Die "Lais" der Marie de France. Eine Gegenüberstellung der höfischen Liebe mit Marie de Frances kulturellem Hintergrund


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

28 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Wie zu Lesen sei: Poetologische Reflexionen im Prolog zu den Lais

III. Emotionale Ambivalenz und literarische Ambiguität im zeitlichen Kontext des 12. Jahrhunderts

IV. Equitan: Im Spannungsfeld zwischen fin’ amor und ritterlich-höfischer Liebesideologie

V. Die Vielschichtigkeit der Wehrwolfmetapher in Bisclaveret

VI. Die Ambivalenz traditioneller Symbole in Laüstic

VII. Schlussbemerkung

VIII. Bibliographie

I. Einleitung

Auch wenn uns heute ein als vollständig anzusehendes Manuskript der Lais vorliegt, so wissen wir dennoch über deren Autorin annähernd gar nichts. Weder haben wir Informationen über ihr Geburtsort, Wohnort oder ihren sozialer Stand, darüber ob sie verheiratet war oder einem Kloster angehörte, welche Bücher sie gelesen hat, ob ihre Quellen rein mündlicher oder auch schriftlicher Natur waren – ja, noch nicht einmal, ob alle der drei Werke, in welchen sich die Autorin als „Marie“ zu erkennen gibt, tatsächlich von ihr stammen wissen wir bestimmt.[1]

Da man vermutet, dass Marie für ein französischsprachiges Publikum in England geschrieben hat, wird sie in der wohl wahrscheinlichsten Theorie zu ihrer Biographie mit Mary von Shaftesbury identifiziert, der illegitimen Tochter Graf Gottfrieds IV. Anjou und Halbschwester Heinrichs des II von England, dem einzigen Literaturförderer der Zeit, der von 1154-1189 regierte.[2] Die Geschichten und Motive Maries entstammen der matiere des Bretagne, der Phantasiewelt bretonisch-keltischer Sagen und Märchen, wobei sie zudem von antiken Dichtungen und Mythen durchsetzt sind.[3] Rezipiert wurden Maries Werke höchstwahrscheinlich vorrangig von Frauen. Nicht nur lassen die zeitgenössischen, überlieferten Kommentare zu ihrem Werk darauf schließen[4], es ist ebenso unwahrscheinlich dass sich Männer in Maries Darstellung von unerfüllter Liebe und ehebrecherischen Affären wiederfanden, da ihrem zwischengeschlechtlichen Verhalten nicht einmal durch den Bund der Ehe Sanktionen auferlegt waren und sie sich zudem nicht in die Wunschphantasien einer durch wechselseitige Liebe zu verbessernden Welt flüchten mussten. Um ihr Beherrschen der lateinischen Sprache, ihre Belesenheit und Kenntnis antiker Autoren sowie zeitgenössischer Literatur plausibel zu machen, ist wohl anzunehmen, dass Marie dem Hochadel entstammt, da sie sich auf dieselbe Stufe mit den Baronen der Bretagne stellt. So präsentiert sie ihre Lais als selbstbewusstes Geschenk an einen „noble rois“, auch wenn nicht ignoriert werden kann, dass sie ihr Werk gleichzeitig durch eine talentbedingte Verpflichtung zum Schreiben zu rechtfertigen sucht, vielleicht da sie nicht von offizieller Seite zum Verfassen der Lais beauftragt wurde und auch „nur“ eine Frau ist.[5]. Maries ambivalente gesellschaftliche, Stellung zwischen weiblicher Minderwertigkeit und Adelsprivilegien lässt sich auch für die weltanschauliche Einordnung ihrer Lais – eine Gattung, die sie wahrscheinlich erfunden hat - konstatieren. Denn wie sehr diese auch in ihrer thematischen Orientierung an der höfischen Ideologie ausgerichtet sind, so kann von einer alle Lais überspannenden, einheitlichen Liebeskonzeption dennoch keine Rede sein. Maries Selbstbewusstsein, ihre Freiheit im Umgang mit den geltenden Konventionen sowie ihr „ideologischer Nonkonformismus“[6] lassen auf die allmähliche Durchsetzung eines individualistischen Menschenbildes entgegen der höfisch-allgemeinen Wertvorstellungen schließen. In Maries Lais realisieren sich nicht, wie im Roman, höfische Ansprüche für die Gesellschaft, innerhalb welcher die Liebe als überpersönliche Ordnungskraft die Konformität von Individuum und Gesellschaft zu gewährleisten hat - sie realisieren sich vielmehr für den Einzelnen aus ihr, im Verlangen des Individuums nach einen Glück, dass sich nur fernab der gesellschaftlichen Regeln entfalten kann.[7]

