Während meiner beruflichen Laufbahn, insbesondere als Fachdienstleiterin einer Allgemeinen Sozialberatung, wurde ich oft mit schwierigen materiellen Situationen Hilfesuchender konfrontiert.
Viele Klientinnen erhofften sich vor allem materielle Hilfe. Ohne Zweifel war diese in vielen Fällen notwendig und hilfreich. Der materielle Hilfebedarf war jedoch größer als das für Notfälle zur Verfügung stehende Budget.
Finanzielle Schwierigkeiten, wie Stromsperren, ereilten die Klientinnen nicht über Nacht, sondern bahnten sich über einen längeren Zeitraum an. Hilfe wurde aber oft erst gesucht, wenn „nichts mehr ging“. In einer solchen Krisensituation über unangemessenes Finanzmanagement zu sprechen, ist in der Regel wenig hilfreich. Nach der erfolgreichen Krisenintervention (Darlehen usw.) sahen die Betroffenen oftmals keinen Anlass mehr, sich auf eine Beratung bezüglich ihrer Haushaltsplanung einzulassen.
Dies führte unter Fachkolleginnen zu regen Diskussionen über Sinn und Zweck finanzieller Hilfen. Die Problematik an sich, das falsche Haushaltsmanagement, sei damit nicht behoben und es somit absehbar, dass früher oder später wieder eine Notlage entstehe. Die betroffenen Klientinnen würden, so die These, im Gegenteil sich der Problematik entziehen und die finanzielle Unterstützung bewirke eine Aufrechterhaltung bisheriger dysfunktionaler, finanzieller Handlungen.
Mich interessierte, warum sich viele arme Menschen in Bezug auf Geld nicht so verhalten, wie es in ihrem Interesse läge, sondern so, wie es jeglicher Vernunft zu widersprechen scheint.
Als Beraterin konnte ich die Gründe oftmals nicht nachvollziehen. Eine Klientin, die ich bei der Wohnungssuche begleiten sollte, erzählte mir von ihrer kleinen Tochter. Mit Tränen in den Augen berichtete sie, ihr kein „Hochbett“ kaufen zu können, obwohl sie sich das so sehr wünscht. Sie müsse ihre Familie um Geld bitten und fühlte sich nun als „schlechte“ Mutter. Sie hatte Angst, ihr Kind würde sie nicht mehr lieben, wenn sie ihm diesen Wunsch nicht erfüllen würde. Rational war das für mich nicht nachvollziehbar. Bindungsverhalten und Konsum standen scheinbar in direktem Zusammenhang. [...]
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT
- 1 EINLEITUNG
- 2 KONSUMVERHALTEN ÜBER DIE EIGENEN VERHÄLTNISSE
- 2.1 Überschuldungsauslöser
- 2.2 Warum Haushaltspläne scheitern
- 2.3 Wenn das Normalste der Welt zum Dauerproblem wird
- 2.4 Wertigkeit in der Finanzplanung
- 2.5 Das Neuromarketing
- 2.6 Vom prägenden Umgang mit Geld
- 2.7 Das Verhältnis von Geld und Macht
- 3 HABEN ODER SEIN
- 4 IDENTITÄT UND IDENTITÄTSPROZESS IN DER INTEGRATIVEN THERAPIE UND BERATUNG
- 4.1 Die Ausbildung individueller Identität
- 4.2 Die fünf Säulen der Identität
- 4.2.1 Die Bedeutung der materiellen Sicherheit
- 4.2.2 Die Bedeutung von Tätigkeit für die Identität
- 4.2.3 Die Bedeutung von sozialen Netzwerken und Werten für die Identität
- 4.2.4 Die Bedeutung der Leiblichkeit für die Identität
- 5 IDENTITÄTSARBEIT AUS DER SICHT MULTIDIMENSIONALER PERSPEKTIVEN
- 5.1 Die Entwicklung eines Kernselbst nach Stern
- 5.2 Selbst und Identität aus Sicht des Psychodramas
- 5.3 Symbolischer Interaktionismus nach Stryker
- 5.4 Selbstdarstellung als aktiver, kreativer Akt nach Schütz & Marcus
- 5.5 Das übersättigte Selbst nach Gergen
- 5.6 Identitätsarbeit als Lebenskunst nach Keupp
- 5.7 Stigma als Beschädigung sozialer Identität nach Goffmann
- 5.8 Konsum und Identität im familiären Kontext
- 6 WAS IST UNWIRTSCHAFTLICH?
