Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsklärung und Vorstellung der Theorien
2.1 Definition Übergangsobjekte
2.2 Funktionen der Beziehung zum Übergangsobjekt
2.3 Objektbeziehungstheorie nach Donald Winnicott
2.4 Grundlagen der Bindungstheorie nach John Bowlby
2.5 Bezug zu Übergangsobjekten in John Bowlbys Bindungstheorie
3. Fallbeispiele aus der Praxis und Interviews
3.1 Fallbeispiel I: Kind mit Übergangsobjekt
3.2 Interview mit Jonahs Mutter
3.3 Falleispiel II: Kind ohne Übergangsobjekt
3.4 Interview mit Pauls Mutter
4. Ergebnisse
4.1 Vergleich der Fallbeispiele
4.2 Darstellung der Ergebnisse und kritische Analyse
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
Das Thema der vorliegenden Arbeit eröffnete sich der Verfasserin im Rahmen ihrer erzieherischen Tätigkeit innerhalb einer Kinderkrippe. Denn die meisten Kinder starten ihre Eingewöhnungszeit mit einem Elternteil und einem Kuscheltier. Ist die Eingewöhnungszeit abgeschlossen, verabschieden sich die Eltern am Morgen und gehen zur Arbeit, aber das Kuscheltier bleibt.
In der heutigen Zeit, in der außerfamiliäre Kinderbetreuung immer früher beginnt, ist das Kuscheltier als Wegbegleiter ein aktuelles Thema. Bei der Betrachtung vieler Diskussionen in Online-Foren philosophiert eine Vielzahl von Eltern über das Kuscheltier. Folglich lohnt es sich danach zu forschen, ob nicht doch mehr hinter diesen geliebten Objekten steckt.
Es ergeben sich mehrere Fragen. Kann das Kuscheltier den Ablöseprozess des Kindes erleichtern? Wie bewältigt ein Kind mit Kuscheltier den Alltag in der Kinderkrippe im Vergleich zu einem Kind ohne dieses? Bietet es dem Kind Sicherheit um sich selbstständig entwickeln zu können? Im Rahmen dieser Ausarbeitung soll daher folgende Leitfrage bearbeitet werden. Sind Übergangsobjekte für die Entwicklung in der frühen Kindheit hilfreich?
Die Theorie von WINNICOTT beschäftigte sich schon in den 50er Jahren mit der Funktion des Kuscheltiers und gab einen Denkanstoß für weitere Ansichten, wie auch für die Theorie von BOWLBY. Im Abschnitt zwei sollen daher diese zwei Theorien dargestellt und in Beziehung gesetzt werden.
Zur sozialen Entwicklung des Kindes gehört unter anderem, sich von der Mutter abzulösen um die Welt zu erkunden, aber auch sich selbst zu entwickeln, um selbständig mit Herausforderungen klar zu kommen. Im Krippenalltag meistern Kinder viele Situationen ohne ihre Mutter. Sie lösen sich von ihr beim Abschied, gehen ohne sie schlafen und regulieren ihre Emotionen in schwierigen Situationen. Diese Beispiele sollen aufzeigen, ob ein Kuscheltier hilfreich sein kann und bilden daher den Kern der Fallbeispiele im Abschnitt drei.1
Im Abschnitt vier erfolgt ein Vergleich der beiden Fallbeispiele. Außerdem werden die Ergebnisse ausgewertet und kritisch betrachtet.
Abschließend soll ein Fazit im Abschnitt fünf die Leitfrage klären.
2. Begriffsklärung und Vorstellung der Theorien
2.1 Definition Übergangsobjekt
Nach der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie2 von WINNICOTT, ist das Übergangsobjekt ein vom Säugling selbst gewähltes Objekt, welches den intermediären Raum zwischen dem Kleinkind und der Mutter einnehmen kann und ist zugleich der erste „Nicht-Ich“ - Besitz des Kindes.3 Das meist materielle Objekt, wie etwa ein Kuscheltier oder eine Schmusedecke, erlaubt es dem Kind, den Übergang von der ersten frühkindlichen mütterlichen Beziehung zu einer reiferen Beziehung zu vollziehen. Nach WINNICOTT tritt dieses „Übergangsphänomen“ häufig im Alter von 4 bis 12 Monaten auf.4
Als kurze einprägsame Definition kann das Übergangsobjekt als „zweite Liebe -erster Besitz“5, wie FOOKEN es als Kapitelüberschrift in ihrem Buch Puppen - heimliche Menschenflüsterer formuliert, zusammengefasst oder umgangssprachlich als Kuscheltier beim Namen genannt werden.
