Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Die Borderline-Struktur
2. Diagnostik
3. Ursachen
3.1 Genetische Faktoren
3.2 Psychosoziale Faktoren
3.3 Das 3-Ebenen-Modell der Borderline-Persönlichkeitsstörung (Peichl 2004)
3.4 Zusammenfassend: Das Diathese-Stress-Modell
4. Therapie
4.1. Kurzer Überblick
4.2. TFP (Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Clarkin et al. 2001)
4.3. DBT (Dialektisch-Behaviorale Therapie, Linehan 1993)
5. Erfolgsaussichten
6. Literaturverzeichnis
1. Die Borderline-Struktur
Der Begriff „Borderline“ bedeutet übersetzt „Grenzlinie“. Ursprünglich wurde die Störung der Grenze zwischen Neurose und Psychose zugeordnet (Herperz, Sass 2000), jedoch gehört sie heute zu den Persönlichkeitsstörungen. Der Begriff „Borderline“ beschrieb den Zustand der Betroffenen trotzdem passend, da sie sich ständig als Grenzgänger zwischen „normal“ und „verrückt“ fühlen. Persönlichkeitsstörungen sind das Ergebnis von Problemen bei der Persönlichkeitsentwicklung im Kindes- und Jugendalter. Aus diesem Grund sollte die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung erst ab dem 16. Lebensjahr erfolgen, da es nicht möglich ist eine Borderline-Persönlichkeitsstörung erst im Erwachsenenalter zu entwickeln. Zwar kann die Diagnose auch erst später gestellt werden, entstehen musste sie aber bereits während der Entwicklung. Betroffene weisen in Bereichen der Impulskontrolle, Affektregulation, des Selbstbildes und auch in Zwischenmenschlichen Beziehungen enorme Schwierigkeiten auf. Hinzu kommt meist selbstschädigendes Verhalten wie Selbstverletzung oder Substanzmissbrauch bei Jugendlichen. Die Borderline-Struktur ist geprägt von einem instabilen Bindungsstil sowie einer mangelnden Integration gegensätzlicher Impulse, Affekte, Strebungen, kognitive Einschätzungen und von Selbst- und Objektaspekten (Lohmer 2013). Das Erleben von inneren Konflikten fällt den Betroffenen schwer, weshalb sie diese mithilfe eines Abwehrmechanismus interpersonell aufspalten (Konzept der „Spaltung“). Ein Pol des Konfliktes (z.B. der Wunsch nach Nähe) wird dabei vom Patienten selbst vertreten. Mithilfe des unbewussten Abwehrmechanismus der „projektiven Identifizierung“ delegiert der Patient den entgegengesetzten Pol (z.B. den Wunsch nach Abstand) an den Interaktionspartner. Über oft nonverbale Zeichen (z.B. Krause 1988) wird so dem Interaktionspartner seine „Rolle“ zugeschrieben, beispielsweise durch das Drängen des Patienten auf eine Antwort. Der Interaktionspartner hält daraufhin automatisch Abstand und nimmt die „Rolle“ dadurch an. Dieses Nebeneinanderstehen aufgespaltener Selbst- und Objektanteile beschreibt Kernberg (1978; Kernberg et al. 1993) als Identitätsdiffusion. Die Borderline- Persönlichkeitsorganisation differenziert im Gegensatz zur psychotischen Persönlichkeitsorganisation die Selbst- und Objektanteile vollständig voneinander. Der Patient sieht sich und andere dabei als von einander getrennte Gegensätze. Menschen sind dabei meist entweder gut oder böse, stark oder schwach etc. Dabei kann die jeweilige Selbstund Objektwahrnehmung rasch ins Gegenteil umschlagen. So existieren in dem Betroffenen die verschiedenen Persönlichkeitsbereiche, Affekte und Bewusstseinszustände parallel voneinander (Lohmer 2013).
