Der Nichtraucherschutz in Gaststätten als Verfassungsrechtsproblem


Seminararbeit, 2016

26 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

LITERATURVERZEICHNIS

EINLEITUNG

DER NICHTRAUCHERSCHUTZ IN GASTSTÄTTEN ALS

VERFASSUNGSRECHTSPROBLEM

A. GESETZGEBUNGSKOMPETENZ
I. BUNDESKOMPETENZ NACH ART. 70 II, 71 FF. GG
1. Kompetenzen für das Recht bestimmter Stoffe
2. Kompetenzen für den Schutz bestimmter öffentlicher Güter
3. Personenbezogener Kompetenztitel
4. Zwischenergebnis Bundeskompetenz
II. LANDESKOMPETENZ NACH ART. 70 I GG
1. Status quo der Inanspruchnahme der Bundesgesetzgebungskom- petenz
2. (Verbleibende) Landeskompetenz nach Art. 70 I GG
III. ZWISCHENERGEBNIS GESETZGEBUNGSKOMPETENZ

B. MATERIELL-RECHTLICHE ERWÄGUNGEN
I. PFLICHT DES STAATES ZUM ERLASS EINES RAUCH- VERBOTS IN GASTSTÄTTEN
II. GRUNDRECHTSEINGRIFF DURCH EIN RAUCHVERBOT UND RECHTFERTIGUNG
1. Eingriff in die Berufsfreiheit von Gastwirten durch ein gesetzli- ches Rauchverbot in Gaststätten (Art. 12 I GG) und dessen Recht- fertigung
2. Eingriff in die Eigentumsfreiheit von Gastwirten durch ein gesetzliches Rauchverbot in Gaststätten (Art. 14 I S. 1 GG) und dessen Rechtfertigung
3. Eingriff in die allgemeine Verhaltensfreiheit von Rauchern durch ein gesetzliches Rauchverbot in Gaststätten (Art. 2 I GG) und dessen Rechtfertigung
III. PFLICHT ZUR DIFFERENZIERUNG UND ZULÄSSIGKEIT VON DIFFERENZIERUNGEN ZWISCHEN GASTSTÄTTEN BEI DER ANORDNUNG EINES RAUCHVERBOTES IN GASTSTÄTTEN IM LICHTE DES ART. 3 I GG, GGF. IVM ART. 12 I GG
1. Pflicht zur Regelung von Ausnahmen für bestimmte Gastrono- miebetriebe
2. Gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss

FAZIT - ZUGLEICH DARSTELLUNG DES SPIELRAUMS DES GESETZGEBERS

Literaturverzeichnis

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Einleitung

Das Rauchen erhitzte bereits die Gemüter von Goethe und Schiller1. Bis heute führt es immer wieder zu zwischenmenschlichen Streitigkeiten, z.B. zwischen Nachbarn2, Mietern und Vermietern3, Arbeitnehmern und Arbeitgebern4. Für die Klärung des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft und dabei auftretenden Konflikten ist das Recht berufen. Die genannten Beispiele stammen dabei aus dem Zivilrecht, also aus der Ebene zwischen Privatleuten.

Der Staat hat speziell in den letzten Jahren im Bereich der Gaststätten durch Erlass von Rauchverboten eingegriffen und für neuen Streitstoff gesorgt, der die Gerichte beschäftigt5. Inwieweit der Staat tätig werden muss und darf, richtet sich nach der Verfassung.

Fraglich ist in unserem föderalistischen Staat dabei zunächst, wer in diesem Bereich die Normsetzungskompetenz hat (s. sogleich A). Diese Frage ist ein Lehrbuchbeispiel insbesondere zur Darstellung der Systematik des Art. 74 I GG.

Weiterhin ist fraglich, ob der kompetente Gesetzgeber aufgrund von Schutz- pflichten vielleicht sogar zum Erlass eines Rauchverbots in Gaststätten ver- pflichtet ist (s. B I) und inwieweit er dies mit Blick auf Freiheitsrechte darf (s. B II).

