft des Materiellen sowie des Immateriellen eine Rolle spielt. Betrachten wir folgenden Schluss:

(1) Zusammengesetztes besteht aus einfachen Teilen (aus M 2 und 3) A
(2) Materielles ist ausgedehnt A
(3) Ausgedehntes ist teilbar A
(4) Materielles ist teilbar aus (2) u. (3)
(5) Einfaches ist nicht teilbar (aus M 3) A
(6) Wenn etwas nicht teilbar ist, dann ist es nicht materiell aus (4) u. (5)

also

(7) Einfaches ist nicht materiell aus (5) u. (6)

Monaden als einfache Substanzen sind somit immateriell. Die Eigenschaft des Materiellen ist jedoch eine notwendige Bedingung für physische Körper.

Wir stehen vor einem ontologischen Dualismus, der problematisch ist, denn wie können immaterielle Substanzen materielle Körper konstituieren?

Bevor wir uns jedoch diesem Problem zuwenden, ist es unumgänglich, weitere wesentliche Eigenschaften von Monaden zu beschreiben.

3. Eigenschaften von Monaden

Wenn Monaden einfache Substanzen sind und wir diese aufgrund rationaler Überlegungen annehmen müssen und diese einfachen Substanzen Eigenschaften besitzen, dann müssen Monaden diese Eigenschaften notwendig haben, da sie ohne diese Eigenschaften aufhören würden, einfache Substanzen zu sein, kurz: Monaden besitzen ihre Eigenschaften notwendig.

Allem voran müssen wir erst einmal erläutern, was der Begriff der Substanz generell bedeutet. Grundsätzlich ist eine Substanz ein Träger von Eigenschaften, d.h. dass die Substanz das notwendige Fundament eines Dings ist, an dem die Eigenschaften eines Dings „haften“. Die Substanz eines Dings ist dasjenige, das übrig bleibt, wenn man von allen kontingenten Eigenschaften – den Akzidenzien – des Dings abstrahiert. Zum Beispiel ist das Tier Katze u.a. dadurch bestimmt, dass eine Katze vier Beine, einen Schwanz, ein Fell, zwei Augen, zwei Ohren und ein Maul hat. Das alles sind kontingente Eigenschaften der Katze. Diese Eigenschaften sind nicht notwendig dafür, dass eine Katze eine Katze ist, weil es sich immer noch um eine Katze handeln würde, wenn diese nur drei Beine, einen kupierten Schwanz und nur ein Auge hätte. Erst wenn man von allen kontingenten Eigenschaften der Katze abstrahiert, dann ist man bei dem angelangt, an dem diese Eigenschaften haften, also beim Träger dieser Eigenschaften, kurz: der Substanz. Der Begriff der Substanz kann jedoch auch formal bestimmt werden: Der Substanzbegriff kann in einer Aussage immer nur als Subjekt und niemals als Prädikat auftreten.[27]

3.1 Monaden sind Einheiten per se

In „2. Die Annahme von Monaden“ haben wir bereits wesentliche Merkmale von Monaden kennengelernt: Monaden sind einfache Substanzen, das heißt, Monaden haben weder Teile noch eine Ausdehnung und sind somit Einheiten, im Sinn eines Ganzen, die ihre Einheit per se (durch sich selbst) haben. Das Einheit-per-se-Sein von Monaden ist das Merkmal, das in Bezug auf die Monaden alles festlegt[28] und daher ist das Einheit-per-se-Sein dasjenige, das alle Eigenschaften von Monaden gemeinsam haben oder auf das alle Eigenschaften hinauslaufen.[29] In diesem Kontext ist auch die häufig zitierte „Fensterlosigkeit“ von Monaden zu verstehen: „Die Monaden haben keine Fenster, durch die etwas in sie hineintreten oder sie verlassen könnte.“[30]

Durch ihr Einheit-per-se-Sein ist weder eine kausale Einwirkung auf die Monade noch eine kausale Einwirkung durch die Monade möglich. Monaden sind somit kausal unabhängig.

Was soll das Einheit-per-se-Sein von Monaden jedoch genau bedeuten? Wir werden im Folgenden fünf Gründe betrachten, die dafür sprechen, dass Monaden Einheiten per se sind.

Den ersten Grund nenne ich einen negativen physisch-räumlichen Grund, da er mit physischen Begriffen beschreibt, was eine Monade nicht ist. Wir wissen, dass Monaden keine Teile haben. Etwas, das keine Teile hat, kann auch nicht geteilt werden und etwas, das weder Teile hat und deswegen nicht geteilt werden kann, besitzt auch keine Ausdehnung. Aus diesen Prämissen folgt nun, dass Monaden nicht im Raum sind, da sie keine Ausdehnung haben oder mit anderen Worten: Monaden haben keine Dimensionen, wenn man Dimensionen im Sinn eines räumlichen Ausmaßes begreift.

