Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
Inhaltsverzeichnis Anhang
1. Einleitung
2. Wirklichkeit und Traum bei Descartes
2.1. Über die Konstruktion von Wirklichkeit in den Meditationes de prima philosophia
2.2. Erörterung eines Traumbegriffs
3. Wirklichkeit und Traum in Inception
3.1. Vorikonographische Beschreibung der Handlung
3.2. Der Traum im Traum - Struktureller Aufbau des Spielfilms
3.3. Der Versuch einer Befestigung: Das Totem
4. Die Umsetzung des Traumbegriffs Descartes‘ in Inception
Anhang
Literaturverzeichnis
INHALTSVERZEICHNIS ANHANG
1. Figurenverzeichnis Inception
2. Begriffe im Film
A Dream Within a Dream Samira Kleinschmidt
1 EINLEITUNG
“Take this kiss upon the brow! And, in parting from you now, Thus much let me avow- You are not wrong, who deem That my days have been a dream; Yet if hope has flown away In a night, or in a day, In a vision, or in none, Is it therefore the less gone? All that we see or seem Is but a dream within a dream.
I stand amid the roar Of a surf-tormented shore, And I hold within my hand Grains of the golden sand- How few! yet how they creep Through my fingers to the deep, While I weep- while I weep! O God! can I not grasp Them with a tighter clasp? O God! can I not save One from the pitiless wave? Is all that we see or seem But a dream within a dream?”1
In seinem Gedicht A Dream within a Dream beschreibt der Autor Edgar Allan Poe die Unwirklichkeit einer Begegnung. Sie scheint zeitgleich real und löst im Lyrischen Ich die Assoziation an einen Traum aus, so dass es sich nicht sicher sein kann, ob sie wahr ist oder nicht. Was ihm zuvor glasklar erscheint - dass alles, was wir sehen und was wir zu sein scheinen, nur ein Traum in einem Traum ist -, zieht es zum Schluss des Gedichts wieder in Zweifel. So ist letztendlich nichts gewiss; das Lyrische Ich bleibt in einem Zustand, in dem es sich nicht sicher sein kann, ob das, was es für wahr hält, nicht nur ein Traum ist und umgekehrt.
Der Traumbegriff Descartes‘ und dessen Umsetzung im Spielfilm Inception von Christopher Nolan Um diese Ungewissheit soll es in der vorliegenden Arbeit gehen. Den Zweifel als Ausgangspunkt nehmend, findet man beim französischen Philosophen René Descartes eine aufklärerische Herangehensweise an die Fragen der Metaphysik. In Descartes‘ Meditationes de prima philosophia wird, genau wie in Poes Gesicht, in Zweifel gezogen, was mit den Sinnen erfahren wird. Eine radikale Erkenntnis dieser Sichtweise ist, dass nichts, was man für wahrhaftig hält, es auch tatsächlich ist. So könnten wir alle träumen, ohne es zu merken oder wach sein, in dem Glauben zu träumen. Diese Grundannahme, die in den Meditationes formuliert wird, dient in dieser Arbeit als Grundlage für die Auseinandersetzung mit der Distinktion von Traum und Wirklichkeit in Christopher Nolans Spielfilm Inception.
Der Spielfilm Inception, der 2010 in die Kinos kam und eine der beliebtesten Arbeiten des amerikanischen Regisseurs ist, enthält eine ähnliche Lesart; am Ende von Christopher Nolans Film ist sich der Zuschauer nicht sicher, was von dem, was dem Protagonisten passiert ist, ein Traum und was wahr gewesen ist. In dieser Arbeit soll untersucht werden, wie sich Descartes‘ diskursiver Ansatz in der Erzählstruktur und der daraus folgenden Konstruktion von Wirklichkeit und unterschiedlichen Bedeutungsebenen des Films wiederfindet, der über 500 Jahre später erschien.
Dazu wird zunächst das Verhältnis von Wirklichkeit und Traum, wie man es bei Descartes findet, erklärt. Der Traumbegriff des Philosophen wird anhand seines Hauptwerks erörtert.
