Das Definitionsproblem des Begriffs 'Dienstleistungen' in der ökonomischen Diskussion


Seminararbeit, 2003

26 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Probleme der Identifikation und Definition von Dienstleistungen
2.1 Vom Residuum zur Identifikation konstitutiver Merkmale
2.2 Prozess- und ergebnisorientierter Ansatz
2.3 Diskussion der gängigen Kriterien
2.3.1 Immaterialität
2.3.2 Externe Faktoren
2.3.3 Synchroner Kontakt
2.3.4 Nichtlagerfähigkeit
2.3.5 Auftragsindividualität
2.4 Positivdefiniton des Begriffs Dienstleistung

3. Dienstleistungen auf volkswirtschaftlicher Ebene
3.1 Ungenauigkeiten in der Handhabung des Begriffs der Dienstleistungen
3.2 Funktionale und sektorale Differenzierung wirtschaftlicher Tätigkeiten

4. Kernthema der ökonomischen Diskussion: Dienstleistungen als ökonomisch
expansiver Faktor?
4.1 Defizite der klassischen sektoralen Aggregation
4.2 Wachstumstheoretische Ansätze
4.3 Fourastié: Dienstleistung und Wachstumshoffnung
4.4 Kritik
4.5 Differenzierung: Der Verwendungszusammenhang
4.6 Baumol: Der nicht-progressive Sektor

5. Kritik und Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Paradigmenwechsel der politischen und ökonomischen Diskussion

Eine der ältesten paradigmatischen Begriffsbestimmungen ökonomischer Güter setzt bei einer Unterteilung in produktive und unproduktive Arbeit und deren Erzeugnissen an. Adam Smith sah in der materialverarbeitenden Fabrikarbeit einen produktiven Prozess, welcher durch seine werteschaffende Wirkung zum Wohlstand der Nation beiträgt. Smith ging damit einen Schritt weiter als die Physiokraten, welche den Wohlstand einzig als auf Grund und Boden basierend ansahen.

Die Verrichtung von Diensten jedoch galt für Smith als unproduktiver Arbeitsprozess, da sich dieser nicht in einem stofflichen Gut materialisiere, das einen tausch- oder lagerfähigen Gegenwert besitze und auf der Inputseite nur menschliches Tun und keine stofflichen Dinge brauche.

Dienstleistungen wurden unter dieser Perspektive nicht als eigenständiger Bestandteil der Ökonomie identifiziert und lediglich unter den Begriff der unproduktiven Arbeit subsumiert.

J.B. Says Kritik an Smith’ Handhabe der ökonomischen Arbeit und Güter führte zu einem erweiterten Paradigma, das auf einer Weiterführung der Gedanken bezüglich der werteschaffenden Arbeit aufbaut: Wenn Smith über den Wert des Bodens hinausgehend auch diejenige Arbeit, welche Werte an materiellen Gegenständen schafft, als produktiv und wohlstandsmehrend ansieht, warum sollte nicht auch Arbeit ohne stoffliche Grundlage und materielles Resultat als werteschaffend betrachtet werden? „Es gebe eben Produkte, deren Consumption im Augenblicke ihrer Schöpfung erfolgt und die durchaus einen Tauschwert hätten: Dies heiße ich ein immaterielles (körperloses) Gut.“[1]

Marx greift diesen Gedanken bezüglich der Dienste später auf, wenn er beispielhaft die Ortsveränderung selbst als das Produkt der Transportindustrie bezeichnet. Marshall wiederum nähert sich Smith mit der Betonung der menschlichen Tätigkeit auf der Outputseite - als Objekt der Nutzenstiftung.[2]

Dies sind auch die gängigen Herangehensweisen, Dienstleistungen gegenüber anderen Gütern (denn als diese wurden sie im Laufe der theoretischen Behandlung allmählich akzeptiert) abzugrenzen: Immaterielles Produkt und maßgeblich menschliche Tätigkeit als Produkt.

