Jürgen Kockas "Geschichte des Kapitalismus". Entwicklungen seit der Antike bis zur heutigen Finanzialisierung

Eine Rezension


Rezension / Literaturbericht, 2016

13 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsangabe

1. „Geschichte des Kapitalismus“

2. Inhaltsangabe
2.1 „Was heißt Kapitalismus?“
2.2 „Kaufmannskapitalismus“
2.3 „Expansion“
2.4 „Der Kapitalismus in seiner Epoche“
2.5 „Ausblick“

3. Der Autor

4. Die Monographie im entwicklungstheoretischen Diskurs

5. Fazit

Literatur und Quellen

1. „Geschichte des Kapitalismus“

Die Entstehung der Begriffe „Kapitalismus“ oder „kapitalistische Produktionsweise“ als Bezeichnung für unser heutiges Wirtschaftssystem geht in die Zeit von Marx zurück. Der Kapitalismus bedeutete für Marx vor allem den Klassengegensatz des arbeitenden Proletariats und der Bourgeoisie, den Kapitalisten, die die Produktionsmittel besaßen. Adam Smith beschrieb schon lange vor Marx, im 18. Jahrhundert, erste ökonomische Gesetzmäßigkeiten wie Angebot und Nachfrage.

Doch schon lange bevor der Kapitalismus und seine Funktionsweise beschrieben wurden und Einfluss auf die gesamte Gesellschaft nahmen, entwickelten sich kleine „Inseln“ kapitalistischen Handelns. Jürgen Kocka, ehemaliger Professor für Geschichte der industriellen Welt an der Freien Universität in Berlin, beschreibt in „Geschichte des Kapitalismus“ die ersten Anfänge von marktwirtschaftlichem Handeln in der Antike und im Mittelalter, die kapitalistische Gesellschaft seit Beginn der Neuzeit und den modernen Kapitalismus, beschleunigt durch die Industrialisierung, verändert durch den Fordismus bis hin zum heutigen neoliberalen Finanzkapitalismus.

In dieser Rezension beziehe ich mich auf die Version, die bei der Bundeszentrale für politische Bildung bpb in Bonn 2015 erschienen ist.

2. Inhaltsangabe

Auf knapp 130 Seiten geht Kocka in Kapitel I. zunächst auf den Begriff „Kapitalismus“ ein. Er beschreibt die Entstehung des kontroversen Begriffes und umreißt die Klassiker Marx, Weber und Schumpeter mit ihrer jeweiligen Definition des Kapitalismus. Nach weiteren Definitionen stellt Kocka eine Arbeitsdefinition für die Monographie auf. Kapitel II. widmet sich dem Kaufmannskapitalismus. Über frühe Ansätze etwa im Zweistromland, China und Arabien, Europa als „Nachzügler“ kommt Kocka zu einem Zwischenergebnis um 1500. Kapitel III. - „Expansion“ - zeigt die kapitalistische Entwicklung ab 1500 mit der ursprünglichen Akkumulation nach Marx im Kolonialismus, dem Aufkommen von Aktiengesellschaften und dem Finanzkapitalismus, Dreieckshandel und Industriekapitalismus, In IV. geht Kocka auf den modernen Kapitalismus seit der Industrialisierung ein; mit der Globalisierung, dem Wandel von Familienunternehmen zu von Managern geführten Aktiengesellschaften, der zunehmenden Finanzialisierung, dem Wandel der Lohnarbeit und dem Verhältnis von Markt und Staat.

2.1 „Was heißt Kapitalismus?“

Der heute noch sehr unscharf definierte Begriff „Kapitalismus“ habe sich durch die Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise entwickelt, also dem Einbehalten von Gewinnen zur Reinvestition, um die Produktivität zu steigern. Auch der Klassengegensatz von Proletariern und Kapitalisten macht den Begriff aus, wodurch der Begriff normativ aufgeladen sei. Alternativ werde daher auch vom „Marktwirtschaft“ gesprochen. Seit 2008 sei das Interesse am Kapitalismus stark angestiegen, was ein Boom von Seminaren zur Kapitalismusgeschichte an Universitäten zeige (S. 6).

