Das behinderte Kind in der Familie. Die Veränderung der Rollenstruktur


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2004

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Familienbegriff

2. Familienwandel

3. Kennzeichen von Familien

4. Die soziale Rolle des Kindes
4.1 Gesamtgesellschaftliche Anforderungen
4.2 Die Rolle des Kindes in der Familie

5. Die Elternrolle

6. Familien mit einem behinderten Kind
6.1 Die Elternrolle
6.1.1 Die Rolle der Mutter
6.1.2 Die Rolle des Vaters
6.2 Die Rolle des behinderten Kindes
6.3 Die Rolle der Geschwister
6.4 Interventionsmöglichkeiten

Schlussbemerkung

Literatur

Einleitung

Nicht nur Familien allgemein haben eine starke Aufwertung erfahren, sondern vor allem auch Familien behinderter Kinder. Dies macht sich seit den siebziger Jahren in einer Abkehr von der Heimerziehung bemerkbar. In einer mehrdimensionalen Sicht wird vor allem die Verbindung und Einheitlichkeit verschiedener Lebensbereiche gesehen, so dass therapeutische Maßnahmen nur als effektiv gelten, wenn das soziale Umfeld miteinbezogen wird und Familien dadurch eine zentrale Rolle bei der Bewältigung von Behinderungsproblemen erhalten haben. Durch diese Aufwertung werden an die Familien hohe Anforderungen gestellt. Diese beziehen sich nicht nur auf einen hohen zeitlichen und finanziellen Bedarf, sondern z.T. auch auf den Einsatz der Eltern als Kotherapeuten und damit auf eine Professionalisierung ihrer Rolle.

Viele Forscher sehen Familien hier vor große Anpassungsprobleme gestellt und betonen vor allem die Instabilität moderner Kleinfamilien. Ein behindertes Kind könne dabei zu Krisen bis hin zu Auflösungserscheinungen führen. Neben einer solchen Desorganisation wird zudem die Gefahr der Desintegration und somit mögliche Schwierigkeiten im außerfamiliären Verhältnis gesehen.

In der vorliegenden Arbeit soll nun festgestellt werden, welche Schwierigkeiten und welche positiven Aspekte diese Veränderungen mit sich bringen. Dabei sollen zunächst allgemeine Aspekte bezüglich historischem Wandel und Kennzeichen von Familien beschrieben werden. Daraufhin gehe ich auf Rollenanforderungen an Eltern und Kinder ein und beziehe mich dabei sowohl auf die Ansprüche der Gesellschaft, als auch auf die Erwartungen der Eltern und beschreibe daraufhin, inwiefern Familien mit einem behinderten Kind diese erfüllen können. Zum Schluss sollen Vorschläge gemacht werden, wie mögliche Probleme gemindert werden können.

1. Familienbegriff

Zunächst soll der Begriff „Familie“ näher erläutert werden, um den Bereich zu verdeutlichen um den es im Folgenden gehen soll.

Unter Familie wird entweder die Ursprungsfamilie, welche aus Großeltern, Eltern und Geschwistern besteht, oder die Gegenwarts-, bzw. Kernfamilie, welche aus Mann, Frau und ihren unmündigen, unverheirateten Kindern besteht, verstanden. Im alltäglichen Sprachgebrauch sind Abgrenzungen und Verständnis jedoch relativ unterschiedlich und abhängig von subjektiven Erlebnisweisen. Von wissenschaftlicher Seite her wird der Begriff ebenfalls uneinheitlich verwendet. Aus soziologischer Perspektive kann Familie makrosoziologisch als eine soziale Institution und mikrosoziologisch als eine Gruppe besonderer Art (vgl. Cloerkes 2001) bezeichnet werden.

Es besteht keine allgemein anerkannte Definition. In den meisten wird die Reproduktionsfunktion betont und gesellschaftlich und historisch veränderbare Elemente vernachlässigt. Nave-Herz (2002) führt 3 konstitutive Merkmale auf, nach denen Familien sich von anderen Lebensformen in einer Gesellschaft in allen Kulturen und zu allen Zeiten unterscheiden:

Familien besitzen erstens eine biologisch-soziale Doppelnatur, insofern als dass sie eine Reproduktions- und eine Sozialisationsfunktion besitzen. Des weiteren zeigen sie ein besonderes Kooperations- und Solidaritätsverhältnis. Dieser Punkt ist für die vorliegende Arbeit entscheidend, da er beinhaltet, dass Familien eine spezifische Rollenstruktur besitzen mit nur für sie geltenden Rollendefinitionen und Bezeichnungen, wobei die Definitionen und die Anzahl der Rollen jeweils kulturabhängig sind. Drittens besitzen sie eine Generationsdifferenzierung. Dieses Kriterium kann sich auf die oben erwähnte Kernfamilie oder, erweitert, auf die Struktur der Ursprungsfamilie beziehen.

2. Familienwandel

Oben wurde bereits erwähnt, dass Familien historisch veränderbare Elemente besitzen. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle die Entstehung der modernen Kleinfamilie skizziert werden.

