Der „Arme Heinrich“ gehört zu jenen Dichtwerken der erzählenden, mittelalterlichen Literatur, in denen der Einbruch einer Krankheit in das Leben eines Menschen thematisiert wird. Wie der scheinbar Unschuldige aus dem Alltag des Lebens gerissen wird, und wie die mit der Krankheit verbundene Angst vor dem Tod den Charakter verwandelt. In der mittelalterlichen Literatur sind unheilbare und lebensbedrohliche Krankheiten ein weit verbreitetes Motiv. Der Aussatz nimmt dabei eine besondere Stellung ein. Er galt zu damaliger Zeit als das furchtbarste Los, das einen Menschen treffen konnte. Der von ihm Befallene war ausgestoßen aus der Gemeinschaft der Lebenden, der körperliche Zerfall wurde aufgefasst als Zeichen der seelischen Vergiftung, mit dem Gott den Bösen strafte. Die Schuld galt als erwiesen.
Das Besondere dieses Werkes ist, dass Hartmann seinen Protagonisten als Idealtypus eines ritterlich-höfischen Menschen einführt, bei dem auf den ersten Blick keinerlei Sündhaftigkeit zu erkenne n ist. Dennoch wird er inmitten des Glanzes seiner Vollkommenheit vom Aussatz befallen und ist damit aus der Welt ausgesetzt. So stellt sich bereits zu Beginn der Erzählung die Frage nach der Ursache für dieses einschneidende Ereignis. Hartmann lässt außer Frage, dass die Krankheit von Gott gesandt ist, doch worin dessen Motivation besteht, Heinrich mit einer solch schweren Krankheit zu belegen, ist ein mannigfach in der Forschung diskutiertes Problem. Wie soll der furchtbare Schicksalsschlag, der die weitere Handlung im „Armen Heinrich“ auslöst, gedeutet werden? Im Zusammenhang mit der innerhalb der Erzählung erwähnten Figur Hiobs, lässt sich Heinrichs Aussatz als göttliche Prüfung verstehen. Andererseits legt das vorangehende biblische Absalombild und dessen literarischer und exegetischer Gebrauch es zunächst nahe, den plötzlichen Sturz vom Glanz des Lebens in die Tiefe als Strafe Gottes zu interpretieren.
Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Suche nach dem Verständnis des Aussatzes im Hinblick auf folgende Fragen: Lässt sich die Krankheit eindeutig als göttliche Prüfung oder Strafe Gottes erklären? Inwiefern trägt Heinrich Schuld an seiner Erkrankung am Aussatz? Trifft Heinrich anhand der Erzählung überhaupt eine Schuld? Bevor ich mich näher mit der Auslegung der Krankheit und dem Problem der Schuld auseinandersetze, befasse ich mich zu Beginn mit dem Motiv des Aussatzes in der mittelalterlichen Literatur.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der „Arme Heinrich“ und das Verständnis des Aussatzes und die Frage der Schuld bei Hartmann von Aue
- Das Motiv des Aussatzes in der mittelalterlichen Literatur
- Der Begriff der Schuld nach christlichem Gedankengut
- Das Verständnis des Aussatzes
- Der Gehalt der Schuld innerhalb der Erzählung
- Schlussbetrachtung
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Interpretation des Werkes „Der Arme Heinrich“ von Hartmann von Aue und analysiert die Rolle des Aussatzes und die Frage der Schuld in der Erzählung.
- Das Motiv des Aussatzes in der mittelalterlichen Literatur
- Der Begriff der Schuld im christlichen Kontext
- Die Interpretation des Aussatzes als göttliche Strafe oder Prüfung
- Die Frage der Schuld Heinrichs und seine Rolle in der Erzählung
- Die Rolle des Opfermotivs in der Heilsgeschichte des „Armen Heinrich“
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik des „Armen Heinrich“ als ein Werk der mittelalterlichen Literatur ein, das den Einbruch einer Krankheit in das Leben eines Menschen thematisiert. Die Krankheit, in diesem Fall der Aussatz, wird im Mittelalter als das furchtbarste Los angesehen, das einem Menschen treffen konnte.
Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Motiv des Aussatzes in der mittelalterlichen Literatur und zeigt die verschiedenen Erzählmodelle, die diese Thematik aufgreifen. Die Arbeit analysiert die Unterscheidung zwischen der Sylvesterlegende, der Freundschaftssage und dem „Queste“-Teil des „La Queste del Saint Graal“, die verschiedene Aspekte des Opfermotivs in Verbindung mit der Heilung vom Aussatz beleuchten.
Das dritte Kapitel, die Schlussbetrachtung, befasst sich mit der Frage der Schuld und der Deutung des Aussatzes als göttliche Strafe oder Prüfung im Kontext der Erzählung.
Schlüsselwörter
Der „Arme Heinrich“, Hartmann von Aue, mittelalterliche Literatur, Aussatz, Krankheit, Schuld, Opfer, Heilsgeschichte, christliches Gedankengut, Sylvesterlegende, Freundschaftssage, „Queste del Saint Graal“, göttliche Strafe, göttliche Prüfung.
- Arbeit zitieren
- Sebastian Kreft (Autor:in), 2004, Der "Arme Heinrich", das Verständnis des Aussatzes und die Frage der Schuld bei Hartmann von Aue, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33190