Selbstverletzendes Verhalten (im Folgenden SVV) ist längst kein unbekanntes Problem für Psychologen und Psychotherapeuten. Auch in den öffentlichen Medien liest oder hört man gelegentlich etwas über bestimmte Formen SVVs. Die Verletzung der Haut mit scharfen oder spitzen Gegenständen, auch Ritzen genannt, scheint aber immer noch ein Tabuthema zu sein, auch wenn dieses Verhalten keinesfalls ein seltenes Problem darstellt. Bei den Vorbereitungen zu dieser Arbeit ist mir aufgefallen, dass fast jeder meiner Bekannten, der mich nach meinem Thema fragte, meinte: „Oh, da kenne ich auch jemanden.“ oder „Ja, damals in der Schule hatten wir auch eine, die das tat.“ Nahezu jeder scheint, mit dem Wort „Ritzen“ etwas anfangen zu können und zu wissen, worum es sich handelt: Eben um Leute, die Narben an Handgelenken oder Unterarmen haben, vermutlich von Schnitten, die sie sich selbst zufügten, vielleicht um Aufmerksamkeit zu erregen. Vielleicht! Fragt man aber genauer nach, merkt man schnell, dass sich kaum jemand ernsthafte Gedanken darüber macht, warum diese Personen so etwas tun. Es ist schwer nachzuvollziehen, dass jemand sich selbst Verletzungen zufügt. Mein Eindruck in Gesprächen mit einigen Lehrern aus meinem Bekanntenkreis war, dass auch sie, selbst wenn sie eine Schülerin, die sich ritzte in der Klasse haben, sich wenig Gedanken um die Gründe des Verhaltens machen und sich eher unverantwortlich oder überfordert fühlen und nicht eingreifen.
Ich selbst habe eine Ritzerin getroffen als ich nach meinem Abitur aushilfsweise in einem Kindergarten arbeitete. Sie war dort für einige Wochen meine Kollegin. Wir verstanden uns recht gut, und sie machte sich keine Mühe, ihre verschorften Einschnitte am Unterarm mir gegenüber zu verbergen. Auch ich habe damals nicht viel darüber nachgedacht. Für mich war klar, dass ihr Verhalten etwas mit der Suche nach Aufmerksamkeit zu tun haben muss. Ich habe dies aber nicht ernst genommen und nicht gesehen, dass vielleicht ein größeres Problem hinter der Selbstverletzung steht. Viele Pädagogen sind meiner Meinung nach zu wenig über das Thema SVV aufgeklärt, sie wissen zu wenig über psychische Probleme und Belastungen ihrer Schüler, und so denken sie vielleicht oft genauso wie ich damals.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1 Adoleszenz - eine notwendige Krise der Entwicklung
- 1.1 Definition Adoleszenz
- 1.2 Funktion der Adoleszenz
- 1.3 Die Probleme einer Generation
- 1.4 Veränderungen in der Adoleszenz
- 1.5 Psychische Störungen im Jugendalter
- 1.5.1 Identitätsstörung
- 1.5.2 Essstörungen
- 1.5.3 Depression
- 1.5.4 Suizid
- 1.6 Von den Schwierigkeiten ein Mädchen zu sein und eine Frau zu werden
- 1.6.1 Unterschiede in der Entwicklung von Jungen und Mädchen
- 1.6.2 Der weibliche Körper in unserer Gesellschaft
- 1.6.3 Die Bedeutung der Menstruation in der Entwicklung
- 1.6.4 Konflikte und Psychische Störungen junger Mädchen und Frauen
- 2 Was bedeutet selbstverletzendes Verhalten?