- 7 SCHLUSSFOLGERUNGEN
- 8 BERATUNGSRELEVANTE ANSÄTZE
- 9 PLANUNG DES FORSCHUNGSPROJEKTES
- 9.1 Der Entdeckungszusammenhang
- 9.2 Die Leitfrage
- 9.3 Methoden der Evaluation
- 9.4 Der Pretest
- 9.5 Auswahl der Stichproben und Zugang zum Feld
- 10 DURCHFÜHRUNG DER BEFRAGUNG
- 10.1 Auswertungsverfahren
- 10.2 Ablaufmodell der Analyse
- 11 FALLDARSTELLUNG
- 11.1 Fall A
- 11.2 Fall B
- 11.3 Fall C
- 12 RELEVANZ FÜR DIE BERATUNG AUF GRUND DER ERHOBENEN DATEN
- 12.1 Fallspezifische Relevanz
- 12.2 Allgemeine Relevanz in Bezug auf Beratung
- 13 METHODOLOGISCHE EIGNUNG DES FORSCHUNGSDESIGN IM HINBLICK AUF DIE LEITFRAGE
- 14 AUSBLICK
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Master-Thesis untersucht die Bedeutung von Identitätskonstruktionen für das Konsumverhalten in einkommensarmen Familien mit Kindern und deren Relevanz in Beratungsprozessen. Die Arbeit befasst sich mit der Frage, wie Identität und Konsumverhalten in diesen Familien zusammenhängen und welche Rolle Beratungsprozesse spielen können, um diese Zusammenhänge zu verstehen und zu beeinflussen.
- Die Bedeutung von Identität für das Konsumverhalten in einkommensarmen Familien
- Die Herausforderungen der Überschuldung und ihre Auswirkungen auf die Identität
- Die Rolle von Beratungsprozessen in der Bewältigung von finanziellen Schwierigkeiten
- Die Bedeutung von Werten und sozialen Netzwerken für die Identitätsbildung
- Die Relevanz von multidimensionalen Perspektiven auf Identität und Konsumverhalten
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die den Forschungsgegenstand und die Relevanz der Thematik einführt. Kapitel 2 beleuchtet das Konsumverhalten in einkommensarmen Familien und geht auf die Ursachen von Überschuldung, das Scheitern von Haushaltsplänen und den Einfluss von Werten und Neuromarketing auf das Konsumverhalten ein. Kapitel 3 setzt sich mit dem Spannungsfeld zwischen "Haben" und "Sein" auseinander und beleuchtet die Bedeutung von materiellen Gütern für die Identität. Kapitel 4 widmet sich der Identität und dem Identitätsprozess in der integrativen Therapie und Beratung, wobei die fünf Säulen der Identität (materielle Sicherheit, Tätigkeit, soziale Netzwerke, Werte, Leiblichkeit) im Detail betrachtet werden. Kapitel 5 präsentiert verschiedene multidimensionale Perspektiven auf Identitätsarbeit, darunter die Ansätze von Stern, Stryker, Schütz & Marcus, Gergen und Keupp. Kapitel 6 untersucht den Begriff der Unwirtschaftlichkeit im Kontext des Konsumverhaltens einkommensarmer Familien. Die Arbeit endet mit einem Ausblick auf die Relevanz der Ergebnisse für die Beratungspraxis und die Planung weiterer Forschungsvorhaben.
Schlüsselwörter
Identität, Konsumverhalten, einkommensarme Familien, Überschuldung, Beratung, materielle Sicherheit, Werte, soziale Netzwerke, multidimensionale Perspektiven, Identitätsarbeit, Lebenskunst, Stigma, finanzielle Schwierigkeiten.
- Quote paper
- Karola Günther (Author), 2011, Identitätskonstruktionen in ihrer Bedeutung für Konsumverhalten in einkommensarmen Familien mit Kindern und deren Relevanz in Beratungsprozessen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/338911