Was bedeutet „Trauer“? Trauerphasen-Modelle und Trauerreaktionen im Vergleich


Akademische Arbeit, 2008

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Trauer ist Verlust
1.1 Trauerphasen nach Verena Kast
1.2 Trauerphasen- Modell nach John Bowlby
1.3 Die Phasen der Trauerarbeit nach Yorick Spiegel

2. Trauerreaktionen
2.1 Unkompliziertes (normales) Trauern
2.2 Kompliziertes (pathologisches) Trauern

Resümee

Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)

Trauer ist ein Gefühl, mit dem alle Menschen im Laufe ihres Lebens mehrfach konfrontiert werden. Dem kann sich keiner entziehen. Trauer – um den Verlust von Bindung, um einen Gegenstand, einen geliebten Menschen, der gestorben ist, um ein abgeschlossenes Kapitel im Lebenslauf, auch um verlorene Liebe. Doch wie kann „Trauer“ theoretisch beschrieben werden? Wann trauern wir? In welche Phasen kann Trauer unterteilt werden? Und welche Trauerreaktionen lassen sich unterscheiden?

1. Trauer ist Verlust

Das Wort „trauern“ stammt von dem altenglischen Begriff: „drusian“ = sinken, matt, kraftlos werden. Es beschreibt die Situation eines Menschen, der trauert, es bedeutet niedergedrückt sein, eine schwere Last tragen. Wenn ein Mensch diese Last nach und nach abgelegt hat, ist ein gesundes und natürliches Trauern erfolgt.[1] In einer anderen Übersetzung meint „Trauer“ ein altes, aus dem Englischen stammendes, schon vor dem 9. Jahrhundert gebräuchliches Wort, das von „truren“ - „die Augen niederschlagen“ – abgeleitet ist. Beide Begriffserklärungen beschreiben einen Gemütszustand, den jeder Mensch im Laufe seines Lebens häufiger durchleben muss, als es ihm bewusst wird.

Trauer involviert Hoffnungslosigkeit: Das, was man sich wünschte, wird (für immer oder auf unabsehbare Zeit) verloren bzw. unerreichbar bleiben.

Trauer schließt auch Passivität ein, die die Überzeugung widerspiegelt, dass man nichts tun kann.

Trauer tritt auf nach dem schmerzhaften Verlust einer Bindung, der eine deutliche, wenn auch meistens vorübergehende Störung des biologischen, psychischen und sozialen Gleichgewichts darstellt.

Traueranlässe:

- Verlust von Gesundheit z.B. chronischer Krankheit,
- Verlust von Lebenszielen, Werten, sozialen Rollen,
- Trennung z.B. Scheidung
- Tod[2]

Es gibt zwei Ansätze zur Überwindung der Trauer:

Die Verdrängung und die Verarbeitung:

Durch körperliche Aktivität oder Ablenkung kann der Mensch versuchen, Trauer zu verdrängen oder kurzfristig zu erleichtern. Er kann auch versuchen, den Verlust zu ersetzen. Überwunden im Sinne einer intensiven Bewältigung wird Trauer aber erst, indem sie in Form sogenannter Trauerarbeit bewusst gemacht wird. Jahrhundertealte Trauergebräuche und Rituale haben durch die Kulturgeschichte hindurch hierfür eine stabilisierende und Sinn stiftende Rolle gespielt. Indem der Mensch sich erinnert, durch symbolisches wiederholtes Zurückholen und erneutes Weggeben des Betrauerten, wird ein Sich- Einlassen auf die Extremsituation des Verlustes sowie ein allmähliches Akzeptieren und Loslösen möglich.

Die Trauer des Menschen verläuft in mehreren Phasen:

1. Der Mensch befindet sich meist in einer Art Schockzustand, er will nicht wahrhaben, dass er etwas verloren hat, dass ein Mensch oder auch ein Tier verstorben ist
2. Er lebt eine depressive Phase; Sinnleere oder Zukunftsangst sowie Hadern mit dem Schicksal dominieren die Gedanken. Häufig treten Desorientierung und Vergesslichkeit auf, die Aufmerksamkeit im Kontakt mit anderen und in Bezug auf die notwendigen alltäglichen Aufgaben fällt schwer. Es treten Verlassenheits- und Schuldgefühle, auch körperliche Reaktionen, wie z. B. Konzentrationsverlust, Schlafstörungen oder Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust auf. Weitere Krankheitssymptome sind möglich.
3. Es kommt die Zeit der „Wundheilung“. Die Gedanken an die verstorbene/verlorene Person verursachen nicht mehr so große Verzweiflung. Es gelingt dem Trauernden, den Blick auf die Zukunft zu richten. Schließlich kommt es bei erfolgreicher Trauerbewältigung zu einem neuen seelischen Gleichgewicht.[3]

