Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Begriff des Hegemons
2.2 Theorie hegemonialer Stabilität
3. Hegemonie in der EU
4. Deutschland als Hegemon?
4.1. Das „Merkiavelli-Prinzip“
4.2 Deutschlands Rolle in der Eurokrise
4.3 Dauerkrisenmanagement und Exportüberschusspolitik
5. Fazit
1. Einleitung
„Deutsche Macht fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkeit“, so der polnische Außenminister Sikorski bei einer Rede 2011.
„Kindlebergers zentrale Botschaft ist im Jahr 2010 wichtiger denn je. Eine stabile Weltwirtschaft entsteht nicht ´von selbst`. Sie ist ein öffentliches Gut, das angesichts nationaler Egoismen bewusst bereitgestellt werden muss. Damit die Weltwirtschaft stabil sein kann, benötigt sie eine Führungsnation, einen wohlwollenden Hegemon oder ´Stabilisator`“, so Finanzminister Schäuble in einer Rede an der Sorbonne.
„Jetzt wird in Europa Deutsch gesprochen“, sekundierte Volker Kauder in einem Interview des „Spiegel“ im Jahre 2011.
Diese Zitate belegen, dass eine deutsche „Führungsrolle“ in der EU sowohl im Aus- als auch im Inland zunehmend als Normalität angesehen wird.
„Die wirtschaftliche Kraft des Landes wird als Grundlage seiner hegemonialen Stellung in Europa anerkannt. Die `deutsche Frage´ stellt sich, im Jahr 2012, neu - und ist kritisch zu diskutieren“ (Crome 2012: 59), befindet der Politikwissenschaftler Erhard Crome.
Nun ist eine „Führungsrolle“ alles andere als selbstverständlich nach den Erfahrungen eines Nazideutschlands, welches Europa verwüstet hat. Legitimierweise wird der Hegemonialanspruch der Bundesrepublik Deutschland vom EU-Ausland argwöhnisch beäugt.
Die folgende Seminararbeit befasst sich mit der Frage, inwiefern Deutschland als Hegemon in der EU, insbesondere illustriert an der Eurokrise, anzusehen ist und wie sich sein Beharren auf nationale Interessen latent oder manifest äußert, bzw. geäußert hat.
Zwecks begrifflicher Differenzierung und Vermeidung von Missverständnissen wird zunächst der Begriff der Führung von jenem der Hegemonie abgegrenzt - dies ist sowohl theoriepolitisch notwendig, da sich im Fachbereich der Internationalen Beziehungen ein Hegemoniebegriff etabliert hat, der von Kindlebergers ursprünglicher Intention abweicht und das Abstellen des Begriffs auf Legitimation und Einverständnis, bzw. Gefolgschaft der Führungsunterworfenen verkennt und stattdessen auf reine Dominanz und Macht abstellt - also sozusagen realistisch kontaminiert ist.
Besonders sensibel ist der Begriff der Führung im deutschen Kontext zu gebrauchen - weshalb im Folgenden durchweg von Hegemonie gesprochen wird - im Sinne der noch zu explizierenden Theorie hegemonialer Stabilität von Kindleberger.
Nachdem der Hegemoniebegriff eingeführt worden ist, wird sich mit Hegemonie im Kontext der EU auseinandergesetzt, welche aufgrund des Fehlens einer relativ unabhängigen übergeordneten Zentralinstanz intergouvernemental (Stichwort deutsch-französisches Tandem) bzw., ausgehend von deutscher Hegemonie von einem Staat ausgeübt wird, welcher trotz formaler Gleichheit aller Mitgliedstaaten eine Präponderanz aufweist bzgl. Größe und ökonomischem Gewicht.
Eine deutsche Hegemonie in Europa wird nie gleichzusetzen sein mit deutscher Dominanz. „Für eine derartige Dominanz ist die Bundesrepublik weiterhin zu schwach. Es ist das altbekannte Dilemma der deutschen Mittellage, dass Deutschland stärker ist als jeder seiner Nachbarn, aber nicht stark genug, um seine Nachbarn insgesamt zu dominieren“ (Schönberger 2012).
Im Anschluss daran wird auf das sogenannte Merkiavelli-Prinzip eingegangen, ein Begriff, der einem Essay Ulrich Becks aus dem „Spiegel“ entnommen ist.
Der Autor dieser Seminararbeit macht sich die Analogie des Merkiavellismus zu Eigen. Dieser personifiziert in der Person der Bundeskanzlerin Angela Merkel den Anspruch Deutschlands, durch eine „Zuckerbot-und Peitschenpolitik“, bzw. das Offenhalten mehrerer policy-Optionen von den Ländern insbesondere der Eurozone Gefolgschaft, bzw. etwas neutraler formuliert: das Eingehen auf deutsche Interessen, zu stimulieren.
