Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 La Montagne Sainte-Victoire
2.1 Werkbeschreibung
2.2 Analyse
2.2.1 Farbe
2.2.2 Flächen und Linien
2.2.3 Raum und Perspektive
2.3 Exemplarische Vergleiche
2.3.1 Die Fleckentextur
2.3.2 Die Zeichnung
2.3.3 Das Aquarell
3 Fazit
I Abbildungsverzeichnis
II Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der französische Maler Paul Cézanne (1839-1906) kehrte in der Zeit nach seinen romantischen Frühwerken um 1870 immer wieder zu einem Motiv zurück: Dem Montagne Sainte-Victoire, einem Gebirge bei Aix-en-Provence im Süden von Frankreich, das er von seinem Atelier nahe der Les Lauves genannten Anhöhe in der Provence aus sehen konnte. Insgesamt schuf er ungefähr 80 Gemälde, Zeichnungen und Aquarelle aus diversen Perspektiven unter dem Vorhaben, die Landschaft um das Kalksteinmassiv in seiner Natur abzubilden.1 In dieser Phase entstand auch das Gemälde, welches im Zentrum dieser Seminararbeit steht: ȌLa Montagne Sainte-Victoireȋ von 1892-95 (vgl. Abb. 1). Anhand dieser Landschaftsmalerei soll veranschaulicht werden, mit welchen eigenen, bildlichen Darstellungsmöglichkeiten und Regeln Cézanne die Medialität des Bildes und dessen Gegenständlichkeit zum Vorschein brachte. Über das Hauptwerk hinaus werden die wichtigsten Schritte seiner Malerei anhand exemplarischer Bildwerke aufgewiesen und vergleichend behandelt.
Das Landschaftsmotiv spielte in Cézannes Schaffen eine große Rolle: Rund ein Drittel seines Gesamtwerkes besteht aus Landschaften.2 Der französische Maler hatte sich das Ziel gesetzt, die Natur zu ȌrealisierenȊ, ihr Wesen durch sorgfältige Arbeit und mit den Mitteln der Malerei zu erforschen und sichtbar zu machen.3 Kurz: Er wollte die ȌWirklichkeitȊ erfassen und darstellen. Wenn er sich also in 80 Werken mit ein und demselben Motiv auseinander setzt, dann nicht, weil es ihm um Abfolgen jeglicher Art geht. Stattdessen nutzt er das Motiv für bildnerische Experimente um, wie Cézanne nach Überlieferung von Joachim Gasquet selbst sagt, eine ȌHarmonie parallel zur NaturȊ zu schaffen.4 Er betrachtete seine eigene Malerei als eine offene Auseinandersetzung mit der Natur, weswegen ihm neue Einsichten über die Wirklichkeit von größerer Bedeutung waren, als rein ästhetische Werke zu schaffen.5 Um diese Harmonie zu realisieren, beschränkt sich Cézanne nicht nur darauf, bloß die Projektionen seines Wahrnehmungsapparates abzubilden. Vielmehr möchte er seinen Blick objektivieren, alles vergessen, was er über die Realität weiß, um am Ende nur noch mit gefilterten Sehdaten zu arbeiten. Die réalisation im Sinne Cézannes bedeutet nur das zu malen, was konkret gesehen werden kann und sonst nichts.6
Diese Sehdaten, welche sich für Cézanne vor allem in Farberscheinungen auflösen, werden in einem zweiten Schritt durch konsequente, mechanische Vorgängen auf die Leinwand übertragen. Das Bild wird durch eine logische Abfolge von Farbflecken konstruiert, in der das Emotionale weitgehend ausgeklammert wird.7 Das Ergebnis dieser sachlichen Wahrnehmung der Natur und deren Übersetzung in die Bildform wird von Werner Busch so beschrieben: ȌRäumlich-perspektivisches Sehen, der Tiefenzug, auch der direkte atmosphärische Reiz, das Stimmungsmoment, die Illusion verflüchtigen sich dabei so weit, daß die Bildebene als Vorstellung für die künstlerische Realisierung übrig bleibt.Ȋ8
Die Montagne Saint-Victoire Bilder, die im Weiteren genauer betrachtet werden, entstanden nach dem Rückzug Cézannes aus Paris nach Aix-en-Provence 1877 und zählen daher zu seinem Spätwerk.9 An ihnen lässt sich seine Bildauffassung anschaulich nachvollziehen, die einen Wandel des Sehens in der Malerei verdeutlicht und für die Kunst des 20. Jahrhunderts von entscheidender Wirkung war.
