Im Rahmen des Seminars „Schlossfassaden“ wurden zwei Romane gegenübergestellt: zum einen Monikovas „Die Fassade“ und zum anderen Kafkas „Das Schloss“. Das paradoxe daran war, dass für nahezu alle Kursteilnehmer der Kafka-Text wesentlich mehr Verständnisprobleme bereitete, obwohl dessen Sprache einfacher gehalten ist. Den Dialogen in Kafkas Roman kam dabei eine Schlüsselrolle zu, denn sie sorgen wohl allgemein für besondere Verwirrung beim Leser. Irgendwie reden die Figuren ständig aneinander vorbei. Genau an diesem Punkt setzt nun die vorliegende Arbeit an. Es soll der Versuch unternommen werden, an einem Dialog aus dem Roman herauszuarbeiten, warum hier die Kommunikation scheitert bzw. was den Leser daran verwirrt. Welches Interesse der Autor Kafka nicht zuletzt wegen seiner Verwirrungstechnik erregt, zeigt sich an der Bücherwand in der Bibliothek, welche einen fast erschlägt. Doch über die Analyse von Dialogen findet sich kaum Material. Die meisten Werke folgen Interpretationsansätzen, wie sie bei Ludwig Dietz1 aufgeführt sind. Über eine Publikation mit sprachphilosophischem Ansatz2 geriet das Augenmerk mehr durch Zufall auf den Aufsatz von Gotthard Oblau: „Sie sprechen die gleiche Sprache und reden aneinander vorbei“. Die Auseinandersetzung mit diesem Aufsatz stellt den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit dar. Im Weiteren wird ein Standpunkt bezogen, der zwar an Oblaus Ansatz anknüpft, jedoch in einigen Teilen davon abweicht. Sodann wendet sich die Arbeit einem Dialog aus dem Text Kafkas zu. Zum Schluss kommt die Arbeit paradoxerweise zu nahezu dem gleichen Ergebnis wie der Ansatz, von dem sie sich abgegrenzt hat.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Suche nach einem Standpunkt
2.1 Das Erzählverhalten
2.2 Sprachliche Befangenheit
2.3 Eine Kritik
2.4 Folgerungen
2.5 Kurze Ergänzung zu Sprache und Denken
3. Das geheimnisvolle Protokoll – Versuch einer Dialoganalyse
3.1 Der Inhalt
3.2 Kommunikative Hinweise
3.3 Lexeme und Widersprüche
3.4 Fazit
4. Schlusswort
5. Quellenverzeichnis
1. Vorwort
Im Rahmen des Seminars „Schlossfassaden“ wurden zwei Romane gegenübergestellt: zum einen Monikovas „Die Fassade“ und zum anderen Kafkas „Das Schloss“. Das paradoxe daran war, dass für nahezu alle Kursteilnehmer der Kafka-Text wesentlich mehr Verständnisprobleme bereitete, obwohl dessen Sprache einfacher gehalten ist. Den Dialogen in Kafkas Roman kam dabei eine Schlüsselrolle zu, denn sie sorgen wohl allgemein für besondere Verwirrung beim Leser. Irgendwie reden die Figuren ständig aneinander vorbei.
Genau an diesem Punkt setzt nun die vorliegende Arbeit an. Es soll der Versuch unternommen werden, an einem Dialog aus dem Roman herauszuarbeiten, warum hier die Kommunikation scheitert bzw. was den Leser daran verwirrt.
Welches Interesse der Autor Kafka nicht zuletzt wegen seiner Verwirrungstechnik erregt, zeigt sich an der Bücherwand in der Bibliothek, welche einen fast erschlägt.
Doch über die Analyse von Dialogen findet sich kaum Material. Die meisten Werke folgen Interpretationsansätzen, wie sie bei Ludwig Dietz[1] aufgeführt sind. Über eine Publikation mit sprachphilosophischem Ansatz[2] geriet das Augenmerk mehr durch Zufall auf den Aufsatz von Gotthard Oblau: „Sie sprechen die gleiche Sprache und reden aneinander vorbei“.
Die Auseinandersetzung mit diesem Aufsatz stellt den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit dar. Im Weiteren wird ein Standpunkt bezogen, der zwar an Oblaus Ansatz anknüpft, jedoch in einigen Teilen davon abweicht. Sodann wendet sich die Arbeit einem Dialog aus dem Text Kafkas zu. Zum Schluss kommt die Arbeit paradoxerweise zu nahezu dem gleichen Ergebnis wie der Ansatz, von dem sie sich abgegrenzt hat.
2. Die Suche nach einem Standpunkt
Unser Seminar begann mit der Frage nach dem Erzählverhalten. Ebenso verfährt eine an der Universität Augsburg geläufige Einführung in die Literaturwissenschaft[3] und auch Oblau beginnt seine Argumentation damit. Das Erzählverhalten und damit die Perspektive auf den Text scheint also ein zentraler Punkt in Kafkas Text zu sein.