Die deutsche Rolle in der Eurokrise wird hernach daraufhin beleuchtet, inwiefern Deutschland nationale politische und wirtschaftliche Interessen zum Ausdruck gebracht hat. Wie kann man die Wahrnehmung Deutschlands in der EU charakterisieren? Als ein emanzipiertes Deutschland, welches sich durch eigendefinierte Interessen auszeichnet und außerhalb eines Integrationszusammenhanges agiert, welcher unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg noch Staatsräson war?
Diese Seminararbeit erhebt keinen empirisch-detaillierten Analyseanspruch der europäischen Schulden- und Finanzkrise. Dies wäre aufgrund der Komplexität des Analysegegenstandes und der notwendigen Beschränkung der Seitenzahl nicht, bzw. nur unzureichend zu leisten.
Vielmehr soll der Frage nachgegangen werden, immer unter der Leitannahme einer deutschen Hegemonie, in welchen Bereichen, Verhaltensweisen oder Charakteristika deutscher Europapolitik sich eine Hegemonialrolle offenbart.
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Begriff des Hegemons
„Deutsche Führung in Europa ist nach wie vor ein vermintes Feld“ (Schieder 2014: 2). Einerseits ist der Führungsbegriff in der öffentlichen Debatte in Deutschland nach wie vor ein politisches Unwort, andererseits kann Deutschland aus keinem Erfahrungsschatz schöpfen bzgl. Führungsrollen auf europäischer bzw. internationaler Ebene (vgl. Schieder 2014: 2). Die Begriffe „Führung“ und „Hegemonie“ werden in den Internationalen Beziehungen oft synonym gebraucht. Die Begriffskonfusion ist rückführbar auf Kindlebergers Führungskonzept.
Ursprünglich basierte die Idee der Führung auf Konsens und Legitimität - ein derartiges semantisches Verständnis des Begriffs hatte Kindleberger ursprünglich angedacht. Neorealistische Theorieansätze haben diesen Begriff auf ein Dominanz- und Machtverständnis hin geframed (vgl. Schieder 2014: 3).
Im Folgenden wird auf den Führungsbegriff zugunsten des Hegemoniebegriffes verzichtet.
Dies ist einerseits a priori im Kontext eines etwaigen deutschen „Führungsverhaltens“ verständlich. Der Führungsbegriff ist derart negativ behaftet und durch die deutsche Geschichte pervertiert, dass es als ein moralisches Gebot erscheint, auf ihn zu verzichten. Alternativ wird der Begriff „leader“ benutzt - falls sich dies nicht vermeiden lässt. Ansonsten ist zu eruieren, ob Hegemonie ein angemessener Begriff ist um deutsche Macht zu verstehen (vgl. Bulmer/Paterson 2013: 1388).
2.2 Theorie hegemonialer Stabilität
Die Theorie hegemonialer Stabilität geht auf Kindleberger zurück, welcher Abstand von der wirtschaftswissenschaftlichen Auffassung genommen hat, dass Märkte eo ipso Stabilität sicherten (vgl. Bulmer/Paterson 2013: 1390). Stattdessen sei nur ein Hegemon Garant für Stabilität.
„For the world economy to be stabilized there hast to be a stabilizer“(Kindleberger 1973: 305, zit. n. Bulmer/Paterson 2013: 1390).
Ohne einen hegemoniewilligen Staat sei internationale Ordnung nicht sicherzustellen (vgl. Schieder 2014: 4).
Historisch bezugnehmend auf die 1929er-Krise, welche in der Weltwirtschaftskrise kulminierte, argumentiert Kindleberger, dass diese nur derart überdimensioniert sich habe ausweiten können aufgrund der mangelnden Position Großbritanniens als Führungsmacht und der noch nicht entfalteten Fähigkeit der USA, als Stabilisator der internationalen Wirtschafts- und Finanzordnung zu fungieren (vgl. Schieder 2014: 4). Hegemonieausübung von Staaten stelle Ansprüche an diese, als Garant öffentlicher Daseinsvorsorge zu fungieren, d.h. öffentliche Leistungen in Form von Kreditbereitstellung. einem stabilen Wechselkurssystem, makroökonomischer Koordinationssicherung bereitzustellen.
Eminent wichtig sei hier auch die Bereitschaft, sich als „lender of last resort“ in akuten Wirtschafts- und Finanzkrisen bereitzuhalten (vgl. Schieder 2014: 4).
Im Kontext dieser Arbeit, welche u.a. eruiert, ob Deutschland als Hegemon in Europa gelten kann, ist es wichtig, dass Hegemonie immer mit Legitimität und Anerkennung seitens derer verbunden ist, welche die „Hegemonieunterworfenen“ sind (vgl. Bulmer/Paterson 2013: 1390).
Die deutsche Position innerhalb der EU als Nation mit gewaltigen Handelsüberschüssen verkompliziert das Zielen auf Stabilität und Legitimität (vgl. Bulmer/Paterson 2013: 1390).
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