Das den Lais zugrundeliegende soziale Bindeglied ist deutlich die Liebesbeziehung, die sowohl körperlicher als auch rein ideeller Natur sein kann. Allen Lais gemeinsam ist, sowohl auf thematischer als auch auf linguistischer Ebene, zudem das Thema des Betrugs. Eine kleine Auswahl: Die Plots von Equitan, Bisclavret, Yonec, Laüstic, und Eliduc weisen das Ehebruchsmotiv auf (in den drei erstgenannten Lais finden sich zudem (versuchte) Morde), in Fresne verrät eine Mutter ihre Tochter, in Deus Amanz betrügt ein Vater seine Tochter um ein eigenständiges Leben, und in Chaitivel betrügt eine Dame ihre vier Verehrer um eine Wahl. Den Schlussversen aller zwölf Lais sind Ambivalenzen auf der Inhaltsebene inhärent, welche meist durch eine harmonisierende, abgerundete Form der narrativen Darstellung geglättet werden, sich jedoch keineswegs auf befriedigende Weise in einer einheitlichen Perspektive auflösen lassen.[8] Die vermeintliche moralische Botschaft der einzelnen Lais ist in keiner der Konzeptionen transparent – gegen diese Auffassung spricht schon Maries dichterisches Programm, das uns die Erzählerin jenes Prologs vermitteln möchte, welcher im zweiten Teil dieser Arbeit analysiert werden soll. Der dritte Teil ist der Darlegung von linguistisch bedingten sowie sozio-kulturell verankerten Ambivalenzen und Ambiguitäten gewidmet, welche bei einer Lektüre der Lais stets im Hinterkopf behalten werden sollten. Im Anschluss an die poetologischen Reflexionen des Prologs, welcher die Sinne der Leser für eine vielschichtige Deutung der Lais sensibilisieren soll, sowie die hieran anknüpfende historisch-theoretische Vorabklärung der Entstehungsbedingungen des Werks werden drei Lais genauer im Hinblick auf ihre ambivalente Darstellung analysiert werden. Die Vorgehensweise der exemplarischen Interpretationen von Equitan, Bisclavret und Laüstic setzt sich das Ziel, die verschieden gearteten Brüche in der Darstellung sowie Ambivalenzen der dargestellten Inhalte aufzuzeigen vor dem Hintergrund der vorherrschenden Diskurse des 12. Jahrhunderts. Der Verwendung traditioneller Versatzstücke und Motive aus bekannten Diskursen über die höfische Liebe soll Maries freie Verwendung und schöpferische Originalität im Umgang mit dem ihr zugänglichen Kulturgut gegenübergestellt werden, um auf diese Weise die ambivalente Vielschichtigkeit der behandelten Lais interpretatorisch aufzudecken.

II. Wie zu Lesen sei: Poetologische Reflexionen im Prolog zu den Lais

»Ki Deus ad duné escïence/ E de parler bone eloquence/ Ne s’en deit taisir ne celer,/