Insoweit wie Differenzierungen geschaffen werden, stellt sich die Frage, inwieweit solche zulässig sind (s. B III).

Gegenstand dieser Arbeit ist daher nicht die Untersuchung der Verfassungs- mäßigkeit der einzelnen geltenden Gesetze, sondern allgemein, in welchem Umfang der Staat Rauchverbote in Gaststätten erlassen muss, bzw. darf. Beurteilungsmaßstab soll dabei das Grundgesetz und nicht die einzelnen Länderverfassungen sein. Abgestellt wird dabei nur auf den klassischen Ta- bakrauch6.

Der Nichtraucherschutz in Gaststätten als Verfassungsrechts- problem

A. Gesetzgebungskompetenz

Um die Frage der Existenz einer Bundeskompetenz ist seit Jahren ein heftiger Streit entfacht, der auch Parlamentarier7, Bundesbehörden8 und Medien9, aber im Wesentlichen noch nicht die Gerichte beschäftigt hat10.

I. Bundeskompetenz nach Art. 70 II, 71 ff. GG

Ein ausdrücklicher Kompetenztitel für eine ausschließliche Bundeskompetenz für Nichtraucherschutzvorschriften in Gaststätten besteht nicht. Selbst wenn die gesetzgebenden Organe aus grundrechtlichen Schutzpflichten zum Erlass solcher Vorschriften verpflichtet sein sollten, so würde sich hie- raus keine Bundeskompetenz ergeben, da Schutzpflichten die grundgesetzli- che Kompetenzordnung unberührt lassen, vielmehr nur das kompetente Organ verpflichten11.

1. Kompetenzen für das Recht bestimmter Stoffe

a) Recht der Genussmittel (Art. 74 I Nr. 20 2. Var. GG)
aa) Nichtraucherschutzvorschriften in Gaststätten als Vorschriften des Rechts der Genussmittel iSd Art. 74 I Nr. 20 2. Var. GG

Genussmittel sind Stoffe, die dazu bestimmt sind, - in unverarbeitetem oder verarbeitetem Zustand - vom Menschen verzehrt zu werden und bei denen der Verzehr mehr durch Genuss als durch Ernährung motiviert ist12. Dass hierzu Tabakerzeugnisse zählen, ist allgemeine Meinung13.

Art. 74 I Nr. 20 2. Var. GG wurde im Rahmen der Föderalismusreform vom Verkehr mit bestimmten Substanzen auf deren gesamtes Recht erweitert14, so dass der Verzehr miterfasst ist15.

Eben diesen haben Nichtraucherschutzbestimmungen in Gaststätten zum Gegenstand, konkret dessen Verbot in einem bestimmten geschlossenen öffentlichen Raum.

Daher fallen solche Bestimmungen an sich nach Art. 74 I Nr. 20 2. Var. GG in die konkurrierende Bundesgesetzgebungskompetenz16.

Teilweise wird dies jedoch mit folgender Argumentation bestritten. Da es Art.

74 I Nr. 20 2. Var. GG um den Schutz vor Gesundheitsschäden und Übervorteilung beim Verkehr geht, wird eine teleologische Reduktion nach dem persönlichen Schutzbereich des Art. 74 I Nr. 20 2. Var. GG dahingehend vorgenommen, dass nur der aktiv Verzehrende geschützt werden soll und daher Regelungen, die den Schutz vor dem passiven Verzehr bezwecken, nicht auf Art. 74 I Nr. 20 2. Var. GG gestützt werden können17.

Zunächst erscheint es fraglich bei Kompetenzverteilungsnormen von einem persönlichen Schutzbereich auszugehen. Daneben kommt es nicht auf das

Gemeinwohlziel an, das der Gesetzgeber verfolgt, sondern auf den Gegen- stand der Regelung18, der eben der Verzehr eines Genussmittels ist.