In diesen kurzen Ausführungen finden sich bereits einige der in der klassischen Debatte des 19. Jahrhunderts über die theoretische Einordnung der Dienstleistungen relevanten Kriterien, die ebenfalls in den Diskussionen des 20. Jahrhunderts über die Bedeutung der Dienstleistungen für die gesamtökonomische Entwicklung bis in die heutige Zeit herangezogen werden.

Namentlich sich dies Kriterien wie: unproduktive Arbeit, Nichtstofflichkeit des Prozesses und Ergebnisses, daraus resultierend: Resistenz gegen Rationalisierung, fehlende Lager- oder Transportfähigkeit, zwischenmenschlicher Kontakt und raum-zeitlich fixierte Leistungserbringung etc.

In der (polit-) ökonomischen Diskussion der Dienstleistungen hat sich somit seit Smith eine spezifisch wirtschaftswissenschaftliche (diffuse) Art ihrer Abgrenzung von anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten herausgebildet. Smith’ Erkenntnis der unproduktiven Arbeit, die keinen greifbaren Wert schafft, sowie Says „immaterielles Produkt“, das - ähnlich Marx’ Feststellung - im Moment der Erzeugung verkonsumiert wird – dies sind Kriterien, die bis in die heutige Zeit in der ökonomischen Diskussion nachwirken und trotzdem nicht minder fragwürdig bezüglich ihrer Anwendbarkeit geworden sind. Dienstleistungen als Kategorie des Wirtschaftsprozesses ergeben sich meist als Residuum („alles, was nicht Produktion ist“), Wirtschaftsstatistiken verfahren ähnlich ungenau (s. 3.1).

Dieser Zustand der Ermangelung einer Definition anhand trennscharfer Kriterien ist doppelt unbefriedigend: Zum einen, weil die Fundierung einer Theorie (einerlei ob ökonomisch oder soziologisch) bezüglich eines Erkenntnisobjekts wie Dienstleistungen von einer klaren Vorstellung über eben jenes Objekt abhängt. Zum anderen knüpfen gerade die Ökonomen große Erwartungen (negative wie positive) an die gesamtökonomische Entwicklung, welche seit Mitte des 20. Jahrhunderts scheinbar immer stärker mit der Entwicklung der Dienstleistungen verknüpft ist. Ebenso widmet sich die Soziologie verstärkt dieses Themas, da mit Veränderungen und Umbrüchen der Ökonomie auch stets gesellschaftliche Wandlungen verbunden sind und umgekehrt.

Das Fatale hierbei ist, dass die Verschiedenheit der Perspektiven und Ansätze, sich den Dienstleistungen und deren Definition zu nähern, zu mindestens ebenso vielschichtigen und kontroversen Aussagen über die Entwicklung der Wirtschaft sowie den Wandel der Gesellschaft zu einer postindustriellen (Dienstleistungs-) Gesellschaft führt.

Mit dem Wissen, dass jegliche Aussage oder Schlussfolgerung relativierbar und revidierbar ist, ist es nicht minder unbefriedigend sich eines bestimmten Ausschnitts der Dienstleistungsdiskussion zu widmen, es sei denn man geht auf den Kern dieser Themen zurück: Theoretische Ansätze und Alternativen zur Fundierung eines Dienstleistungsbegriffs.

2. Probleme der Identifikation und Definition von Dienstleistungen

2.1 Vom Residuum zur Identifikation konstitutiver Merkmale

Huber[3] unternimmt den Versuch einer Abkehr von klassischen Definitionsansätzen in Form von Aufzählungen oder Negativdefinitionen, da hierbei keine eindeutigen Kriterien zur Identifikation von Dienstleistungen angeboten werden und, im Falle der Negation, lediglich gesagt wird, was Dienstleistungen nicht sind.

Theoretische Definitionsbemühungen sollten jedoch darauf ausgerichtet sein, den Wesenskern zu erfassen, spezifische Merkmale positiv zu definieren und die Zuordnung zu einer Gütersystematik zu ermöglichen.

