Die Erfindung der Malinche - Kognitive Konstrukte einer historischen Figur


Magisterarbeit, 2003

85 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitender Teil
1.1. Vorbemerkung: Zur Intention und Induktion dieser Arbeit
1.2. Begriffliche Schwierigkeiten

2. Malinchedarstellungen
2.1. Quellen
2.1.1. Augenzeugenberichte
2.1.2. Malinche aus indianischer Sicht
2.1.3. Darstellungen der Missionare
2.1.4. Malinche in der Betrachtung Spaniens
2.2. Malinche in der aktuellen Diskussion

3. Kurzbiographie
3.1. Bevor Cortés kam
3.2. Der Weg nach Mexiko
3.2.1. Malinche wird Marina
3.2.2. Übersetzerin
3.2.3. Cholua
3.2.4. Cortés und Malinche
3.2.5. Mutter der Mestizen
3.3. Expedition nach Honduras
3.3.1. Marinas Eheschließung
3.3.2. Malinche trifft ihre Mutter
3.4. Malinches Tod

4. „La lengua“
4.1. Malinche in der kolonialen Darstellung
4.2. Malinche – Vermittlerin zwischen zwei Kulturen?

5. Koloniale Liebesgeschichten
5.1. Romantisierung des Malinchebildes
5.2. Das Bild der Conquista und des Indianers im Jahrhundert der Aufklärung
5.3. Allgemeine Verbreitung der kolonialen Liebesgeschichte
5.3.1. Exkurs: Pornographie
5.4. Frauen in der Conquista
5.5. Weibliche Räume
5.6. Malinche – Geliebte des Cortés?

6. Verräterin ihres Volkes
6.1. Negative Wende des Malinchebildes
6.2. Nationaler Mythos der Verräterin
6.3. Malinche – ein Schimpfwort
6.4. Erklärungsmotive
6.5. Überzeugte oder Sklavin?
6.6. Malinche – Verräterin ihres Volkes?

7. Die Erfindung der Malinche
7.1.Mutter der Mestizen
7.1.1. Jungfrau von Guadalupe
7.1.2. La Chingada
7.2. Der Fluch ist weiblich: Der koloniale Blick und seine Weiblichkeitsvorstellungen
7.3. Indigenismo und Eurozentrismus: Der Indianer in den Vorstellungen Europas
7.4. Wirklichkeit und Mythos

8. Abschließende Betrachtung

Literatur

Vorwort

Der Diskurs über Malinche ist kein rein historischer. Im Gegenteil. Literarische, politische, kulturelle oder feministische Einflüsse haben maßgeblich zur Gestaltung der Person Malinche beigetragen. Dabei sind verschiedene Bilder von Malinche entstanden, die meist urteilenden Charakter haben. Gegenwärtig werden diese Urteile und Wertvorstellungen in den verschiedenen Wissenschaften kontrovers diskutiert. Die Erinnerungen an Malinche beruht lediglich auf diesen Bildern.

Als ich im Sommer 2002 in Mexiko war, entdeckte ich in einem Internetcafé, das seine Computer mit Namen versehen hatte, auf einem auch den Namen „Malinche“. Als ich den Inhaber des Ladens darauf ansprach, zuckte er bloß mit den Achseln: „das war doch die Frau von Cortés“, sagte er und widmete sich wieder seiner Arbeit.

Die Person Malinche ist begraben unter Geschichten, Mythen und Vorurteilen und wahrscheinlich nicht mehr hervorzuholen. In der vorliegenden Arbeit geht es mir jedoch gerade um diese urteilenden Bilder, die an ihre Stelle getreten sind.

Nachdem ich meine Intention und Induktion dieser Arbeit dargelegt habe, werde ich im zweiten Kapitel zunächst die Quellen vorstellen, aus denen wir Wissen über Malinche schöpfen. Ich werde auch auf die aktuelle Diskussion eingehen, in die Malinche gegenwärtig eingebettet wird. Im dritten Teil unternehme ich den Versuch, aus den wenigen Daten zu Malinches Person, eine übersichtliche Kurzbiographie zu erstellen.

Kapitel vier stellt das Malinchebild der frühen Kolonialzeit vor, das sie als Dolmetscherin und Vermittlerin zwischen zwei Kulturen zeigt und wertet dieses aus. Das darauffolgende Kapitel betrachtet kritisch die vieldiskutierte und umstrittene Liebesgeschichte zwischen Malinche und Cortés.

Das sechste Kapitel behandelt die Zeit des Postkolonialismus bzw. die vorhergehenden Ideen auf dem Weg zur Abnabelung Mexikos vom Mutterland Spanien. Zu dieser Zeit wird Malinche wieder neu bewertet. Es schwebt der Vorwurf des Verrats über ihrer Person.

Die Bilder der Malinche in dem aktuellen Diskurs werde ich noch einmal im siebten Kapitel verdeutlichen. Gesagtes wird hier schließlich in die zentrale These dieser Arbeit eingebettet, die Malinche als eine Erfindung begreift.

Abschließend werde ich im achten Kapitel eine zusammenfassende Darstellung der Malinchebilder geben. Hier kehren die Überlegungen sowohl zu dem bereits angesprochenen Grundgedanken und innerhalb dieser Arbeit aufgestellten Thesen, als auch zu meinen Entwürfen des ersten Kapitels zurück. Die Einleitung soll eine Hinführung zu diesem ersten Blick auf die Problemdarstellung sein.

Mein Dank gilt Herrn Prof. Dr. Kopitzsch, Herrn Prof. Dr. Wager, wie auch Frau Prof. Dr. Bechtloff. Ich möchte mich bedanken für ihre Kritik und ihre Unterstützung bei dieser Arbeit. Sie haben mir die Möglichkeit gegeben, meine Interessen und Ideen zu dieser Arbeit nach eigenen Vorstellungen umzusetzen.