2. Diagnostik
Die Persönlichkeitsstörungen werden in den beiden großen Diagnoseklassifikationssystemen DSM-IV (Diagnostic and statistical Manual of Mental Disorders) und ICD-10 (International Classification of Diseases) aufgeführt und definiert. Das DSM-IV baut auf die 1980 veröffentlichte DSM-III-Klassifikation (APA 1980) auf. Damals nahm man an, dass es ausreiche die fundamentalen Persönlichkeitsvarianten rein kategorial zuzuordnen. Jedoch brachte genau dieses kategoriale System enorme Schwierigkeiten mit sich. Diese Schwierigkeiten hingen beispielsweise mit der Häufigkeit des gleichzeitigen Auftretens verschiedener Persönlichkeitsstörungen bei Patienten zusammen. In einer randomisierten Studie von Doering et al. (2010) zur Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung erfüllten die Teilnehmer die Kriterien für gleichzeitig durchschnittlich 2,86 Persönlichkeitsstörungen. Dabei wies sich die Patientengruppe als äußerst heterogen. Johansen et al. (2004) fanden 256 Wege um die Kriterien einer BorderlinePersönlichkeitsstörung zu erfüllen. So ermöglichte die Diagnostik keinerlei Auskunft über den Schweregrad der Störung. Hierfür waren dann zusätzliche Untersuchungsinstrumente nötig, wie zum Beispiel die Borderline-Symptom-Liste (Wolf et al. 2009), welche die momentane Symptombelastung des Patienten erfasst. Des Weiteren wurde zur Evaluierung grundlegender Probleme und Ressourcen des Patienten das strukturierte Interview zur Borderline-Persönlichkeitsorganisation (STIPO, Clarkin et al. 2004) verwendet (Hörz et al. 2010). Trotz Kritik an dem kategorialen System wurde das Konstrukt auf die Fortentwicklungen des DSM-III, nämlich dem DSM-III-R und dem DSM-IV (APA 1980, 1994) unverändert übertragen. Erst im Jahre 2013 wurde das bis dahin gültige DSM-IV von der Amerikanischen Vereinigung für Psychiater durch das neue DSM-V ersetzt (APA 2013). Geändert hat sich dabei einerseits die Schreibweise, nämlich von der römischen zur lateinischen und die binäre Kategorisierung wurde schließlich durch eine dimensionale Kategorisierung ersetzt. Laut DSM-V müssen für eine Diagnose der Borderline- Persönlichkeitsstörungen die Patienten Störungen in den Bereichen der Persönlichkeitsfunktion und der zwischenmenschlichen Beziehungen aufweisen. Dabei beziehen sich die ersten Kriterien des Diagnosesystems auf die Identität, die Verfolgung persönlicher Werte und die Zielsetzung des Patienten. Im Anschluss daran wird auf die Empathiefähigkeit und die zwischenmenschliche Beziehungsgestaltung eingegangen. Außerdem gab es Ergänzungen um persönliche Charaktereigenschaften wie emotionale Labilität, Ängstlichkeit, Impulsivität und Depressivität. Jedoch verwenden wir das ICD-10 in unserem deutschen Abrechnungssystem. Das kategoriale System wurde ebenfalls in einer noch weniger überzeugenden Form auf das ICD-10 übertragen (WHO 1994). Die Bezeichnung für die Borderline-Persönlichkeitsstörung lautet im ICD-10 „Emotional instabile Persönlichkeitsstörung“ (F60.3). Diese wird in zwei Subtypen, nämlich der „Impulsive Typus“ (F60.30) und der „Borderline-Typus“ (F60.31), unterteilt. Danach müssen laut ICD- 10 bei einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung des Borderline Typus zunächst die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung, drei von fünf Kriterien des impulsiven Typus (F60.30) und zusätzlich zwei von 5 Kriterien des Borderline-Typus (F60.31) erfüllt sein.