In seinem Ansatz, Dienstleistungen prozess - und ergebnisorientiert zu definieren, nähert sich Huber m. M. mittelbar soziologischer Ansätze, Dienstleistungen unabhängig vom stofflichen oder nicht-stofflichen Charakter kontextbezogen zu untersuchen, d.h. es werden Charakteristika der Nachfrage und des Angebots jeweiliger Güter, sowie die Position dieser Güter im ökonomischen Zusammenhang untersucht. Auf die Möglichkeiten, Dienstleistungen in ihrem ökonomischen Verwendungszusammenhang zu beschreiben, wird später noch vertiefend eingegangen.

An dieser Stelle soll zunächst Hubers prozess- und ergebnisorientierter Ansatz und seine Diskussion der klassischen Kriterien zur Bestimmung von Dienstleistungen skizziert werden. Diese Kriterien sind seit Jahrzehnten – trotz ihrer nicht immer trennscharfen Aussagen – in der ökonomischen Literatur zu finden: Immaterialität, der externe Faktor, synchroner Kontakt, Nichtlagerfähigkeit und Auftragsindividualität.

2.2 Prozess- und ergebnisorientierter Ansatz

Von Ergebnisorientierung kann dann gesprochen werden, wenn die Betonung auf dem Interesse des Leistungsnehmers am Resultat des Dienstes liegt (Ortsveränderung durch Flugreise; Stillung des Hungers in einem Restaurant). Die Prozessorientierung hingegen weist auf die Bedeutung des zeitlich andauernden Leistungsvorganges und somit auf den Prozess der Ausführung eines Dienstes hin (Leistungsqualität einer Airline während des Fluges; Genuss des Ambientes eines Restaurants).

Die Ergebnisorientierung zielt auf die Verwertbarkeit der Ergebnisse auf dem Markt, wobei sich hier allerdings Zweifel einschleichen müssen, ob jede Leistungserbringung auch in einem Ergebnis mündet. Bspw. können die Bemühungen von Lehrenden an Schulen erfolglos sein, ebenso kann der Orchesterbesuch mit Unbefriedigung enden. Unstrittig ist hierbei allerdings der prozesshafte Charakter der Leistungen, da Unterricht und Orchesterbesuche unzweifelhaft zeitlich andauernde Prozesse sind.

D.h. Dienstleistungen können in einem ersten Schritt als Prozesse beschrieben werden, die nicht unbedingt an ihrem Ergebnis festzumachen sind.

In einem nächsten Schritt kann der Dienstleistungs prozess dann wiederum nach den Motiven der Nachfrage differenziert werden: zeitdauerorientiert und ergebnisorientiert.

„Bei ersteren entsteht die Nachfrage um des Vorganghaften, also um des Prozesscharakters selbst willen, es ist also kein Endergebnis als Zielvorgabe definiert.“ (Huber 1992, S. 9) Dies betrifft vor allem Dienstleistungen, welche einen ästhetischen Genuss vermitteln. Ergebnisorientierte Dienste zielen auf die Erstellung eines finalen Resultats; dies kann jedoch nicht immer unproblematisch von der Zeitdauerorientierung getrennt werden (First-Class-Flug: Ortsveränderung als Resultat, Service währenddessen als zeitdauerorientierter Prozess).

Der Ansatz der Prozessorientierung geht somit über die übliche ökonomische Herangehensweise hinaus und deutet mitunter daraufhin, dass Huber (als Ökonom) Dienstleistungen auch als „soziales Arrangement“ auffassen könnte. Er geht nicht unmittelbar darauf ein, doch ist diese Perspektive in seiner Auffassung von Dienstleistungen als andauerndem und interaktivem Prozess m. M. erkennbar.

Zusammenfassend: Dienstleistungen können nicht ausschließlich an ihrem Ergebnis festgemacht werden. Dienstleistungen sind Prozesse, deren Nachfrage sich an den Eigenschaften der zeitlichen Verrichtung sowie des finalen Resultats orientieren kann.

