Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Natur der Wasserfrau
2.1 Melusine als Konstrukt dämonischer und christlicher Attribute
3. Ehe als Versuch zur Erlösung
4. Melusine und ihre Mutterrolle
5. Ausblick
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Thüring von Ringoltingens „Melusine“ gehört zu einer der berühmtesten mythischen Sagengestalten des Mittelalters. In ihr scheinen sich dämonenhafte und menschliche Wesensmerkmale zu vereinen. So verführt Melusine einen Ritter und ehelicht diesen unter der Bedingung eines speziellen Tabus. Ihm ist es untersagt seine Gemahlin an Samstagen zu sehen, da sie an diesem Tag ihre wahre Gestalt preisgibt. Diese Art der mythischen Erzählung ist keine Seltenheit.
Schon bis in die Antike lassen sich vielseitige Erscheinungsformen zurückverfolgen. Seit Jahrtausenden zählt besonders die mythische Wasserfrau zu den rätselhaftesten und geheimnisvollsten Wesen sowohl in der Literatur als auch in der bildenden Kunst. Daran wird deutlich, welche Bedeutungen Mythen schon immer für die Menschen hatten und, dass sie als Grundelement aus dem menschlichen Denken nicht wegzudenken sind.[1] Nach Gabriele Bessler gehört gerade „die mythische Wasserfrau zu den schillerndsten Gestalten. Sie begegnet uns wie eh und je, weicht nicht aus unserem Gedächtnis.“[2]
Obwohl sich die Symbolik der Gestalten im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt hat, wird jedoch deutlich, dass die Imagination der Frauenbilder eine Doppelstruktur im Verhältnis von Weiblichkeit und Tod aufweist.[3] So begegnet uns das geheimnisvolle Wesen nicht nur in vielerlei Bezeichnungen, sondern es tritt zudem in mannigfachen Erscheinungsformen hervor. Gabriele Bessler charakterisiert diese Gestalt als „ein zwiegespaltener Geist – mal gut, mal schicksalhaft verstrickt, mal dämonisch-böse – schwimmt oder schwebt sie durch Legenden und Märchen oder lokale Sagen, erscheint sie aber auch in Reiseberichten und gelehrten Naturstudien.“[4]
Fest steht jedoch, dass der Mythos in vielen Kulturkreisen über Jahrtausende verankert ist und von ihm eine besondere Faszination ausgeht. Vor allem wurde die Weiblichkeit mit dem Element Wasser und dessen Eigenschaften in Verbindung gebracht. Jedoch darf man nicht fälschlicherweise davon ausgehen, dass diese Wesen ausschließlich an ein Element gebunden waren. Viel häufiger verkörperten sie alle Grundelemente in einem.[5]
Diese Ansicht änderte sich erst ab dem Mittelalter. Seitdem wurden den Geschöpfen bestimmte Elemente zugeordnet, sodass man vor allem von Elementargeistern sprach. Trotzdem blieb eines erhalten. Die Doppelstruktur des Weiblichen. So verkörperte die Wasserfrau zum einen Leben, Fruchtbarkeit und Heil, aber zum anderen auch Tod, Zerstörung und Unbeherrschbarkeit. Zudem wird deutlich, dass der Fokus auf der weiblichen Sexualität liegt, die sowohl dominierend als auch aggressiv hervorsticht und der sich niemand entziehen kann. So heißt es in der Ballade „Der Fischer“:
Das Wasser rauscht‘, das Wasser schwoll,
- Netzt‘ ihm den nackten Fuß;
- Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,
- Wie bei der Liebsten Gruß.
- Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
- Da wars um ihn geschehn:
- Halb zog sie ihn, halb sank er hin,
- Und ward nicht mehr gesehn.[6]
Bereits in der Antike lassen sich derartige Motive verzeichnen, welche in Sirenen und Nymphen ihre Verkörperung erhalten.
Betrachtet man jedoch von Ringoltingens „Melusine“, dann scheint es, als würde sich die Sagengestalt in einem Zwiespalt befinden. So zeigt sie zwar den Drang in der sterblichen Welt leben zu wollen, besitzt jedoch dämonische Wesensmerkmale.
Diese Arbeit wird sich besonders mit dieser Opposition beschäftigen und vor allem der Frage nachgehen, ob man von der Melusine als einen Dämon sprechen muss, oder ob es sich womöglich bei ihr um eine Entdämonisierung aufgrund der Hochzeit mit Reymund handelt.
Um dieser Frage nachgehen zu können, wird zunächst eine allgemeine Einführung der Wasserfrauen und dämonischen Gestalten vorangestellt. Vor diesem Hintergrund werden später Melusines dämonische Wesensmerkmale diskutiert und hinsichtlich ihrer Beziehung zu Reymund als Ehemann und ihren Kindern analysiert werden.
2. Die Natur der Wasserfrau
Bereits in der Antike gab es verschiedene mythische Gestalten mit dämonenhaften Zügen. Diese standen in enger Verbindung zum Wasser, sodass sie die Bezeichnung „Wasserfrauen“ erhielten. Die mythische Vorstellung, dass das Element Wasser weiblich konnotiert wurde, trägt alte Wurzeln. Somit ist der Terminus Wasserfrau weitaus geläufiger als Wassermann. Helena Malzew definiert die Bezeichnung folgendermaßen: „Als ‚Wasserfrau‘, ‚Undine‘ oder ‚Nixe‘ bezeichnet man allgemein menschliche oder menschenähnliche Wesen weiblichen Geschlechts, die eine nahe Verbindung zum Wasserelement haben.“[7]
Unter den Wasserfrauen gab es zunächst zwei gegensätzliche Typen. So erhielt die Sirene durch ihre todbringende Verlockung eine negative Eigenschaft, die sich auch in ihrem äußerlichen Erscheinungsbild wiederspiegelte. Erst im Laufe der Zeit vollzog sich ein Wesenswandel. In dem nun attraktiven Oberkörper kamen sexuelle Elemente zum Vorschein.[8]
Demgegenüber stand die Nymphe. Sie galt als Geberin der Fruchtbarkeit und besaß die Fähigkeit in die Zukunft zu sehen. Im Laufe der Zeit traten im deutschen Sprachgebrauch ihre positiven Attribute jedoch durch den Wandel zur Nixe in den Hintergrund.
Bezeichnend war, dass Wasserfrauen in der Antike zunächst namenlos und ohne bezeichnenden Charakter waren. Somit ähnelten sie sich in ihren Eigenschaften. Dies änderte sich erst ab dem Mittelalter. Oft war die Verbindung zwischen der mythischen Gestalt und dem Mann durch ein Verbot oder eine Bedingung gekennzeichnet, welches zum Scheitern des männlichen Charakters und somit zu einer Bestrafung führte. Diese Vorstellung ist in der Literatur und Geschichte weit verbreitet. Wie alt diese Erzählstruktur tatsächlich ist, zeigt sich an mehreren Belegen. Einen bietet Lutz Röhrich:
[...]
[1] Vgl. Schmid: Jungfrau und Monster, S. 1.
[2] Bessler: Von Nixen und Wasserfrauen, S. 7.
[3] Vgl. Berger/ Stephan: Weiblichkeit und Tod, S. 2.
[4] Bessler: Von Nixen und Wasserfrauen, S. 8.
[5] Vgl. Malzew: Menschenmann und Wasserfrau, S. 35.
[6] Goethe: Werke in vier Bänden, S. 68.
[7] Malzew: Wassermann und Wasserfrau, S. 9.
[8] Vgl. Otto: Unterwasser-Literatur, S. 29.