Der zweite Grund dafür, dass Monaden Einheiten per se sind, nenne ich einen physisch-(raum-)zeitlichen Grund. Werfen wir hierzu einen Blick auf die relevanten Paragraphen der M:

4. Man muß zudem keine Auflösung befürchten, und es ist keine Weise begreifbar, durch die eine einfache Substanz auf natürliche Weise vergehen könnte.
5. Aus demselben Grund gibt es auch keine Weise, wodurch eine einfache Substanz auf natürliche Weise anfangen könnte, da sie nicht durch Zusammensetzung gebildet werden kann.[31]

Monaden haben demnach weder einen zeitlichen Ursprung noch ein zeitliches Ende, da sie zeitlich nicht entstanden sind und zeitlich auch nicht vergehen können. Sie sind somit unzerstörbar, was den Gedanken einer absolut physisch-raum-zeitlichen Unabhängigkeit aufdrängt. Nur Gott kann sie durch einen Schöpfungsakt beginnen und durch einen Vernichtungsakt enden lassen.[32] Durch ihre physisch-zeitliche Unabhängigkeit sind Monaden ewig und genau das garantiert ihre Persistenz in der Zeit.

Als weiteren Grund für die per se Einheit von Monaden ist ihre Unterschiedenheit voneinander zu nennen.

8. Gleichwohl müssen Monaden einige Qualitäten haben, sonst wären sie nicht einmal Seiende […] Monaden ohne Qualitäten wären untereinander ununterscheidbar […].[33]

Als Grund für die notwendige Unterschiedlichkeit der Monaden scheint Leibniz ein Blick auf die Dinge in der Welt zu genügen, „[d]enn es gibt in der Natur niemals zwei Seiende, die vollkommen eins wie das andere wären“.[34] Leibniz geht sogar soweit zu behaupten, dass keine Monade einer anderen gleicht.[35] Mit anderen Worten bedeutet das, dass keine Monade ihre gesamten Qualitäten mit einer anderen teilt und daher darf jede Monade als Individuum (lat. Unteilbares, Einzelding) bezeichnet werden.

Der vierte Grund, der für Monaden als Einheit per se sprechen soll, besteht aus drei Schritten, bei denen der erste ohne die anderen schwer zu verstehen ist. Nachdem die drei vorherigen Gründe statische Aspekte von Monaden anführten, kommen jetzt dynamische Merkmale von Monaden mit ins Spiel. In M 10 sagt Leibniz, dass jede Monade einer kontinuierlichen Veränderung unterworfen sei, weil sich alles, was von Gott geschaffen worden ist, verändert.[36] Diese Veränderung kommt von einem „inneren Prinzip“ der Monaden.[37] Das innere Prinzip ist dasjenige, was den inneren Zuständen oder Handlungen zugrunde liegt. Leibniz spricht in M 17 explizit von “inneren Handlungen der einfachen Substanzen“.[38] Da eine Handlung immer mit der Veränderung eines bestimmten Zustandes zusammenhängt[39], darf man die inneren Handlungen der einfachen Substanzen so verstehen, dass sie als Aktivitäten der Monaden nicht durch äußere Einflüsse, sondern durch die Monaden selbst initiiert werden. Der Begriff der „inneren Handlungen“ von Monaden bezeichnet dasjenige, was wir im nächsten Punkt „3.2 Perzeption und Apperzeption“ unter dem Begriff „Perzeption“ als auch das, was wir in „3.3 Appetition und Entelechie“ unter dem Begriff „Entelechie“ kennenlernen werden.

Zur besseren Verständlichkeit des Begriffs der „inneren Handlungen“ ein kleines Beispiel, in dem wir den Begriff der Monaden mit unserem Selbstbewusstsein und den Begriff der Veränderung mit unseren Gedanken ersetzen: Unser Selbstbewusstsein ist dasjenige, das aktiv Gedanken hervorbringt und diese Gedanken sofort wieder in sich selbst bewusst integriert. So gesehen konstituieren die vielen verschiedenen Gedanken des Selbstbewusstseins, die es selbst hervorbringt, das Selbstbewusstsein als Einheit. Dieses Beispiel führt uns unmittelbar zum nächsten und letzten Grund.