Ich bin auch meiner Familie, insbesondere meiner Mutter dankbar, die geduldig meinen Überlegungen und Vorstellungen zu dieser Arbeit zugehört hat. Dafür danke ich auch Colin Böttger, der mein wichtigster Berater in dieser Zeit war.

Bremen, Mai 2003

Christine Häßler

1. Einleitender Teil

1.1. Vorbemerkung: Zur Intention und Induktion dieser Arbeit

Man weiß nicht viel über Malinche - nicht einmal ihren richtigen Namen. Im Vergleich zu den nur wenigen Fakten ist das Interesse an Malinche, wachsend besonders in der jüngsten Gegenwart, überverhältnismäßig groß. Ein zentraler Kern dieser Arbeit ist die Frage, worin dieses Interesse begründet ist.

Malinche wird für historisch relevant gehalten. Sie genießt die Wertschätzung, in der Geschichte Erwähnung zu finden. Wird auch oft über die Art ihrer Darstellung und ihre Bagatellisierung in der Geschichtsschreibung geschimpft, so ist sie dennoch geschichtswürdig.

Geschichte ist eine Aneinanderreihung ausgewählter Phänomene, die künftige Generationen wissen sollen und für wahr halten. Es sind ihre Erinnerungen. Wie geht man in die Geschichte ein? Geschichtswürdigkeit und Interesse an einer Person müssen in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Nachzudenken ist über die Art und Weise dieses Zusammenhangs und darüber, was was bedingt.

Weniger interessiert es mich, die „Wahrheit“ über Malinche zu erforschen. Der eine Grund hierfür ist, daß sie mir lediglich als Symbol für die Entstehung von kollektiven Erinnerungen, und damit für gesellschaftliche Identität Mexikos, dienen soll. Es interessieren mich die Erinnerungen, die „Malinchebilder“. Ich will wissen wie sie entstanden und was ihre Intentionen sind.

Der andere Grund ist, daß es kaum Fakten gibt und die erforderlichen Quellen, die hierzu nötig wären, mir nicht zugänglich sind. Überhaupt ist es schwer von historischen Fakten zu sprechen, da die zeitgenössische Überlieferung diese je nach Interessenlage einfärbt. Ein Historiker muß folglich den überlieferten „Fakten“ mißtrauen und diese aus der gegenwärtigen Perspektive interpretieren, was wiederum die historische Wahrheit verklärt. Ein weiteres zentralen Problem, das diese Arbeit begleiten wird.

Die Entscheidung, inwieweit Malinche verantwortlich für die Geschehnisse und für die Umstände ihres Auftauchens in den Geschichtsbüchern ist, wird von mehren Faktoren begleitet und kann nicht monokausal erklärt werden. Historiker sind bei ihren Interpretationen immer verschiedenen Mechanismen unterworfen, die ihre Entscheidungen prägen. Sätze wie „so mußte es kommen“, oder „nur aufgrund Malinches Verhalten ...“, sind selten legitim. Hier kommen komplexe Kausalitätsgefüge ins Spiel. Psychologische Motivationen, wirtschaftliche Interessen, soziale Gegebenheiten etc. haben hier ihren Einfluß.

Auch die Tatsache, daß Frauen in der Geschichtsschreibung Macht verweigert wird, hüllt Malinches Verantwortlichkeit in einen Nebel und ignoriert sie als handelnde Person. Eigeninteressen Malinches werden von ihren Zeitgenossen und auch noch viel später völlig übergangen.

Neben den genannten Schwierigkeiten, die sich bei der Darstellung Malinches ergeben, kommt erschwerend die Mystisierung ihrer Person hinzu. Der Mythos einer Liebesromanze ist in den kolonialen Geschichten, besonders zur Zeit der Romantik, keine Seltenheit. Neben Historikern, Ethnologen und Anthropologen sind es meist die Literaten, deren Phantasie hier beflügelt wird. Von historischer Richtigkeit ist in den meisten Fällen wenig zu entdecken. Gewöhnlich handelt es sich um nichts als literarischen Topos. Die Geschichten von „fremden Welten“ und „wilden Frauen“ hinterlassen ihre Spuren bis in die Gegenwart. Erst kürzlich verfilmte Walt Disney die „Liebesgeschichte“ von Pocahontas.

Ist es wirklich die Person Malinche und die Wahrheit um die Geschehnisse ihrer Zeit, oder ist es vielmehr der sie umgebene Mythos, der fasziniert? Gerade die Frauenforschung drängt mit dem Mythos um Malinche aufzuräumen. Jedoch das Entlarven des Mythos bekundet gleichermaßen das Interesse am Mythos. Den Mythos wirklich wegzuwischen, und Malinche davon befreit darzustellen - könnte das eventuell zur Folge haben, daß Malinche nicht länger geschichtswürdig ist?

Die Geschichtswissenschaft will die Vergangenheit erforschen und wissenschaftlich darstellen „wie es eigentlich gewesen ist“. Doch das Problem der Wahrheitsfindung habe ich ja schon angerissen und will es nun verdeutlichen.

Die Richtigkeit einfacher Tatsachen ist meist leicht auszumachen: Der Tag, an dem Malinche Cortes trifft, die Tatsache, daß Malinche übersetzt und daß sie sich auf mexikanischem Boden befinden. Viele Kausalketten lassen sich jedoch knüpfen, wenn über die einfachen Fakten hinausgedacht wird. Aber was wäre Geschichtswissenschaft ohne einen beurteilenden Charakter? Wäre sie nichts als uferlose, sich ständig vermehrende Ansammlung von historischen Nichtigkeiten? Würde sie nicht sinnleer sein?

Die Mehrdimensionalität der Wahrheit ist kein neuer Gedanke, doch ein sehr ernstzunehmender. Jede Epoche entwirft ihr eigenes Bild von Malinche. Geschichte wird immer heute gemacht. Die Wirklichkeit ist keine Größe an sich, sie ist immer vom Standpunkt ihres Verfassers abhängig. Somit ist der eigentliche geschichtliche Gedanke untrennbar von dem Menschen, der ihn denkt. Das bedeutet zweierlei: Geschichte wird immer von Menschen, d.h., deren Ideen, gemacht, und wir haben es in der Geschichtswissenschaft immer mit vorläufigen und fragmentarischen Aussagen zu tun. Geschichtsschreibung ist durch ihre Begrenztheit gekennzeichnet.

