Personal als reflexive Akteure. Theorie der Strukturierung von Anthony Giddens


Seminararbeit, 2003

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundzüge der Strukturationstheorie von Anthony Giddens
2.1. Struktur
2.2. Regeln und Ressourcen
2.3. Strukturierung
2.4. Soziales System
2.5. Zeit und Raum
2.6. Handeln
2.7. Akteure
2.8. Analyseformen
2.9. Existenzberechtigung für Sozialwissenschaften

3. Implikationen für die Personalwirtschaftslehre

4. Kritik

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In seinem Werk „The Constitution of Society“, das 1984 einer Reihe von thematisch ähnlichen Veröffentlichungen folgte, hat Anthony Giddens mit seiner „Theorie der Strukturierung“ viele Anregungen für Sozialwissenschaftler verschiedener Disziplinen geschaffen.

Giddens selbst möchte seine Theorie der Strukturierung als Sozialtheorie verstanden wissen, die das Hauptaugenmerk auf das Verständnis menschlichen Handelns und sozialer Institutionen mit Hilfe der Analyse konkreter sozialer Prozesse legt. Zu diesem Zweck entwickelte Giddens ein begriffliches Instrumentarium im Rahmen seiner Strukturationstheorie, das methodische Anwendung in der empirischen Forschung finden kann (vgl. Walgenbach 1999, S. 355).

,,Unter Sozialtheorie verstehe ich die theoretische und gewiss abstrakte Auseinandersetzung mit dem menschlichen Akteur, mit seinem Bewusstsein und Handeln, mit den strukturellen Bedingungen und Konsequenzen dieses Handelns sowie mit den institutionellen Formen und kulturellen Symbolen, die aus diesen hervorgehen." (Giddens 1999, S. 287)

Der am 18. Januar 1938 in Edmonton, England, geborene Anthony Giddens kann zu den bedeutendsten lebenden Sozialtheoretikern gezählt werden. Nachdem er lange Zeit an der Universität Cambridge, England, tätig war, ist er derzeit Direktor der London School of Economics.

In der vorliegenden Arbeit soll die Theorie der Strukturierung von Giddens unter späterer Bezugnahme auf die Personalwirtschaftslehre näher betrachtet werden. Hierzu werden zunächst einmal die Grundzüge der Giddensschen Strukturationstheorie mit ihren Begrifflichkeiten so ausführlich dargestellt, wie es im begrenzten Rahmen einer solchen Arbeit möglich ist. Darauf folgt ein Blick auf die Bedeutung der Theorie der Strukturierung für die Personalwissenschaft. Die daran anschließende Schlussbetrachtung soll in Ansätzen Aufschluss über Probleme und Kritik der Strukturationstheorie geben, soweit dies nicht bereits während der vorangegangenen Darstellung geschehen ist. Ein Fazit mit Ausblick auf weitere Entwicklungschancen wird die Betrachtung abschließen.

2. Grundzüge der Strukturationstheorie von Anthony Giddens

„Menschen machen ihre Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen“ (Marx 1969, in: Walgenbach 1999, S. 357).

Giddens selbst sieht seine Theorie der Strukturierung als eine ausführliche Reflexion über diesen häufig zitierten Satz von Karl Marx. Giddens stellt sich gegen objektivistische Positionierungen, in denen das Objekt, also eine Gesellschaft oder Organisation, das Subjekt, also das menschliche Wesen oder den sozialen Akteur, beherrscht. Aber andererseits lehnt er auch subjektivistische Ansätze ab, in denen allein Handeln und Sinn menschliches Handeln erklären und sowohl strukturelle Konzepte als auch Zwang keine Rolle spielen (vgl. Walgenbach 1999, S. 357).

Ein wichtiges theoretisches Dilemma der Soziologie betrifft die Frage, in welches Verhältnis man das menschliche Verhalten zur sozialen Struktur setzen sollte. Sind wir Schöpfer der Gesellschaft oder werden wir von ihr geschaffen? Die Wahl zwischen diesen beiden Alternativen ist nicht so ausschließlich, wie es den Anschein hat. Das wirkliche Problem besteht darin, wie man die beiden Aspekte des sozialen Lebens miteinander in Bezug setzen kann“ (Giddens 1999, S. 626 f).