Die teleologische Reduktion ist daher abzulehnen, zumal sie der durch die Föderalismusreform gewollten Kompetenzerweiterung widersprechen würde19 und es verbleibt bei der konkurrierenden Bundesgesetzgebungskompetenz nach Art. 74 I Nr. 20 2. Var. GG.

bb) Kein Ausschluss nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG wegen ausdrücklicher ausschließlicher Landesgesetzgebungskompetenz für das Gaststättenrecht

Fraglich ist jedoch, ob Art. 74 I Nr. 11 GG aus systematischen und historischen Gründen dahingehend eingeschränkt werden muss, dass er den Konsum von Genussmitteln in Gaststätten nicht erfasst20.

Im Rahmen der Föderalismusreform wurde nämlich im Jahr 2006 das Gast- stättenrecht als Teilbereich der Wirtschaft bewusst und explizit der ausschließ- lichen Gesetzgebungskompetenz der Länder zugeordnet21. Ob man die aus- schließliche Länderkompetenz dann e contrario aus Art. 74 I Nr. 11 GG22 oder der Generalklausel des Art. 70 I GG entnimmt23, ist gleichgültig. Entscheidend ist vielmehr, ob der Reformverfassungsgeber mit der expliziten Ausnahme alle Bereiche des Gaststättenrechts oder nur dessen wirtschafts- verwaltungsrechtlichen Bestandteil ieS dem Landesgesetzgeber zuordnen wollte und ob der Nichtraucherschutz in Gaststätten zu diesem gehört. Die Entstehungsgeschichte mag hier leider keine Auskunft geben, da der verfassungsändernde Gesetzgeber die Ausnahmen für selbsterklärend gehalten und daher die Reichweite nicht genauer erläutert hat24.

Maßgeblich für die Auslegung ist jedoch aus der Entstehungsgeschichte, dass die Ausnahmeregelung dem besonderen Regionalbezug Rechnung tragen soll25 und aus der Systematik, die Regelung in Nr. 11, so dass nur Bereiche, die sonst vom Recht der Wirtschaft erfasst wären, ausgenommen sind. Das Gaststättenwesen an sich mag aufgrund der Verbundenheit mit der Ess- und Trinkkultur einen starken Regionalbezug aufweisen, für die Frage des Nichtraucherschutzes in Gaststätten ist ein solcher nicht zu erkennen, da er bundesweit alle Gaststätten betrifft, in denen geraucht wird. Der fehlende regionale Bezug ist auch daran zu erkennen, dass der Erlass von Rauchverbo- ten in Gaststätten eine europaweite Bewegung der letzten Jahre26 darstellt.

Zum Recht der Wirtschaft gehören alle Normen, die das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solches regeln27. Nichtraucherschutz- vorschriften in Gaststätten fallen unter diese Definition, da sie die wirtschaft- lichen Betätigungsmöglichkeiten von Gastwirten einschränken. Allerdings muss Art. 74 I Nr. 11 GG aufgrund seiner weiten Fassung und um andere Kompetenznormen nicht zu konterkarieren, also aus systematischen Gründen, dahingehend einschränkend ausgelegt werden, dass Wirtschaftszweige und wirtschaftsbezogene Sachverhalte, die in speziellere Bundeszuständigkeiten fallen, nicht von ihm erfasst werden28.

Wie gezeigt ist das Recht des Konsums von Rauchwaren bereits durch Art. 74 I Nr. 20 GG geregelt, so dass dessen Kompetenzzuordnung nicht durch einen Ausschluss nach Art. 74 I Nr. 11 GG unterlaufen werden darf29. Die andere Ansicht, die darauf abstellt, dass es sich um spezifische Gefahren beim Gaststättenbesuch handelt30, vergisst, dass es um die spezifischen Gefah- ren des Genussmittels Tabak(-rauch) anlässlich des Gaststättenbesuches geht. Zudem wäre es paradox und würde der dargestellten vom verfassungsändern- den Gesetzgeber angedachten Ausweitung des Kompetenztitels widerspre- chen, den Hauptpunkt des Konsums von Genussmitteln im öffentlichen Raum aus dem Bereich des Rechts der Genussmittel herauszunehmen.

