Im Rahmen des 2004 besuchten Seminars: „Das Konzept der Handlungsorientierung und des Offenen Unterrichts“ wurden mehrere Aspekte des handlungsorientierten oder offenen Arbeitens in der Schule behandelt. Die Durchsetzung dieses pädagogischen Konzepts stellte dabei eine besondere Schwierigkeit dar, da die Strukturierung und Reglementierung der deutschen Schulen keinen Platz für Projektunterricht oder Wochenplanarbeit lässt. Es gibt zwar viele Ansätzezum praktischen Unterricht, aber eine Evaluierung des Konzeptes, das reale Erkennen von Problemen, Stärken und Schwächen, war kaum möglich. Deswegen stellte es für die Autorin dieser Hausarbeit einen besonderen Anreiz dar, über eine Schule zu schreiben, die unter diesem Konzept des handlungsorientierten Unterrichts gegründet wurde und es seit über 15 Jahren betreibt. Die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden entschied sich 1985/86 zusammen mit der Neustrukturierung vom Gymnasium zur integrierten Gesamtschule dazu, eine Versuchsschule des Landes Hessen zu werden und somit praktisches Lernen fest in den Unterrichtsalltag zu integrieren.
Die Voraussetzungen, welche die Schule und das Kollegium mitbringen mussten, die organisatorischen Besonderheiten der Schule und des Projektunterrichts, die Neustrukturierung des Unterrichts, kurz: die praktische Ausführung eines ansonsten in dieser Form nur theoretisch vorkommenden Konzeptes soll hier beleuchtet werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zu den Grundlagen: Die Reformpädagogik
3. Die Helene-Lange-Schule: Überblicke und Voraussetzungen
a) Die Rituale der Schule
b) Projektunterricht und Offener Unterricht
c) Lehrer und Schüler
4. Fragen, Kritik und Ergebnisse
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Rahmen des 2004 besuchten Seminars: „Das Konzept der Handlungsorientierung und des Offenen Unterrichts“ wurden mehrere Aspekte des handlungsorientierten oder offenen Arbeitens in der Schule behandelt. Die Durchsetzung und Ausführung dieses pädagogischen Konzepts stellte dabei eine besondere Schwierigkeit dar, da die Strukturierung und Reglementierung der deutschen Schulen keinen Platz für Projektunterricht oder Wochenplanarbeit lässt. Es gibt zwar viele Ansätze, Vorschläge und Konzepte zum praktischen Unterricht, aber eine Evaluierung des Konzeptes, das reale Erkennen von Problemen, Stärken und Schwächen, war kaum möglich.
Deswegen stellte es für die Autorin dieser Hausarbeit einen besonderen Anreiz dar, über eine Schule zu schreiben, die unter diesem Konzept des handlungsorientierten Unterrichts gegründet wurde und es seit über 15 Jahren betreibt. Die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden entschied sich 1985/86 zusammen mit der Neustrukturierung vom Gymnasium zur integrierten Gesamtschule dazu, eine Versuchsschule des Landes Hessen zu werden und somit praktisches Lernen fest in den Unterrichtsalltag zu integrieren.
Wie dies passierte und was dabei beachtet werden muss, stellt den Kern dieser Arbeit dar. Die Voraussetzungen, welche die Schule und das Kollegium mitbringen mussten, die organisatorischen Besonderheiten der Schule und des Projektunterrichts, die Neustrukturierung des Unterrichts, kurz: die praktische Ausführung eines ansonsten in dieser Form nur theoretisch vorkommenden Konzeptes soll hier beleuchtet werden. Einen Großteil der Arbeit stellt dabei die Aus- und Bewertung dieser Unterrichtsform dar: Stärken und Schwächen des praktischen Unterrichts sollen die Zukunftsfähigkeit dieses Konzeptes und seine Übertragbarkeit auf reguläre Schulen transparent machen.
