1. Einleitung
In seiner berühmten Theorie des Romans, die 1916 zuerst veröffentlicht wurde, gibt Georg Lukács folgende Definition der typischen Handlungsmerkmale dieser Textgattung:
Der Prozess, als welcher die innere Form des Romans begriffen wurde, ist die Wanderung des problematischen Individuums zu sich selbst, der Weg von der trüben Befangenheit in der einfach daseienden, in sich heterogenen, für das Individuum sinnlosen Wirklichkeit zur klaren Selbsterkenntnis. Nach dem Erringen dieser Selbsterkenntnis scheint zwar das gefundene Ideal als Sinn des Lebens in die Lebensimmanenz hinein, aber der Zwiespalt von Sein und Sollen ist nicht aufgehoben und kann auch in der Sphäre, wo dies sich abspielt, in der Lebenssphäre des Romans nicht aufgehoben werden. 1
Nach Lukács ist der Roman also der Ort, an dem das „problematische Individuum“ auf der Suche nach einem Platz in einer kontingent erscheinenden Wirklichkeit mit dieser in Konflikt gerät und trotz einer durch diesen Konflikt gewonnenen klareren Selbsterkenntnis den Zwiespalt zwischen Sein und Sollen, also zwischen eigenen Idealen und den Zwängen der Umwelt, nicht endgültig überwinden kann. In den Vordergrund tritt dieser nach Lukács für die Romanhandlung so zentrale Konflikt zwischen Ich und Welt besonders in Texten, in denen aus der Perspektive eines problematischen, seinen Platz in der Welt noch suchenden Individuums erzählt wird. Grundlegend ist diese Suche nach einem Platz in der Welt und gleichsam auch nach einer eigenen gefestigten Identität in Romanen, die die schwierige Phase des Übergangs von der Adoleszenz ins Erwachsenendasein in den Mittelpunkt der Handlung stellen. Sowohl in J.D. Salingers The Catcher in the Rye und Sylvia Plaths The Bell Jar als auch in Christian Krachts Faserland wird aus der Perspektive eines (post-) adoleszenten jungen Menschen erzählt, der auf der Suche nach einem Sinn und einem Platz in der Welt und Gesellschaft mit dieser in Konflikt gerät. Inwieweit dieser Konflikt zwischen den noch nicht gefestigten eigenen Erwartungen und Idealen auf der einen Seite und den äußeren Zwängen einer klar definierten Zeit und Gesellschaft auf der anderen Seite bei den drei Protagonisten zu (Selbst-) Entfremdung und drohendem Selbstverlust beiträgt, soll in dieser Arbeit näher untersucht werden.
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Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- J.D. Salinger: The Catcher in the Rye
- Die Selbstsuche des Protagonisten
- Der Wunsch nach Authentizität
- Die Angst vor dem Verlust der Kindheit
- Individuum und Gesellschaft
- Die Suche nach Nähe
- Die Suche nach Autorität
- Der Einfluss der Massenkultur
- Die Gefahr des Identitätsverlusts
- Die Selbstsuche des Protagonisten
- Sylvia Plath: The Bell Jar
- Die Selbstsuche der Protagonistin
- Individuum und Gesellschaft
- Das Problem der Partnerschaft und der Sexualität
- Der Konflikt mit der (weiblichen) Autorität
- Der politische Kontext und die Kritik am Zeitgeist
- Der Ich-Zerfall der Protagonistin
- Christian Kracht: Faserland
- Die Selbstinszenierung des Protagonisten
- Individuum und Gesellschaft
- Das Scheitern der zwischenmenschlichen Beziehungen
- Die Auseinandersetzung mit der deutschen (Nazi-) Vergangenheit und die Kritik am Zeitgeist
- Die Gefahr des Identitätsverlusts
- Ein Vergleich von The Catcher in the Rye, The Bell Jar und Faserland
- Erzählhaltung, Sprache, Struktur
- Selbstentwurf und Abgrenzung
- Isolation, Kommunikationsstörungen und sexuelle Unsicherheit
- Zeitgeist und Fremdbestimmung
- Entfremdung und Identitätsverlust
- Die Geschichte einer Initiation?
- Schlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Thematik der brüchigen Identität bei den Protagonisten in J.D. Salingers The Catcher in the Rye, Sylvia Plaths The Bell Jar und Christian Krachts Faserland. Die zentrale Fragestellung ist, inwiefern der Konflikt zwischen den eigenen Idealen und Erwartungen des (post-)adoleszenten Individuums und den äußeren Zwängen der Gesellschaft zu (Selbst-)Entfremdung und Identitätsverlust führt.
- Selbstsuche und Selbstentwurf der Protagonisten
- Konflikte zwischen Individuum und Gesellschaft
- Die Rolle des Zeitgeistes und der Fremdbestimmung
- Die Gefahr des Identitätsverlusts
- Das Scheitern oder Gelingen der Integration in die Welt
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der brüchigen Identität im Roman ein und stellt Georg Lukács’ Theorie des Romans als Ausgangspunkt der Analyse vor.
Die Kapitel 2, 3 und 4 widmen sich den Einzelinterpretationen der Romane The Catcher in the Rye, The Bell Jar und Faserland. Hier werden die Selbstentwürfe der Protagonisten, ihre Konflikte mit der Gesellschaft sowie die Auswirkungen auf ihre Identität untersucht.
Kapitel 5 setzt die drei Romane in einen Vergleich. Hier werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Bezug auf Erzählhaltung, Sprache, Struktur, sowie in Bezug auf die Thematik der brüchigen Identität herausgearbeitet.
Schlüsselwörter
Die Arbeit fokussiert auf die zentralen Begriffe der Selbstentfremdung, Identitätsverlust, Adoleszenz, Individualität, Gesellschaft, Zeitgeist und Fremdbestimmung im Kontext der Romane The Catcher in the Rye, The Bell Jar und Faserland.
- Arbeit zitieren
- Florian Pottmeyer (Autor:in), 2004, Zwischen Selbstentwurf und Fremdbestimmung - Brüchige Identität bei J.D. Salinger ("The Catcher in the Rye"), Sylvia Plath ("The Bell Jar") und Christian Kracht ("Faserland"), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32378