In den letzten Jahrhunderten waren die gesellschaftlichen Grundlagen und die Bedeutung der Ehe im Abendland einem tiefgreifenden Wandel unterzogen. Aus historischer Perspektive ist es insbesondere das Konzil von Trient, das als Wendepunkt weg von der traditionellen, sozioökonomischen Sachehe genannt werden muss. Denn im Zuge der Bestätigung der Ehe als Heiliges Sakrament machte die Kirche ihren diesbezüglichen Standpunkt deutlich und unterstrich den Konsenscharakter der damit unauflöslichen Verbindung zwischen Mann und Frau. Vor dem Hintergrund der kulturellen Verunsicherung bezüglich des Rollenverständnisses der Geschlechter in der Gesellschaft kann die damit verbundene ideelle Aufwertung der Frau als einer der zentralen Aspekte des Individualisierungsprozesses hinsichtlich einer selbstbestimmten Partnerwahl betrachtet werden. Die am Ende des 18. Jahrhunderts, verbunden mit dem Aufstieg der Bourgeoisie, entstandene bürgerliche Ehe markiert einen wichtigen Einschnitt im gesellschaftlichen Zusammenleben zwischen den Geschlechtern. Zwar galten unverändert materielle und standesspezifische Voraussetzungen als Grundlage einer Partnerwahl, doch sollten nun auch emotionale Aspekte in der Partnerschaft eine Rolle spielen. Im Lichte der aufklärerischen Philosophie bildet die Debatte um die Institution Ehe und die Ordnung der Geschlechter, beginnend mit der Denkschrift des Benediktinermönchs Fray Benito Jerónimo y Montenegro Defensa de las mugeres (1726) einer der Themenschwerpunkte des 18. Jahrhunderts. Auch in Spanien stand die Aufklärung im Zeichen eines Verfalls der Ständeordnung und bald würde das Bedürfnis nach komfortablem und luxuriösem Leben alle Volksschichten erfassen, was in entscheidendem Maße die Heiratspolitik beeinflussen sollte.
Einer der prinzipiellen Verfechter des Selbstbestimmungsrechts der Frau bei der Wahl des Ehepartners war Leandro Fernández de Moratín. Dessen Kritik und der damit einhergehende Bedeutungsverlust des bestehenden Theaters des Siglo de Oro basierten überwiegend auf dem in diesem vertretenen und im Zuge der gesellschafts-politischen Veränderungen ins Wanken geratenen Gesellschaftsmodell. [...]
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- 1 Einleitung
- 2 Kulturhistorische Grundlagen zum Wandel der Ehe als Institution und Geschlechterbeziehung...
- 2.1 Die Entwicklung der Ehe in Europa bis zum 17. Jahrhundert
- 2.2 Der Wandel zum neuen Modell der Ehe: Die bürgerliche Ehe
- 3 Die Debatte um die matrimonios desiguales im Spiegel Moratíns neoklassizistischer Komödie
- 3.1 Kritik der Aufklärer am Theater des Siglo de Oro.
- 3.2 Moratíns El sí de las niñas als Musterbeispiel einer neoklassizistischen Komödie
- 3.3 Analyse der Heiratsdarstellung in El sí de las niñas.
- 4 Goyas Kritik an der zeitgenössischen Heiratspraxis im Verwirrspiel mit der medialen Strategie der Ambiguisierung
- 4.1 Die Vorarbeiten zu den Caprichos
- 4.2 Los Caprichos: Gesellschaftskritik im Zusammenspiel mit künstlerischer Innovation
- 4.3 Analyse der Darstellung der Heirat in Goyas Caprichos am Beispiel von Capricho 2 und 14
- 5 Divergenzen zwischen Moratíns Theater und Goyas Caprichos_
- 6 Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Diese vergleichende Analyse befasst sich mit der Darstellung der Heiratspolitik im Kontext der Aufklärung in Spanien, insbesondere anhand der Werke von Leandro Fernández de Moratín und Francisco de Goya. Die Arbeit untersucht, wie diese Künstler die Herausforderungen und Veränderungen der Ehe in der sich wandelnden Gesellschaft des 18. Jahrhunderts reflektierten.
- Der Wandel der Ehe als Institution vom traditionellen Modell zur bürgerlichen Ehe
- Die Kritik an ungleichen Ehen (matrimonios desiguales) und die Debatte um die Rolle der Frau in der Gesellschaft
- Der Einfluss der Aufklärungsideen auf das Verständnis von Liebe, Freiheit und Selbstbestimmung in der Ehe
- Die Darstellung der Heiratspolitik in Moratíns neoklassizistischer Komödie El sí de las niñas
- Goyas Kritik an der zeitgenössischen Heiratspraxis in seinen Caprichos
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Die Einleitung führt in die Thematik der Heiratspolitik in der Aufklärung ein und beleuchtet den historischen Kontext sowie die Relevanz des Themas. Kapitel 2 untersucht die Entwicklung der Ehe in Europa bis ins 17. Jahrhundert und zeichnet den Wandel hin zur bürgerlichen Ehe im 18. Jahrhundert nach. In Kapitel 3 steht Moratíns neoklassizistische Komödie El sí de las niñas im Fokus. Hier wird analysiert, wie Moratín die Kritik der Aufklärer am Theater des Siglo de Oro in seine Arbeit einbringt und wie er die gängige Heiratspraxis in Frage stellt. Kapitel 4 beschäftigt sich mit Goyas Caprichos und untersucht, wie der Künstler in seinen Radierungen die zeitgenössische Heiratspolitik und gesellschaftliche Missstände kritisiert. Das Kapitel beleuchtet insbesondere die Ambiguisierung der Heirat im Werk Goyas.
Schlüsselwörter (Keywords)
Heiratspolitik, Aufklärung, Spanien, Moratín, Goya, El sí de las niñas, Caprichos, neoklassizistisches Theater, bürgerliche Ehe, Geschlechterrollen, Gesellschaftskritik, Ambiguisierung, Kunst und Gesellschaft.
- Arbeit zitieren
- Patrick Poliudovardas (Autor:in), 2014, Heiratspolitik in aufklärerischer Perspektive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/334536