- 2.1 Begriffsbestimmung
- 2.2 Definition „selbstverletzenden Verhaltens“, „Selbstbeschädigung“ bzw. „Autoaggression“
- 2.3 Theorien selbstverletzenden Verhaltens - verschiedene Erklärungsansätze
- 2.3.1 Homöostatische Funktion oder Selbststimulationshypothese
- 2.3.2 Tiefenpsychologische Erklärungsversuche
- 2.3.3 Lernpsychologischer Ansatz nach Dollard
- 2.3.4 Narzissmus- und Objektbeziehungstheorie bzw. psychodynamische Modellvorstellung
- 2.3.5 Entwicklungspsychologische Interpretation
- 2.3.6 Lerntheoretische Hypothesen
- 2.3.6.1 Selbstverletzendes Verhalten als reaktives Verhalten
- 2.3.6.2 Selbstverletzendes Verhalten als operantes Verhalten
- 2.3.6.3 Modelllernen
- 2.3.7 Hypothese der biochemischen Verursachung - SVV als Suchtverhalten
- 2.3.8 Bindungstheorie
- 2.4 Formen selbstverletzenden Verhaltens
- 2.4.1 „Erlaubte“ Formen selbstverletzenden Verhaltens
- 2.4.1.1 Religiöse und rituelle Selbstverletzung
- 2.4.1.2 Schönheitsideale
- 2.4.1.3 Schönheitsoperationen
- 2.4.1.4 Extremsportarten
- 2.4.1.5 Äußerungsformen moderner Jugendkultur
- 2.4.2 „Krankhafte“ Formen selbstverletzenden Verhaltens
- 2.4.2.1 Formen heimlicher Selbstverletzung
- 2.4.2.2 Formen offener Selbstverletzung
- 2.4.2.3 Essstörungen
- 2.4.2.4 Stereotype Bewegungsstörungen mit selbstverletzendem Verhalten bzw. autoaggressive Stereotypien
- 2.4.1 „Erlaubte“ Formen selbstverletzenden Verhaltens
- 2.5 Ursachen - die Wurzeln des selbstverletzenden Verhaltens
- 2.6 Prävalenz
- 3 Ritzen - eine besondere Form selbstverletzenden Verhaltens in der Adoleszenz
- 3.1 Begriffsbestimmung
- 3.2 Beschreibung des Phänomens „Ritzen“
- 3.3 Beschreibung der Betroffenen
- 3.4 Funktionen des Ritzens
- 3.5 Ritzen als Form aggressiven Verhaltens in der Jugend
- 3.6 Ritzen als geschlechtsspezifisches Verhalten
- 3.7 Ritzen versus Suizidalität
- 3.8 Der Zusammenhang von Ritzen und Essstörungen
- 3.9 Die Adoleszenz als Auslöser selbstverletzenden Verhaltens in Form von Ritzen
- 3.10 Folgen des Ritzens
- 3.11 Therapie
- 4 Schulische Intervention
- 4.1 Mögliche Veränderungen in der Schule
- 4.2 Probleme wahrnehmen und richtig handeln
- 4.2.1 Gründe zur Besorgnis – eine Checkliste für Lehrer
- 4.2.2 Was tun, wenn ein Schüler psychisch leidet?
- 4.2.2.1 Der Schulpsychologische Dienst
- 4.2.2.2 Beratungsstellen
- 4.2.3 Maßnahmen bei sexuellem Missbrauch von Schülerinnen
- 4.3 Zum Umgang mit Ritzerinnen in der Schule
- 4.3.1 Vorschläge von Betroffenen aus dem Internet
- 4.3.2 Rückschlüsse aus der Therapie
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit selbstverletzendem Verhalten (SVV), insbesondere dem Ritzen, in der Adoleszenz. Ziel ist es, das Phänomen zu beschreiben, die Ursachen zu beleuchten und mögliche Interventionen, vor allem im schulischen Kontext, aufzuzeigen. Die Arbeit soll zu einem besseren Verständnis des Themas beitragen und Handlungsempfehlungen für Pädagogen liefern.