Ainz se deit voluntiers mustrer » (V. 1-4).[9] Bereits in den ersten Versen legt Marie ein für die zeitlichen Umstände eher ungewöhnliches Selbstbewusstsein an den Tag. Ohne jegliche Selbstzweifel an ihrer Position als weibliche Autorin begründet sie ihr dichterisches Schaffen durch eine Verpflichtung, gottgegebene Talente zu nutzen und sein „Licht nicht unter den Scheffel zu stellen“ (Mt 25, 14-30). Als einen weiteren, persönlichen Grund der Autorinnenschaft führt Maries Erzählerin die Überwindung eines „grant dolur“ an (V. 27) – Schreiben avanciert von der bloßen Wiederaufbereitung, Vermittlung und Übersetzung von Kulturstoffen zu einer Form der Selbsttherapie und göttlichen Berufung. In den Versen 4-8 kommt ein Stolz auf die Blütezeit der altfranzösischen Literatur zum Ausdruck, welcher sie zu einer selbstbewussten Distanzierung von den „ancïens“ überleitet (V. 9). Zwar ordnet Marie ihren Text in der Berufung auf lateinische Grammatiker wie Priscian (von welchem sie wohl 600 Jahre trennen) der philosophischen Tradition zu, da sie nach Art der Wissenschaftler neue Erkenntnisse für sich beansprucht, jedoch sieht sie sich gleichzeitig als eine Moderne, die weiter blicken kann als die Alten.[10] Auch wenn die mittelalterliche Literatur tief in der Schuld der Antike stand, so gelang es Dichtern wie Marie dennoch diese unter einen christlichen Blickwinkel zu zwingen, das kulturelle Erbe zu variieren.[11] So betont auch Marie in einer offensiven Formulierung (V. 28-32) ihre originären, schöpferischen Ansprüche, da sie sich dagegen entschieden hat, wie so viele klassische Literatur ins Romanische zu übersetzen, zugunsten der Anerkennung und des Nachruhms durch eine freiere Themengestaltung. Ihre Formulierung „Nes voil laissier ne oblier“ (V. 40) verrät, dass Marie erstaunlicherweise über eine aus dem Kontext ihrer Zeit, welche von einer Dominanz der Mündlichkeit über die Schriftlichkeit geprägt war, nicht zu erklärende Weitsicht hinsichtlich des Medienwechsels verfügt, durch den langfristig gesehen die Schrift zum Zwecke der Traditionssicherung dominieren musste. „Pur remambrance“ (V. 35) fasst sie so in schlaflosen Nächten (V. 42) mündlich überliefertes Kulturgut, für dessen Authentizität sie sich in jedem einzelnen Lai verbürgt, für die Nachwelt in Verse als eine Erinnerung an die Erinnerungen der Bretonen. Bereits die antiken Philosophen schrieben „oscurement“ (V. 12), also „dunkel“, vieldeutig und komplex und vertrauten somit optimistisch auf die Auslegung durch nachfolgende Generationen, deren Verstand mit der Zeit reifen und feinsinniger werden würde. Je mehr Zeit auf das Studium von Texten verwandt wird, desto subtiler, präziser und feiner wird das Verständnis. Dem Grundgedanken der antiken und mittelalterlichen Philologie zufolge entfernen sich nicht nur die Menschen durch den historischen Fortschritt immer weiter von Gott als ihrem schöpferischen Ursprung, sondern mit ihnen die Sprache, da bei Gott als dem Ursprung aller Bedeutung jeder Signifikant noch eindeutig einem Signifikat zuzuordnen war.[12] Um diese lineare Degeneration und den Verlust des ursprünglichen Wortsinns zu kompensieren wird eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Medium der Sprache in Form der Textdeutung notwendig. Da uns heute ein unmittelbarer Zugang zur Vergangenheit sowie zum Text verwehrt bleibt aufgrund der Beschaffenheit sprachlicher Zeichen wird die Interpretation/ Glossierung („gloser la lettre“, V. 15) zu unserer unvermeidbaren Pflicht[13] Wie sehr man auch darum bemüht ist, Bedeutungen schriftlich zu fixieren, sie bleibt doch unkontrollierbar, verselbstständigt sich in der individuellen Rezeption durch die Leser, welche eine über den Text hinausgehende Bedeutung synthetisieren („de lur sen le surplus mettre“).[14] Es ist denkbar, dass Marie hofft, dass künftige Leser die Vielschichtigkeit ihrer dichterischen Darstellung dekodieren und auf diese Weise erkennen werden, welche Kritik sie in ihrer doppeldeutigen Darstellung transportiert.[15] Auf der einen Seite sieht sie sich zum Sprechen verpflichtet, um Bedeutung für zukünftige Leser herzustellen, auf der anderen Seite erkennt sie bereits diese dem Schreiben inhärente Gefahr, dass die Schrift durch ihre mögliche Fehlinterpretation eher zum Verlust der Bedeutung beitragen könnte, die in diesem Medium doch gerade bewahrt werden sollte. Jedoch können die Leser gerade dann am Besten als Co-Autoren der Dichterin am Entstehungsprozess und der Interpretation teilhaben, wenn Bedeutung ihnen nicht aufgezwungen wird, wenn die Dunkelheiten und Leerstellen im Leseprozess individuell aufgefüllt werden müssen.[16] So hängt auch die Handlung jedes einzelnen Lais an einer zentralen Stelle von der Interpretation eines mehrdeutigen Zeichens durch eine der Figuren ab, wodurch letztere personifizierte Geschichten darstellen, die es durch die anderen Charaktere zu entschlüsseln gilt.[17] Auf diese Weise scheint Marie uns als ihren Lesern offenbar diverse und ambivalente Vorstellungen anbieten zu wollen, welche wir keinesfalls auf eine einheitliche Perspektive verengen sollten.

