Repräsentativen Umfragen zufolge sind 20 Prozent der deutschen Bevölkerung der Meinung, dass die Evolutionstheorie grundlegend falsch sei - diese Ablehnung ist nach dem Evolutionsbiologen Ernst Mayr nur aus idealistischen Gründen erklärbar: dem Glauben an Gott als Schöpfer. Daher genügt es in dieser Diskussion nicht, sich mit den naturwissenschaftlichen Argumenten gegen eine Evolutionstheorie auseinander zu setzen. Die naturwissenschaftliche Fachgrenze zur Theologie hin muss überschritten werden, um den Kreationismus zu verstehen und Spannung zu lösen.
Im Juli 1836 schrieb ein junger Naturwissenschaftler ohne Bezahlung an Bord des britischen Forschungsschiffes Beagle folgende Worte in sein Notizbuch:
"Wenn ich diese in Sichtweise voneinander gelegenen und nur von einigen Arten besiedelten Inseln sehe, bewohnt von diesen Vögeln, die sich in ihrem Körperbau geringfügig unterscheiden und in der Natur den gleichen Platz einnehmen, muss ich annehmen, dass es sich bei ihnen um Varietäten handelt […] Wenn diese Bemerkungen auch nur im geringsten begründet sind, wäre es die Tierwelt von Archipelen wert, dass man sie untersucht: denn solche Fakten würden die Konstanz der Arten in Frage stellen."
Es sollte noch über zwanzig Jahre dauern, bis Charles Darwin seine Beobachtungen veröffentlichte. Er war sich bewusst, dass die Schlussfolgerungen seiner Entdeckung in direktem Widerspruch zum Weltbild der damaligen Zeit standen. Die von Darwin eingeleitete intellektuelle Revolution reichte weit über die Grenzen der Biologie hinaus; sie führte zur Absage an einige grundlegende Glaubensvorstellungen jener Zeit . Seitdem steht die Naturwissenschaft Biologie in ständigem Konflikt mit verschiedenen religiösen Glaubensinhalten, so Ullrich Kutschera, ein führender Evolutionsbiologe in Deutschland .
Die anfänglich ablehnende Haltung des Klerus gegenüber den neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ist zugunsten der renommierten Theologie von heute gewichen. In die Rolle der Opposition sind stattdessen vom Glauben geprägte und von Evolutionsbiologen als „pseudowissenschaftlich“ eingestufte Bewegungen geschlüpft. Sie versuchen die naturwissenschaftlichen Beobachtungen von Darwin und die Befunde der Evolutionstheorie in ein Schöpfungsmodell einzuordnen. Daher werden immer wieder in der Öffentlichkeit unter dem Stichwort Kreationismus diskutiert und „stiften Verwirrung“, so Kutschera.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Historische Entwicklung der Evolutionstheorie
- 2.1 Vorreiter Darwins
- 2.2 Paradigmenwechsel bei Charles Darwin
- 2.3 Zeitgenössische Reaktionen auf die Deszendenztheorie
- 2.4 Spannung zwischen Schöpfungsglauben und Deszendenztheorie
- 2.5 Weitere Entwicklung der Deszendenztheorie in der Synthetischen Evolution
- 2.6 Zusammenfassung
- 3 Stellung der Evolutionstheorie in der Naturwissenschaft
- 3.1 Naturwissenschaftliches Forschen
- 3.2 Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn – Deduktion und Induktion
- 3.3 Bedingungen für eine wissenschaftliche Theorie
- 4 Kreationismus in moderner Form
- 4.1 Kreationismus als Wissenschaft?
- 4.2 Grundlegende kreationistische Argumentationsmuster
- 4.2.1 Das Grundtypenmodell
- 4.2.2 Intelligent Design
- 4.2.3 Systematisches Fehlen von Übergangsformen in der Paläontologie
- 4.3 Das „Kritisches Lehrbuch“ von Reihardt Junker
- 4.4 Theologische Motivation der Kreationisten
- 4.5 Einfluss der persönlichen Weltbilder
- 5 Naturwissenschaft und Glaube
- 5.1 Theologie im Wandel
- 5.2 Die biblische Schöpfungsgeschichte
- 5.3 Theologische Aussagen
- 6 Verhältnisbestimmung Theologie und Naturwissenschaft
- 6.1 Immanuel Kants Erkenntnistheorie
- 6.2 Theologie im Konflikt mit einer naturwissenschaftlich orientierten Wissenschaftstheorie
- 6.3 Theologie in Unabhängigkeit von Wissenschaftstheorie
- 6.4 Theologie im Dialog mit Wissenschaftstheorie und mit Naturwissenschaft
- 6.5 Stellung der EKD zum Dialog mit Wissenschaft und zum Kreationismus
- 6.6 Kritik der Evangelischen Kirche am Kreationismus
- 6.7 Evangelische Kirche zum Kompromiss der Theistischen Evolution
- 6.8 Standpunkt der Katholischen Kirche
- 6.9 Zusammenfassung
- 7 Der Dialog von Evolutionstheorie und Kreationismus
- 7.1 Die AG Evolutionsbiologie und Weltanschauung
- 8 Umgang mit Kreationismus im schulischen Unterricht
- 8.1 Politische Diskussion
- 8.2 Europarat warnt vor Kreationismus in der Bildung
- 8.3 Verbreitung des Kreationismus in anderen Ländern
- 8.4 Einstellung in der deutschen Bevölkerung
- 8.5 Schülermeinungen zur Behandlung von Kreationismus im Unterricht
- 8.6 Wort und Wissen zu Evolution und Schöpfung in der Schule
- 8.7 EKD zu Evolution und Schöpfung in der Schule
- 8.8 Didaktische Prinzipien für die schulische Behandlung von Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie
- 9 Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die historische Entwicklung der Evolutionstheorie, ihre Stellung in der Naturwissenschaft und den Konflikt mit kreationistischen Weltanschauungen. Sie analysiert verschiedene kreationistische Argumentationsmuster und beleuchtet den Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft im Kontext der Evolutionstheorie. Schließlich werden didaktische Aspekte des Umgangs mit Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie im schulischen Unterricht betrachtet.