- Definition und Erscheinungsformen von selbstverletzendem Verhalten
- Ursachen und psychologische Theorien zum SVV
- Ritzen als spezifische Form des SVV in der Adoleszenz
- Zusammenhang zwischen Ritzen, anderen psychischen Störungen und der Adoleszenz
- Intervention und Prävention im schulischen Kontext
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik des selbstverletzenden Verhaltens (SVV) und insbesondere des Ritzens ein. Sie betont den Mangel an Verständnis und die Tabuisierung des Themas, sowohl in der Öffentlichkeit als auch im pädagogischen Bereich. Die Autorin beschreibt persönliche Erfahrungen, die ihr die Notwendigkeit einer umfassenderen Auseinandersetzung mit dem Thema verdeutlicht haben.
1 Adoleszenz - eine notwendige Krise der Entwicklung: Dieses Kapitel behandelt die Adoleszenz als Entwicklungsphase und ihre Herausforderungen. Es definiert die Adoleszenz, beschreibt ihre Funktionen und die damit verbundenen Probleme. Ein besonderer Fokus liegt auf psychischen Störungen im Jugendalter, einschließlich Identitätsstörungen, Essstörungen, Depressionen und Suizidalität. Die geschlechtsspezifischen Aspekte der Adoleszenz werden ebenfalls beleuchtet, insbesondere die besonderen Herausforderungen für Mädchen und junge Frauen in Bezug auf ihren Körper und die Menstruation.
2 Was bedeutet selbstverletzendes Verhalten?: Dieses Kapitel bietet eine umfassende Auseinandersetzung mit selbstverletzendem Verhalten. Es beginnt mit einer Begriffsbestimmung und verschiedenen Definitionen von SVV, um dann verschiedene Theorien und Erklärungsansätze zu präsentieren. Diese reichen von homöostatischen Funktionen und tiefenpsychologischen Interpretationen bis hin zu lerntheoretischen Modellen und der Bindungstheorie. Das Kapitel unterscheidet zwischen „erlaubten“ und „krankhaften“ Formen von SVV, wobei Beispiele für beide Kategorien gegeben werden.
3 Ritzen - eine besondere Form selbstverletzenden Verhaltens in der Adoleszenz: Dieses Kapitel konzentriert sich auf das Ritzen als spezifische Form von SVV in der Adoleszenz. Es beschreibt das Phänomen detailliert, inklusive der Handlung des Ritzens selbst, sowie den oft damit verbundenen Teufelskreislauf. Es analysiert die Funktionen des Ritzens für die Betroffenen, die von Selbstbestrafung über Suizidprävention bis hin zu Kommunikationsversuchen reichen. Die geschlechtsspezifischen Aspekte des Ritzens und der Zusammenhang mit anderen Störungen wie Essstörungen werden ebenfalls beleuchtet.
4 Schulische Intervention: Das Kapitel beschreibt mögliche Interventionen im schulischen Kontext. Es erörtert, wie Lehrer und Schulpersonal psychische Probleme bei Schülern erkennen und darauf reagieren können. Es bietet praktische Handlungsempfehlungen und verweist auf relevante Unterstützungssysteme wie den Schulpsychologischen Dienst und Beratungsstellen. Der Umgang mit Ritzen in der Schule wird detailliert behandelt, inklusive der Berücksichtigung von Erfahrungen und Perspektiven Betroffener.
Schlüsselwörter
Selbstverletzendes Verhalten, Ritzen, Adoleszenz, Psychische Störungen, Suizidalität, Essstörungen, Identität, Trauma, Bindungstheorie, Schulische Intervention, Prävention, Therapie.
Häufig gestellte Fragen zu: Selbstverletzendes Verhalten, insbesondere Ritzen, in der Adoleszenz
Was ist der Inhalt dieses Dokuments?
Dieses Dokument bietet einen umfassenden Überblick über selbstverletzendes Verhalten (SVV), insbesondere das Ritzen, bei Jugendlichen in der Adoleszenz. Es beinhaltet eine Einleitung, ein detailliertes Inhaltsverzeichnis, die Zielsetzung und Themenschwerpunkte, Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel und eine Liste der Schlüsselwörter. Der Fokus liegt auf der Beschreibung des Phänomens, der Ursachenforschung und der Darstellung möglicher Interventionen, vor allem im schulischen Umfeld. Das Dokument zielt darauf ab, das Verständnis für SVV zu verbessern und Handlungsempfehlungen für Pädagogen zu liefern.