Die historischen Ideen entspringen menschlichem Gedankengut, d. h. sie sind biologischen, psychologischen, soziologischen etc. Gesetzen unterworfen. Historische Ideen sind historische Wahrheiten. Die Grundvoraussetzung dieser Arbeit ist es, diesen historischen Relativismus als historische Realität zu postulieren.

Gegenwärtig gibt es eine kontroverse Debatte über die Bedeutung der historischen Figur Malinche. Malinche steht für mexikanische Gegenwartsprobleme. Zur Mutter der Mestizen erklärt, variiert sie als symbolische Figur in Diskursen über Nation und mestizische Realität. Je nach politischem Interesse und Geschmack gilt sie so als Opfer, Verräterin oder erstes Binde- und Freundschaftsglied zwischen Spaniern und Indigenas.

Betrachten will ich die historischen Ideen der „Kinder der Malinche“. Ideen machen Geschichte und: Geschichte macht Ideen.

Historische Ideen sagen etwas über die Menschen aus, die sie denken. Dabei ist die Geschichte selber aber nicht irrelevant, denn sie macht wiederum die Ideen. Es ist wohl nötig, eine „Geschichtspsychologie vorsichtig anzudenken, um die Phänomene zu erklären. Eine zentrale Frage könnte sein: Wie konnte diese Art von Bewußtsein, diese Idee, entstehen?

In der Geschichtsphilosophie lassen sich einige Gedanken zur Überwindung des historischen Relativismus herauslesen, deren Ansporn es ist, „die Wahrheit“ zu finden. Vielleicht aber sollte die psychologische Wahrheit gerade in diesem Relativismus gefunden werden. Die mexikanische Suche, die eigene Identität in den variierenden Bildern der Malinche zu suchen, ist die Wahrheit unserer Zeit. Was sagt Malinche über ihre Interpreten aus? Historisches Interesse steht hier im Dienst der Geschichtspsychologie, d.h., durch den anderen zu sich selbst zu kommen. Es gilt, sowohl Gegenwart durch Vergangenheit, als auch Vergangenheit durch Gegenwart zu verstehen. Geschichte zu verstehen, bedeutet den Menschen in der Zeit zu verstehen. Eine Identitätsherstellung basiert in diesem Sinne auf dem Heute und der Vergangenheit, ist eine rückwärtsgewandte Suche nach dem „Ganzen“. Der Sinn der Geschichtspsychologie ist, Identität als Ganzes zu sehen, ein geschichtliches Bewußtsein zu erlangen - zu begreifen, der Geschichte „inne zu sein“.

Was Geschichtspsychologie konkret meint, wird sich zeigen. Sicher sollte nicht die Idee der Individualpsychologie auf ein kollektives Bewußtsein übertragen werden. Noch weniger kann man die Entwicklungsstufen eines Kindes mit denen eines Volkes gleichsetzen. Ein Kind konstituiert seine Erinnerungen selbst. Das historische Gedächtnis eines Volkes jedoch wird erlernt durch Sitten, Gebräuche, Traditionen, Erzählungen und Schulunterricht. „Aber als ein geordnetes Konstrukt“, meint Jacques Le Goff, „nähert sich die individuelle an die kollektive Erinnerung an.“[1]

In jedem Fall jedoch will Erinnerung verarbeitet werden. Weniger geht es dabei um die Vergangenheit selbst, noch darum, was über sie gedacht wird. Vielmehr geht es um die Beziehung zwischen beiden. Historische Ideen und Vergangenheit stehen in einem Verhältnis zueinander, welches die Frage nach der Identität beantwortet. Ein Verhältnis, das zu einem Mißverhältnis werden kann. Die Synthese von Vergangenheit und historischen Ideen, bilden jedoch nicht zwangsläufig ein Mißverhältnis. Sie bilden nur eine Möglichkeit hierzu. Wenn also ein Volk sein Wesen erkennen will und sich auf Identitätssuche begibt, liegt das Problem nicht in seiner Vergangenheit, auch nicht in seinen historischen Ideen, sondern in einem Mißverhältnis dieser Synthese.

Vieles kann man nicht ändern, aber die Einstellung und Betrachtung hierzu. Unbefriedigend ist diese nur dann, wenn sie sich in einem Mißverhältnis zur Vergangenheit befindet. Historische Ideen werden von Menschen gemacht, und darin liegt ihre Verantwortung, das Mißverhältnis, die Identitätsschwäche, zu überwinden.

Über Identitätssuche hinaus, läßt sich der Gedanke des Mißverhältnisses noch weiter spinnen. So wie Vergangenheit und Gegenwart in einem sich gegenseitig bedingenden Verhältnis stehen, so verhält es sich auch mit der Zukunft. Die Zukunft ist wie die Vergangenheit gleichermaßen wandelbar, mit einem entscheidenden Unterschied: in sie läßt sich nicht nur transzendental, sondern auch auf einem handelnden, erfahrbarem Wege eingreifen. In der historischen Betrachtung geht es weder um Erkenntnis noch um Wahrheit, sondern um Urteilen und die Entscheidung darüber, wie die Welt weiterhin aussehen und auf welche Art und Weise in ihr gehandelt werden soll. Die Betrachtung der Vergangenheit ist vielleicht entscheidend für die Zukunft der heute in Mexiko lebenden Indigenas.

Identitätssuche liegt in der Mitte von Blicken in die Vergangenheit und Zukunftsaussichten. Das „Ganze“ zu verstehen, der Geschichte „inne“ sein, ist das Ziel. Die historischen Ideen sind das Mittel und drehen sich um die „Mutter der Mexikaner“, um Malinche.