„Verlust“ bedeutet in diesem Sinne die Trennung von etwas, das in gewisser Weise Teil der Existenz des Individuums ist, oder ihm gehört. Dieses „Etwas“ kann eine Person sein, jemand, der ihm sehr nahe stand und durch den Tod oder das Auseinanderbrechen einer Beziehung von ihm getrennt oder für immer aus seiner Umgebung entfernt wird. Es könnte sich aber auch um den Verlust einer Fähigkeit, etwa des Hörens, des Sehens oder der Beweglichkeit infolge einer Krankheit oder eines Unfalls handeln. Der Verlust von Unabhängigkeit oder Status, von Geld oder materiellem Besitz kann für den Einzelnen bedeutende Einbußen darstellen. Ein schwerer Verlust beinhaltet die nicht wieder rückgängig zu machende Trennung von einem physischen oder emotionalen Teil der Person. Die Auswirkungen eines Verlustes sind bei den einzelnen Individuen sehr unterschiedlich und hängen von verschiedenen Variablen ab:

- Persönlichkeit
- Art des Verlustes
- Zeitpunkt des Verlustes im Verhältnis zu anderen Ereignissen im Leben der Person
- Andere bedeutende Ereignisse im Leben der Person
- Die Einbeziehung naher Freunde oder Verwandter
- Die praktischen Auswirkungen des Verlustes für das zukünftige Leben des Individuums

Der Prozess des Verlustes und der Trauerarbeit umfasst die Wiederanpassung des Individuums an die neue Situation, in welcher es sich befindet. Es muss feststellen, dass frühere Ansichten über die Welt ihre Gültigkeit verlieren können, und dass es eventuell neue Wege des Denkens und Handelns einschlagen muss.[4] Der Verlust eines Elternteils oder Geschwisters wird bei Kindern nach dem bevorstehenden eigenen Tod als der schmerzlichste Verlust angesehen. Trauerphasen-Modelle haben Vor- und Nachteile. Sie sind generell nur ein Versuch, komplexe Phänomene auf eine mehr oder weniger einfache Art zu beschreiben. Bei näherer Betrachtung stellt man leicht fest, dass die verschiedenen Modelle Ähnlichkeiten aufweisen und sich einander beeinflussen. Sie sprechen dem Trauerleben eine Bedeutung zu, die zugleich Lösungsmöglichkeiten zur Überwindung der Krise in sich birgt.[5]

1.1 Trauerphasen nach Verena Kast

Die Schweizer Psychologin Verena Kast[6] entwickelte durch die Beobachtung an Trauernden, vorrangig durch die Auswertung der Träume, die nach ihrer Ansicht den Trauerprozess einleiten und an denen sie die Entwicklung des Trauerprozesses abliest, ein Modell von Trauerphasen.

1. Die Phase des Nicht–wahrhaben–Wollens

Der Verlust wird geleugnet, kann nicht realisiert werden und die eigenen Emotionen können nicht wahrgenommen werden. Die trauernde Person scheint empfindungslos und fühlt sich oft selbst „wie tot“. Die körperlichen Reaktionen können alle Symptome eines Schocks (schneller Pulsschlag, Schwitzen, Übelkeit, motorische Unruhe) sein.[7] Diese Phase kann von einigen Stunden bis zu etwa einer Woche andauern, im Falle eines plötzlichen Todes kann sie noch länger anhalten. Dieses Nicht–wahrhaben–Wollen ist sowohl als Verdrängung, als auch als Schutz vor überwältigenden Gefühlen, mit denen nicht umgegangen werden kann, zu verstehen.

2. Die Phase der aufbrechenden Emotionen

In dieser Phase taucht der Trauernde in ein regelrechtes Gefühlschaos ein: Wut, Trauer, Angst, Zorn, Schmerz, Niedergeschlagenheit, Schuldgefühle, u. v. a. m. stellen sich ein. Die Ohnmacht des Menschen angesichts des Todes kann nur schwer eingesehen werden. Es treten Schuldgefühle auf, weil man befürchtet, nicht alles getan, etwas versäumt oder unterlassen zu haben, das den Tod hätte verhindern können oder es werden andere Menschen dessen beschuldigt. Dabei ist es sehr wichtig, Gefühle zuzulassen, dies ist Bedingung für ein Fortschreiten des Trauerprozesses, was durch gesellschaftliche Zwänge erschwert werden kann.