III. Emotionale Ambivalenz und literarische Ambiguität im zeitlichen Kontext des 12. Jahrhunderts

Werken der frühmittelalterlichen Literatur wurde im Besonderen durch die französische Rezeption häufig Zugänglichkeit, Natürlichkeit, Ursprünglichkeit und Simplizität des Ausdrucks angedichtet.[18] Sieht man jedoch das 12. Jahrhundert als eine Zeit an, in welcher sprachliche Form und Bedeutung noch übereinstimmen, erübrigt sich die interpretatorische Tätigkeit des Leser, zu welcher die Erzählerin in ihrem Prolog explizit auffordert. Maries Texte sind höchstens dann eindeutig, wenn man sie oberflächlich liest und von Vornherein vorgefertigte Ansichten an die Texte heranträgt.[19] Durch diese einseitige Festlegung bleiben jedoch eine Vielzahl weiterer Lesarten und Bedeutungen, die auf anderen Ebenen liegen, im „Dunklen“. Die dichterische Auseinandersetzung mit dem Medium der Sprache und den Liebesdiskursen des 12. Jahrhunderts findet sowohl auf formaler Ebene (textuelle Ambiguität) als auch auf thematischer Ebene (emotionale Ambivalenz) ihren Ausdruck.

Verschwimmende, strukturelle Dichotomien sind ein erster Anhaltspunkt für die Komplexität und Ambiguität der Lais. Vermutbare Oppositionen wie Ehe vs. Liebe, Freiheit vs. Konvention, Tugend vs. Amoralität, Betrug vs. Bestrafung oder Natur vs. Kultur sind keineswegs als diametral entgegengesetzte Dichotomien aufzufassen, sondern bleiben unscharf, schillernd, und unhaltbar, da sie nie eine Auflösung zugunsten einer Seite erfahren.

Zusätzlich zu der Ambivalenz der dargestellten Inhalte sieht sich der Leser mit Ambiguitäten syntaktischer und formaler Natur sowie der Polysemie einzelner, zentraler Worte konfrontiert.

Die im Mediums der Sprache begründeten Ambiguitäten werden äußerst anschaulich vor dem Hintergrund der Polysemie der altfranzösischen Silbe lai.[20] Während erste Verwendungen des Wortes lai noch mit „Lied“ (abgeleitet von lat. „laudis“ oder „lessus“, germanisch „leich“) übersetzt werden können bezeichnet das Adjektiv in seinen weiteren orthografischen Varianten (lay, laye, laie, laiz, laes, lais) vorrangig den „Laien“ oder „Unwissenden“. Die zahlreichen Homonyme des Adjektivs (lé, ley, lay, let, lait, leit, laé) stehen für Leichtigkeit, Freude und Glück, wohingegen las, lax, lais Traurigkeit, Elend und Unglück signifizieren. Weiterhin kann das altfranzösische Lexem lai „etwas, das zurückgelassen wurde“, d.h. ein Testament oder einen Nachlass, bezeichnen – eine Bedeutung die durch Maries schriftlicher Bewahrung von mündlichem Kulturgut anklingt. Als Vermächtnis ist der lai außerdem mit der Legitimation eines Ortes (lat. „locus“, altfrz. „leu“) verknüpft.[21] Zudem können die altfranzösischen Formen loi, lei, ley, lo, lays Brauch, Gebrauch, Gesetz und Gerechtigkeit bedeuten – alle miteinander zentrale Themen der dichterischen lais.[22] Zudem herrschte zu Zeiten Maries das in der antiken Rhetorik verwurzelte Stilideal der „abbreviato“ vor, welches den Schriftsteller dazu auffordert, so „amplificatio“, das heißt ausführliche und detailgetreue Beschreibungen, zu vermeiden, narrative Elemente stattdessen so einfach und schmucklos wie möglich darzustellen und so viel wie möglich im Text implizit zu verbergen.[23] Die erforderliche Kürze wird erreicht durch die Präzision des Ausdruck, die Einhaltung der Chronologie, die Vermeidung von Wiederholungen und die Darbietung von Details nur an Stellen, an denen diese für den Grundgedanken des Textes erforderlich erscheinen. Ein nicht unwichtiger Faktor in der Erzeugung von Ambivalenz sind zudem die Begrenzungen, welcher sich die Autorin durch Reimschema und Metrik auferlegte.