Worauf es mir ankommt, ist am Ende gezeigt zu haben, das Malinchebilder die gesellschaftliche Realität Mexikos spiegeln, nicht aber die Realität der historischen Figur Malinche. Die Frage nach der Intention und den Wurzeln dieser Bilder hat mich von Anfang an interessiert. Meine These ist, daß diese Wurzeln der jeweiligen Gegenwart und nicht der realen historischen Situation Malinches entstammen. D.h. Malinchebilder sind historische Ideen von der Figur Malinche. Im Besonderen werde ich folgende Malinchebilder betrachten:

Malinche – Vermittlerin zwischen zwei Kulturen,

Malinche – Geliebte des Cortés,

Malinche – Verräterin ihres Volkes und

Malinche – Mutter der Mestizen.

Letzteres Bild faßt mehrer Interpretationen in sich und dient gegenwärtigen Diskussionen um mexikanische Identität. Dabei interessieren mich nicht vorrangig die variierenden Malincheparadigmen für Entwürfe mexikanischer Identität wie sie gegenwärtig diskutiert werden, sondern die Entstehung und die Essenz der Malinchebilder selbst, die für diese Paradigmen benutzt werden. Die Spurensuche muß in den Anfängen, in der Conquista, beginnen. Ich will zeigen, daß Malinche, die als Symbol einer Vermischung zweier Kulturen gilt, eigentlich Symbol für das kulturelle Durchdringen des kolonialen Gedankenguts ist.

Meine These, daß Malinchebilder dem jeweiligen Zeitgeist ihres Entstehungsortes, anstatt der historischen Realität entspringen, demonstriert die Realität des historischen Relativismus. Die variierenden Bilder enthistorisieren Malinche. Ich will zeigen, daß die Erinnerungen an Malinche auf einer kolonialen Erfindung beruhen.

1.2. Begriffliche Schwierigkeiten

Zwielichtige Begriffe und Bezeichnungen sind mir innerhalb dieser Thematik in großer Vielzahl begegnet, und sogar Namensgebungen bleiben zuweilen nebulös. Angefangen bei dem Namen der Frau, über die ich schreiben möchte.

Namen wie Malinche, Malintzin oder Malina(l)li begegnen einem im Wechsel. Ihre Chronisten nennen sie meist Donna Marina oder La Malinche.

Nachzulesen ist bei Narciß, ihr ursprünglicher Name sei wahrscheinlich Tenepal, der später durch die Spanier in den Taufnamen Donna Marina verwandelt wird. Dieser, für die Azteken wohl unverständliche Name wird von den Azteken so zu Malintzin, in Anlehnung an Malinalli, was auf Nahuatl Gras bedeutet. Malintzin widerum wird von den Spaniern zu Malinche umgewandelt.[2]

Narciß fügt hinzu, daß es sich bei dem Namen Malinche um eine Abwandlung von Marina handelt, die von Indianern und Spaniern gemeinschaftlich verändert wurde.[3] Die Frage zu klären, ob dieser Name wirklich ein „Gemeinschaftsprojekt“ der differenten Kulturen ist und wie er genau zustande kam, will ich mir nicht zur Aufgabe machen, zumal dies auch nicht die einzige Theorie ist.

Orozo y Berra, Somonte und Rodríguez vertreten die Annahme, ihr ursprünglicher Name sei Malinali, nach dem Tag Ce Malinali, an dem sie geboren wurde[4]. Ihr Beiname, so diese These, sei Tenepal. Von den Indios wird sie Malintzin genannt. Die Endung –tzin drückt Ehrerbietung aus. Auch hier heißt es am Ende wieder, daß die Spanier aus Malintzin Malinche werden ließen.[5]

Lediglich dieses Problem will ich hier aufzeigen, ohne den Anspruch, ihren „wirklichen“ Namen ergründen zu wollen. Die Frau, die zwischen 1519 und 1526 eine entscheidende Rolle in der Geschichte der Eroberung Amerikas spielt, werde ich Malinche nennen.

Weitere Schwierigkeiten machen die Begriffe „Neue Welt“, „Eroberung“, und „Assimilation“, um nur einige zu nennen. Ich will hier nur kurz auf dieses Problem hinweisen, ohne dies näher zu erläutern oder gar befriedigend zu klären. Das wäre Thema einer eigenen Arbeit.

Immer wieder stößt man auch auf die Frage, wer AmerikanerIn bzw. MexikanerIn ist. Vorweggreifend will ich hier auf den Zusammenhang dieser Frage mit dem „Identitätsproblem“ aufmerksam machen. Zunächst bezeichnet der Begriff „Amerikaner“ die ursprünglichen Bewohner des Kontinents, der nach dem Seefahrer Amerigo Vespucci „Amerika“ benannt wird. Das erste Beispiel dieser Namensgebung ist die Weltkarte von 1507 von Martin Waldseemüller.

Das gleiche gilt für den Begriff „MexikanerInnen“. MexikanerInnen sind bei Malinches Zeitgenossen immer die ursprünglichen Bewohner Amerikas, die aufgrund des Reiseziels von Kolumbus meist „Indianer“ genannt werden.

In gegenwärtiger Literatur findet man normalerweise den Begriff „MexikanerIn“ als konträr zu dem der „IndinaerIn“. Irgendwann scheint eine Wandlung des Begriffes stattgefunden zu haben. Es gibt zahlreiche variierende Definitionen, wer AmerikanerIn bzw. MexikanerIn ist, die ich hier nicht alle benennen werde[6]. Schon gar nicht will ich hier eine Antwort auf diese Frage geben.

Ein sehr brisanter Begriff ist auch der des „Indianers“. Man handelt sich mit diesem schnell den Vorwurf der Romantisierung ein. Ebenso verwerflich scheint der Ausdruck „Indio/India“, der als Schimpfwort in vielen Teilen Lateinamerikas benutzt wird.

