Die Geburt der Psychoanalyse ist eng an die Literatur gebunden. Nicht nur werden grundlegende Komplexe nach literarischen Figuren benannt, Freud bezieht sich stets auf Texte, deren Stoff eine angemessene Darstellung tiefenpsychologischer Vorgänge anbieten. Dabei handelt es sich jedoch um Strukturen, die an fiktiven Beispielen erläutert werden, und nicht um einen vergleichbaren Therapieeinsatz. Die Zersplitterung der Subjektivität durch die Entdeckung des Unbewussten hat ihrerseits tiefgreifende Konsequenzen für die Literaturtheorie. Nicht nur stellt diese die Autorität des Autors als "Ich" in Frage, sondern benennt auch die psychischen Operationen, wodurch die Beziehung zwischen Sprache, Realität und Einbildungskraft charakterisiert wird. Das ermöglicht zum einen die Grundlegung rhetorischer Stilmitteln durch psychische Mechanismen, zum anderen gewinnt das Fiktive in der üblichsten Form der Träume eine hervorgehobene Rolle, denn diese geben durch ihre symbolische Sprache Auskunft über die aktuellen psychischen Vorgänge, die uns sonst verborgen bleiben.
Gerade der Traum steht durch seine Symbolik dem literarischen Text am nächsten. Durch diese Analogie lässt sich zeigen, dass die Bedingung der Möglichkeit für die Fiktionalität einer Quelle entspringt, die tiefer als die bloße Rationalität reicht und dadurch das Erlebnisraum im Voraus auf eine Weise strukturiert, die einem uneingeweihten Auge unzugänglich bleibt. Von diesem Gedanken ausgehend, setzt sich diese Arbeit zum Ziel, eine "archäologische" Übung zu illustrieren, indem die verborgenen Strukturen des Goetheschen Knabenmärchens „Der Neue Paris“ mithilfe der Psychoanalyse zutage gestellt werden. Dabei wird in erster Linie die instrumentale Dimension im psychoanalytischen Teil dargelegt, um diese im zweiten Teil zur Interpretation des Textes anzuwenden. Es wird ersichtlich, dass die rhetorischen Stilmittel eine Analogie zu psychischen Prozessen darstellen, die in einzelnen Abschnitten diskutiert werden. Die vorläufige Arbeitsthese ist, dass die Einweihung des Knaben in die schöpferische Dimension sich auf Kosten seiner Libido vollzieht, und zwar ist die sublimierte narzisstische Libido eine Voraussetzung für die Freischaltung kreativer Tätigkeit.
Inhaltsverzeichnis
- Realität und Phantasie im psychischen Leben
- Zur Frage der Anpassung
- Das Narzissmus-Paradigma
- Idealisierung, Identifizierung und narzisstisches Dichten
- Das Spiegelstadium - Selbstbewusstsein als Illusion
- Zwischenfazit
- Der Neue Paris
- Annäherungen
- Erstes Spiegelereignis
- Schöpferische Dimension und Erotik
- Das Spiel im Herzen des Gartens
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der psychoanalytischen Interpretation des Goetheschen Knabenmärchens Der Neue Paris. Ihr Ziel ist es, die verborgenen Strukturen des Textes mithilfe der Psychoanalyse aufzudecken und die instrumentale Dimension der Psychoanalyse zur Interpretation des Textes zu nutzen. Die Arbeit untersucht die Beziehung zwischen Sprache, Realität und Einbildungskraft und analysiert die rhetorischen Stilmittel als Analogie zu psychischen Prozessen.
- Die Rolle der Phantasie und des Unbewussten in der literarischen Gestaltung
- Die Bedeutung des Spiegelstadiums für die Entwicklung des Selbstbewusstseins
- Die Beziehung zwischen Narzissmus und schöpferischer Tätigkeit
- Die Bedeutung des Realitätsprinzips und des Lustprinzips für das psychische Leben
- Die Verdrängung und ihre Auswirkungen auf die psychische Gesundheit
Zusammenfassung der Kapitel
Realität und Phantasie im psychischen Leben
Das erste Kapitel behandelt die psychoanalytische Perspektive auf die Beziehung zwischen Realität und Phantasie. Es wird die Entstehung des Bewusstseins als Schnittstelle zwischen Organismus und Welt beschrieben und die Funktion des Ichs als Vermittler zwischen den Trieben und dem Realitätsprinzip erläutert. Die Verdrängung als Mechanismus zur Bewältigung unerfüllter Wünsche und die Rolle des Traums als Ausdruck des Unbewussten werden vorgestellt.
Der Neue Paris
Das zweite Kapitel widmet sich der Interpretation des Goetheschen Knabenmärchens Der Neue Paris. Es werden die zentralen Ereignisse des Textes im Lichte der psychoanalytischen Konzepte, wie dem Spiegelstadium und dem Narzissmus-Paradigma, analysiert.
Schlüsselwörter
Psychoanalyse, Literaturtheorie, Phantasie, Unbewusstes, Spiegelstadium, Narzissmus, Realitätsprinzip, Lustprinzip, Verdrängung, Traum, Der Neue Paris, Goethe.
- Arbeit zitieren
- Daniela Schneider (Autor:in), 2015, Der Neue Paris. Versuch einer psychoanalytischen Interpretation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/338386