cc) Erforderlichkeit nach Art. 72 II GG

Nach Art. 72 II GG ist eine Bundesregelung des Rechts der Genussmittel jedoch nur möglich, wenn und soweit sie zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich ist. Die Wirtschaftseinheit (Var. 3) wäre betroffen, „wenn es um die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik durch bundein- heitliche Rechtsetzung geht“31. Regelungen können sich dabei zwar auch auf bestimmte Wirtschaftssektoren wie die Gastronomie beschränken32, es ist jedoch nicht erkennbar, dass unterschiedliche Nichtraucherschutzregelungen auf Landesebene die Funktionsfähigkeit der bundesweiten Gastronomie beein- trächtigen33.

Erforderlich ist eine Regelung zur Wahrung der Rechtseinheit (Var. 2), wenn es andernfalls zu einer nicht hinnehmbaren Rechtszersplitterung mit proble- matischen Folgen käme34. Es geht also nach dem Sinn und Zweck und entge- gen dem Wortlaut um die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung und nicht um deren Einheitlichkeit35, da in den Bereichen des Art. 74 GG teilweise gerade uneinheitliche landesrechtliche Regelungen möglich sein sollen36. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist gefährdet, wenn diese sich in den einzelnen Bundeländern in „erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet“37.

Es ist schon fraglich, ob Regelungen über das Rauchen in Gaststätten so bedeutend für das bundesstaatliche Sozialgefüge und die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung sind, dass sie diese in erheblicher Weise betreffen können. Daneben haben alle Bundesländer Regelungen über den Nichtraucherschutz erlassen, die sich grundsätzlich lediglich dadurch voneinander unterscheiden, ob Ausnahmen für getrennte Raucherräume und Einraumgaststätten bestehen. Jedenfalls dieser Unterschied führt nicht zu einer nicht hinnehmbaren Rechts- zersplitterung oder einer erheblichen Auseinanderentwicklung, die das Sozial- gefüge beeinträchtigt.

Somit ergibt sich wegen Art. 72 II GG keine konkurrierende Bundesgesetzgebungskompetenz aus Art. 74 I Nr. 19 1. Var. GG.

b) Recht der Betäubungsmittel und Gifte (Art. 74 I Nr. 19 7. Var. und aE GG)

Art. 74 I Nr. 19 7. Var und aE GG erfassen ebenfalls das gesamte Recht der Betäubungsmittel und Gifte, also nicht nur den Verkehr, was sich aus der Wortlautänderung im Rahmen der Föderalismusreform ergibt38. Daher würden auch diese Titel den Nichtraucherschutz in Gaststätten erfassen, wenn Passiv- rauch als Betäubungsmittel oder Gift in diesem Sinn anzusehen ist39. Betäubungsmittel sind Drogen und Rauchgifte40. Entscheidend ist die schmerzlindernde und/oder bewusstseinsverändernde Wirkung des Stoffes41. Dies mag für Nikotin an sich denkbar sein42, jedoch jedenfalls nicht in der Form des Passivrauches, in dem es beim Nichtraucherschutz in Gaststätten im Wesentlichen geht.

Vor allem muss Tabak aber aus systematischen Gründen aus dem Begriff des Betäubungsmittels des Art. 74 I Nr. 19 7. Var. GG ausgeschlossen werden. Dieser ist bereits als Genussmittels von Art. 74 I Nr. 20 GG erfasst. Würde man dieses Paradigma des Genussmittels zugleich als Betäubungsmittel verstehen, würde man die grundgesetzliche Entscheidung für die Geltung des Erforderlichkeitserfordernisses (Art. 72 II GG) unterwandern. Gleiches gilt für den Begriff des Gifts.