Nicht nur, daß diese Begriffe einen nötigen zu erwähnen, daß diese von den Europäern fälschlicherweise über die Menschen dieses Kontinents gelegt wurden, schließlich hat Kolumbus ja nicht Indien entdeckt; es sind auch Begriffe, die einer diskriminierenden politischen Strategie zugrunde liegen, die darauf abzielt, aus verschiedenen Kulturen und Stämmen eine Einheitsmasse zu machen. Damit leugnet man ihre Individualität.

Andererseits werden die Begriffe „Indianer“ und „Indios“ auch als Kampfbegriffe von einigen indigenen Organisationen verwendet. Eine Absicht ist dabei, auf die noch immer herrschende Unterdrückung aufmerksam zu machen. So lange diese vorherrscht, werden sie „Indios“ und „Indias“ bleiben.

Es kommt also darauf an, wer diese Begriffe benutzt und in welchem Zusammenhang sie gebraucht werden.

Ich stecke in einem Dilemma. Eigentlich müßte ich alle Begriffe in Anführungszeichen setzen, um mich von der Diskriminierung kolonialen Denkens zu distanzieren. Das Problem kann ich so jedoch nicht lösen. Statt dessen würde ich einen Text präsentieren, der vor lauter Anführungszeichen kaum leserlich wäre.

Ich muß mich auf die rassistische Terminologie einlassen, um sie zu kritisieren, ja um sie überhaupt darstellen zu können. Ich muß mich auch schon deshalb darauf einlassen, da ich sonst genötigt wäre, wieder selbst neue Begriffe zu erfinden, um die Menschen zu unterscheiden. Die Verwirrungen lassen sich nicht aufheben.

Durch geänderte Wörter ändern sich keine Umstände. Sie sind nur Scheinlösungen. Statt fauler Widersprüche, werde ich also bei Begriffen wie „IndianerInnen“ und „Indios/Indias“ bleiben.

Mir ist durchaus der diskriminierende Charakter solcher Bezeichnungen bewußt. Doch durch das Ersetzen der negativ belasteten Begriffe durch positive diskreditiert man im Endeffekt nur das Selbstverständnis der Unterschiede in den Kämpfen dieser Menschen.

2. Malinchedarstellungen

2.1. Quellen

2.1.1. Augenzeugenberichte

Unter dem Kommando von Hernán Cortés sind es, neben Cortés selbst, die Soldaten Bernal Diaz del Castillo, Andrés de Tapia und Fray Francisco de Aguilar, die an dem Eroberungsfeldzug nach Mexiko teilnehmen. Allesamt Augenzeugen Malinches, deren Berichte in schriftlicher Form erhalten sind.

Das erste schriftliche Zeugniss über Malinche findet sich in den Briefen des Hérnan Cortés (1485-1547) an Kaiser Karl V. Von unterschiedlichen Stationen aus – zwischen 1519 und 1526 - schreibt Cortés fünf Briefe an Kaiser Karl V., die unter dem Namen Cartas de Relación[7] veröffentlicht wurden. Cortés verfolgt in diesen Briefen die Absicht, sein eigenmächtiges Unternehmen zu legitimieren. Er hofft auf die Annerkennung der Krone und auf eine entsprechende Entlohnung seiner Taten, deren Bedeutung er fortwährend rühmt. Seine Darstellung Malinches ist eher knapp gehalten. Er erwähnt sie nur zweimal. Erstmals taucht Malinche im Zusammenhang mit dem Blutbades von Cholua im zweiten Brief auf. Dieser Brief ist auf den 30. Oktober 1520 datiert. Er spricht hier von Malinche als einer Indianerin, die half, die Verschwörung von Cholua aufzudecken. Cortés erzählt, wie sie zu ihm kam und daß sie seine Übersetzerin sei:

„[Sie ist die] Dolmetscherin, die ich mit mir führte – [eine] Indianerin, die ich in Puntunchan, welches großer Fluß bedeutet, bekommen hatte [...]“[8]

Namentlich nennt Cortés sie lediglich im fünften Brief[9] ohne jedoch weiter auf ihre Person einzugehen. Insgesamt gibt Cortés nicht viel Einblick in das Leben von Malinche. Auf der Flucht aus Technotichlán verliert Cortés leider sein Tagebuch. Vielleicht hätte diese Quelle mehr Aufschluß geben können.[10]

Andrés de Tapia (seine Lebensdaten sind mir nicht bekannt) erwähnt in seinem um 1547 verfaßten Bericht[11] Malinche lediglich als Dolmetscherin.

Auch Fray Francisco de Aguilar (1479-1571) nennt Malinche mehrfach in seinem 1560 veröffentlichten Bericht über die Eroberung Mexikos in ihrer Funktion als Dolmetscherin.[12] Insgesamt fallen die Berichterstattungen von Tapia und Aguilar im Hinblick auf Malinche jedoch eher dürftig aus und sagen nichts Erwähnenswertes.

Die wichtigste und ausführlichste Quelle im Hinblick auf Malinche ist die Wahrhafte Geschichte der Entdeckung und Eroberung von Mexiko von dem Soldaten Bernal Díaz del Castillo (1484-1582).[13] Im Jahre 1568 schließt Bernal Díaz sein Werk ab.[14] Zu diesem Zeitpunkt ist er über vierundachtzig Jahre alt - er war etwa fünfunddreißig als er an der Conquista unter Cortés teilnahm. Veröffentlicht wird seine Schrift jedoch erst im Jahre 1632.

Díaz Absicht ist es, die Ereignisse darzustellen, wie sie „in Wahrheit“ waren.

Ich will mit Gottes Hilfe ganz einfach als Augenzeuge beschreiben, was ich selbst sah, und von den Kämpfen berichten, an denen ich persönlich teilgenommen habe, ohne die Tatsachen in irgendeiner Weise zu verdrehen.[15]

Die Nähe, die zwischen dem Schreiber und dem von ihm erzählten Ereignissen besteht, wurde lange Zeit als Authentizitätskriterium der Geschichtsdarstellung gesehen und dementsprechend auch positiv bewertet. An der Geschichte beteiligt sein, galt als Wert an sich. Von der eigenen Person abzusehen, war noch keine Forderung.

