In der Geschichte des Poststrukturalismus ist eine Transformation auszumachen, die sich in keinem Text besser konturiert als in der Antrittsvorlesung am Collège de France, der sogenannten „Lektion“, die Roland Barthes 1977 vortrug: „Möge eine Sprache, welche es auch sei, keine andere unterdrücken; möge das zukünftige Subjekt ohne Gewissensbisse, ohne Verdrängung die Lust kennenlernen, zwei sprachliche Instanzen zur Verfügung zu haben, diese oder jene den Perversionen, nicht dem Gesetz gemäß zu sprechen.“ Psychoanalyse und Marxismus, zwei der im intellektuellen Klima Frankreichs seit den 50er Jahren wohl stimulierendsten Diskurse, sind für Barthes längst nicht mehr das, was sie spätestens seit der Gründung der Ecole Freudienne de Paris durch Lacan 1964 zu sein versprachen: diskursive Formationen, die an der geschichtlichen Aufgabe der Liberalisierung der Subjekte von sprachlichen und sozialen Zwanghaftigkeiten partizipieren könnten. Hinter der tendenziell hoffnungsvollen Physiognomie von Freudianismus und Marxismus hatte sich jene Fratze gezeigt, die aus nicht die historische Befreiung, sondern die institutionelle Verwissenschaftlichung der Subjekte (Humanwissenschaften) verheiß en sollte. Barthes´ Inauguralvorlesung ist mithin als ein Fanal zu verstehen, die „Lust“ an „zwei sprachlichen Instanzen“ gegen die regressive Kraft von Psychoanalyse und Marxismus ins Feld zu führen, und seit Beginn der siebziger Jahre haben in Frankreich vehemente Relektüren von Marx und Freud eingesetzt. Als Antipode in diesem Konflikt hat sich immer wieder Jacques Lacan angeboten mit seinem Theorem des Imaginären, in das die Subjekte bei dem Versuch, gegenüber dem Gesetz der sie strukturierenden symbolischen Ordnung Autonomie zu gewinnen, fortlaufend und notwendig zurückfielen.
Inhaltsverzeichnis
- O.) Den Perversionen gemäß sprechen: Nullpunkt der Revolution.
- I.) Julia Kristevas Revolution der poetischen Sprache und der Fetischismus
- I.1.) Semeion, chora, ←plus-que-logique⇒: Grundzüge der philosophischen Semiologie von Julia Kristeva
- I.2.) „Wiederkehr des Verwerfens❝: Lektüren von Joyce und Bataille gemäß Julia Kristevas Revolution der poetischen Sprache
- I.3.) „Eine Stase, die sich für eine These hält“. Das Fetischismusproblem in Julia Kristevas Revolution der poetischen Sprache.
- II.) „Eine Art Fremdsprache“. Literaturmodell und Masochismustheorie im Immanenzdenken von Gilles Deleuze.
- II.1.) Wunschmaschine und Immanenz. Fluchtlinie n einer nicht-signifikativen Semiotik und der Virtualität bei Deleuze/Guattari.
- II.2.) „Als ob die Sprache Tier werden würde.“ Organloser Körper und Passionelles Buch in Elias Canettis Roman Die Blendung
- II.3.) „Nein, er ist nicht hier.“ Dethronisierung des Vatergesetzes und die Entdifferenzierung des Körpers in der Masochismustheorie von Gilles Deleuze
- III.) Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die literaturtheoretischen Schriften von Gilles Deleuze und Julia Kristeva, um die von ihnen entwickelten Strategien literarischer und sexueller Subversion aufzuzeigen. Die Analyse konzentriert sich auf die Subversion ödipaler Subjekte und die Dekonstruktion der symbolischen Ordnung in den Texten der avantgardistischen Moderne.
- Revolution der poetischen Sprache
- Subversion ödipaler Subjektivität
- Dekonstruktion der symbolischen Ordnung
- Fetischismus und Masochismus
- Immanenzdenken und die Virtualität
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet Roland Barthes’ „Lektion“ als Ausgangspunkt für die Relektüren von Marx und Freud in der französischen Intellektuellenlandschaft der 1970er Jahre. Es werden die theoretischen Ansätze von Julia Kristeva und Gilles Deleuze vorgestellt, die sich von Lacans Imaginären abgrenzen und eine Unterbrechung des Bandes zwischen Subjekt und symbolischer Ordnung anstreben.
Kapitel I.1 widmet sich Kristevas „Revolution der poetischen Sprache“ und ihrer philosophischen Semiologie. Hier werden die Konzepte von Semeion und Chora erläutert, die eine materialistische und produktive Sichtweise auf das Zeichen einführen.
Kapitel I.2 präsentiert Lektüren von Joyce und Bataille, die Kristevas Revolution der poetischen Sprache veranschaulichen. Der Fokus liegt auf der „Wiederkehr des Verwerfens“ und der Dekonstruktion der symbolischen Ordnung.
Kapitel I.3 diskutiert das Fetischismusproblem in Kristevas Theorie. Das Fetisch wird als ein Ausdruck des Destruktionsvorgangs des Semiotischen im Symbolischen dargestellt.
Schlüsselwörter
Schlüsselwörter dieser Arbeit sind: Semiotik, Symbolisches, Semeion, Chora, „plus-que-logique“, Fetischismus, Masochismus, Immanenz, Virtualität, Subversion, Ödipuskomplex, Avantgarde, Revolution der poetischen Sprache.
- Quote paper
- Thomas Ebke (Author), 2004, Schwebe der Körper, Stammeln der Sprache. Strategien literarischer und sexueller Subversion bei Julia Kristeva und Gilles Deleuze, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33346