Nachdem im weiteren Verlauf zunächst die Handlung und anschließend werkimmanent1 mögliche Strukturen von Wirklichkeit und Traum in Inception mithilfe vorikonographischer Beschreibung und ikonologischer Gegenstandsanalyse erklärt werden, erfolgt in einer abschließenden Zusammenführung die Untersuchung, wie man Descartes‘ Wirklichkeitskonstruktion in Nolans Film umgesetzt findet.
2 WIRKLICHKEIT UND TRAUM BEI DESCARTES
2.1 Über die Konstruktion von Wirklichkeit in den Meditationes de prima philosophia
Die Wirklichkeit, wie Descartes in seinem Hauptwerk herausstellt, ist eine von uns selbst erschaffene. Sie ist abhängig von dem, was wir subjektiv erfahren und nicht mehr - aber auch nicht weniger - als eine Konstruktion des Gehirns1. Diese Struktur beruht auf der Annahme, das Ich sei stets in einem dynamischen Prozess von Bestimmtheit und Offenheit, das nur dann ist, wenn es sich die Frage nach sich selbst, reflexiv, immer wieder erneut stellt. Descartes konstituiert das Ich als eines, das sich nur durch das Denken allein definieren kann; die Wahrnehmung wird zum subjektiven Instrument der Identifikation. Identifikation geschieht hier durch das Denken, der einzigen ontischen Gewissheit, die dem Ich erlaubt ist: „Ich denke, also bin ich“2.
Das bedeutet, es gibt niemals eine einzige Wirklichkeit, sondern stets unzählige, nebeneinander existierende Wirklichkeiten, die davon abhängig sind, wie das Subjekt sie wahrnimmt.
Doch wie auch das Ich sich stets in einem Prozess befindet, in dem es gleichzeitig offen und bestimmt ist, so ist auch die Wirklichkeit des Ichs, die durch durch den Geist wahrgenommene Objekte konstruiert wird, so muss auch diese Wirklichkeit immer wieder hinterfragt werden - schließlich kann man sich nicht sicher sein, ob das, was sinnlich erfahren wird auch wirklich ist oder ein zugewiesenes Element innerhalb eines weiteren, größeren Denkprozesses ist und in wie fern dieser die anderen affiziert.
Das bedeutet, der Beweis einer Existenz, - einer Wahrheit, - liegt lediglich darin, dass wir denken, dass wir sie sehen/fühlen/hören/schmecken/riechen/erfahren oder Der Traumbegriff Descartes‘ und dessen Umsetzung im Spielfilm Inception von Christopher Nolan sie uns vorstellen. Sie wird in dem Moment wirklich, in dem wir sie zu einem Teil unseres Denkens machen. Im Umkehrschluss heißt das, alles, was wir denken wahrzunehmen, beweist sich durch uns selbst; es ist abhängig von uns und wir sind es von dem, was wir denken. Nichts ist gewiss, außer den Dingen, die wir innerhalb dieser Gedanken zugewiesen haben, welche selbst jederzeit anders zugewiesen werden können.
Dieses Loslösen von sinnlichen Erfahrungen unter der Prämisse des Zweifels und mit dem Wissen, dass man sich auf diese nicht verlassen kann1, macht es möglich, sich von äußeren Objekten loszulösen, die zuvor bestimmen, was wahr und was unwirklich sein soll. Auch die Distinktion zwischen Traum und vermeintlichem Wachzustand ist nur darüber zu erklären, wie mithilfe äußerer Objekte die beiden Zustände zugewiesen werden.
Wenn wir nun denken, dass wir träumen, so eröffnet dies die Möglichkeit, dass wir zwar denken wir träumten, es aber gar nicht tun - und umgekehrt. So lässt sich niemals eine abschließende Aussage darüber treffen, ob wir nun träumen oder wach sind.
2.2 Erörterung eines Traumbegriffs
Auch wenn Descartes seinen Traumbegriff nicht explizit in den Meditiationes herausarbeitet, so lässt er sich anhand verschiedener Textstellen ableiten.