2.2 Funktionen der Beziehung zum Übergangsobjekt
Die Beziehung zwischen Kind und Übergangsobjekt ist generell von starker Emotionalität geprägt und laut WINNICOTT grundlegend für normale Entwicklungsverläufe.6 Das Übergangsobjekt stellt eine Art Projektionsfläche dar, auf die das Kind seine Bedürfnisse, Wünsche aber auch seine Ängste projizieren und sich selbst damit erfahrbar machen kann.7 Eine der Hauptfunktionen des Übergangsobjektes ist es, beruhigend zu wirken und Spannungen abzuleiten. Eben wegen dieser Wirkung können Übergangsobjekte in spezifischen Situationen, beispielsweise wenn ein Kind müde, verletzt, emotional beunruhigt ist oder einfach nur schwer einschlafen kann, für das Kind von großer Bedeutung sein. So reduziert der Kontakt zum Objekt dabei meist Stress, Angst und Aufregung weshalb das Übergangsobjekt als wichtiger Helfer, beispielsweise in Trennungssituationen wie dem Übergang in Kinderkrippe und Kindergarten, seine Rolle findet.8
2.3 Objektbeziehungstheorie nach Donald Winnicott
Gleich nach der Geburt führt die totale Abhängigkeit des Säuglings zu einer Mutter - Kind-Einheit und so beschreibt WINNICOTT die Mutter, in den ersten Monaten nach der Geburt, als Teil des Säuglings und den Säugling als Teil der Mutter.9 Das Baby erschafft durch seinen Hunger die Illusion der Brust um sein Bedürfnis zu befriedigen und die Mutter stellt sich in dieser Situation zur Verfügung. Dadurch kann Urvertrauen entstehen und das Baby erfährt das Gefühl von Wirklichkeit und Lebendigkeit.10 Diese Phase löst sich mit der Periode der Entwöhnung ab. In dieser Zeit erschafft sich das Kind ein Übergangsobjekt und mit dessen Hilfe einen Zugang zur äußeren Welt.
„Das Objekt repräsentiert den Übergang des Kindes aus einer Phase der engsten Verbundenheit mit der Mutter in eine andere, in der es mit der Mutter als einem Phänomen außerhalb seines Selbst in Beziehung steht“11
Es lernt also, die innere und äußere Welt zu unterscheiden, voneinander getrennt zu halten und zueinander in Beziehung zu setzen.12 Durch die Schaffung des Übergangsobjektes ist das Kind in der Lage, zwischen Phantasie und Fakten zu unterscheiden und macht damit die ersten Schritte hin zur Entwicklung seines Selbst.13 Dieses Objekt hat die Qualität, für begrenzte Zeit die psychische Abwesenheit der Mutter zu ersetzen. WINNICOTT bezeichnet dies als Übergangsphänomen und stellte es in folgender Abbildung dar.14
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1 WINNICOTTS Veranschaulichung des Übergangsphänomens15
2.4 Grundlagen der Bindungstheorie nach John Bowlby
Grundlegend geht BOWLBY in seiner Bindungstheorie davon aus, dass der Mensch ein biologisch angeborenes Bedürfnis nach Bindung hat.16 Gleich nach der Geburt beginnt die Entwicklung von Bindungsverhaltensweisen, um bei Bedarf die Nähe zur Bindungsperson herzustellen. Der Säugling sichert sich auf diese Weise Zuwendung, Nähe, Schutz und emotionale sowie reale Sicherheit. Das Bindungsverhalten ist nach BOWLBY sichtbar und zeigt sich unter Anderem darin, dass das Kind in Situationen, in denen es von der Bezugsperson verlassen wird, weint, ihr nachläuft oder mit emotionalem Rückzug reagiert. Besteht jedoch eine sichere emotionale Basis, wird Explorationsverhalten möglich.17 Eine stabile Bindung schafft folglich die Voraussetzung, die Umwelt zu erkunden und sich zu entwickeln.