2. La Montagne Sainte-Victoire
Im folgenden wird ein Ölgemälde aus der Bilderfolge der ȌMontagne Sainte- VictoireȊ-Landschaften Paul Cézannes untersucht. Es handelt sich hierbei um eines seiner Spätwerke mit dem Titel ȌLa Montagne Sainte-Victoireȋ, das 1892- 95 entstanden ist und sich heute in der Barnes Foundation in Philadelphia befindet (vgl. Abb. 1). Bildträger der Landschaftsmalerei ist eine querformatige Leinwand mit den Ausmaßen von 71 x 90 cm.10
2.1 Werkbeschreibung
Das Gemälde ȌLa Montagne Sainte-Victoireȋ zeigt dem Betrachter eine Abbildung einer Gebirgslandschaft. Der Blick fällt zunächst auf ein gigantisches Gipfelmassiv am Horizont, das deutlich aus der umliegenden Hügellandschaft hervorragt. Umschlossen wird das mittig positionierte Gebirge von einem wolkenlosen, gräulich-blauen Himmel, der beinahe ein Drittel der gesamten Bildfläche einnimmt. Im Vordergrund lassen sich die Wipfel mehrere Laubbäume oder Büsche erkennen, welche beinahe nahtlos in den Mittelgrund übergehen. Hier befinden sich inmitten von weiteren Bäumen ein oder zwei Häuser mit Spitzdach, nach links werfen die Bäume einen dunklen Schatten. Links und rechts dieses Waldes erstrecken sich landwirtschaftliche Acker und grüne Wiesen, die gelegentlich von einzelnen mediterranen Bäumen, wie Zypressen, und Häusern unterbrochen werden. Der Übergang zwischen Mittel- und Hintergrund ist von zahlreichen Hügeln gekennzeichnet, welche nach hinten in das Kalksteingebirge übergehen.
2.2 Werkanalyse
2.2.1 Farbe
Cézanne verwendet bei ȌLa Montagne Sainte-Victoireȋ Ölfarben, vorwiegend in warmen Grün-, Blau, Gelb-, Grau- oder Okertönen, und verzichtet auf starke Hell-Dunkel-Kontraste. Konturen sind durch farbige Nuancen wie aufgehoben. Durch einen stark geschlossenen Farbauftrag wurden unzählige Pinselstriche dicht nebeneinander aufgebracht. Mehrfache, übereinander geschichtete Farbaufträge decken erste planerische Arbeitsschritte weitgehend ab.
Der Berg im Hintergrund hebt sich vom helleren, bläulich-grauen Himmel ab und setzt sich vorwiegend aus Grautönen zusammen. Bei genauerem Betrachten sind jedoch auch einzelne rötliche, gelb-beige und bläuliche Farbflecken erkennbar, die das Massiv sowohl modellieren als auch einer bestimmten Lichtwirkung zuweisen. Auffällig ist hier, dass ȌVolumina durch reine Farben, statt durch Mischungenȋ modelliert werden.11 Des Weiteren werden gleiche Farbwerte für die Nähe sowie Ferne verwendet, der Kontrast zur Ferne hin nimmt also nicht ab. Cézanne verwendet im gesamten Bild Farbe der gleichen Intensität, wodurch die einzelnen Bildebenen farblich zu einer Einheit zusammenschmelzen. Dadurch wirkt die Landschaft eher starr und vermittelt kein Gefühl von Zeitlichkeit.
2.2.2 Flächen und Linien
Cézanne schafft einen Raum, der kaum eine Linie erschließt. Einzig an der Spitze des Bergmassives lassen sich einzelne, dünne Konturierungslinien erkennen. Ansonsten setzt der französische Maler mit der Spur des Pinsels Farbflecken nebeneinander, die sich weder gegenseitig überdecken, noch ineinander überlaufen und somit eine relative Festigkeit besitzen.
Diese Flecken - auch taches genannt - sind die Grundelemente, die Bausteine, aus denen Cézanne seine Bilder aufbaut. Jede tache fungiert dabei sowohl als Form wie auch als Farbe, beziehungsweise: Die Form entsteht durch die Farbe.12 Sie orientieren sich zwar am Gegenständlichen, sind aber stets auf das Wesentliche konzentriert und zielen nicht darauf ab, die Natur täuschend nachzuempfinden. Durch ihre unverhüllte Deutlichkeit und Größe weisen sie vielmehr auf die Medialität und Gegenständlichkeit des Bildes hin. Cézanne beabsichtigt nicht seine künstlerischen Mittel und deren Verwendungsweise zu verschleiern, er führt diese sogar offen vor.
[...]
1 vgl. Boehm 1988, S. 25-26
2 vgl. Dittmann 2005, S. 83
3 vgl. Boehm 1988, S. 9-10
4 vgl. Wolf 2010, S. 36, Doran 1982, S. 137
5 vgl. Boehm 1988, S. 9-10
6 vgl. Vukicevic 1992, S. 24
7 vgl. Busch 1996, S. 327
8 Busch 1996, S. 326-327
9 vgl. Bättschmann 1997, S. 145
10 vgl. Feilchenfeldt 2014
11 Wolf 2010, S. 36
12 vgl. Lüthy 2005, S. 273