Auf der inhaltlichen Ebene der Lais spiegeln sich vorrangig „generelle geistes- und bewusstseinsgeschichtliche Tendenzen und Antagonismen der Zeit“[24], wie sie unter anderem in der Tristanliebe zur Geltung kommen. Wenn heutige Leser sich an den zum Teil widersprüchlichen Inhalten der Lais stoßen, so sollte dabei nicht vergessen werden, „dass es im Mittelalter durchaus üblich war, einen Gegenstand von zwei gegensätzlichen Standpunkten aus zu betrachten, ohne dass die eine Position als richtig und die andere als falsch hingestellt wurde“.[25] Dies liegt zum einen daran, dass vor allem den nordfranzösischen Texten des 12. Jahrhunderts eine ambivalente Konzeption höfischer Liebe und des Dienstgedankens zugrunde liegt.[26] Im Gegensatz zu den provenzalischen Troubadours stand der Norden Frankreichs stärker unter dem Einfluss von weltoffenen, humanistisch orientierten Schulen. Die Rezeption Ovids ließ eine eher „physische Liebeskonzeption“ entstehen, welche sich von der idealistischen Konzeption der provenzalischen, veredelnden und nicht-körperlichen fin’ amor unter Adligen durch das realistisch motivierte Bedürfnis nach psychologischer Wahrscheinlichkeit abhob.[27] Als wohl berühmtestes Zeitzeugnis der höfischen Liebeskonzeption Nordfrankreichs gilt wohl der „Tractatus de Amore“ von Andreas Capellanus. Entgegen den unkontrollierte Hingabe preisenden Troubadours im Süden rankt im Norden die Idealvorstellung höfischer Liebe um die ritterlich-höfische Vorstellung des rational Liebenden, der die höfische Etikette nicht verletzt.[28] Neben zahlreichen weiteren Motiven aus Ovids „Arms Amanda“ übernommen hat Andreas die Vorstellung der Unvereinbarkeit von Ehe und Liebe, da der Ehe die Freiwilligkeit der Hingabe, der Reiz des Verbotenen sowie das Geheimnis und die Furcht, entdeckt zu werden, ermangeln.[29]

[...]


[1] Neben den „ Lais“ stammen sowohl eine Übersetzung und Ausarbeitung äsopischer Fabeln („Fabliaux“) als auch die Fegefeuererzählung „Esurgatoire de Seint Patriz“ von einer Marie, die sich z.B. zu Beginn des Lai Guigemar sowie im Epilog zu den Fabeln namentlich zu erkennen gibt.

[2] Vgl. zu dieser Ausführung Liebertz-Grün, Ursula: Autorinnen im Umkreis der Höfe. In: Frauen – Literatur – Geschichte. Hrsg. von Hiltrud Gnüg und Renate Möhrmann. Stuttgart: Metzler 1999. S.12-29. Hier S. 13.

[3] Siehe Hausmann, Frank-Rutger: Französisches Mittelalter. Lehrbuch Romanistik. Stuttgart; Weimar: Metzler 1996. S. 181.

[4] Zum Beispiel kritisiert der Zeitgenosse Denis Piramus die Lais als „unwahre Geschichten“ , die sich trotzdem gerade bei den Damen, auf deren Phantasien sie zugeschnitten zu sein scheinen, großer Beliebtheit erfreuen. Vgl. Bloch, R. Howard: The anonymous Marie de France. Chicago: University of Chicago Press 2003. S. 13.

[5] Ebd. S. 12.

[6] Siehe Rieger, Dietmar: Die französische Dichterin im Mittelalter. Marie de France – die „trobairitz“ – Christine des Pizan. In: Die französische Autorin vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. von Renate Baader und Dietmar Fricke. Wiesbaden: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion 1979. S. 34.

[7] Vgl. zu diesen Ausführungen Baader, Horst: Die Lais: Zur Geschichte einer Gattung der altfranzöisischen Kurzerzählungen. Frankfurt am Main: Klostermann 1966. S. 339.

[8] Siehe Birge-Vitz, Evelyn: The Lais of Marie de France. „Narrative Grammar“ and the Literary Text. In: Romanic Review 74/4 (1983). S. 383-404. Hier S. 399.