Außerdem soll diese Arbeit einen ersten Überblick und Eindruck von der Arbeitsweise der Helene-Lange-Schule geben. Vor allem in Hinsicht auf die vorhandene Literatur stellt diese Arbeit vielleicht eine Ausnahme dar: Da der Großteil der Literatur zu dieser Schule von Lehrerinnen und Lehrern oder ehemaligen Schülern stammt, vermisst man einen Eindruck von einem außenstehenden, objektivem Beobachter, der nicht durch seine Erfahrungen oder seine persönlichen Ideale von diesem Schulkonzept indirekt oder direkt beeinflusst wurde.
Bei der Behandlung dieses relativ komplexen Schulsystems musste eine Auswahl getroffen werden, welche Einzelaspekte genauer betrachtet werden sollten. Somit kann diese Schule nicht in ihrer Gesamtheit dargestellt werden – die genaue Durchführung bestimmter Projekte wie die des Theaterspielens oder des Projekts ‚Tätige Nächstenliebe’, die besondere Notengebung, das Einladen von Fachleuten und ‚Experten’ zur Unterrichtsbereicherung und vieles mehr – musste aufgrund des Themenschwerpunktes dieser Arbeit unerwähnt bleiben oder konnte nur am Rande gestreift werden.
2. Zu den Grundlagen: Die Reformpädagogik
Die historische Epoche der Reformpädagogik wird im allgemeinen als die Zeit zwischen 1890 und 1933 bezeichnet, in der eine bestimmte Theoriebewegung eingesetzt und eine neuartige Praxis nach sich gezogen hat. Im weiteren Sinne ist die Reformpädagogik jede Erziehungslehre und –praxis, die in ihrem Grundanschauungen, Zielen, Inhalten und Methoden entschieden auf die Veränderung des Bestehenden hin tendiert. Die wichtigsten Inhalte sind:
1. Die kritische Auseinandersetzung mit den jeweiligen bestehenden Strukturen.
2. Eine neue pädagogische Orientierung, die vom Kind, nicht vom Erwachsenen, ausgeht.
3. Erziehung sollte als ein ‚Sichanschließen’ an die natürliche Selbstentwicklung des Heranwachsenden in seiner Umwelt gesehen werden.
4. Den Prinzipien dieser Freiheit entsprachen zum einen die positive Einschätzung des Spiels als Selbstbildungsmittel und zum anderen die didaktische Neuentdeckung des freien Arbeitens.
5. Daraus resultierte die ‚Arbeitsschule’: die Erfüllung von gestellten oder selbstgewählten Aufgaben durch dazu passende Methoden und Hilfsmittel.
6. Die Individualisierung des Kindes wurde durch das pädagogische Gemeinschaftsprinzip, welches zeigt, dass sich Erziehung immer in der Gesellschaft und durch die Gemeinschaft –in dem sich die einzelnen Teilnehmer gegenseitig erziehen – ergänzt.
7. Die Trennungen innerhalb der Schule sollten aufgehoben werden: die Trennung der Geschlechter, Religionszugehörigkeiten und Schultypen mit dem Ziel einer Gesamtschule, in der nur Begabung und Tüchtigkeit für das Weiterkommen entscheidend sind.
8. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis soll als ein Erzieher-Zöglings-Verhältnis angesehen werden.[1]
Diese Ideen wurden im Entstehungsprozess der Reformpädagogik weiterentwickelt und verfeinert. Auf diese Weise hat die Reformpädagogik wesentlich zur Herausbildung einer neuen erziehungswissenschaftlichen Theorie an den Universitäten beigetragen. Sie begründete außerdem die Pädagogik als eigene Universitätsdisziplin. Die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden wird oft als eine ‚Pilgerstätte’ der Reformpädagogik gesehen und erfüllt eindeutig die oben angeführten Inhalte und Vorgaben dieser pädagogischen Richtung:
„Im Unterschied zum traditionellen Lehr-Lern-Verständnis steht (...) nicht bloß die Suche nach neuen Methoden und/oder Organisationsformen im Zentrum der Überlegungen, sondern eine dahinterliegende ‚pädagogische Haltung’, bzw. ein ‚pädagogisches Verständnis’, das die Idee des selbstbestimmten und –organisierten Lernens als Grundbedingung erfolgreichen individuellen Lernens voraussetzt.“[2]
Darüber hinaus hat diese Schule einige der Ideen weiterentwickelt oder für die heutige Praxis brauchbar gemacht: das Lehrer-Schüler-Verhältnis besitzt z.B. eine weitaus größere Nähe, als die Definition ‚Erzieher – Zögling’ andeutet. Genauso wurde der Begriff ‚Arbeitsschule’ und die damit verbundenen Aufgaben durch den Projektunterricht ersetzt und erweitert. Das wichtigste reformpädagogische Element, welches von der Helene-Lange-Schule adaptiert wurde, ist der Offene Unterricht, „mit der Zielsetzung einer Öffnung des Lernens nach innen (bezogen auf ein sich selbst bestimmendes Individuum (...)) und einer Öffnung nach außen (bezogen auf mehr Mit- bzw. Selbstbestimmung der ‚kollektiven Akteure’ in der Gesellschaft (...)).“[3]
3. Die Helene-Lange-Schule: Überblicke und Voraussetzungen
Die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden wurde 1985 von einem Gymnasium zu einer integrierten Gesamtschule umgewandelt und ist seit 1986 eine Versuchsschule des Landes Hessen. Ein Planungsausschuss aus etwa 20 Lehrern und eine Arbeitsgruppe mit zehn Eltern beschloss, der Schule ein neues Konzept und eine neue Philosophie zu vergeben. Die wichtigsten Punkte dieses neuen Konzeptes, praktisches Lernen, selbstständiges Lernen und die Möglichkeit des Lernens außerhalb der Schule, sollten dann mit dem Wunsch, die Selbsttätigkeit der Schüler zu fördern, kombiniert werden. Dabei stellte man fest, dass
„ein Unterricht, der die Interessen der Schüler und ihre zentralen Fragestellungen berücksichtigen wollte, häufig über die Grenzen nur eines Faches (...) hinausgehen“[4]
muss. Die Möglichkeit, praktisches Lernen und fächerübergreifenden Unterricht in einem Schulmodell zu vereinen, bestand dann in der Einführung des Faches ‚Offenes Lernen’ und dem Projektunterricht.
Damit dieses Konzept in die Tat umgesetzt werden konnte, damit also eine Versuchsschule entstehen kann, mussten und müssen verschiedene Auflagen erfüllt werden. Dazu wird jedes Jahr ein Revisionsgespräch geführt, bei welchem die Schule vor Vertretern des Ministeriums, des Staatlichen Schulamts und der Stadt Wiesbaden Rechenschaft ablegen muss. Eine Versuchsschule ist auf Dauer angelegt und sieht sich als ein "Instrument zur Weiterentwicklung des Schulwesens".[5] Das Entwicklungskonzept einer Versuchsschule muss dargestellt, veröffentlicht, intern und extern evaluiert werden können. Außerdem muss sie Betrachtern von außen die Möglichkeit geben, Ideen, Materialien und Konzepte auf ihre eigene Situation zu übertragen. Die Helene-Lange-Schule nun hat vom Land Hessen folgenden Auftrag bekommen:
- „Die Entwicklung und Erprobung von Unterrichtsformen, die ausdrücklich dem „mathetischen Prinzip" entsprechen,
- Die Entwicklung und Erprobung von neuen Formen des Unterrichts und der Betreuung, welche die Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit der Schülerinnen und Schüler fördern,
- Die Einbeziehung der Eltern in das Schulleben,
- Die Entwicklung und Erprobung der in diesen Zusammenhängen erforderlichen Änderung der Schul- und Unterrichtsorganisation, der Öffnung von Schule, der Auswirkungen auf die Definition der Arbeitszeit von Lehrerinnen und Lehrern und anderen am Schulalltag beteiligten Personen,
- Die Dokumentation ihrer Unterrichtsarbeit in enger Verbindung mit der Lehrerfortbildung.