In der vorkapitalistischen Gesellschaft bestand eine Einheit zwischen Produktion und Haushalt, sowohl räumlich als auch sozial. Der Hausvater besaß im Gegensatz zu den übrigen Familienmitgliedern eine eher mächtige Position und die Beziehungen waren insgesamt eher sachlich-ökonomisch angelegt. Somit besaßen Kinder ebenfalls eine eher ökonomische, anstatt einer emotionalen Bedeutung.

Im Frühkapitalismus entstand die moderne Kleinfamilie, deren zentrales Merkmal die Abspaltung von Produktion und Haushalt ist. Folge dieser Entwicklung war, dass die Familie nunmehr zu einem privaten, emotionalen Lebensbereich wurde, im Rahmen dessen ökonomische Erwägungen nicht mehr im Vordergrund standen, so dass sich im Bürgertum die nicht-Erwerbstätigkeit von Frauen und Kindern und allerdings auch die damit verbundene Abhängigkeit durchsetzte.

In der heutigen Zeit bestehen aufgrund der Ablösung von herkömmlichen Orientierungen mehr Möglichkeiten zur individuellen Lebensgestaltung. Diese Entwicklung hat, so wird von wissenschaftlicher Seite her betont, insbesondere eine Pluralität an Lebensformen zur Folge. Nave-Herz (2002) typologisiert Familienformen in Eltern-Familien mit formaler Eheschließung, als nicht-eheliche Lebensgemeinschaften, als homosexuelle Paare und in Ein-Eltern-Familien als Mutter-Familien oder Vater-Familien. Dabei sieht sie zahlreiche Möglichkeiten der Familienbildung. Sie unterscheidet dabei Geburt, Adoption, Scheidung / Trennung, Verwitwung, Wiederheirat, Pflegschaftsverhältnis.

Diese Entwicklung wird sowohl positiv als auch negativ gesehen. Auf der einen Seite wird von einer Deinstitutionalisierung im Sinne einer zunehmenden Instabilität mit sinkender Verbindlichkeit und auf der anderen Seite von einem Freiheiten gewährenden Individualisierungsprozess gesprochen. In der Literatur wird immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Entwicklung nicht ganz neu ist, dass die Lebensformen zum Teil bereits vor der Industrialisierung bestanden haben, dass allerdings die Quantität, sowie die soziale und normative Akzeptanz in der heutigen Zeit zugenommen haben. In diesem Sinne kann nicht von einem Zerfall von Familienstrukturen, sondern von einer Wandlung, welche die Strukturen und die Gestaltung des familiären Zusammenlebens betrifft, gesprochen werden. Auch von einem völligen Funktionsverlust zu sprechen greift zu weit. Familiäres Zusammenleben wird auch heute noch als wichtiger Orientierungspunkt im Prozess des sozialen Lebens und Lernens angesehen (vgl. Eckert 2002). Cloerkes (2001) relativiert die Diskussion angemessen und spricht von strukturellen und funktionellen Schwächen der modernen Kleinfamilie und betont, dass diese gleichzeitig wichtige Funktionen erbringt, so dass die Menschen wahrscheinlich auch in Zukunft auf diese Form des Zusammenlebens zurückgreifen werden. Haufert / Seifert / Beck / Jantzen / Mrozynski (2002) geben an, dass ca. 85 % aller Kinder in Kernfamilien leben würden, so dass dies die Dominante Form wäre, was deren Wichtigkeit auch für die heutige Zeit belegt.

Festzuhalten ist, dass die moderne Kleinfamilie für die Menschen eine wichtige Form des Zusammenlebens darstellt, da sie grundlegende Bedürfnisse erfüllt, dass die Strukturen gleichzeitig aber nicht mehr so festgefahren sind wie in der vorindustriellen Zeit, so dass sich neben positiven Auswirkungen auch eine gewisse Störempfindlichkeit ergibt. Aus diesem Grunde ist es berechtigt zu überprüfen, inwiefern sich die Herausforderungen, die sich mit der Geburt eines behinderten Kindes ergeben, auf die Strukturen der Familie auswirken.

3. Kennzeichen von Familien

Wie oben bereits erwähnt, haben Familien einen Bedeutungswandel durchgemacht. Ökonomische Erwägungen stehen nicht mehr im Vordergrund, statt dessen emotionale. Die Aufgabe besteht nun darin grundlegende Bedürfnisse zu befriedigen. Diese bestehen hauptsächlich in physiologischen Bedürfnissen, dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Sicherheit und nach Zuwendung und Liebe. Nach Eckert (ebd.) ist die Befriedigung dieser Bedürfnisse, die Grundlage für die Erreichung von Selbstachtung, Leistungsfähigkeit und Selbstverwirklichung. Es ist ersichtlich geworden, dass die einzelnen Mitglieder sehr hohe Erwartungen und Anforderungen an das Familienleben stellen. Gerade die Befriedigung der Bedürfnisse ist jedoch sehr störungsempfindlich was Veränderungen in den familiären Strukturen betrifft, was leicht zu Unzufriedenheit führen kann.