In der Strukturationstheorie strebt Giddens nun eine Vermittlung im Widerstreit des Dualismus von Handlung und Struktur an. Menschliches Handeln sei weder rein voluntaristisch noch vollkommen durch strukturelle Zwänge bestimmt. Aus dem Dualismus von Handlung und Struktur müsse eine neue „Dualität von Struktur“ entstehen, in der soziale Strukturen sowohl Voraussetzung für, als auch Ergebnis von Handeln reflexiver Akteure sind. Als Neuerungen der Theorie der Strukturierung entstehen somit die folgenden beiden Kernsätze:

1. Die sozialen Akteure reproduzieren durch ihre Handlungen die Bedingungen (Struktur), die ihr Handeln ermöglichen.
2. Strukturen sind sowohl das Medium als auch das Ergebnis sozialen Handelns (vgl. Walgenbach 1999, S.358).

Handlung und Struktur stehen somit nicht mehr in Konkurrenz, sie setzen sich stattdessen gegenseitig voraus (vgl. Sewell 1992, in: Walgenbach 1999, S. 358). Dieser Ansatz vereint einen wesentlichen Aspekt der beiden gegensätzlichen Grundpositionen der Sozial- und Organisationstheorie. Der objektivistische Ansatz mit Strukturalismus und Funktionalismus auf der einen, und die subjektivistische Positionierung mit interpretativem Ansatz und Hermeneutik auf der andern Seite, schließen sich nun nicht mehr aus, so dass hier zumindest von einem Beginn der Bewältigung der häufig beklagten Theoriekrise in den Sozialwissenschaften gesprochen werden kann.

Zentrale Elemente, die Giddens zur Untermauerung seiner Theorie anführt, sind Struktur, Strukturierung und das soziale System, sowie die Konzepte des Handelnden und des Handelns (vgl. Walgenbach 1999, S. 358). Auf diese und einige weitere bedeutende Begrifflichkeiten soll im Folgenden näher eingegangen werden.

2.1 Struktur

Struktur definiert Giddens als „Regeln und Ressourcen, die in rekursiver Weise in die Reproduktion sozialer Systeme einbezogen sind. Struktur existiert nur in der Form von Erinnerungsspuren, der organischen Basis der menschlichen Bewusstheit, und als im Handeln exemplifiziert“ (Giddens 1992, S. 432).

Struktur wird von Giddens also als Regeln und Ressourcen verstanden, die interaktive Beziehungen über Zeit und Raum stabilisieren (vgl. Giddens 1992, S. 361). Sie schränken den Akteur jedoch nicht ausschließlich ein, dürfen also nicht mit Zwang gleichgesetzt werden, sondern sie ermöglichen sein Handeln erst und geben ihm dadurch seine Kontur als „handlungsfähiges“ und „reflexionsmächtiges“ Subjekt (vgl. Kießling 1988, S. 241). Giddens spricht von drei Strukturdimensionen: Signifikation (Symbole, Mythen, Weltbilder), Legitimation (insbesondere rechtliche Institutionen) und Herrschaft (insbesondere politische und ökonomische Institutionen). Diese Strukturdimensionen sind auf der Interaktionsebene mit Kommunikation, Sanktion und Macht verknüpft und nur analytisch voneinander zu trennen (vgl. Walgenbach 1999, S. 362).

Im Plural, spricht Giddens von Strukturen als isolierbare Menge von Regeln und Ressourcen. Strukturen sind die institutionellen, dauerhafteren Gegebenheiten, mit denen die Individuen konfrontiert werden, in denen sie sich bewegen, und mit denen sie leben und sich auseinandersetzen müssen (vgl. Giddens 1992, S. 75 f). Gemäß der Theorie der Strukturierung ist die Struktur ein Ergebnis von Handlungen und ihren Folgen, die zurückkehren, um sich als Bedingungen weiteren Handelns zu zeigen. Giddens sieht die Struktur nicht als stabilen Zustand sondern als einen Prozess an. Dabei bleibt die Struktur als Prozess der Produktion und Reproduktion den Akteuren weitgehend undurchschaubar, wie im weiteren Verlauf der Darstellung noch deutlich werden wird.