Der fünfte Grund, der für das Einheit-per-se-Sein von Monaden sprechen soll, bringt den Gedanken auf den Punkt, indem er im Vorfeld konstatiert, dass, wenn es in der Monade Veränderungen gibt, es irgendetwas geben muss, das sich ändert:[40]

13. Diese Einzelheit muß in der Einheit oder im Einfachen eine Vielheit einhüllen. Denn jede natürliche Veränderung geschieht graduell, indem etwas sich ändert und etwas bleibt; so muss es folglich in der einfachen Substanz eine Vielzahl von Affektionen und von Beziehungen geben, auch wenn es in ihr keine Teile gibt.[41]

Die Verwendung des Begriffs „Affektionen“ darf man in diesem Kontext wohl am Besten in der lateinischen Ursprungsbedeutung, nämlich „in einen Zustand versetzen“, begreifen. Demnach sind die Affektionen der Monade verschiedene Zustände, in denen sie sich befinden kann und rücken somit begrifflich sehr nahe in die Richtung der Bedeutung dessen, was Leibniz in M 11 mit innerem Prinzip meint. Der Begriff Affektionen soll somit die Aktivität von Monaden betonen. Der Ausdruck „Einheit in der Vielheit“ zeigt nun an, dass die einfache Substanz als ontologische Entität rein durch ihre geistige Aktivität, die verschiedenen Zustände, welche sie selbst hervorbringt, zu einem Ganzen vereint. Der Prozess der Vereinigung der verschiedenen Zustände zu einer Einheit ist nun das, was eine Monade wesentlich als Einheit ausmacht. Leibniz nennt zwei Typen, wie eine Einheit eine Vielheit einschließen kann: Zum einen die Perzeption und zum anderen die Apperzeption.

3.2 Perzeption und Apperzeption

14. Der vorübergehende Zustand, der in der Einheit oder in der einfachen Substanz eine Vielheit einhüllt und vorstellt, ist nichts anderes als das, was man die Perzeption nennt, die man von der Apperzeption oder dem Bewusstsein wohl unterscheiden muss […].[42]

[...]


[1] M 3.

[2] Vgl. zum Beispiel Garber, 2009, S. xxi, Busche, 2009, S. 6 u. Saville, 2000, S. 146.

[3] Idealismus bedeutet, dass es im Universum nur Geister oder geistabhängige Objekte gibt. Realismus bedeutet, dass es im Universum mindestens ein Objekt gibt, das weder ein Geist noch geistabhängig ist. Vgl. Hartz, 2007, S. 6.

[4] Vgl. Phemister, 2005, S. 3 u. Loptson/Arthur, 2006, S. 15f.

[5] Vgl. Hartz, 2007, S. 2 u. Loptson/Arthur, 2006, S. 31.

[6] Es gibt Stimmen, die ausdrücklich davor warnen, einen Zugang zur Leibniz´schen Substanzenlehre durch M zu suchen. Hahmann kritisiert mit Cassirer den dogmatischen und systematischen Stil von M. Vgl. Hahmann, 2009, S. 11. Wie sich gleich zeigen wird, gibt es einen Grund, der dafür spricht, den Zugang zur Substanzenlehre trotzdem durch M zu suchen.

[7] Vgl. Rutherford, 2009, S. 40.

[8] Vgl. P 1, ferner Garber, 2009, S. 353.

[9] Vgl. P 4.

[10] Vgl. P 2f.

[11] Vgl. AG S. xi.

[12] Das Leibniz´sche Prinzip des Widerspruchs wird fast ausschließlich als „Satz des ausgeschlossenen Widerspruchs“ bezeichnet. Allerdings suggeriert der Ausdruck „Satz des ausgeschlossenen Widerspruchs“, dass Widersprüche von vornherein, also „automatisch“ im Erkenntnisprozess ausgeschlossen sind. Dass das nicht der Fall ist, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass man Widersprüche in einem Erkenntnisprozess erst einmal als solche erkennen muss. Selten sind in der epistemologischen Praxis Widersprüche eindeutig als solche (wie in dem Beispiel, das in „1.1.1 Satz des auszuschließenden Widerspruchs“ angeführt werden wird) zu erkennen und daher verwende ich den Ausdruck „Satz des auszuschließenden Widerspruchs“, da dieser Ausdruck den Gedanken nahe legt, dass man Widersprüche zuerst als solche erkennen muss, damit man sie ausschließen kann, um so im Anschluss zu einer positiven Bestimmung von Erkenntnisgegenständen – nämlich mit dem Satz des ausgeschlossenen Dritten – übergehen zu können.