Seine „Wahrhafte Geschichte“ ist eine bewußte Gegenschrift zur Geschichte der Eroberung von Mexiko des López de Gómara, da dieser nicht persönlich beteiligt gewesen war und lediglich auf der Grundlage von Cortés´ Berichten schrieb.

Díaz versucht unter anderem, zum Ruhm der Soldaten beizutragen, einem Ruhm, der zumeist Cortés allein zugesprochen wird.[16] Außerdem verfolgt sein Bericht an mancher Stelle einem selbstdarstellerischen Zweck:

„[...] aber ich lobe mich nicht einmal so sehr wie ich könnte und müßte. Und aus diesem Grund schreibe ich dieses, damit man sich an mich erinnert.“[17]

Díaz betont die Bedeutung Malinches für die Conquista. Seiner Meinung nach ist sie in ihrer Funktion als Dolmetscherin von unschätzbarem Wert. Ebenfalls unterstreicht er ihre Loyalität. Dazu gehören beispielsweise auch die Ereignisse bei Cholua. Über ihre Dolmetscherfähigkeiten hinaus beschreibt er Malinche auch als die Person, die „sehr großen Einfluß in Neuspanien [hatte] und mit den Indianern [machte], was sie wollte“.[18] Deshalb hätte Cortés sie überall mit hingenommen.

„Diese Frau war ein entscheidendes Werkzeug bei unsren Entdeckungsfahrten. Vieles haben wir unter Gottes Beistand nur mit ihrer Hilfe vollbringen können. Ohne sie hätten wir die mexikanische Sprache nicht verstanden, zahlreiche Unternehmungen hätten ohne sie einfach nicht durchgeführt werden können.“[19]

Bernal Díaz „Wahrhafte Geschichte“ enthält nicht nur die ausführlichste Darstellung von Malinche, sie ist auch in erster Linie die, die ursächlich und richtgebend für spätere Interpretationen ist. Daher werde ich mich vornehmlich an diesem Werk orientieren.

2.1.2. Malinche aus indianischer Sicht

Kenntnisse über Malinche sind auch dem Franziskaner Fray Bernadino de Sahagún(1499-590 zu verdanken, der versucht, die Eroberung aus indianischer Sicht aufzuzeigen. Er ist dreißig Jahre alt, als er 1529 nach Neu-Spanien kommt. Damit ist er kein Zeitzeuge der hier relevanten Ereignisse, denn er trifft erst zehn Jahre nach Beginn der Eroberung und acht Jahre nach der endgültigen Zerstörung Mexiko-Technotitlan in der Neuen Welt ein.

Seiner Ansicht nach liegt der erfolgreichen Christianisierung ein Verständnis der aztekischen Kultur und Weltanschauung zugrunde. Er lernt Nahuatl und widmet sich sechzig Jahre der `Erziehung´ der Indios. Ihm ist eines der wichtigsten indianischen Dokumente der Eroberung Mexikos , der Florentiner Codex,[20] zu verdanken. Hierbei läßt er die Indianer selbst zu Wort kommen und versucht, das von ihm gesammelte Werk nicht zu interpretieren oder zu kommentieren. Dennoch ist dies keine rein indianische Quelle. Die meisten rein indianischen Quellen sind verloren gegangen. Fast alle indianischen Dokumente wurden durch Missionare verfaßt.

Eine rein indianische Quelle ist der Lienzo de Tlaxcala[21], eine Bilderhandschrift, die neben dem Florentiner Codex eine der wichtigsten indianischen Darstellungen in bezug auf Malinche ist.

Leider lassen sich bereits im 16. Jahrhundert spanische Einflüsse in den indianischen Betrachtungen erkennen. Die 1594 fertiggestellte Historia de Tlaxcala[22] von Muños Camargo, Sohn eines Spaniers und einer India, lassen deutliche Züge von Sahagún und Motonlinia erkennen. Auch bezieht er sich auf die Codices, die heute nicht mehr vorhanden sind und auf Díaz.[23]

2.1.3. Darstellungen der Missionare

In den Werken der Missionare findet Malinche kaum Erwähnung. Und wenn, dann taucht sie meist im Zusammenhang mit ihrer Bedeutung als Dolmetscherin auf.

Der Dominikaner Diego Durán (1537-1587) ist ein Missionar, der auch von ihr spricht. Er kommt bereits als Kind nach Mexiko. Zu dieser Zeit ist Malinche höchstwahrscheinlich bereits tot. Er verfaßt im Jahr 1581 sein Werk Historia de las Indias de Nueva España e isla de tierra firme. Die Kapitel LXIX bis LXXVIII widmet er der Eroberung. Hauptsächlich stützt er sich hierbei auf mündliche Quellen und auf die Codices. Er will die Wahrheit darstellen, so wie sich die Indianer sie erzählen und sich erinnern. Dabei sind erstaunliche Abweichungen zu den Darstellungen des Bernal Díaz oder Cortés zu nennen. Z.B. schreibt er, Moctezuma sei nach der Steinigung durch Dolchstöße der Spanier getötet worden. Noch gegenwärtig steht die Frage, ob Moctezuma von den Spaniern oder den Indianern getötet worden ist, immer wieder zur Diskussion. Malinche erwähnt er lediglich im Kontext ihrer Übersetzungstätigkeit. Doch auch hier findet sich eine konträre Darstellung. Nach den Angaben des Diego Durán spricht Malinche bereits vor Cortés Ankunft Spanisch, da sie bereits ein Jahr zuvor für Grijalva dolmetschte.[24]

Der Franziskaner Fray Toribio de Motolina (?-1569) nennt in einem Brief an Kaiser Karl V.[25] am 2. Januar 1555 Malinche als die wichtigste Mittelsperson bei der Verbreitung des Christentums. Insgesamt enthält sein Bericht nichts Nennenswertes im Bezug auf Malinche.

