Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
1. Einordnung Shining: Horror zwischen Kostümen und Krieg
2. Ausblick: Aufbau der Interpretation
II. Interpretation
1. Jack Torrance
a) Anspannung
b) Aggression
c) Beginnender Wahnsinn
d) Im Dienste des ‚Hotels’
e) Was ermöglicht Jacks Wandlung?
2. Danny Torrance
a) Stellung innerhalb der Familie
b) Übersinnliche Fähigkeiten
3. Wendy Torrance
a) Als Ehefrau
b) Als Mutter
4. Dick Hallorann
5. ‚Das Hotel’
a) Die Zwillinge und ‚der blutende Fahrstuhl’
b) Zimmer
c) Delbert Grady
6. Darstellungsmittel und rätselhaftes Ende
a) Bilder und Zentrierungen
b) Erzähltempo
c) Änigma
III. Zusammenfassung
V. Bibliografie
I. Einleitung
1. Einordnung Shining: Horror zwischen Kostümen und Krieg
„Die visuelle Dominante in den Filmen Kubricks ist stets der Zusammenbruch einer Ordnung unter dem Angriff einer Gewalt.“1 (Michel CIMENT)
Und so verblüfft es nicht, dass auch in Stanley Kubricks 1980 veröffentlichter Verfilmung von Shining eine Ordnung, nämlich eine Familie, zerbricht.
Für den 1999 verstorbenen Kubrick, der unter anderem 1975 das Leben des Barry Lyndon nach einer Romanvorlage von William Makepeace THACKERAY als Historiendrama mit bunten Kostümen verfilmte und im Jahre 1987 den schockierenden Antikriegsfilm Full Metal Jacket herausbrachte, wurde Shining der erste und einzige Horrorfilm seiner Karriere.
Die Idee für den Film lieferte ein Roman: 1977 schrieb Stephen KING sein Werk The Shining, welches 1980 in der deutschen Übersetzung veröffentlicht wurde. Das Drehbuch zu Kubricks Verfilmung verfasste jedoch nicht King, sondern Diane JOHNSON. Weil Kubrick mit dem von King vorgelegten Drehbuch nicht zufrieden war, wandte er sich an Johnson, für deren Roman The shadows knows er sich begeisterte.2 Dass aus Kubrick und King keine Einheit werden konnte, weiß auch Paul DUNCAN,
„[…] weil Kings Arbeit von Lesern abhängt, die sich in die Charaktere hineinversetzen, während es Kubrik [sic!] wichtig war, seine Figuren auf emotionaler Distanz zu halten“.3
Kubricks Shining wartet tatsächlich mit Figuren auf, die eine Identifikation kaum möglich machen. Dennoch zieht die Geschichte um das mysteriöse Hotel, in dem sich ein Familiendrama abspielt, den Zuschauer bis zum Schluss in ihren Bann. Und auch wenn das Hotel nicht unbedingt der ‚Protagonist’ des Filmes ist - was King bemängelte - ist es dennoch wesentlicher Bestandteil und lässt Shining damit zur Kategorie der haunted-house- Schocker zählen.
Der Plot ist relativ schnell erzählt: Jack Torrance will zusammen mit seiner Frau Wendy und seinem Sohn Danny im in den Bergen gelegenen Overlook Hotel als Hausverwalter überwintern, um in der Abgeschiedenheit einen Roman zu schreiben. Doch der Aufenthalt dort verändert den Mann und lässt ihn zum Mörder werden.
2. Ausblick: Aufbau der Interpretation
In der folgenden Interpretation werde ich mich intensiv mit den in Shining auftretenden Hauptfiguren auseinandersetzen und dabei insbesondere ihre Entwicklung während des Aufenthaltes im Overlook Hotel herausarbeiten.
Auch mit dem Hotel und den ihm innewohnenden Mächten werde ich mich beschäftigen und untersuchen, mit welchen Methoden es gegen die Familie Torrance vorgeht. Ferner werde ich einen Blick auf die wichtigsten darstellerischen Mittel werfen und ihre Wirkung aufzeigen sowie das rätselhafte Ende des Films näher beleuchten.