[13] Vgl. M 33.

[14] M 33.

[15] M 31.

[16] Vgl. Aristoteles 1005b, S. 19f.

[17] In der aussagenlogischen Notation entsprechen die logischen Symbole diesen Begriffen:

A = „A ist der Fall“

– = „es ist nicht wahr, dass…“

^ = „und“

v = „oder“

Allerdings ist dies nur eine von vielen Varianten aussagenlogischer Notationen.

[18] Es gibt nicht ausschließliche und ausschließliche Disjunktionen. Bei einer nicht ausschließlichen Disjunktion kann entweder das eine oder das andere oder beides zugleich wahr sein, wohingegen bei einer ausschließlichen Disjunktion entweder das eine oder das andere, aber niemals beides zugleich wahr sein kann.

[19] M 32.

[20] Vgl. AG S. 30-34.

[21] In der aussagenlogischen Notation entsprechen die logischen Symbole diesen Begriffen:

" = „Für alle...gilt“

F = „Eigenschaft von...“

Û = „genau dann, wenn...“

Þ = „daraus folgt“

= = „ist identisch mit“

[22] Vgl. M 33.

[23] Vgl. M 33.

[24] Der Unterschied zwischen absoluter und hypothetischer Notwendigkeit ist der, dass die Verneinung einer absoluten Notwendigkeit einen Widerspruch erzeugt, die Verneinung einer hypothetischen Notwendigkeit hingegen nicht. Die Verneinung einer absoluten Notwendigkeit ist unmöglich, weil man sie nicht denken kann, die Verneinung einer hypothetischen Notwendigkeit ist nicht unmöglich, weil man sich sehr wohl denken kann, dass zum Beispiel die Welt nicht aus Monaden, sondern aus etwas anderem wie etwa physischen Atomen zusammengesetzt ist.

[25] Vgl. Savile, 2000, S. 76.

[26] M 1-3.

[27] Vgl. D 8 u. Hahmann, 2009, S. 219 sowie ferner HS S. 127.

[28] Vgl. Rescher, 1991, S. 59.

[29] Statt des Ausdrucks „Einheit per se“ ist auch häufig die Rede von „complete individual concept“ (CIC). Vgl. zum Beispiel Garber, 2009, S. 182-189, Rutherford, 1995, S. 150ff u. Rescher, 1991, S. 59. Allerdings zielt der Begriff des CIC mehr auf den kompletten, in den Monaden angelegten und aus ihnen entspringenden Existenzverlauf von Monaden ab, wohingegen sich unser Begriff des Einheit-per-se-Seins mehr auf die strukturelle Einheit von Monaden beziehen soll.

[30] M 7.

[31] M 4f.

[32] Vgl. M 6.

[33] M 8.

[34] Vgl. M 9. Allerdings ist diese These problematisch, da hier ein Schluss zwischen zwei unterschiedlichen ontologischen Bereichen stattfindet: Leibniz schließt von den Eigenschaften der Dinge auf die Eigenschaften von Monaden.

[35] Vgl. M 9.

[36] Vgl. M 10.

[37] Vgl. M 11.

[38] Vgl. M 17.

[39] Vgl. M 15.

[40] Vgl. M 12.

[41] M 13.

[42] M 14.

Ende der Leseprobe aus 101 Seiten

Details

Titel
Zu Leibniz' Körperbegriff in seinen späten Jahren. Verhältnis von Monaden und Körpern
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Philosophie)
Note
2,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
101
Katalognummer
V323772
ISBN (eBook)
9783668234017
ISBN (Buch)
9783668234024
Dateigröße
1029 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
„[...] Anhand dieser Überlegungen ist ein Verdienst der Vorgehensweise des Verfassers, dass er mit Bedacht die uns zur Verfügung stehende Primärliteratur, Leibnizʼ verschiedene metaphysische Abhandlungen sowie seine umfangreiche Korrespondenz, sichtet und kritisch bewertet. [...]handelt es sich m. E. insgesamt um eine gute Masterarbeit, die dem Thema und seiner Komplexität gerecht wird. Es wird bei der Lektüre deutlich, dass der Verfasser sich intensiv mit der Literatur auseinandergesetzt hat; zweifelsohne legt er über weite Strecken auch die Fähigkeit zur selbstständigen und differenzierten..
Schlagworte
leibniz, körperbegriff, jahren, verhältnis, monaden, körpern
Arbeit zitieren
Marcus Gießmann (Autor:in), 2015, Zu Leibniz' Körperbegriff in seinen späten Jahren. Verhältnis von Monaden und Körpern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/323772

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