3. Die Phase des Suchens und Sich-Trennens

Beim Verlust eines geliebten Menschen sucht der Trauernde zum einen den realen Menschen durch das Aufsuchen von Orten wieder zu finden, die der Verstorbene mochte. Er sucht in den Gesichtern anderer Menschen nach Zügen des Verstorbenen; er übernimmt Gewohnheiten des Verstorbenen. Zum anderen sucht er Möglichkeiten, Teile der Beziehung durch Erzählungen und Geschichten über den Verstorbenen oder durch innere Zwiegespräche mit ihm zu erhalten. Eine innere Auseinandersetzung mit dem Verstorbenen findet statt. Dieses Suchen bereitet den Trauernden darauf vor, ein Weiterleben ohne den Verstorbenen zu akzeptieren, keineswegs aber ihn zu vergessen. Je mehr der Trauernde findet, das weiterleben, weitergegeben und erinnert werden kann, um so eher kann schrittweise ein Abschiednehmen und letztlich die Trennung vom Verstorbenen erfolgen.

4. Die Phase des neuen Selbst- und Weltbezugs

Der Verstorbene wird zu einer Art „inneren Figur“. Dies kann sich darin ausdrücken, dass der Verstorbene als innerer Begleiter erlebt wird oder dass der Trauernde Lebensmöglichkeiten, die zuvor an die gemeinsame Beziehung gebunden waren, in sein eigenes Leben integriert hat. Die Gedanken und Handlungen des Trauernden kreisen nicht mehr ausschließlich um den Verstorbenen, es wird wieder möglich das eigene Leben zu gestalten. Selbstvertrauen und Bezugsfähigkeit wachsen, so dass neue Beziehungen eingegangen werden können.[8]

1.2 Trauerphasen- Modell nach John Bowlby

Nach Bowlby[9] ist das Trauerverhalten des Menschen allein ein Ausdruck seines starken Bindungsbedürfnisses. Demnach stellt Trauer den Versuch dar, die Bindung aufrecht zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Dieses Ziel versucht der Mensch mit unterschiedlichen Verhaltensmustern, die sich in den Trauerphasen widerspiegeln, zu erreichen. Trauer ist seiner Meinung nach nicht nur eine psychische Reaktion, sondern Teil eines Überlebensinstinkts und erfüllt eine vitale und biologische Funktion.[10] Dieses Phasenmodell gilt für Kinder und auch für Erwachsene.

[...]


[1] Vgl. Enders, Gabriele „Psychosomatische Reaktionen in der Kindertrauer“, 4. Kaarster Trauertagung, 2002 auf: www. kikt.de/pdf/vortrag_kindertrauer.pdf

[2] Vgl. Goldbrunner, Johann (Hrsg.), Gabriele Koch „Trauer und Beziehung“, 1996, Verlag Grünewald, S. 134

[3] Vgl. www.wikipedia.org /wiki/ Trauer

[4] Cook, Bridget/ Phillips, Shelagh G. „Verlust und Trauer“ , Ullstein Mosby GmbH & Co KG Berlin/ Wiesbaden, 1995, Seiten 1-3

[5] Vgl. Frank Natho „Bindung und Trennung“, Edition Gamus,2007, S. 133

[6] geboren 1943, studierte Psychologie, Philosophie und Literatur und promovierte Sie ist Professorin für Psychologie an der Universität Zürich, Dozentin, Lehranalytikerin und Psychotherapeutin in eigener Praxis

[7] Vgl. Specht–Tomann / Tropper, 1998

[8] Vgl. „Zeit der Trauer“, Verena Kast

[9] John Bowlby (1907-1990), britischer Psychiater und Psychoanalytiker, arbeitete und forschte an der Tavistock Klinik in London. Für seine Arbeiten erhielt er weltweit zahlreiche Auszeichnungen bedeutender Fachgesellschaften, u. a. der American Psychological Association und der British Pediatric Association.

[10] Vgl. Frank Natho „Bindung und Trennung“, Edition Gamus,2007, S. 133-134

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Was bedeutet „Trauer“? Trauerphasen-Modelle und Trauerreaktionen im Vergleich
Hochschule
Ernst-Abbe-Hochschule Jena, ehem. Fachhochschule Jena
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
18
Katalognummer
V335061
ISBN (eBook)
9783668243996
ISBN (Buch)
9783668244009
Dateigröße
647 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
trauer, trauerphasen-modelle, trauerreaktionen, vergleich
Arbeit zitieren
Dipl. Sozialpädagogin/Dipl. Soz. Arb. (FH) Gabriele Kuschke (Autor:in), 2008, Was bedeutet „Trauer“? Trauerphasen-Modelle und Trauerreaktionen im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/335061

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