Die Strukturen von Familien besitzen zwar auch heute noch traditionelle Züge, sie haben sich aber durchaus verändert. Männer sorgen noch maßgeblich für das Familieneinkommen und Frauen sind überwiegend für Haushalt und Familie zuständig, aber die Erwerbstätigkeit von Frauen und damit einhergehende veränderte Ansprüche an die Lebensführung haben zugenommen. Dies wird gesellschaftlich jedoch nur wenig unterstützt, da es an Tageseinrichtungen und der Akzeptanz der Inanspruchnahme solcher Einrichtungen fehlt.

Die Geburtenrate und damit die durchschnittliche Geschwisterzahl haben abgenommen. Auch die Verwandschaftsnetzwerke haben sich reduziert. Dadurch hat sich die Bedeutung des Kontakts von Kindern zu den Eltern und zu Gleichaltrigen erhöht.

Innerhalb der Familien bestehen verschiedene Beziehungen unterschiedlicher Intensität und Qualität, welche sich gegenseitig bedingen. Eckert (2002) unterscheidet die Eltern- bzw. Paarebene, Eltern-Kind-Beziehungen, Geschwisterbeziehungen und Mehrgenerationenbeziehungen. Die Qualität der Paarebene besitzt dabei eine besondere Bedeutung für den Prozess der Familienentwicklung, wobei insbesondere eine elterliche Kooperation ausschlaggebend ist. Für die Eltern-Kind-Beziehung können verschiedene Faktoren ausgemacht werden, die, je nach Ausprägung, als Ressourcen oder als erschwerende Bedingungen ausgemacht werden können. Schneewind (vgl. ebd.) nennt folgende: Temperamentsmerkmale des Kindes, elterliche Persönlichkeitsmerkmale, Beziehungserfahrungen in der Herkunftsfamilie, Ehebeziehung und Elternallianz, Arbeitsplatzerfahrungen, soziale Unterstützung, ökonomische Lage. Geschwisterbeziehungen sind diejenigen Beziehungen, die am längsten andauern. Es wird davon ausgegangen, dass diese eine hohe Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung haben, da diese ein geschütztes Experimentierfeld für die Gestaltung von Beziehungen darstellen. Mehrgenerationenbeziehungen finden sich zwar meist nicht mehr in einem Haushalt, sind aber trotzdem noch vorhanden und werden hinsichtlich emotionaler Bindungen und Betreuungsmöglichkeiten als bedeutsam erachtet.

Sowohl die Eltern als auch die Kinder sind in außerfamiliäre Systeme eingebunden, die damit Einfluss auf die gesamte Familie nehmen. Für die Eltern sind dies vornehmlich die Bereiche Arbeit und soziale Netzwerke. Die Arbeit wirkt sich auf die Strukturierung des familiären Zusammenlebens aus, die Zufriedenheit in diesem Bereich ist aber vor allem für die allgemeine Lebenszufriedenheit verantwortlich und damit für die Qualität des Familienlebens mitverantwortlich. Zudem sind Arbeitslosigkeit und Hausarbeit gesellschaftlich negativ bewertet und können dementsprechende Probleme, wie z.B. Ausgrenzung, mit sich bringen. Eine wichtige Ressource bilden soziale Netzwerke. Sie entwickeln sich meist durch das außerfamiliäre Leben, besitzen eine stabilisierende Funktion im Alltag und helfen bei der Bewältigung von Krisen. Dabei können primäre Netzwerke (Freunde, Verwandte etc.) von sekundären (Freizeitgruppen, Vereine etc.) und tertiären (Beratungsstellen, Ärzte etc.), welche jeweils einen unterschiedlichen Grad an Spontaneität bzw. Organisiertheit aufweisen, unterschieden werden. Der stabilisierende Einfluss hängt jedoch weniger von der Quantität, sondern vielmehr von der Qualität der Netzwerke ab.

Die räumliche und soziale Umwelt von Kindern wird als „Verinselung“ (vgl. Engelbert) bezeichnet. Sie halten sich in Institutionen auf, welche sich an ihren Belangen orientieren und sozusagen Schonräume bilden. Diese vergeben und begrenzen Handlungsspektrum und Kontaktmöglichkeiten. Um diese verinselten Lebensräume aufzusuchen ist Selbstständigkeit und Mobilität von Seiten der Kinder erforderlich, aber auch die Eltern sind bezüglich Organisations- und Mobilitätshilfen gefordert.

[...]

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Das behinderte Kind in der Familie. Die Veränderung der Rollenstruktur
Hochschule
Technische Universität Dortmund
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V33760
ISBN (eBook)
9783638341585
ISBN (Buch)
9783638894357
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kind, Familie, Veränderung, Rollenstruktur
Arbeit zitieren
Sandra Kleine (Autor:in), 2004, Das behinderte Kind in der Familie. Die Veränderung der Rollenstruktur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33760

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