Zentral für Marx sei im Kapitalismus der Markt mit seiner „gnadenlose[n], Grenzen überschreitende[n] Konkurrenz“. Der ursprünglichen Arbeit als gewaltvolle Enteignung folge nach Marx die weitere Akkumulation, das Reinvestieren von Gewinnen, die eigentlich dem Proletariat zustünden, als Selbstzweck. Zudem gebe es ein Spannungsverhältnis zwischen Kapitalisten, Unternehmern und den Arbeitern. Die Logik des Marktes dehne sich nach Marx in alle Lebensbereiche aus. Weniger dramatisch definiere Max Weber den Kapitalismus als rationales System, das auch durch nichtökonomische Systeme wie Staat, Religion, Ethik und Rechtssystem beeinflusst werde. Dabei sei sein Blick historisch breiter als der von Marx, beide vereine die soziale Ungleichheit, die der Kapitalismus erzeuge. Als System, das mit Rationalität und Innovationskraft zu Wachstum für alle und schließlich materiellen Wohlstand führt, beschreibe Joseph A. Schumpeter den Kapitalismus. Er sehe allerdings ein Ende, das das System sich selbst bereite: Indem der Kapitalismus die Großfamilie zerstöre, schade er seinem eigenen Kern. John Maynars Keynes habe an der ständigen Rationalität gezweifelt, Karl Polanyi habe einen Gegensatz von Markt und Gesellschaft gesehen. Er habe die entfesselten Marktkräfte als „satanic mills“ beschrieben und die vorkapitalistische Zeit stark romantisiert.

Die verschiedenen Definitionen der Autoren zeigen, dass der Begriff „Kapitalismus“ stets vielseitig definiert wurde, als System der Unterdrückung wie bei Marx, aber auch als Fortschrittsmotor wie bei Schumpeter. Bei allen Autoren findet sich aber der Trend zur Selbstauflösung des Kapitalismus, der mit seinem Wachstumsdrang die Gesellschaft regelmäßig erneuert, wie kein anderes System. Kocka hat hier den Diskurs um den Begriff sicherlich nur angekratzt, der Leser gewinnt allerdings eine Ahnung, wieso nicht schlicht mit dem Begriff weitergearbeitet werden kann, sodass Kocka schließlich zu einer Arbeitsdefinition für seine Monographie kommt. Kocka sieht individuelle Eigentumsrechte, die Koordinierung von Angebot und Nachfrage über Märkte und Preise und investierbares Kapital mit der Akzeptanz von Renditen und Unsicherheiten als zentral an.

2.2 „Kaufmannskapitalismus“

Bereits in der griechisch-römischen Antike habe es eine Kommerzialisierung des Alltags gegeben, einhergehend mit Gewinnstreben und Profit. Das Ziel sei allerdings nicht etwa Reinvestition und Produktivitätszuwachs gewesen, sondern vor allem Macht und Reichtum. Krieg und Beute seien kein seltenes Mittel gewesen, dieses Ziel zu erreichen. Kocka sieht das System nicht als kapitalistisch, erkennt aber die Geldwirtschaft als kapitalistische Eigenschaft an. Weiter geht er auf China, Arabien und Europa vor 1500 ein, die er ebenfalls nicht als kapitalistische Systeme auf heutigem Stand anerkennt. Er beschreibt allerdings „kapitalistische Inseln“, also eher das Verhalten einzelner Händler und nicht der gesamten Gesellschaft.

Während man in China zur Zeit des Konfuzianismus noch ablehnend gegenüber großer Ungleichheit gestanden habe, habe sich mit der Ausbreitung des Buddhismus im 8. Jahrhundert eine Kultur der Kapitalbildung und -vergabe entwickelt. In der Sung-Dyastie (960 – 1279) habe sich durch die Expansion der chinesischen Flotte der Fernhandel stark ausgebreitet. Folge sei ein Anstieg von exotischen Importprodukten gewesen. Auch habe in dieser Zeit die Zirkulation von Banknoten begonnen. Mit dem Einfall der Mongolen und der Ming-Dynastie habe der Fernhandel durch eine verstärkte Grenzsicherung gelitten, allgemein herrschte wachsendes Misstrauen gegenüber Kapitalakkumulation.

Vom 7. bis zum 13. Jahrhundert entwickelte sich der Islam zur Weltreligion. Schon 800 waren Mekka und Medina Kaufmannsstädte, das Islamische Reich mit seinen Marktstrukturen dehnte sich von Westasien über Nordafrika bis zur Iberischen Halbinsel aus, was den Zerfall des Römischen Reichs begünstigte. Die Expansion des Islam war keine kapitalistische, sondern durch Krieg und Gewalt geschehen. Die gemeinsame muslimische Kultur und arabische Sprache ermöglichten einen Fernhandel, der stabiler war als der chinesische. Es gab erste Anzeichen von Arbeitsteilung. Investitionen und Geldverleih mit Zins waren offiziell verboten, eine Umgehung durch Christen und Juden war allerdings möglich. Obwohl Händler ein großes Ansehen genossen, waren Staat und Wirtschaft strikt getrennt.