Eine Bundeskompetenz aus Art. 74 I Nr. 19 7. Var. oder aE GG scheidet damit aus.

2. Kompetenzen für den Schutz bestimmter öffentlicher Güter

a) Allgemeine Kompetenz für den Gesundheitsschutz aus Art. 74 I Nr. 19 GG

Art. 74 I Nr. 19 GG enthält verschiedene Kompetenztitel aus dem Bereich des Gesundheitsschutzes. Daraus ist jedoch keine Globalermächtigung des Bundes zu schließen, da es sich eben nur um eine enumerative und spezielle Aufzählung von einzelnen Feldern aus diesem Gebiet handelt43. Vielmehr kann e contrario geschlossen werden, dass der Bund nur für die genannten Bereiche die Gesetzgebungskompetenz innehat44.

b) Maßnahmen gegen gemeingefährliche […] Krankheiten bei Menschen (Art. 74 I Nr. 19 1. Var. GG)
aa) Nichtraucherschutzvorschriften in Gaststätten als „Maß nahme gegen gemeingefährliche […] Krankheiten bei Menschen iSd Art. 74 I Nr.19 1.Var. GG

Gemeingefährlich sind jedenfalls Erkrankungen, die lebensbedrohende oder schwere Gesundheitsschäden zur Folge haben können und die - ohne dass sie ansteckend sein müssten (Wortlaut „oder“!) - nicht nur vereinzelt auftreten45. Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich, dass Krebs ein Paradebeispiel für eine solche Krankheit ist46, so dass es bei Krebserkrankungen sicher ist, dass diese vom Kompetenztitel umfasst sind.

Bezüglich des Umfanges ist nicht nur die Bekämpfung von solchen Krankheiten, sondern auch die Vorsorge und Vorbeugung erfasst47.

Der Nichtraucherschutz dient dem vorbeugenden Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens. Hierbei handelt es sich um Gesundheitsgefahren. Dass solche bestehen und dass es hierbei insbesondere auch um Krebs, insbesondere auch um den verbreiteten und potentiell tödlich verlaufenden Lungenkrebs geht, ist als überwiegende Meinung in der Wissenschaft anzusehen48. Die Gesund- heitsgefährlichkeit des Rauchens ist auch höchstrichterlich anerkannt49. Die Bundesregierung geht ebenfalls von einer sehr hohen und vermeidbaren Gesundheitsgefahr durch das Rauchen aus50. Da zudem dem Gesetzgeber aufgrund manchmal unsicherer wissenschaftlicher Erkenntnisse eine Einschät- zungsprärogative zugestanden werden muss, dient der Nichtraucherschutz der Vorsorge vor den durch das Rauchen begünstigten schweren Erkrankungen.

bb) Ausschluss mit Blick auf Art. 72 II GG

Die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 II GG ist nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht auf Art. 74 I Nr. 12 1. Alt. GG anwendbar.

Das systematische Argument, das mit Blick auf die Erforderlichkeitsklausel (Art. 72 II GG) und Art. 74 I Nr. 20 2. Var. GG („Recht der Genussmittel“) zum Ausschluss der Anwendung des Art. 74 I Nr. 19 7. und 8. Var. GG („Recht der […] Betäubungsmittel und Gifte“) führt, greift daher auch für Art.

74 I Nr. 12 1. Alt. GG, da es um eine Maßnahme gegen gemeingefährliche Krankheiten geht, die sich als Gefahren eines Genussmittels darstellen. Auch aus Art. 74 I Nr. 12 1. Alt. GG scheidet daher aus.

3. Personenbezogener Kompetenztitel

Arbeitsrecht einschließlich Arbeitsschutz (Art. 74 I Nr. 12 1. Alt. GG)

Arbeitsschutz ist die öffentlich-rechtliche Regelung des den Arbeitnehmern zu gewährenden Schutzes vor Gefahren, die sich im Zusammenhang mit der Arbeit ergeben51.