[9] Die den Zitaten aus der Primärliteratur zugrundeliegende Ausgabe und Übersetzung der Lais ist jene von Rieger, Dietmar: Marie de France. „Die Lais“. München: Wilhelm Fink Verlag 1980.

[10] Vgl. Hausmann 1996: 22.

[11] Ebd. 21.

[12] Siehe Bloch, R. Howard: Der Altfranzösische Lai als Klage- und Gedächtnisort. In: Gedächtniskunst: Raum – Bild – Schrift. Studien zur Mnemotechnik. Hrsg. von Anselm Haverkamp und Renate Lachmann. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991. S. 189-206. Hier S. 191.

[13] Ebd. S. 193.

[14] Interessanter- und erstaunlicherweise scheint Marie in dieser Formulierung über die Glossierung von Texten durch die Sinn zuschießende interpretatorische Arbeit des Lesers Friedrich Schlegels Literaturtheorien vorwegzunehmen. Der Romantiker unterschied zwischen analytischen und synthetischen Schriftstellern, wobei die Qualitäten synthetischer Schriftsteller als höher anzusiedeln sind, da diese den Leser zum Mitautor des Werkes machen. Diese Unterscheidung findet sich zudem später ebenso bei Roland Barthes in dessen Opposition zwischen lesbaren und schreibbaren Texten, an deren Produktion der Leser als Co-Autor aktiv durch seine Interpretationsarbeit beteiligt ist.

[15] Siehe Liebertz-Grün 1999:17.

[16] Vergleiche hierzu Sturges, Robert: Texts and Readers in Marie de France’s Lais. In: Romanic Review 71 (1980). S. 244-264. Hier S. 264.

[17] Ebd. S. 252.

[18] Vgl. Bloch, R. Howard: New Philology and Old French. In: Speculum 65 (1990). S. 38-58. Hier S. 42-45.

[19] Einseitige Lesarten finden sich unter anderem in all jenen Interpretationen, welche in den Lais bloße, moralische Fabeln sehen wollen.

[20] Vergleiche zu den folgenden Ausführungen über mögliche Bedeutungen von „lai“ Bloch 2003: 31.

[21] Siehe Bloch 1991: 189.

[22] Doch nicht genug, bei Christine de Pizan findet sich die provenzalische Form laisse, was so viel bedeutet wie Verse verbinden (lat. „lassar“), was auf eine mögliche metanarrative Deutung der Lais anspielt..

[23] Vergleich hinsichtlich der Technik des abbreviato Nelson, Jan A.: Abbreviated Style and Les Lais des Marie de France. In: Romance Quarterly 39/2 (1992). S. 131-143. Hier S. 138.

[24] Zitiert nach Rieger, Dietmar 1979: 34.

[25] Zitiert nach Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München: DTV 2002. S. 506.

[26] Im Liebesdienst des Ritters oder Sängers wird die Frau zur Herrin stilisiert, wodurch die gesellschaftlichen Rollen des Herrscherpaares auf mehrdeutige Weise als verkehrt erscheinen. Jedoch hatte der Liebesdienst vorrangig die soziale Funktion zu erfüllen, den Ritter zu disziplinieren, die Vasallenbindung enger zu knüpfen sowie die politischen Stützen der gesellschaftlichen Organisation zu verstärken. Siehe hierzu Duby, George: Die Frau ohne Stimme. Liebe und Ehe im Mittelalter. Frankfurt am Main: Fischer 1993. S. 49.

[27] Siehe hierzu Pollmann, Leo: Die Liebe in der Hochmittelalterlichen Literatur Frankreichs. Versuch einer historischen Phänomenologie. Frankfurt am Main: Klostermann 1966. S. 308f.

[28] Ebd. S.335.

[29] Ebd. S. 331.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Die "Lais" der Marie de France. Eine Gegenüberstellung der höfischen Liebe mit Marie de Frances kulturellem Hintergrund
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
28
Katalognummer
V323859
ISBN (eBook)
9783668236608
ISBN (Buch)
9783668236615
Dateigröße
582 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
12. Jahrhundert, höfische Liebe, Marie de France, Manuskripte
Arbeit zitieren
Agnes Pfaff (Autor:in), 2003, Die "Lais" der Marie de France. Eine Gegenüberstellung der höfischen Liebe mit Marie de Frances kulturellem Hintergrund, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/323859

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