II. Interpretation
1. Jack Torrance
Jack ist ohne feste Anstellung und will einen Roman schreiben. In der Hoffnung, dass ihm die Abgeschiedenheit des in den Bergen Colorados gelegenen Overlook Hotels die notwendige Ruhe zum Schreiben bietet, nimmt er dort während der Winterzeit, in der das Hotel geschlossen ist, die Stelle des Hausverwalters an. Im Film wird Jack Torrance von Jack Nicholson dargestellt.
a) Anspannung
Jack und seine Familie leben in bescheidenen sozialen Verhältnissen. Dies wird in der ersten Szene Die Bewerbung klar, als man sieht, wie Wendy und Danny in einer einfachen Küche sitzen und auf Jacks Heimkehr warten. Damit lastet großer Druck auf Jack: Er muss Geld verdienen, um seine Familie zu ernähren. Da das, was er gerne tun möchte - einen Roman schreiben - aber (zumindest während des Schreibprozesses) noch kein Geld einbringt, ist er gezwungen, eine Arbeit anzunehmen. Die Stelle als Hausverwalter im Overlook Hotel scheint geradezu prädestiniert für ihn zu sein, da er dort hauptsächlich lediglich mit der Prävention von „Frostschäden“ beschäftigt wäre und die restliche Zeit schreiben könnte.
Die größte Herausforderung der Arbeit für das Hotel stellt laut Manager Ullman die „Einsamkeit“ und „Isolation“ der Lokalisation dar. Jack sieht in dieser Isolation zunächst die nötige „Ruhe“ für seinen Schreibprozess. Zwar wird er etwas hellhörig, als ihm Ullman von einem schrecklichen Vorfall aus der Vergangenheit erzählt und spekuliert, dass die Isolation das Motiv dafür war, doch wirft er seine Skepsis im nächsten Moment mit den Worten „Meine Frau wird fasziniert sein - sie liebt Horrorfilme“ ab.
Als später die gesamte Familie zum Hotel anreist, bemerkt man deutlich, dass Jack angespannt ist. Die Fragen, die Danny ihm stellt, nimmt er mit strapaziertem Gesichtsausdruck entgegen und erzählt dem Jungen daraufhin Kannibalengeschichten. Ähnlich verfährt Jack, als seine Frau ihn anspricht.
b) Aggression
Dass sich Jacks Anspannung sukzessiv zur Aggression steigert, ist bereits einen Monat später zu erahnen, als er nervös einen Baseball gegen die Hotelwände schmettert, weil er unter einer Schreibblockade leidet. Hier ist bereits abzusehen, dass Jack dabei ist, sich von seiner Familie abzukapseln. Diese Vermutung wird von einer späteren Filmszene untermauert: Während Wendy und Danny draußen gemeinsam das Labyrinth durchqueren, blickt Jack im Innern des Hotels lediglich auf den Modellbau des Irrgartens hinab. Eine ähnliche Szene ist wenig später zu sehen: Hier toben Wendy und Danny zusammen durch den Schnee, während Jack nicht an seinem Schreibplatz sitzt, sondern mit ungepflegtem Äußeren und starrem Blick aus dem Fenster ins grelle Licht sieht, was schon darauf hindeutet, dass er dem Wahnsinn verfallen wird.
Eine erste offene Konfrontation zwischen den Eheleuten findet inmitten der beiden vorgenannten Szenen statt, als Wendy Jacks Arbeitsraum betritt, um ihn etwas zu fragen. Er reagiert ungehalten und fordert sie auf zu gehen - ihr Eindringen störe seine Konzentration. Dass er zu diesem Zeitpunkt bereits an Wut zugelegt hat, offenbaren sein laut hallendes Tippen und der Umstand, dass er nicht mehr zentral im Bild sitzt, was darauf schließen lässt, dass er mehr und mehr seine Mitte - und damit auch seelische Stabilität - verliert.
Am Samstag hört man Jack noch lauter tippen, sieht ihn aber nicht. Die Aufnahmen von ihm bei der Arbeit sind nun völlig dezentral, was die Interpretation zulässt, dass er seine Mitte bereits verloren hat.