2.3 Diskussion der gängigen Kriterien

Des Weiteren bedarf es nach wie vor bestimmter Kriterien, anhand derer Leistungsangebote und –prozesse als Dienstleistungen identifiziert werden können.

2.3.1 Immaterialität

„Un produit réel, mais immateriél.“ (Say 1852)

„...anything sold in trade that could not be dropped on your foot.“ (Freeman 1989)

Auf den ersten Blick vollführen Diensteanbieter keine Stoffumwandlung oder Veränderung eines materiellen Gegenstandes. Ein Theaterbesuch oder eine Massage sind in ihrer Wirkung auf einen nicht greifbaren Zustand ohne stoffliches Ergebnis bezogen, da keine körperliche Änderung erkennbar ist. Dies klingt plausibel, darf aber nicht diskussionslos übernommen werden. (vgl. Huber 1992, S. 11).

Maleri[4] weist darauf hin, dass in den Leistungs prozess Materielles integriert wird, womit aus prozessbezogener Sicht Dienstleistungen also keineswegs als immateriell pauschalisierbar sind. Substanzlosigkeit lässt sich ausschließlich für das Ergebnis des Leistungsprozesses feststellen. Berekoven formuliert seinen Einwand wie folgt: „Materielle Dienstleistungen gibt es also durchaus, denn was sollte eine Autoreparatur oder eine Dauerwelle anderes sein, als eine stoffliche Veränderung mit stofflichen Wirkungen und stofflichen Ergebnissen.“[5]

Verwirrung stiftet das Postulat der Immaterialität, wenn nur auf die abstrakte Wirkung abgestellt wird: Der Besuch beim Arzt dient der Wiederherstellung der Gesundheit, was nicht ohne stofflichen Einsatz (Medikamente) erfolgen kann. Ein Auto als eindeutiges Sachgut wird angeschafft, um Ortsveränderungen (Transport) zu ermöglichen. D.h. in beiden Fällen ist eine immaterielle und eine stoffliche Komponente anzufinden. Sind das Auto und der Arztbesuch nun als Wirtschaftsgüter gleichzusetzen? Intuitiv nicht; doch Immaterialität als Kriterium hilft auch nicht viel weiter. Eindeutige Gründe, weshalb das Motiv der Nachfrage nach einem Fahrzeug ausschließlich der Materialbezogenheit (das Auto als Sachgut) und das des Arztbesuchs dem Abstraktum der Gesundheit unterliegen soll, sind nicht erkennbar.

„Als wesensbestimmendes Abgrenzungskriterium im Rahmen einer Theoriebildung der Dienstleistung sollte das Merkmal ‚Immaterialität’ also keine Verwendung finden.“ (Huber, S. 13)

[...]


[1] Völker, A.: Allokation von Dienstleistungen. Frankfurt 1984. S. 15.

(Völker zitiert hier: Say, J.B.: Ausführliche Darstellung der Nationalökonomie oder der Staatswirtschaft.)

[2] ebd.

[3] Huber, R.J.: Die Nachfrage nach Dienstleistungen. Hamburg 1992.

[4] Maleri, R.: Grundzüge der Dienstleistungsproduktion. Berlin 1973.

[5] Huber 1992. S. 12.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Das Definitionsproblem des Begriffs 'Dienstleistungen' in der ökonomischen Diskussion
Hochschule
Universität Lüneburg  (Institut für Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Dienstleistungsgesellschaften
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
26
Katalognummer
V33505
ISBN (eBook)
9783638339568
ISBN (Buch)
9783656448518
Dateigröße
553 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Definitionsproblem, Begriffs, Dienstleistungen, Diskussion, Dienstleistungsgesellschaften
Arbeit zitieren
Florian Lüdeke (Autor:in), 2003, Das Definitionsproblem des Begriffs 'Dienstleistungen' in der ökonomischen Diskussion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33505

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