Da das Passivrauchen eine Gefahr darstellt, ist die Regelung eines Rauchver- botes am Arbeitsplatz, an dem der Arbeitnehmer andernfalls zwangsweise dem Passivrauch ausgesetzt wäre, eine Arbeitsschutzvorschrift, die unter Art. 74 I Nr. 12 1. Alt. GG fällt52.

Im Bereich der Gaststätten ist diese Gefahr für dort beschäftigte Arbeitnehmer besonders hoch53, sie besteht jedoch auch bei anderen Arbeitsplätzen. Auf- grund der Gefährdungsintensität wäre eine Arbeitsschutzregelung, die das Rauchen nur in Gaststätten verbietet, auch mit Blick auf Art. 3 I GG möglich. Die Kompetenz für eine solche Regelung aus Art. 74 I Nr. 12 1. Alt. GG wird - wie dargestellt - auch nicht durch die Ausnahmeregelung in Art. 74 I Nr. 11 GG ausgeschlossen. schätztes Gesundheitsrisiko, S. 20 ff., jew. mwN., Zimmermann, NVwZ 2008, 705, 708, a.A. Zapka, Passivrauchen und Recht, 76.

[...]


1 Rumler, www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-9095082.html, zuletzt abgerufen am 29. Dezem- ber 2012.

2 Z.B. BGH, NJW 2015, 2023, 2023 ff., LG Potsdam, NJW-RR 2014, 1418, 1418 ff.

3 Z.B. BGH, NZM 2006, 691, 691 ff., LG Hamburg, NZM 2012, 806, 806 f.

4 Z.B. LAG Köln, FD-Abr 2009, 278588.

5 S. z.B. OVB Münster, NVwZ-RR 2015, 211, 211 ff.

6 Zu E-Zigaretten, s. Muckel, JA 2012, 556, 558.

7 Bunge/Tempel, www.linksfraktion.de/pressemitteilungen/welt-nichtrauchertag-2011-bundestag- gesetzgebungskompetenz-nichtraucherschutz/, zuletzt abgerufen am 29. November 2015.

8 BMI, V1a-M-131 599/21b, S. 1 ff.

9 Ludwig, Der Spiegel 51/2006, S. 34 f.,

10 Nur am Rande und zu einer Teilfrage BVerfG, NJW 2008, 2409, 2411.

11 BMI, V1a-M-131 599/21b, S. 14.

12 Maunz/Dürig/ Maunz, Art. 74 GG, Rn. 226, BeckOK GG/ Seiler, Art. 74 GG, Rn. 76.

13 S. nur Degenhart, in Sachs, Grundgesetz, Art., 74 Rn. 90.

14 Stern/Geerlings, Nichtraucherschutz in Deutschland, S. 39 mwN.

15 Degenhart, a.a.O. 74 Rn. 90 mwN.

16 So auch ders., ebda.

17 So Schneider/Wulfes, Nichtraucherschutz durch staatlichen Eingriff oder individuelle Konfliktlö- sung?, S. 58.

18 BVerfG, NJW 2008, 2409, 2411.

19 Stern/Geerlings, Nichtraucherschutz in Deutschland, S. 40.

20 So wohl BayVerfGH, NVwZ-RR 2010, 946, 949.

21 BeckOK GG/ Seiler, Art. 74 GG, Rn. 44.

22 So BK/ Rengeling / Szceczekalla, Art. 74 I Nr. 11 GG, Rn. 16.

23 So z.B. BeckOK GG/ Seiler, Art. 74 GG, Rn. 44.

24 Ders. ebda.

25 Ders. ebda.

26 S. auch zum völkerrechtlichen Hintergrund Correll/Wagner, DÖV 2009, 698, 701. Seite 3/20

27 S. nur Maunz/Dürig/ Maunz, Art. 74 GG, Rn. 131 mwN zu Rspr. und Lit.

28 BeckOK GG/ Seiler, Art. 74 GG, Rn. 32, Stern / Geerlings, Nichtraucherschutz in Deutschland, S. 54.

29 Für Art. 74 I Nr. 19 GG: Stern / Geerlings, ebda.

30 Zimmermann, NVwZ 2008, 705, 707.

31 BVerfGE 106, 62, 146.

32 BeckOK GG/ Seiler, Art. 72 GG, Rn. 14.1.

33 Im Ergebnis ebenso Schneider / Wulfes, Nichtraucherschutz durch staatlichen Eingriff oder individuelle Konfliktlösung, S. 75.