Die einzige Szene, in der Vater und Sohn allein zu sehen sind, findet am Montag statt. Hier wirkt Jack stark verändert, ist mit einem blauen Hemd und einem blauen Bademantel bekleidet und spricht auffällig langsam. Auch dem Jungen fällt die Veränderung auf und er fragt Jack, ob er „krank“ sei. Dieser entgegnet ihm, dass er lediglich „müde“ sei, weil er „zu viel zu tun“ habe und deshalb „keinen Schlaf“ finde. Dies ist allerdings merkwürdig, da man Jack die vergangenen Tage nur selten bei konzentrierter Arbeit beobachten konnte, sondern ihn meistens in einer Schreibblockade versunken oder aber beim Abreagieren seiner Aggressionen sah. Hausmeisterpflichten verübt nicht er, sondern seine Frau. Es ist also die Frage, was ihn so verausgabt. Im Gespräch mit Danny ist deutlich zu erkennen, dass Jack eine starke Bindung zum Haus aufgebaut hat, da er seinem Sohn klar sagt, dass er das Hotel „mag“ und „für immer“ dort bleiben will. Dannys Frage, ob der Vater seiner Familie jemals Gewalt antun würde, begegnet Jack mit Zorn und Misstrauen. Er vermutet Wendy hinter dieser Sorge und erklärt Danny: „Ich liebe dich mehr als alles andere auf dieser Welt.“
c) Fortgeschrittener Wahnsinn
Dannys Bedenken scheinen nicht aus der Luft gegriffen zu sein, denn am Mittwoch weckt Wendy den im Schlaf schreienden Jack, der daraufhin äußert, dass er einen schrecklichen Albtraum hatte, in dem er seine Familie zerstückelt hat. Im nächsten Augenblick gibt er selbst zu, dass er glaubt, den Verstand zu verlieren. Diese Äußerung verliert jedoch an Gewicht, da kurz darauf der verwundete und verstörte Danny den Raum betritt und Wendy augenblicklich annimmt, dass Jack ihm Gewalt angetan habe. Mit dieser Szene nimmt das Verhältnis zwischen Jack und Wendy nachhaltigen Schaden, weil Wendys Vertrauen in Jack einen tiefen Riss erleidet. Ihr Entsetzen erklärt sie, indem sie Jack ein „gemeines Schwein“ und einen „Unmensch[en]“ nennt.
Auch wenn sich herausstellt, dass es nicht Jack war, der Danny derart zugerichtet hat, bleibt das Verhältnis zwischen dem Ehepaar unwiderruflich gestört. Jack flüchtet in den Alkohol und in Halluzinationen. So findet er es anscheinend nicht merkwürdig, dass im Barraum des Hotels der ihm bekannte Lloyd, der „immer der beste Barkeeper“ war, Bourbon ausschenkt. Mehr noch, Jack klagt der Erscheinung seine Sorgen, macht seiner Wut über Wendy Luft, indem er sie als
„Scheißweib“ bezeichnet und erklärt, dass er Danny, dem „kleinen Aas“, nichts antun wolle. In dieser Szene wird deutlich, dass er seinem Sohn in der Vergangenheit schon einmal wehgetan hat. Als Wendy herausgefunden hat, wer Danny angegangen hat, informiert sie Jack, der daraufhin das Zimmer 237 betritt. Hier bietet sich ihm zunächst das Trugbild einer hübschen, nackten Frau an, die wenige Augenblicke später aber zu einer mumifizierten Greisin zerfällt. Dieser Vorfall bewirkt etwas in Jack, denn Wendy verschweigt er die Geschehnisse und bezichtigt Danny stattdessen, sich die Verletzungen selbst zugefügt zu haben. Daraufhin kommt es zu einer weiteren Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten, in welcher Wendy den Wunsch äußert, dass die Familie das Hotel verlässt. Daraufhin wirft Jack Wendy Egoismus vor, projiziert hiermit aber nur seine eigene Selbstsucht auf sie - denn schließlich ist er es, der dort in Ruhe schreiben und damit erfolgreich werden will, während sie die ihm zugedachten Aufgaben erledigt. Die beiden gehen im Streit auseinander und Jack flüchtet wieder in die Bar und den Alkohol.