2.1 Das Erzählverhalten
Das Seminar kam zu dem Schluss, dass es sich primär um einen personalen Erzählstil handelt und der Leser somit alles aus der Perspektive des Protagonisten K. erfährt. Allerdings wird schon an den ersten Zeilen des Romans deutlich, dass nicht durchgängig personal erzählt wird. Dies trägt offenbar vom Autor so gewollt zur Verwirrung des Lesers bei und soll kurz verdeutlicht werden.
Nach Friedrich Bleissner lässt Kafka dem Erzähler keinen Platz und es bleibt nur der „sich selbst (paradox praeterital) erzählende Vorgang“ übrig (Bleissner 1995, S. 152). Dadurch werde der Leser in die Hauptgestalt verwandelt (edb.).
Beda Allemann betont aber, dass man von dieser Monoperspektive aus nicht definitiv auf eine bestimmte Erzählperspektive schließen könne und wirft die Frage auf, warum sich der Erzähler nicht eindeutiger mit der Hauptfigur identifiziere (Allemann 1995, S.155). Dies sei wohl vom Autor bewusst so gehalten, denn: „der unbefangene Leser wird gar nicht merken, wie sehr er diese Figur ständig mit seinen eigenen Empfindungen und Regungen `auffüllt´“ (ebd.). Überspitzt formuliert verkümmert die Hauptfigur dadurch zu einem „Perspektiv“, durch welches der Leser einen „begrenzten Blick“ auf den Text werfen darf (ebd.).
Der Leser - und damit auch der Schreiber einer jeden Analyse – erfährt also nur das, was die Hauptfigur K. wahrnimmt. Zugleich liegt es nahe, sich mit K. zu identifizieren und dessen Probleme auch als die eigenen anzusehen.
Warum aber sieht Oblau dies als eine „vom Autor bewusst evoziierte Qual der Lektüre“ an (Oblau 1983, S.393)?
2.2 Sprachliche Befangenheit
Oblau behauptet, dass die Romanhelden Kafkas durch ihr sprachlich geleitetes Bewusstsein „verhext“ sind (Oblau 1983, S.394). Er zeigt, dass z.B. das außersprachliche Phänomen des Schlosses im Roman nicht mit K.s Vorstellungen übereinstimmt (ebd. S.395). Doch dies allein ist kein Beweis. Man sollte die sprachliche Befangenheit K.s also als (noch) nicht bewiesene Grundthese in Oblaus Argumentation ansehen. Im Folgenden sollen die sich daran anschließenden Gedankengänge kurz skizziert werden.
Oblau stützt sich auf die These von Gerd Brenner, dass Kafkas Texte einen „immanenten semantischen Kosmos“ bilden und somit die Bedeutung der Lexeme im Text nur aus ihrem Kontext heraus zu deuten sind (ebd. S. 369). Daraus ergibt sich gewissermaßen ein „Fremdspracheneffekt“ in den Werken Kafkas. Allerdings steht die Romanfigur K. nach Meinung von Oblau außerhalb des semantischen Kosmos, der von den Dorfbewohnern geteilt wird. Dies zeigt sich an den Missverständnissen in den Dialogen zwischen K. und den Dorfbewohnern (ebd.).
In Anlehnung an das Zeichenmodell des Sprachwissenschaftlers de Saussures ergibt sich jedoch eine Schnittstelle zwischen der Sprachkompetenz von K. und den Dorfbewohnern. Beide „Parteien“ bezeichnen die gleichen außersprachlichen Sachverhalte mit den gleichen Wörtern. Nur die Bedeutung, die mit dem sprachlichen Zeichen als fest verbunden gedacht werden muss, ist unterschiedlich (ebd. S. 397). Die Bedeutung eines Wortes ergibt sich jedoch nie absolut, sondern immer nur in Abgrenzung bzw. in Relation zu den anderen Lexemen eines Sprachsystems (ebd.).
Daran anschließend untersucht Oblau die semantischen Relationen in der Sprachwelt der Dorfbewohner. Zugleich betont er aber, dass die Sprachwelt K.s dem Leser näher steht, weil er erstens dessen Perspektive teilt und zweitens die Sprachkompetenz K.s eher der des Lesers entspricht (ebd. S.397 f.).
2.3 Eine Kritik
Die folgende Kritik bezieht sich weniger auf den Ansatz Oblaus. Vielmehr sollen die darin enthaltenen Implikationen gezeigt werden, welche zu Problemen führen.
Hinter dem grundlegenden Gedanken Oblaus von der „sprachlichen Befangenheit“ K.s steckt die Annahme, dass unser Denken durch die Sprache stets vorstrukturiert ist. Dagegen ist nichts einzuwenden. Nur gilt diese basale Annahme dann auch unausweichlich für den Schreiber einer Analyse.