- Historische Entwicklung der Evolutionstheorie und deren gesellschaftliche Rezeption
- Wissenschaftstheoretische Grundlagen der Evolutionstheorie und des Kreationismus
- Der Konflikt zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und religiösem Glauben
- Differenzierte Betrachtung verschiedener kreationistischer Positionen
- Didaktische Ansätze für den Umgang mit Evolution und Schöpfung im Unterricht
Zusammenfassung der Kapitel
1 Einleitung: Die Einleitung skizziert den historischen Konflikt zwischen der Evolutionstheorie und religiösen Glaubensvorstellungen, ausgehend von Darwins Beobachtungen und deren anfänglicher Ablehnung. Sie hebt die anhaltende Relevanz dieser Debatte hervor und unterstreicht den Bedarf an einer differenzierten Auseinandersetzung im Kontext des Biologieunterrichts, besonders angesichts der Verbreitung kreationistischer Ansichten in der Bevölkerung.
2 Historische Entwicklung der Evolutionstheorie: Dieses Kapitel zeichnet die Entwicklung der Evolutionstheorie nach, beginnend mit Vorläufern Darwins bis hin zur modernen synthetischen Evolutionstheorie. Es beleuchtet den Paradigmenwechsel durch Darwin und die zeitgenössischen Reaktionen auf seine Theorie, inklusive der anhaltenden Spannung zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und religiösen Schöpfungsvorstellungen. Die Zusammenfassung der verschiedenen Entwicklungsstufen verdeutlicht die wissenschaftliche Fundiertheit der Evolutionstheorie.
3 Stellung der Evolutionstheorie in der Naturwissenschaft: Dieses Kapitel definiert die Kriterien für eine wissenschaftliche Theorie und analysiert den Erkenntnisgewinn in den Naturwissenschaften (Deduktion und Induktion). Es verortet die Evolutionstheorie im Rahmen naturwissenschaftlicher Forschung und betont ihre empirische Fundiertheit und Falsifizierbarkeit im Gegensatz zu nicht-wissenschaftlichen Ansätzen. Es unterstreicht die Bedeutung von empirischen Daten und methodischer Vorgehensweise für wissenschaftliche Theorien.
4 Kreationismus in moderner Form: Dieses Kapitel untersucht verschiedene Formen modernen Kreationismus, darunter das Grundtypenmodell und "Intelligent Design". Es analysiert die Argumentationsmuster der Kreationisten und deren theologische Motivation, wobei auch der Einfluss persönlicher Weltbilder thematisiert wird. Das Kapitel zeigt die Grenzen kreationistischer Argumentationen im Kontext naturwissenschaftlicher Methodik auf.
5 Naturwissenschaft und Glaube: Das Kapitel befasst sich mit dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Glauben. Es beleuchtet den Wandel der theologischen Positionen gegenüber der Evolutionstheorie und diskutiert die biblische Schöpfungsgeschichte im Kontext wissenschaftlicher Erkenntnisse. Der Fokus liegt auf dem Versuch, scheinbare Widersprüche zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und religiösem Glauben zu überwinden oder zu relativieren.
6 Verhältnisbestimmung Theologie und Naturwissenschaft: Dieses Kapitel analysiert verschiedene Modelle der Beziehung zwischen Theologie und Naturwissenschaft, von Immanuel Kants Erkenntnistheorie bis hin zu einem Dialogmodell. Es untersucht die Positionen der evangelischen und katholischen Kirche zum Kreationismus und zur Evolutionstheorie, einschließlich der Diskussion um die "theistische Evolution". Es zeigt die Spannbreite theologischer Antworten auf die Herausforderungen der Evolutionstheorie auf.