Zwar auch äußerst knapp, dennoch interessant ist die Malinchedarstellung des Dominikaners Fray Bartalomé de Las Casas (1457-1566). Bis heute gibt es leider keine vollständige Edition seiner Werke. Die Werke, die relevant in Bezug auf Malinche sind, sind seine Historia de las India[26], und die Brevísima relación de la destruktión de las Indias occidentales[27], die erstmals 1552 in Sevilla veröffentlicht wird. Ersterem Werk erlegt Las Casas 1559 selbst ein vierzigjähriges Druckmoratorium auf. Es bleibt jedoch bis 1875 unveröffentlicht. Die Historia ist die genaueste Chronik der ersten drei Dekaden von Conquista und Evangelisierung. Sie ist mit der Apologética Historia Sumaria das einzige große Werk von Las Casas, von dem das Originalmanuskript erhalten geblieben ist. Es ist jedoch umstritten, ob es sich um das Gesamtmanuskript handelt.

Die Brevísima sorgt bereits kurz nach Erscheinen für Aufsehen. Nach vielen Auseinandersetzungen und Kämpfen der Gelehrten wird das Buch des Las Casas im Jahre 1660 vom Heiligen Tribunal in Zaragoza verboten. Es tauchen im Laufe der Zeit jedoch immer wieder neue Ausgaben auf. Bis heute ist der Wahrheitsgehalt der Werke Las Casas´ umstritten. Dieser Streit ist jedoch keine akademische Frage. Was zur Verhandlung steht, ist ein Völkermord, begangen an zwanzig Millionen Menschen.

Las Casas stellt sich, was die Maßnahmen seiner Landsleute betrifft, auf die Seite der Indianer und prangert sogar die ihnen von den Spaniern angetanen Greueltaten an (ohne jedoch die Namen der „Tyrannen“ zu publizieren[28]) und macht sich stark für ein Verbot der Sklaverei.[29] Er kritisiert mit äußerster Schärfe das Vorgehen der Eroberer und Kolonisten und liefert damit auch der „Leyenda Negra“ das beste Material. In dem Streitgespräch von Valladolid im Jahre 1552 konkurrieren Sepulveda und Las Casas vor einem Tribunal von Rechtsgelehrten und Theologen mit ihren Thesen zur Indianerfrage. Während Sepulveda, sich auf Aristoteles stützend, von der Ungleichheit des Menschen spricht, und damit die Sklaverei von Geburt an propagiert, stützt sich Las Casas auf die Naturrechtslehre von Thomas von Aquin. Damit sympathisiert Las Casas auch mit Papst Paul III., der in der Bulle Veritas ipsas die Indianer als vernunftbegabte Wesen deklariert und deren Versklavung streng untersagt.

In Las Casas Kampf um die Rechte der Indianer hätte Malinche eine interessante Person für ihn sein können, jedoch erwähnt er sie kaum. Interessant sind seine Darstellungen dennoch. Zum einen, da sie zu den wenigen Zeugnissen gehören, die nicht pro-spanisch sind und zum anderen scheint Las Casas der einzige Zeitgenosse zu sein, der die „mühelose Verständigung“ anzweifelt.[30] Er hält es auch für unwahrscheinlich, daß Malinche schwierige Gesprächsinhalte, beispielsweise die, die Religion oder das Reich des Königs von Kastilien betreffen, vermitteln kann. Las Casas ist bis ins 20. Jahrhundert einer der wenigen, der die Problematik der Dolmetschertätigkeit sieht und ausführlich thematisiert.

2.1.4. Malinche in der Betrachtung Spaniens

Der Italiener Petrus Martyr de Angeleria verbreitet die ersten Informationen in Europa über die Entdeckung und Eroberung Amerikas. Er lebt seit 1487 am Spanischen Hof und wird unter Isabella und Ferdinand zum Mitglied des „Consejo de Indias“ und zum Chronisten berufen. Bereits ein Jahr nach der Entdeckung der Neuen Welt verfaßt er Briefe, die unter dem Namen Orbe Novo oder Décadas del Nuevo Mundo[31] 1530 veröffentlicht werden.

Er selbst reist nie nach Amerika. Als Quelle für seine Berichte nutzt er vorwiegend die Berichte von Cortés. Daher nennt er Malinche nicht in seinen Werken. Er erwähnt die Schenkung von zwanzig Sklavinnen, ohne explizit Malinche zu nennen. Die Ereignisse von Cholua verbindet er mit einem Mädchen aus Cempoala. Auch als Dolmetscherin erwähnt er sie nicht.

Francisco Lopez de Gomara (1511-1572?) gehört ebenfalls zu den Historikern, die über die Eroberung Amerikas berichten, ohne selbst je dort gewesen zu sein. Auch seine Hauptquelle sind die Berichte von Cortés. 1552 schreibt er seine Historia General de las Indias,[32] in der er die Verdienste der Eroberung allein Cortés zuspricht. Malinche schenkt er wenig Aufmerksamkeit, hebt jedoch ihre Bedeutung für den Sieg der Spanier hervor.

Einige Unstimmigkeiten im Bezug auf das Werk von Bernal Díaz stechen einem ins Auge. Er spricht z.B. von mehreren Kindern, die Malinche mit Cortés hatt und nennt einen anderen Geburtsort.

Gomara sympathisiert mit der These Selpulvedas, daß alle Indianer von Natur aus Sklaven seien. Sein Bild der Indianer ist von Abscheu und Herablassung gekennzeichnet. Diese Verachtung geht so auch mit ein in die Darstellung Malinches.

[...]


[1] Le Goff (1992): S. 29

[2] Dr. G. A. Narciß gibt diese Erklärung im Anhang der „Wahrhaften Geschichte“ an. Vgl.: Bernal Díaz (1965): S. 789.