Welche Themen werden im Dokument behandelt?
Das Dokument behandelt folgende Themen: Definition und Erscheinungsformen von SVV, verschiedene Theorien und Erklärungsansätze zu den Ursachen von SVV (einschließlich homöostatischer Funktionen, tiefenpsychologischer, lerntheoretischer und bindungstheoretischer Ansätze), Ritzen als spezifische Form von SVV in der Adoleszenz, der Zusammenhang zwischen Ritzen und anderen psychischen Störungen (wie Essstörungen, Depressionen, Suizidalität), die Adoleszenz als Entwicklungsphase und ihre Herausforderungen, geschlechtsspezifische Aspekte von SVV und die Adoleszenz, und schließlich Intervention und Prävention im schulischen Kontext, einschließlich der Reaktion von Lehrkräften auf mögliche Anzeichen von SVV bei Schülern.
Welche Kapitel umfasst das Dokument?
Das Dokument gliedert sich in folgende Kapitel: Einleitung, Adoleszenz als Entwicklungsphase und ihre Herausforderungen (inklusive psychischer Störungen), Was bedeutet selbstverletzendes Verhalten? (mit verschiedenen Definitionen und Theorien), Ritzen als besondere Form des SVV in der Adoleszenz (mit Beschreibung des Phänomens, Funktionen des Ritzens und Zusammenhang mit anderen Störungen), und Schulische Intervention (mit Handlungsempfehlungen für Lehrer und Hinweise auf Unterstützungssysteme).
Welche Ursachen für selbstverletzendes Verhalten werden diskutiert?
Das Dokument präsentiert eine Vielzahl von Theorien zur Erklärung selbstverletzenden Verhaltens, darunter: homöostatische Funktionen (Selbststimulation), tiefenpsychologische Ansätze, lerntheoretische Modelle (klassisches und operantes Konditionieren, Modelllernen), die Narzissmus- und Objektbeziehungstheorie, entwicklungspsychologische Interpretationen, die Hypothese einer biochemischen Verursachung (Suchtverhalten) und die Bindungstheorie. Die Ursachen werden multifaktoriell betrachtet und berücksichtigen die Komplexität des Themas.
Wie wird der Umgang mit Ritzen in der Schule behandelt?
Das Kapitel "Schulische Intervention" bietet konkrete Handlungsempfehlungen für Lehrer und Schulpersonal zum Umgang mit Schülern, die sich selbst verletzen, insbesondere durch Ritzen. Es beinhaltet eine Checkliste zur Erkennung möglicher Anzeichen, Hinweise auf den Schulpsychologischen Dienst und Beratungsstellen sowie Vorschläge von Betroffenen selbst, die aus Online-Foren und Therapieerfahrungen gewonnen wurden. Der Fokus liegt auf dem frühzeitigen Erkennen von Problemen und der Vermittlung geeigneter Hilfe.
Für wen ist dieses Dokument gedacht?
Dieses Dokument richtet sich in erster Linie an Pädagogen, Lehrer und Schulpersonal, die ein besseres Verständnis von selbstverletzendem Verhalten bei Jugendlichen entwickeln und lernen möchten, wie sie angemessen reagieren können. Es kann aber auch für alle anderen Interessierten hilfreich sein, die mehr über dieses wichtige Thema erfahren möchten, einschließlich Eltern, Angehörige und Studenten der Pädagogik oder Psychologie.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt?
Die Schlüsselwörter sind: Selbstverletzendes Verhalten, Ritzen, Adoleszenz, Psychische Störungen, Suizidalität, Essstörungen, Identität, Trauma, Bindungstheorie, Schulische Intervention, Prävention, Therapie.
- Quote paper
- Kathleen Seifert (Author), 2004, Ritzen als Problem selbstverletzenden Verhaltens bei Mädchen in der Adoleszenz. Grenzen und Möglichkeiten schulischer Intervention, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33380