Auch in Europa beeinflusste das Ende des Römischen Reichs die Marktstrukturen. Religiös geprägte Kreuzzüge führten zu Akkumulation von Kapital, allerdings auch zum Aufbau von Fernhandel.

Man bildete bald genossenschaftliche Strukturen, etwa Handelsflotten, Kontore und bald die Hanse, um Kosten und Risiken zu teilen und damit zu minimieren. Die meist überdurchschnittlich gebildeten Kaufleute entwickelten einen Finanzkapitalismus mit Aktiengesellschaften und Banken. Der Zweck des Handels war allerdings oft Reichtum zur Repräsentation der Familie.

Der Kaufmannskapitalismus war von 500 bis 1500 ein globales Phänomen mit Europa als Nachzügler, der von Asien und Arabien lernte. Kocka sieht überall vor allem die Staatsbildung als zentrale Voraussetzung für die Marktbildung, etwa durch Eigentumsrechte und Sicherheit.

2.3 „Expansion“

Im folgenden Teil beschreibt Kocka die weitere Ausbeitung der kapitalistischen Handelsweisen hin zu einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft. Der im 16. Jahrhundert vorherrschende südeuropäische Kronkapitalismus mit einem Zuwachs von spanischen und portugiesischen Kolonien wurde im 17. Jahrhundert von den Niederlanden und ihrem Kaufmannskapitalismus abgelöst. Am Meer gelegen und mit einer starken Tendenz zur Verstädterung konnten die Niederlande eine moderne Wirtschaft, etwa mit Aktiengesellschaften und Kapitalmärkten, etablieren. Im 18. Jahrhundert folgte schließlich England als führende Kolonialmacht, das unterschiedliche Kolonien in unterschiedlichen Herrschaftsformen unterhielt, was sich heute noch zeigt: Die USA wurden früh unabhängig, Indien oder Hong Kong (heute der Volksrepublik China zugehörig) erst vor einigen Jahrzehnten und Australien und Kanada haben noch heute die Queen als Staatsoberhaupt. Kocka betont, dass die Expansion der Wirtschaften nicht bloß auf kapitalistische Tendenzen beruhte. Häufig spielten christlich-missionarische Ziele oder Verschuldung von „Entdeckern“ bei ihren Geldgebern eine Rolle. Der Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und Amerika brachte schließlich Reichtum, Rohstoffe und Konsumgüter nach Europa, was die Industrialisierung ankurbelte.

Spätestens mit den Niederlanden als führende Nation wandelte sich das Unternehmen. Konglomerate kamen auf, die monopolistisch auf politischen Druck hin arbeiteten. Die „Vereinigte Ostindische Companie“ etwa war eine Aktiengesellschaft, die quasistaatliche Strukturen in den Kolonien aufbaute und diese regierte. In den Niederlanden machte sie ihre Anteilseigner reich. Unternehmensanteile wurden bald börslich gehandelt, es entstanden erste Spekulationsblasen und generell ein Finanzkapitalismus. Das gesamte internationale Finanzwesen verlagerte sich schließlich nach Amsterdam, später nach London, neue, städtische Banken wurden gegründet, die die Finanzierung von Staatsausgaben erleichterten. Staatsschulden wurden üblich, bis es schließlich zu Schuldenschnitten für die öffentliche Hand kam.

[...]

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Jürgen Kockas "Geschichte des Kapitalismus". Entwicklungen seit der Antike bis zur heutigen Finanzialisierung
Untertitel
Eine Rezension
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Soziologie)
Veranstaltung
Einführung in die Entwicklungstheorie
Note
1,7
Autor
Jahr
2016
Seiten
13
Katalognummer
V335003
ISBN (eBook)
9783668248106
ISBN (Buch)
9783668248113
Dateigröße
760 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kocka, Kapitalismus, Entwicklungstheorie, Geschichte
Arbeit zitieren
Pascal Schneider (Autor:in), 2016, Jürgen Kockas "Geschichte des Kapitalismus". Entwicklungen seit der Antike bis zur heutigen Finanzialisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/335003

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