- Die Arbeit der Helene-Lange-Schule wird wissenschaftlich begleitet. Die Möglichkeiten dafür und die notwendigen Vorarbeiten sind von der Helene-Lange-Schule sicherzustellen."[6]
Die integrierte Gesamtschule unterrichtet knapp 600 Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 bis 10. Durch den Status der Versuchsschule sind Klassengrößen von 25 Schülerinnen und Schülern in je vier Klassen pro Jahrgang garantiert, wobei die Schule versucht, die Klassenverbände so selten wie möglich zu trennen. Deswegen werden die Klassen nicht nach Hauptschul-, Realschul- oder Gymnasialniveau getrennt. Ab der siebten Klasse findet in den Fächern Englisch, Mathematik, Deutsch und in den Naturwissenschaften eine E/G-Differenzierung (Erweiterungskurs und Grundkurs) statt, in der die Schüler jedoch in ihren Klassenverbänden bleiben. Nur in dem Wahlpflichtbereich der Klassen 7 bis 9 werden die Klassen über ihre Klassengrenzen hinaus unterrichtet. Das Kollegium der Schule umfasst 55 Lehrerinnen und Lehrer, die in kleineren Lehrergruppen die einzelnen Klassen in der Regel von der fünften bis zur zehnten Jahrgangsstufe betreuen.
Um die Projektarbeit mit den geltenden Lehrplänen zu verbinden und um eine Verbindung von theoretischem und praktischem Lernen zu schaffen, entwickelten die Lehrerinnen und Lehrer der Helene-Lange-Schule Unterrichtspläne, die verschieden große Zeiteinheiten umfassen:
Jahresarbeitspläne gliedern die vier verschiedenen Projekte eines Jahres und zeigen an, welche Fächer an den Projekten beteiligt sind. Sie erlauben den Lehrern, die zeitliche Begrenzung der Projekte und die Möglichkeiten zur Bearbeitung eines Projektes abschätzen zu können.
Wochenstundenpläne erlauben es nun den Lehrern, die gegebene Schulzeit sinnvoll für die Projekte zu nutzen und mit anderen Lehrern abzusprechen und den Jahresarbeitsplan somit zu konkretisieren. Zu Beginn jeder Woche sprechen die Lehrer einer Stufe ab, welche Stunden für den Projektunterricht verwendet werden. Die Fächer, die nicht am Projektunterricht beteiligt sind, liegen immer auf den selben Stunden. In den übrigen Stunden tragen die Schüler ein, was an einem bestimmten Tag und in einer bestimmten Stunde für ein bestimmtes Projekt gemacht werden soll. Je nach den Lernbedürfnissen der Schüler werden im Wochenstundenplan Stunden ausgewiesen, in welchen die Schüler nach einem bestimmten Plan arbeiten sollen, dem Wochenarbeitsplan. In 2-4 Stunden, die nacheinander von den einzelnen Fächern abgezogen werden, arbeiten die Schüler selbstständig und nach eigenem Tempo an Fähigkeiten und Fertigkeiten, die in den Fächern eingeführt wurden.[7] Die Aufgaben der Wochenarbeitspläne werden teilweise vorgegeben, teilweise bieten sie aber auch Raum für Schüler, sich Aufgaben selber zu stellen und auf individuelle Weise zu bearbeiten.
[...]
[1] Vgl.: http://www.wipaed.wiso.uni-goettingen.de/~ppreiss/didaktik/reform96.html.
[2] Baecker: Reformpädagogische Praxis, S. 93.
[3] Ebenda, S. 94.
[4] Riegel: Schule von innen verändern, S. 54.
[5] Vgl.: http://www.wuitbf.com/webdesign/index.php?id=281
[6] http://www.wuitbf.com/webdesign/index.php?id=305.
[7] Vgl. Riegel: Schule von innen verändern, S. 55.
- Arbeit zitieren
- Franziska Irsigler (Autor:in), 2004, Projektunterricht und Offener Unterricht. Umsetzung, Kritik, Ergebnisse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33564
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