2.5 Bezug zu Übergangsobjekten in John Bowlbys Bindungstheorie
Sowohl BOWLBY als auch WINNICOTT waren sich über die Wichtigkeit der Mutter-Kind Beziehung einig und dennoch unterschieden sich ihre Meinungen im Bezug auf das Übergangsobjekt. So lehnte BOWLBY es in einer kritischen Auseinandersetzung mit WINNICOTT ab, den Ausdruck Übergangsobjekt zu verwenden und bezeichnete diese vielmehr als Bindungsobjekt, also als reines Ersatzobjekt. Er vertritt die Auffassung, dass Kinder sich nicht so häufig an unbelebte Objekte binden, wenn sie weniger von der Mutter getrennt sind und ein enger, lebhafter, körperlicher Austausch zwischen Mutter und Kind stattfindet.18
Die Bedeutung eines weichen, sinnlichen Gegenstands als Bindungsobjekt sah er jedoch auch durch das Experiment von HARLOW bewiesen. HARLOW fand Anhand von Versuchen mit Affen-Babys heraus, dass diese eine furchtreduzierende Bindung zu einer Stoffmutter gegenüber einer nahrungsspendenden Drahtmutter bevorzugten.19 Somit war für BOWLBY erkennbar, dass Übergangsobjekte oder eben auch Bindungsobjekte einen bedeutsamen Einfluss auf die Entwicklung einer gesunden Bindungsfähigkeit und eines sozialen Selbst haben.
WINNICOTTS Theorie beschäftigte sich schon früher mit der Thematik. Sie kann als Basis der Forschungen und Diskussionen zum Kuscheltier bezeichnet werden. Daher wird in dieser Arbeit weiterhin vom Übergangsobjekt ausgegangen und dieses auch so benannt.
3. Fallbeispiele aus der Praxis und Interviews mit den Müttern
Nach der Begriffsdefinitionen und der theoretischen Aufführung sollen nun zwei praktische Fallbeispiele von zwei Jungen im Alter von zwei Jahren, diese Arbeit ergänzen. Für die Erstellung der Fallbeispiele, wurden Beobachtungen niedergeschrieben, welche die Kinder in drei grundlegenden Situationen beschreiben. So bieten die Bringsituation am Morgen, das Freispiel und die Schlafsituation am Mittag einen Einblick in die emotionale Regulierung, die Selbstständigkeit der Kinder und in das Bindungsverhalten zwischen Mutter, Bezugserzieherin und dem Übergangsobjekt.
Um einen möglichst umfassenden Eindruck zu gewinnen, sollen Interviews mit den jeweiligen Müttern, zusätzlich die heimische Situation darstellen. Die Befragung der Mütter dauerte mit kurzer Vorstellung des Themas ca. 10 Minuten.
Beide Kinder besuchen eine Kindertagestätte in Bensheim. Es handelt sich hierbei ausschließlich um eine Kinderkrippe in der zurzeit 37 Kinder im Alter von 10 Monaten bis 3 Jahren, in drei Gruppen betreut werden.
3.1 Fallbeispiel I: Kind mit Übergangsobjekt
Jonah kam im März 2015 in die Einrichtung. Er ist im Februar 2014 geboren und zum Beobachtungszeitpunkt 2,2 Jahre alt. Er hat eine vier Jahre ältere Schwester und lebt mit ihr und beiden Elternteilen in einem neu gebauten Einfamilienhaus.
Seine Eingewöhnungszeit in der Einrichtung wurde von seiner Mutter begleitet. Im vorab stattfindenden Eingewöhnungsgespräch erwähnte die Mutter ein Tuch, dass er als Tröster und Begleiter benötigt. Während der Eingewöhnung hatte er dieses Tuch dabei, lies es jedoch oft bei der Mutter und erkundete offen und neugierig die Einrichtung. Die Bezugserzieherin und Jonah bauten schnell eine positive Beziehung auf und so war die Eingewöhnung recht schnell abgeschlossen.
Das Tuch gewann anschließend zunehmend an Bedeutung. Nachdem die Mutter nicht mehr in der Einrichtung blieb, sondern sich gleich verabschiedete, klammerte er sich an das Tuch. Nur durch die Einführung eines Rituals, war es möglich, das Tuch während der Essenszeit und zum Händewaschen weg zu legen. Hierfür brachte er gemeinsam mit der Bezugserzieherin das Tuch in sein Eigentumsfach und wurde dann zur Unterstützung an die Hand oder in den Arm genommen. Nach einem Jahr in der Einrichtung, kann Jonah das Tuch nun selbstständig in sein Fach bringen und benötigt „das Auffangen“ durch die Erzieherin nicht mehr.