34 BVerfGE 106, 62, 145.

35 So auch BeckOK GG/ Seiler, Art. 72 GG, Rn. 13.

36 Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 72 Rn. 16.

37 BVerfGE 106, 62, 144.

38 BeckOK GG/ Seiler, Art. 74 GG Rn. 72.

39 Für Gifte Stern / Geerlings, Nichtraucherschutz in Deutschland, S. 36 f.

40 Maunz/Dürig/ Maunz, Art. 74 GG Rn. 219.

41 Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 74 GG Rn. 87, Fn. 448.

42 Erwägend, aber im Ergebnis verneinend Stern / Geerlings, a.a.O., S. 39. Seite 5/20

43 So für das Gesundheitswesen BVerfGE 102, 26, 37.

44 Im Ergebnis ebenso Maunz/Dürig- Maunz, Art. 74 GG, Rn. 210.

45 So die h.M. ders. aaO, Rn. 211, a.A. v. Münch in v.Münch/Kunig, GGK II, Art. 74 GG, Rn. 84.

46 Stern/Geerlings, Nichtraucherschutz in Deutschland, S. 35 mit ausführlicher Schilderung und wN.

47 Maunz/Dürig/ Maunz, Art. 74 GG, Rn. 213, BeckOK GG/ Seiler, Art. 74 GG, Rn. 70, Stern/Geerlings, Nichtraucherschutz in Deutschland, S. 34.

48 BayVerfGH, NVwZ-RR 2010, 665, 667,. Guckelberg, GewArch 2011, 329, 329, Lepke , NZA-RR 1999, 57, 62 f., Stern / Geerlings, Nichtraucherschutz in Deutschland, S. 13 ff., Thiel- mann /Sc hulze / Pötschke-Langer / Schaller, Katrin / Bertram, in: Deutsches Krebszentrum (Hrsg.), Passivrauchen - ein unterschätztes Gesundheitsrisiko, S. 9 ff., Keil/Becher/Heidrich / Heuschmann / Krawinkel / Vennemann / Wellmann, in: Deutsches Krebszentrum (Hrsg.), Passivrauchen - ein unter-

49 BVerfG, NJW 1997, 2871, 2872, BGH, NJW 1994, S. 730, 731.

50 Bundesregierung, BT-Drucks. 16/1130, S. 2.

51 BeckOK GG/ Seiler Art. 74 GG, Rn. 47.1.

52 Degenhart, in Sachs, Grundgesetz, Art. 74 Rn. 54, Stern/Geerlings, Nichtraucherschutz in Deutschland, S. 48 f., Schneider/, Wulfes Nichtraucherschutz durch staatlichen Eingriff oder individuelle Konfliktlösung?, S. 69 f.jew. mwN.

53 S. zur Giftstoffkonzentration in Gaststätten Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.), Hohe Konzentrationen von giftigen und krebserzeugenden Stoffen durch Tabakraubelastung in deutschen Gastronomiebetrieben, S. 1 f.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Der Nichtraucherschutz in Gaststätten als Verfassungsrechtsproblem
Note
2,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
26
Katalognummer
V339097
ISBN (eBook)
9783668287051
ISBN (Buch)
9783668287068
Dateigröße
809 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
nichtraucherschutz, gaststätten, verfassungsrechtsproblem
Arbeit zitieren
Michael Peller (Autor:in), 2016, Der Nichtraucherschutz in Gaststätten als Verfassungsrechtsproblem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/339097

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