7 Der Dialog von Evolutionstheorie und Kreationismus: Dieses Kapitel beschreibt den Versuch eines konstruktiven Dialogs zwischen Vertretern der Evolutionsbiologie und verschiedener Weltanschauungen. Es beleuchtet die Bedeutung eines respektvollen Umgangs mit unterschiedlichen Perspektiven im wissenschaftlichen Diskurs. Es zeigt Beispiele für einen konstruktiven Dialog an.
8 Umgang mit Kreationismus im schulischen Unterricht: Das Kapitel befasst sich mit der didaktischen Herausforderung des Umgangs mit Kreationismus im Biologieunterricht. Es beleuchtet die politische Diskussion, die Verbreitung kreationistischer Ideen und deren Relevanz für den deutschen Kontext. Es gibt einen Überblick über Schülermeinungen und Empfehlungen für den Unterricht.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Entwicklung der Evolutionstheorie und der Konflikt mit dem Kreationismus
Was ist der Hauptfokus dieser Arbeit?
Die Arbeit untersucht die historische Entwicklung der Evolutionstheorie, ihre Stellung in der Naturwissenschaft und den Konflikt mit kreationistischen Weltanschauungen. Sie analysiert verschiedene kreationistische Argumentationsmuster, beleuchtet den Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft im Kontext der Evolutionstheorie und betrachtet didaktische Aspekte des Umgangs mit Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie im schulischen Unterricht.
Welche Themen werden im Einzelnen behandelt?
Die Arbeit deckt ein breites Spektrum an Themen ab, darunter die historische Entwicklung der Evolutionstheorie (inklusive Vorläufer Darwins und der Synthetischen Evolutionstheorie), die wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Evolutionstheorie und des Kreationismus, den Konflikt zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und religiösem Glauben, verschiedene kreationistische Positionen (wie Grundtypenmodell und Intelligent Design), und didaktische Ansätze für den Umgang mit Evolution und Schöpfung im Unterricht.
Wie wird die historische Entwicklung der Evolutionstheorie dargestellt?
Das Kapitel zur historischen Entwicklung verfolgt die Evolutionstheorie von den Vorläufern Darwins bis zur modernen synthetischen Evolutionstheorie. Es beleuchtet den Paradigmenwechsel durch Darwin, die zeitgenössischen Reaktionen und die anhaltende Spannung zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und religiösen Schöpfungsvorstellungen.
Welche kreationistischen Argumentationsmuster werden analysiert?
Die Arbeit analysiert verschiedene Formen des modernen Kreationismus, einschließlich des Grundtypenmodells und „Intelligent Design“. Es werden die Argumentationsmuster der Kreationisten, ihre theologische Motivation und der Einfluss persönlicher Weltbilder untersucht.
Wie wird der Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft dargestellt?
Die Arbeit untersucht verschiedene Modelle der Beziehung zwischen Theologie und Naturwissenschaft, die Positionen der evangelischen und katholischen Kirche zum Kreationismus und zur Evolutionstheorie, und die Diskussion um die „theistische Evolution“. Es wird die Spannbreite theologischer Antworten auf die Herausforderungen der Evolutionstheorie aufgezeigt.
Wie wird der Umgang mit Kreationismus im Schulunterricht behandelt?
Das Kapitel zum Schulunterricht beleuchtet die didaktische Herausforderung des Umgangs mit Kreationismus im Biologieunterricht. Es betrachtet die politische Diskussion, die Verbreitung kreationistischer Ideen im deutschen Kontext, Schülermeinungen und gibt Empfehlungen für den Unterricht.
Welche Positionen der Kirchen zum Kreationismus werden dargestellt?
Die Arbeit beschreibt die Positionen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Katholischen Kirche zum Kreationismus und zur Evolutionstheorie, inklusive der Diskussion um Kompromisslösungen wie die „theistische Evolution“.
Welche didaktischen Prinzipien für den Unterricht werden vorgeschlagen?
Die Arbeit bietet didaktische Prinzipien für die schulische Behandlung von Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie an, um einen respektvollen und informativen Umgang mit unterschiedlichen Perspektiven im Biologieunterricht zu gewährleisten.
Gibt es eine Zusammenfassung der Kapitel?
Ja, die Arbeit enthält eine detaillierte Zusammenfassung der einzelnen Kapitel, die die wichtigsten Punkte und Erkenntnisse jedes Kapitels zusammenfasst.
Welche Zielsetzung verfolgt die Arbeit?
Die Arbeit zielt darauf ab, die historische Entwicklung der Evolutionstheorie, ihren wissenschaftlichen Status und den anhaltenden Konflikt mit kreationistischen Weltanschauungen differenziert darzustellen. Sie möchte einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte leisten und didaktische Hilfestellungen für den Schulunterricht bieten.
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- Micha Ringwald (Author), 2009, Evolutionstheorie und Kreationismus. Glaube zwischen zwei Weltanschauungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/340272