[3] Idb. S. 191.

[4] Ob es sich bei diesem Tag wirklich um ihren Geburtstag handelt, ist ebenso umstritten, wie sich später noch zeigen wird.

[5] Vgl. Carmen Wurm (1996): Donna Marina, La Malinche. Eine historische Person und ihre literarische Rezeption: 20 f.

[6] Zu dieser Thematik liefert beispielsweise der Aufsatz Konstruktionsversuche nationaler und ethnischer Identität in der amerikanischen Literatur von Werner Sollors in „Nationale und kulturelle Identität“: S. 536 – 571 eine genauere Auseinandersetzung.

[7] Die Arbeit beruft sich auf folgendes Werk: Ferdinand Cortez: Die Eroberung von Mexiko. Drei eigenhändige Berichte von Ferdinand Cortez, Hamburg 1907. Der erste Brief ist nicht vorhanden. In der Forschung wird meist ein Brief seiner Soldaten aus Veracruz an den König als Ersatz herangezogen. Er wurde zur gleichen Zeit geschrieben. So liegt die Vermutung nahe, daß die Inhalte ähnlich sind.

[8] Cortés: Zweiter Brief, S. 87.

[9] In einigen historischen Werken wird geschrieben, daß Cortés Malinche nie namentlich erwähnt. Wurm vermutet, daß dies auf Unkenntnis des 5. Briefes zurückzuführen sein könnte, da dieser erst im 18. Jahrhundert aufgefunden wurde. Vgl.: Wurm (1996): S. 40.

[10] Vgl. ibd..

[11] Andrés de Tapia: Relacion hecha por el señor Andrés den Tapia, sobre la Conquista den Méxiko, in : J. G. Icazbalceta (Hrsg.) : Colección de documentos para la historia de Méxiko, Bd. 2, Nendeln/ Liechtenstein 1971, S. 554ff.

[12] Francisco de Aguilar: Relación Breve de la Conquista de la Nueva España, Mexiko 1954.

[13] Dieser Arbeit liegt folgende Ausgabe zu Grunde: Bernal Díaz del Castillo: Denkwürdigkeiten des Hauptmanns Bernal Diaz del Castillo oder Wahrhafte Geschichte der Entdeckung und Eroberung von Neuspanien (Mexiko), Stuttgart 1965. Im weiteren Verlauf wird die „Wahrhafte Geschichte“ abgekürzt mit W.G.

[14] Später überarbeitete Bernal Díaz sein Werk jedoch noch ein mal.

[15] W.G.: S. 19.

[16] Vgl. z.B. Francisco de Gómara: The Conquest of the Weast India, University Microfilms, INC., 1966. Diese Zentrierung auf Cortés findet sich auch in Cortés Berichten selbst. Beide Schriften waren bereits veröffentlicht und Bernal Díaz zugänglich.

[17] W.G.: S. 660.

[18] Ibd.: S. 98.

[19] Ibd.

[20] Sahagún ordnete seine Berichte und stellte so die Historia General de las cosas de Nueva España zusammen und teilte sie in zwölf „Libros“. Das Libro XII behandelt die Conquista. In dieser Arbeit beziehe ich mich auf folgendes Werk: „Sie suchen nach dem Gold wie Schweine“. Die Eroberung Mexiko-Tenochtitlans aus indianischer Sicht. Zusammengestellt und bearbeitet nach Bildern und Texten von Bernal de Sahagún, Hrsg. v. Karl Braun, Tübingen 1982.

[21] Von den drei Originalen, die Ende des 16. Jahrhunderts angefertigt wurden, ist keins mehr erhalten. Das letzte ging im 19. Jahrhundert verloren. Es existieren nur noch Kopien.

[22] Das Original lag mir nicht vor, die Informationen habe ich Wurm entnommen. Vgl. Wurm (1996): S. 49.

[23] Vgl. Wurm (1996): S. 49.

[24] Das Original lag mir nicht vor, die Informationen habe ich Wurm (1996): S. 53 entnommen.

[25] Carta de Fray Toribio de Motolinia al Emperador Carlos V, in: J. G. Icazbalceta, Bd. 1: S. 275.

[26] Bartalomé de Las Casas: Historia de las Indias, in: Werkauswahl Bd. 2.: Historische und ethnologische Schriften, Paderborn 1995. In dieser Werkauswahl sind einige Passagen, die Malinche betreffen, nicht enthalten. Diese entnehme ich daher anderen Ausgaben, die im weiteren Text dann gekennzeichnet werden. Eine vollständige Übersetzung der Historia in anderer Sprache liegt -erstaunlicherweise- nur im Japanischen vor.

[27] Dieser Arbeit liegt folgende Ausgabe zugrunde: Bartolomé de Las Casas: Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder, Frankfurt am Main 1966.

[28] Dies, weil diese ihre Entlarvung als „Tyrannen“ nicht auf sich sitzen lassen würden.

[29] Auf Las Casas sind die 1542/43 erlassenen Indianerschutzgesetze zurückzuführen und damit auch die Abschaffung der Indianersklaverei.

[30] Zitate befinden sich in der Biographie, auf eine Wiederholung wird daher hier verzichtet.

[31] Pietro Martire d´ Anghiera: The Decades of the Newe Worlde or West India, University Microfilms, INC. 1966.

[32] Mir liegt folgende Ausgabe vor: Francisco López de Gómara: The Conquest of the Weast India, University Microfilms, INC., 1966.

Ende der Leseprobe aus 85 Seiten

Details

Titel
Die Erfindung der Malinche - Kognitive Konstrukte einer historischen Figur
Hochschule
Universität Bremen
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
85
Katalognummer
V33437
ISBN (eBook)
9783638339155
Dateigröße
860 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erfindung, Malinche, Kognitive, Konstrukte, Figur
Arbeit zitieren
Christine Häßler (Autor:in), 2003, Die Erfindung der Malinche - Kognitive Konstrukte einer historischen Figur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33437

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