Diesmal dient der Aufenthalt in der Bar jedoch nicht nur der Alkoholzufuhr, sondern kann gleichzeitig auch als Schlüsselszene angesehen werden: Jack begegnet hier Delbert Grady, dem ehemaligen Hausverwalter, der vor vielen Jahren im Overlook Hotel seine Frau und Kinder ermordet hat, welcher ihn dazu aufstachelt, Wendy eine „Lektion“ zu erteilen. Es kann davon ausgegangen werden, dass Jack aufgrund dieses Erlebnisses komplett dem Wahnsinn verfällt, da das Zusammentreffen mit einer Person, die natürlicherweise tot sein müsste, nach dem Erlebnis in Raum 237 seinen Verstand überfordert. Das Wahnsinnigwerden wäre somit ein Automatismus zum Selbstschutz. Jack gibt seine geistige Gesundheit und damit auch die Verantwortung für sein Handeln aus der Hand und lässt sich fortan vom Willen des Hauses bestimmen.
d) Im Dienste des ‚Hotels’
Nach seiner Begegnung mit Grady betätigt sich Jack zunächst als Manipulator im Dienste des Hotels und kappt die Funkverbindung. Wenig später wird sich herausstellen, dass er auch das Schneemobil funktionsuntüchtig gemacht hat.
Dann kommt es zum Eklat: Als Wendy in Jacks bisher getippten Seiten liest, stellt sie fest, dass ihr Mann wahnsinnig geworden ist. Die darauf stattfindende Konfrontation zwischen den beiden untermauert diesen Eindruck, denn sowohl Jacks Äußerlichkeit als auch seine Worte lassen darauf schließen, dass er einen Wandel durchgemacht hat: Unrasiert und unfrisiert schreitet er bedrohlich auf Wendy zu, beleidigt und beschimpft sie, will sie schließlich töten. Zwar kann Wendy Jack kurzzeitig ausschalten und im Kühlhaus einsperren, doch wird er vom Hotel freigelassen.
Kurz danach spürt Jack Wendy und Danny auf, um sie mit einer Axt zu ermorden. Als er vom herbeieilenden Hotelkoch abgelenkt wird, tötet er diesen kurzerhand. Wenig später verfolgt Jack Danny, welcher ihn ins Labyrinth führt. Hierbei wird deutlich, dass ein Teil von Jack nicht mehr aktiv ist, da seine Liebe für den Jungen erloschen zu sein scheint. Schlussendlich erfriert Jack im Labyrinth, weil er nicht wieder hinausfindet.
e) Was ermöglicht Jacks Wandlung?
Schon die erste Szene zusammen mit seiner Familie zeigt, dass Jack ein sehr angespannter Mensch ist. Da er sich während der Bewerbung bei Ullman aber sehr gelöst präsentiert, könnte es sein, dass er vor allem im Beisein mit der Familie Unwohlsein empfindet. Es ist möglich, dass er sich der Verantwortung, eine Familie zu ernähren, nicht gewachsen fühlt. Die Geldprobleme der Familie würden dieses Gefühl zusätzlich verstärken.
Es ist ebenso möglich, dass Jack seine Frau nicht liebt, was erklären würde, warum er während des gesamten Films wachsende Aggressionen gegen sie empfindet und das Gefühl hat, dass sie ihn sowohl in der Beziehung zu seinem Sohn als auch im Berufsleben behindert. Es ist nicht eine einzige Szene zu sehen, in der Liebe oder Zuneigung zwischen den Eheleuten ausgemacht werden kann; auch körperliche Annäherungen finden nicht statt. Man kann die Beziehung auf Basis des Gezeigten eher als Zweckgemeinschaft bezeichnen, in der einer vom anderen abhängig ist: Jack von Wendy, weil sie ihm den Rücken freihält, damit er schreiben kann, und Wendy von Jack, da sie ihn liebt.
Die Ursachen für Jacks unausgeglichenen Charakter könnten aber auch fern der Familie liegen, etwa in einem Alkoholproblem oder aber in seiner dauerhaften Frustriertheit aufgrund des beruflichen Misserfolgs.
Es ist schwierig, genau abzugrenzen, ob Jack ausreichend eigenes Potential für einen Amoklauf in sich trägt oder ob die Eskalation der Gewalt erst durch die negativen Einflüsse des Hauses ermöglicht wird. Auf den ersten Blick scheint es nicht so, als ob die Mächte des Hotels in Jacks Seele aktiv in seine Seele eindringen und sie fernsteuern würden.
[...]
1 Ciment, Michel: Kubrick. 1982. München: Bahia.
2 http://de.wikipedia.org/wiki/Shining_%28Film%29
3 Duncan, Paul. Visueller Poet. 2008. Köln: Taschen. S. 80f. 2