Die Besetzung eines fremden Staats- oder Herrschaftsgebiets stellte zwar über Jahrhunderte hinweg Ziel- und Endpunkt einer jeden militärischen, kriegerischen, Auseinandersetzung dar. Gleichwohl war die konkrete Ausgestaltung der kriegerischen Besatzung, der occupatio bellica, ein in keinerweise allgemein geregeltes Vorgehen, das entsprechend stark von Erlassen ex situatione geprägt gewesen ist. Erstmals unter dem Eindruck des amerikanischen Bürgerkriegs wurde 1863 die so genannte Libersche Kriegsrechtskodofikation verfasst, die wesentliche Grundzüge des Besatzungsrechts regelte und zugleich Ausgangspunkt für die Brüsseler Deklaration von 1874 gewesen ist. Diese als erste völkerrechtliche Ausgestaltung des Besatzungsrechts ansehbare, wenn auch unverbindliche, Erklärung fand sich über das 1880 verfasste Manual des los de la guerre sur terre schließlich in der, nach heutigem Verständnis völkerrechtlich verbindlichen und bis heute in Kraft befindlichen Haager Landkriegsordnung von 1899 und 1907 wieder.
Die Haager Landkriegsordnung (HLKO) bildete über Jahrzehnte hinweg den wichtigsten Bestandteil des Völkerkriegsrechts, des ius in bello. Neben anderen, die kriegerische Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehr Völkerrechtssubjekten - souveränen Staaten - betreffenden Aspekten regelt die HLKO bis heute wesentliche Aspekte der bewaffneten Auseinandersetzung im Bereich der Inbesitznahme fremder Gebiete. Zentrale Gegenstände der Regelungen sind neben der (rechtlichen) Stellung des Besatzers nicht nur dessen Rechte zur Requisition und der Erhebung von Tribut, sondern auch die diesbezüglichen Grenzen und die dem Besatzer zu Gunsten der Besetzten obliegenden Pflichen und Verbote, namentlich das Verbot, Auskünfte zu erzwingen und eine Treueeid abzunehmen sowie Plünderungen zu gestatten oder zu veranlassen. Daneben findet sich, kennzeichnend für die Zeit der Entstehung, neben Bestimmungen über die Schonung von Kommunal- und Kulturgütern die "Immunität" von Unterseekabeln.
In der Arbeit werden die insgesamt fünfzehn Bestimmungen der HLKO zum Besatzungsrecht unter Heranziehung der früheren Auffassungen und Auslegungen in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg dargelegt. Dabei wird zunächst jeweils vorrangig die Auffassung innerhalb der deutschen Rechtswissenschaft dieser Tage erläutert, ergänzend die Rechtsansichten in England, Frankreich, Österreich-Ungarn und der Schweiz land hinzugefügt. Der Arbeit ist der volle Wortlaut der HLKO angefügt.
Inhaltsverzeichnis
- A. Völkerrecht, Kriegsrecht, Besatzungsrecht
- I. Völkerrecht
- 1. Friedensrecht
- 2. Kriegsrecht
- 1. Ius ad bellum
- 2. Ius in bello
- II. Besatzungsrecht
- 1. Friedliche Besetzung
- 2. Kriegerische Besetzung
- B. Entwicklung des Besatzungsrecht
- I. Liebersche Kodifikation von 1863
- II. Brüsseler Deklaration von 1874
- III. Manuel des lois de la guerre sur terre von 1880
- IV. Haager Friedenskonferenz von 1899
- V. Haager Friedenskonferenz von 1907
- VI. Die Haager Landkriegsordnung von 1907
- C. Haager Landkriegsordnung und nationale Sichtweisen
- I. Art. 42 HLKO [Voraussetzungen]
- 1. Allgemeines
- 2. Sichtweisen
- II. Art. 43 HLKO [Stellung des Okkupanten]
- 1. Allgemeines
- 2. Sichtweisen
- III. Art. 44 HLKO [Verbot der Auskunftserzwingung]
- 1. Allgemeines
- 2. Sichtweisen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die völkerrechtlichen Grundlagen des Besatzungsrechts vor dem Ersten Weltkrieg. Sie beleuchtet die Entwicklung des Besatzungsrechts von seinen Anfängen bis zur Haager Landkriegsordnung von 1907.
- Entwicklung des Besatzungsrechts im Kontext des Völkerrechts und Kriegsrechts
- Analyse der völkerrechtlichen Normen und Prinzipien des Besatzungsrechts
- Bedeutung der Haager Landkriegsordnung von 1907 für die Entwicklung des Besatzungsrechts
- Untersuchung nationaler Sichtweisen auf die Anwendung der Haager Landkriegsordnung
- Relevanz des Besatzungsrechts für die Praxis
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in die grundlegenden völkerrechtlichen Konzepte, die das Besatzungsrecht prägen, wie das Friedensrecht und das Kriegsrecht. Anschließend beleuchtet die Arbeit die historische Entwicklung des Besatzungsrechts, ausgehend von der Lieberschen Kodifikation von 1863. Der Fokus liegt dabei auf den wichtigsten internationalen Dokumenten und Konferenzen, die zur Entwicklung des Besatzungsrechts beigetragen haben.
Kapitel C behandelt die Haager Landkriegsordnung von 1907 und ihre Bedeutung für die Entwicklung des Besatzungsrechts. Es analysiert die relevanten Artikel der HLKO und untersucht die unterschiedlichen nationalen Sichtweisen auf deren Anwendung.
Schlüsselwörter
Völkerrecht, Kriegsrecht, Besatzungsrecht, Haager Landkriegsordnung, Friedensrecht, Ius ad bellum, Ius in bello, Liebersche Kodifikation, Brüsseler Deklaration, Manuel des lois de la guerre sur terre, Haager Friedenskonferenz, nationale Sichtweisen.
- Arbeit zitieren
- Dr. iur. utr. Dirk Diehm (Autor:in), 2001, Völkerrechtliche Grundlagen des Besatzungsrechts vor dem Ersten Weltkrieg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3308