Wenn das Ich den Eindruck hat, es träumte, so kann es das zwar innerhalb seiner eigenen Gedanken als Traum zuweisen, aber niemals sicher sein, ob dieses auch wahrlich erträumt oder tatsächlich Wirklichkeit ist1. Die Voraussetzung für eine Täuschung ist jedoch die Existenz einer Wirklichkeit - oder zumindest einer Wirklichkeitsebene die als solche vom Subjekt bezeichnet ist.
„So sehe ich unverhohlen, dass der Wachzustand niemals aufgrund sicherer Anzeichen vom Traum unterschieden werden kann“2, schließt Descartes. Der Wachzustand wird lediglich durch das Subjekt festgelegt und ebenso ist der Traum subjektiviert, vom Wahrnehmenden zugewiesen.
„Meinetwegen, dann träumen wir also“3, räumt Descartes ein. Die Dinge, die sich in Traum- oder Wachzustand manifestieren, sind nur dann eindeutig zuzuordnen, wenn sie in einem Selbstbezug stehen; indem sie sich durch sich selbst bestimmen4. Das Subjekt nimmt sie wahr, nimmt sie so in sich hinein und erst dadurch wird das Ding, das Objekt existent - und zwar so, wie es das Subjekt wahrnimmt.
Entsprechend dieser Beschreibungen lässt sich der Traumbegriff Descartes‘ wie folgt definieren: Der Traum ist
- durch das Denken des Subjekts gesetzt. Erst diese Zuweisung macht den Traum zum Traum.
- nur durch die Wahrnehmung von Objekten durch das Subjekt als solcher zu identifizieren.
- nie sicher ein Traum; es ist möglich, dass das Subjekt denkt, dass es träumt. Wachzustand und Traum lassen sich niemals allgemeingültig voneinander trennen.
- eine konstruierte Wirklichkeit, die sich von einer alternierenden, als Wachzustand bezeichneten, konstruierten Wirklichkeit durch vom Subjekt gesetzte Kriterien unterscheidet.
Die Auffassung von Wirklichkeit, die das aufgeklärte Ich kausal konstruiert lässt sich also auf den Traum übertragen. Er ist reflexiv auf sich selbst bezogen, wie es auch das Ich ist. Die strukturellen Kriterien einer aufgeklärten Fundierung des Ichs und des Objekts lassen sich auf den Traum übertragen, wie sich bei Descartes gezeigt hat.
[...]
1 Edgar Allan Poe: A Dream within a Dream.1849 http://en.wikisource.org/wiki/The_Works_of_the_Late_Edgar_Allan_Poe/Volume_2/A_Dream_within_a_Dream (03.09.14)
1 Zum besseren Verständnis des dritten Kapitels dieser Arbeit ist im Anhang ein Personen- sowie ein Begriffsverzeichnis zu finden, welches die im Film verwendeten und ihm eigenen Elemente erklärt. Vor allem im zweiten Unterkapitel des dritten Kapitels wird empfohlen, diese heranzuziehen, falls man mit dem Spielfilm nicht vertraut ist.
1 Vgl. Descartes, René (2008 1641): Meditationes de prima philosophia. Wohlers, Christian (Übers. und Hg.). Hamburg (Felix Meiner). S. 175.
2 Descartes, René (2011 1637): Discours de la Méthode. Wohlers, Christian (Übers.). Hamburg (Felix Meiner). S. 59.
1 Vgl. Descartes, René (2008 1641 ): Meditationes de prima philosophia. Wohlers, Christian (Übers. und Hg.). Hamburg (Felix Meiner). S. 35
1 Vgl. Descartes, René (2008 1641 ): Meditationes de prima philosophia. Wohlers, Christian (Übers. und Hg.). Hamburg (Felix Meiner). S. 35.
2 Ebd. S. 37.
3 Ebd. S. 37.
4 Ebd. Vgl. S. 39.