3. Ursachen
Bis heute wird in der Literatur kontrovers über die Frage der Entstehung der BorderlineStörung diskutiert. In verschiedenen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass sich die genetischen Faktoren, die psychosozialen Faktoren und die dysfunktionalen Verhaltens- und Interaktionsmuster gegenseitig beeinflussen. Im Folgenden werden die verschiedenen Faktoren näher erläutert.
3.1 Genetische Faktoren
Der Nachweis für eine genetische Basis von Persönlichkeitsmerkmalen der BorderlineStörung konnte durch verschiedene molekulargenetische Untersuchungen und außerdem durch Zwillings- und Adoptionsstudien nur teilweise nachgewiesen werden, da eher dimensionale Persönlichkeitsmerkmale als Persönlichkeitsstörungen eine genetische Basis besitzen. Molekulargenetische Studien konnten beispielsweise einen nur teilweise positiv replizierten Zusammenhang zwischen einzelnen Genmorphismen und den Persönlichkeitsmerkmalen aufzeigen (Fleischhaker, Schulz 2010). Des Weiteren untersuchte die Zwillingsstudie von Torgersen et al. (2000) 129 dizygote und 92 monozygote Zwillinge. Dabei ergab die Hertibilitätseinschätzung der Borderline-Persönlichkeitsstörung einen Wert von 0,57. Livesley et al. untersuchten an 686 Zwillingspaaren, 656 Patienten, die an einer Persönlichkeitsstörung leiden und an einer Kontrollgruppe mit 939 Versuchspersonen die Hertibilität von dimensionalen Persönlichkeitsfaktoren (Livesley et al. 1998). Diese ergab eine Vierdimensionale Faktorenstruktur mit den Faktoren „emotionale Dysregulation“, „dissoziales Verhalten“, „Gehemmtheit“ und „Zwanghaftigkeit“, die sich in allen drei Stichproben wiederfinden lassen. Die Abschätzungen der Hertibilität für die dimensionalen Persönlichkeitsmerkmale, welche mit der Borderline-Störung zusammenhängen ergeben Werte um den 0,5-Bereich. Retrospektiv berichten außerdem ca. 50% der Patienten früher unter ADHS gelitten zu haben. Da die genetische Disposition bei ADHS gesichert ist spricht auch dies, wenn auch nur indirekt, für eine genetische Beteiligung bei der BorderlinePersönlichkeitsstörung. Im Allgemeinen wird heute davon ausgegangen dass ca. 50% der Störung auf eine eindeutige genetische Disposition zurückzuführen sind und die restlichen 50 % auf entwicklungsbedingte und psychosoziale Faktoren (Fleischhaker, Schulz 2010).
3.2 Psychosoziale Faktoren
Bei der Entstehung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung spielen außerdem Psychosoziale Faktoren eine große Rolle (Fleischhaker, Schulz 2010). Zu den Psychosozialen Faktoren gehören beispielsweise traumatische Erfahrungen wie Vernachlässigung und/oder körperliche bis hin zu sexueller Gewalt. Circa 65% der Patienten waren Opfer sexueller Gewalt, 60% erlitten körperliche Gewalt und unter schwerer Vernachlässigung litten 40% der Patienten (Bohus, Schmahl 2006). Zwischen der Schwere von traumatischen Erfahrungen und der Schwere der Borderline-Störung besteht ein deutlicher Zusammenhang, dies konnten Zanarini et al. 1997 am Beispiel des sexuellen Missbrauchs aufzeigen. Umso schwerer der sexuelle Missbrauch in der Kindheit, umso schwerwiegender die Störungen in der Emotionsregulation, Impulsivität und der psychosozialen Beeinträchtigung. Jedoch gibt es auch Patienten, die keine besonders traumatischen Ereignisse erlebten oder auch Gewaltopfer, ohne jegliche Persönlichkeitsstörung. Aus diesem Grund bleibt weiterhin unklar, was der Erkrankung genau zugrunde liegt (Bohus, Reicherzer 2012).