Problematisch daran ist zweierlei:
1. Dadurch verengt sich die Perspektive für die Analyse und führt möglicherweise in die Irre. Aus dieser Perspektive kann K. die anderen Figuren gar nicht verstehen. Somit fallen aber auch alle Szenen durch das „Raster“, in denen die Kommunikation tatsächlich gelingt. Beispielhaft hierfür ist, dass Oblau und nicht K. die Szene mit dem Wirt (Kafka 1982, S.185) missversteht. Dass K. die Ironie in der Äußerung des Wirtes versteht und sogar „mitspielt“, zeigt sich am letzten Satz: „Und sie gingen lachend auseinander“ (ebd.). Oblau hingegen meint aus seiner eigenen „Befangenheit“ heraus, dass K. die Äußerung des Wirtes wörtlich nimmt (Oblau 1983, S. 398).
2. Wie zuvor gezeigt, fühlt sich der Leser der Hauptfigur K. und dessen Sprachwelt näher. Verwirrend erscheinen somit eher die Äußerungen der Dorfbewohner bzw. deren Sprachwelt. Bei Oblau hingegen entsteht der Eindruck, dass K.s Wahrnehmung die Verwirrung beim Leser ausmacht.
Indem Oblau den Dorfbewohnern einen eigenen „semantischen Kosmos“ zuspricht, erscheint deren Sprache quasi als „Fremdsprache“. Dies macht eine Analyse jedoch nahezu unmöglich. Dieses Problem löst er, indem er behauptet, dass die Lexeme der Dorfbewohner in übertragener Bedeutung verwendet werden (ebd. S. 398). Dies stellt den Versuch dar, die Sprache der Dorfbewohner, welche zuvor als „Fremdsprache“ abgegrenzt wurde, wieder verständlich zu machen. Dagegen ist zu sagen: Entweder ist es eine Fremdsprache und damit nur eingeschränkt zu verstehen und zu erforschen. Oder aber die Dorfbewohner verwenden einzelne Lexeme in übertragener Bedeutung. In diesem Fall jedoch entfällt die Fremdsprachenhypothese. Gleichzeitig müsste aber sie semantische Motiviertheit zwischen den einzelnen Sememen der mehrdeutigen Lexeme nachgewiesen werden. Eine übertragene Bedeutung ist nämlich nur möglich, solange die einzelnen Sememe eines polysemen Lexems in einigen wesentlichen Semen übereinstimmen. Nur durch diese Motiviertheit ist es überhaupt möglich, die Bedeutung als „übertragen“ zu decodieren.
Geht man von einem textimmanenten semantischen Kosmos aus, so ist es folgerichtig, die Bedeutung der einzelnen Lexeme durch ihre Verwendung im Kontext zu erforschen. Oblau verfährt darin zum Teil konsequent, indem der den syntagmatischen und paradigmatischen Beziehungen der Lexeme nachgeht
(Oblau 1983, S. 399 ff.)[4]. Dabei sollte man jedoch beachten:
1. Die Lexeme des textimmanenten Systems (also eines fremden Sprachsystems) dürfen nicht in den Kontext des eigenen Sprachsystems gesetzt werden, um ihre Bedeutung herauszufinden[5]. Genau dies aber tut Oblau mit dem Lexem „Erlaubnis“ (ebd. S. 403).
2. Einzelne Zitate aus dem Text dürfen nicht instrumentalisiert werden, um die eigenen Thesen zu bestätigen. Denn hält man an der „Fremdsprachen-These“ fest, so kann der Interpret ja selbst die Bedeutung der einzelnen Lexeme des jeweiligen Zitats nicht kennen, solange keine vollständige Analyse des gesamten Textes erfolgt ist.
[...]
[1] Dietz, Ludwig: Franz Kafka. Hier wird die Rezeption Kafkas in große Blöcke bzw. Rezeptionsschulen eingeteilt. Neben theologischen, psychologischen, und soziologischen Ansätzen mit allerlei Nebenzweigen, findet sich jedoch kein Hinweis auf eher kommunikationsorientierte Ansätze.
[2] Kellerwessel, Wulf: Kafkas „Prozess“ – eine sprachphilosophische Deutung
[3] Bleissen, Isabella; Reisner, Hanns-Peter: Uni-Training Neuere deutsche Literaturwissenschaft; Stuttgart
1995
[4] Oblau führt hier Verschiebeproben und Ersatzproben auf der Ebene der Syntax durch und untersucht, ob es dadurch Bedeutungsunterschiede gibt. Das Unternehmen bleibt aber fragwürdig, denn für solche elementaren Proben muss ein kompetenter (!) Sprecher vorausgesetzt werden. Ein solcher kann Oblau jedoch nicht sein, da er sich innerhalb eines Sprachsystems bewegt, welches er zuvor noch als „geschlossenen Semantischen Kosmos“ bezeichnet hat. Eigentlich wäre ein in beiden (dem untersuchten und dem eigenen) Sprach-systemen kompetenter Sprecher nötig, der als Übersetzer fungiert. Ein solcher ist aber nicht auszumachen.
[5] Genauso unsinnig wäre es die englische Konjunktion „when“ in deutsche Sätz einzufügen, um ihre Bedeutung herauszufinden.
- Arbeit zitieren
- Stefan Dettl (Autor:in), 2004, 'Verstehen Sie mich recht, ' - Versuch einer Dialoganalyse in Franz Kafkas Roman "Das Schloß", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32469
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