2.2. Regeln und Ressourcen

Regeln beziehen sich auf das handlungspraktische Wissen der Akteure, während durch die Ressourcen das Handlungsvermögen der Akteure bedingt wird. Regeln nehmen als Interpretationsschemata oder Stereotype zum einen Bezug auf die Sinnkonstitution (Signifikation) der Akteure, zum anderen auf die Legitimation und Sanktionierung bezüglich der Rechte und Verpflichtungen innerhalb eines sozialen Systems. Regeln als verallgemeinerbare Verfahrensweisen sollten jedoch nicht als formalisierte Vorschriften, sondern als mehr oder weniger lose organisierte Regelkomplexe gesehen werden (vgl. Walgenbach 1999, S. 361). Regeln stehen also als Verfahrenshinweise des Handelns, die in praktischer Hinsicht für die Ausführung, Reproduktion und Veränderung sozialer Praktiken gebraucht werden (vgl. Walgenbach 1999, S. 363).

Die Kenntnis dieser Regeln sollte laut Giddens als Kern der Bewusstheit menschlicher Akteure gesehen werden. Im Alltag werden so von den Akteuren typische Schemata zur Bewältigung sozialer Situationen angelegt. Giddens macht darauf aufmerksam, dass unter diesem Vorzeichen nicht wie vielfach angenommen die kodifizierten Gesetze, sondern viele verschiedene eben dieser scheinbar trivialen, praktischen Verfahrensregeln eine nachhaltige Wirkung auf das soziale Leben ausüben.

Die strukturierenden Eigenschaften von Regeln äußern sich demnach in der Formierung, Aufrechterhaltung, Beendigung und Neuformierung von sozialen Begegnungen. Hierbei geht es auch stets um die Aufrechterhaltung der Seinsgewissheit, ohne die die Akteure in Verwirrung gestürzt werden können, da bisherige Abläufe des täglichen sozialen Geschehens nun nicht mehr oder anders ausgeführt werden, was alles bisher Gedachte und Erlebte in Frage stellen würde (vgl. Giddens 1992, S. 73 ff).

Regeln sollte man laut Giddens nicht ohne Bezug auf Ressourcen sehen, welche von ihm in zwei Arten unterschieden werden: allokative und autoritative Ressourcen. Allokative Ressourcen sind materielle Ressourcen. Sie beziehen sich auf die Fähigkeit bzw. die Formen des Vermögens zur Umgestaltung der Herrschaft über die Natur (Objekte, Güter oder materielle Phänomene). Autoritative, nicht-materielle Ressourcen ergeben sich aus dem Vermögen der Herrschaft über andere Personen bzw. Akteure und Güter (vgl. Walgenbach 1999, S. 361).

Als wichtig erachtet Giddens in diesem Zusammenhang auch die Routine als Teil des gesellschaftlichen Lebens. Zwar erscheinen viele Regeln als Aspekte des Routinehandelns, jedoch würden Routinehandlungen noch keine Regeln darstellen (vgl. Giddens 1992, S. 71). Die Routinisierung sei lediglich die gewohnheitsmäßige, für selbstverständlich hingenommene Natur der großen Masse der Handlungen des Alltagslebens. Es geht um das Vorherrschen vertrauter Verhaltendstile und –formen, die ein Gefühl der Seinsgewissheit sowohl fördern als auch umgekehrt in diesem ihren Rückhalt finden (vgl. Giddens 1992, S. 431).

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Personal als reflexive Akteure. Theorie der Strukturierung von Anthony Giddens
Hochschule
Universität Hamburg  (IÖP - Arbeitsbereich Personalwirtschaftslehre)
Veranstaltung
Theoretische Grundlagen der Personalwirtschaftslehre
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
19
Katalognummer
V33964
ISBN (eBook)
9783638343046
ISBN (Buch)
9783656519782
Dateigröße
523 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Darstellung der Strukturationstheorie von Anthony Giddens unter besonderer Bezugnahme auf die Personalwirtschaftslehre
Schlagworte
Personal, Akteure, Theorie, Strukturierung, Anthony, Giddens, Theoretische, Grundlagen, Personalwirtschaftslehre
Arbeit zitieren
Melanie Raap (Autor:in), 2003, Personal als reflexive Akteure. Theorie der Strukturierung von Anthony Giddens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33964

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