3.3 Das 3-Ebenen-Modell der Borderline-Persönlichkeitsstörung (Peichl 2004)
Ein weiteres Konzept der multifaktoriellen Ätiologie ist das 3-Ebenen-Modell der BorderlinePersönlichkeitsstörungen (Peichl 2004). Jeder Patient besitzt demnach eine typische Mischung aus Umweltstress, individueller Verwundbarkeit, Gewalterfahrungen und Vernachlässigung in der frühen Kindheit und zusätzlich eine Serie von Ereignissen, welche die Entstehung der Störung im Jugendalter letztendlich triggern (Peichl 2007). So beeinflussen laut Peichl mindestens drei unterschiedliche Störungsebenen das Ausmaß der Störung und erschaffen so auch die unterschiedlichen Subtypen von Patientengruppen. Zu den drei Ebenen zählen die konstitutionell-neurobiologische Ebene, die Ebene der frühen Bindungserfahrung und die Ebene der massiven traumatischen Erfahrungen. Auf die verschiedenen Ebenen wird nun im Folgenden näher eingegangen.
Ebene A: Die konstitutionell-neurobiologische Ebene
Die erste Ebene des 3-Ebenen-Modells von Peichl umfasst zunächst das genetische familiäre Risiko. Obwohl in verschiedenen Studien zur Erfassung des familiären Risikos von psychischen Störungen bei Verwandten ersten Grades eher widersprüchliche Ergebnisse ergaben, konnten die Untersuchungen alle auf eine enorme familiäre Häufung von antisozialen Persönlichkeitsstörungen und außerdem Substanzmissbrauch in den Familiengeschichten hinweisen (Köhler 2000; Kunert et al. 2000; Maier et al. 2000; Schulz et al. 1989; Zanarini et al. 1988). Außer dem Risiko später selbst eine psychische Störung zu entwickeln ist es natürlich auch schon ein enormer Umweltstress für den späteren Patienten wenn eine Erziehungsperson oder ein Geschwister erkrankt ist. Außerdem betont Kernberg das Temperament als angeborene Verhaltensdispositionen, welche durch bestimmte Umweltreize individuell aktiviert werden. Dabei sind sowohl die Aktivierungsschwellen für positive und belohnende Reize und auch die Schwellen für die negativen und aversiven Affekte gemeint. Er beschreibt diese als konstitutionelle Faktoren der Persönlichkeit (Resch und Möhler 2001; Torgersen 2000). Ein weiterer Punkt der ersten Ebene des ÄtiologieModells bezieht sich auf angeborene oder auch früh erworbene zerebrale Dysfunktionen. Denn auch die damit zusammenhängenden neurobiologischen konstitutionellen Normabweichungen oder früh erworbenen kognitiven Defizite können bei einer BorderlinePersönlichkeitsstörung eine Rolle spielen. In den letzten Jahren wurden hinsichtlich morphologischer, biochemischer und physiologischer Abweichungen von der Norm bemerkenswerte Befunde von Ätiopathologischen Studien erbracht (vgl. Bronisch 2001). Dabei werden vor allem zerebrale Dysfunktionen, welche die Organisation und Bewertung von eintreffenden Stimuli aus den Sinnesorganen stören, hervorgehoben. Denn durch die damit geförderte Angst unter Unsicherheits- und Orientierungsbedingungen führt dies schlussendlich zu pathologischen Affektaktivierungen. Außerdem Störungen, die die Säuglinge für Trennungserfahrungen von der Mutter noch mehr sensibilisieren wie Defizite in der Raumorientierung und der Zeitwahrnehmung (Zeitgitterstörung). Außerdem erwähnenswert sind solche Defizite, welche die Reifungserfahrungen des sich neuroplastisch vernetzten Gehirns verlangsamen und sich so eine Störung entwickelt (Schore 2001).
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