In der Bringsituation hat Jonah sein Tuch immer noch bei sich und der Abschied von der Mutter gelingt problemlos.20 Im Tagesverlauf legt er sein Tuch weiterhin jedoch nur zum Essen oder Händewaschen aus der Hand.
Im Freispiel kommt es nun manchmal vor, dass er sein Tuch neben sich legt um spielen zu können. Wenn er sein Tuch dann jedoch nicht gleich wieder findet, beginnt er zu weinen und nach seinem Tuch zu verlangen. Sobald er es wieder hat, gelingt es ihm in kurzer Zeit, sich aufzufangen und nicht mehr zu weinen.21
In der Schlafsituation am Mittag, benötigt er sein Tuch und seinen Schnuller. Es gelingt ihm schnell zur Ruhe zu kommen und einzuschlafen,22
3.2 Interview mit Jonahs Mutter
Durch eine Befragung der Mutter, konnte zusätzlich in Erfahrung gebracht werden, dass die Geburt von Jonah normal verlief und er etwa 5 Monate gestillt wurde. Den Bezug zum Übergangsobjekt, seinem Tuch, baute er mit ca. 11 Monaten auf. Dabei war sein Objekt kein vorgefertigtes Kuscheltier, sondern der Schlafsack des Kindes. Nachdem dieser zu klein geworden war, wollte die Mutter ihn durch einen neuen ersetzen und erfuhr durch die Reaktion von Jonah, dass er diesen als sein Übergangsobjekt erwählt hatte. So wurden aus dem Schlafsack zwei praktische Tücher genäht, die Jonah im Wechsel überall hin begleiten. Lediglich in konzentrierten Spielsituationen, wird das Tuch kurzzeitig abgelegt. Eine Nacht ohne Tuch hingegen würde nach Zitat der Mutter: „gar nicht gehen.“ Die Mutter berichtete weiterhin, dass die Familie oft zusammenkommt und die Beziehung zu Jonah durch viel körperliche Zuwendung geprägt ist.23
3.3 Fallbeispiel II: Kind ohne Übergangsobjekt
Paul kam im Oktober 2014 in die Einrichtung. Er ist im November 2013 geboren und folglich 2,5 Jahre alt. Er lebt mit seinem fünf Monate alten Bruder und beiden Elternteilen in einer drei Zimmerwohnung.
Auch Pauls Eingewöhnung wurde von der Mutter begleitet. In der Eingewöhnungsphase löste sich Paul schnell von der Mutter und zeigte großes Interesse an den Spielsachen und den anderen Kindern. Dadurch ließ er sich bei Trennungsversuchen gut durch die Bezugserzieherin ablenken und in das Gruppengeschehen integrieren.
[...]
1 Die Namen der Kinder in den Fallbeispielen, wurden aus Gründen des Datenschutzes geändert.
2 Diese Theorie wird in Abschnitt 2.3 weiter erläutert
3 Vgl. Winnicott, D.W. (1958) S. 303 f
4 Vgl. Winnicott, D.W. (1973) S.13
5 Fooken, I. (2012) S.30
6 Vgl. Winnicott, D.W. (1973) S. 14
7 Vgl. Fooken, I. (2012) S.32
8 Vgl. Fooken, I. (2012) S.33
9 Vgl. Winnicott, D.W. (1958) S.308
10 Vgl. Kögler, M. (2014) S. 196
11 Winnicott, D.W. (1973) S.25
12 Vgl. Kögler, M. (2014) S.198
13 Vgl. Winnicott, D.W. (1973) S.11
14 Vgl. Winnicott, D.W. (1973) S.315
15 Vgl. Winnicott, D.W. (1973) S.315
16 Vgl. Großmann, K.E. (2003) S. 31
17 Vgl. Großmann, K.E. (2003) S.24 f
18 Vgl. Beck, B. (1995) S.65
19 Vgl. Beck, B. (1995) S.64
20 Siehe Anhang: Fritz, C. (2016) S.1
21 Siehe Anhang: Fritz, C. (2016) S.2
22 Siehe Anhang: Fritz, C. (2016) S.3
23 Siehe Anhang: Fritz, C. (2016) S.7