Leseprobe
Marx´ Gesellschaftstheorie und -utopie
Karl Marx gilt als ein Klassiker der Soziologie, seine Gesellschaftsanalyse stellt eine Verbindung zwischen ökonomischen Strukturen und sozialer Ungleichheit her. Obwohl Marx´ Werk im Kontext der Industrialisierung des 19. Jahrhundert entstanden ist, gewinnt das kritische Potenzial Marx´ gerade in der jüngsten Gegenwart im Zeichen globaler Wirtschafts- und Finanzkrisen an Aktualität.
Im Folgenden wird zunächst Marx´ Gesellschaftsverständnis -mit besonderem Fokus auf sein Konzept sozialen Wandels sowie der Ebene gesellschaftlicher Steuerung- dargelegt. Daran anknüpfend wird am Beispiel des geplanten Freihandelsabkommen TTIP die Aktualität Marx´ Verständnis von sozialem Wandel für eine gesellschaftliche Steuerung diskutiert.
Die Klassengesellschaft als Resultat ökonomischer Strukturen
Karl Marx´ beschreibt in seinem mit Friedrich Engels verfassten Werk „Manifest der Kommunistischen Partei“ Gesellschaft aus der Perspektive eines dialektischen und historischen Materialismus. So wird das Kapitel „Bourgeois und Proletarier“ mit folgendem Satz eingeleitet: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“ (Marx/Engels 1969: S. 462). Gesellschaft vollzieht sich somit als ein historischer Prozess, dessen Entwicklungslogik charakterisiertist durch den Antagonismus zwischen herrschendenund beherrschten sozialen Gruppen. Gemäß der Annahme des historischen Materialismus sind die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt durch die ökonomischen Machtverteilungen. Jede Gesellschaftsform und der ihr immanente Klassengegensatz durch ihre ökonomische Produktionsweise:
„Die materialistische Anschauung der Geschichte geht von dem Satz aus, daß die Produktion […] die Grundlage aller Gesellschaftsordnung ist; daß in jeder geschichtlich auftretenden Gesellschaft die Verteilung der Produkte, und mit ihr die soziale Gliederung in Klassen oder Stände, sich danach richtet, was und wie produziert und wie das Produzierte ausgetauscht wird“ (Engels1975: S. 248).
Für dieGenese der modernen Gesellschaft konstatiert Marx, dass diese gekoppelt ist an den Aufstieg des Kapitalismus. Die moderne bürgerlich-kapitalistische Industriegesellschaft, die im Zuge der Industriellen Revolution die Feudalgesellschaft abgelöst hat, ist durch einen sozialen Klassenantagonismus bestimmt, der entlang der Unterscheidungslinie der kapitalistischen Verhältnisse verläuft. Allerdings zeichnet die moderne Gesellschaft eine Vereinfachung des Klassegegensatzes aus, da sich nur mehr zwei große Klassen anstelle mehrerer gegenüberstehen (vgl. Marx/Engels 1969: S. 463). Diese Vereinfachung des Klassengegensatzes entspricht dem dialektischen Verständnis Marx´ vom gerichteten Entwicklungsverlauf der Gesellschaft.Der historische Prozess der gesellschaftlichen Entwicklung ist demnach gekennzeichnet durch eine Dialektik der zunehmenden Beseitigung der gesellschaftlichen Gegensätze, die in der finalen Gesellschaftsform des Kommunismus mündet (vgl. Münch 2008: S. 115 - 117). Gesellschaft unterliegt somit einer durch ökonomische Prozesse gesetzmäßig verlaufenden und stufenförmigen Entwicklung.
Für die bürgerlich-kapitalistische Industriegesellschaft der Moderne konstatiert Marx, dass die Klasse der Bourgeoisie als einiger weniger Kapitalisten im Besitz der Produktionsverhältnisse ist. Im Kontrast dazu verfügt die Masse der Proletarier als Klasse der Lohnarbeiter über keine Produktionsmittel. Die Lohnarbeiter sind folglich auf die Veräußerung ihrer Produktivkräfte an die Bourgeoisie angewiesen um ihr Überleben zu sichern (vgl. Marx/Engels 1969: S. 462). Die Bourgeoisie mehrt durch die Lohnarbeit ihr Kapital ohne die Proletarier daran teilhaben zu lassen, vielmehr werden die Arbeiter selbst als Ware betrachtet (vgl. ebd.: S.468). So beutet die Bourgeoisie die Produktivkräfte der großen Masse der Proletarier ökonomisch aus. Da die ökonomische Machtverteilung die politischen Herrschaftsverhältnisse bedingt, stellt die Bourgeoisie zugleich die herrschende politische Klasse dar (vgl. ebd.: S. 467). Der Staat stellt dabei die Organisation der herrschenden Klasse dar, die deren Eigentumsverhältnisse und politische Vormachtstellung absichert (vgl. Engels 1975: S. 261). Da die kapitalistische Wirtschaftsweise mit der Aneignung und Ausbeutung fremder Arbeit einhergeht, erteilt Marx dem kapitalistischen Wirtschaftssystem eine Absage.
Sozialer Wandel bei Marx
Die Idee der gesellschaftlichen Veränderung stellt bei Marx gerichteten, ökonomisch induzierten einen Mechanismus der Gesellschaftsentwicklung dar.
Durch die ökonomische Basis der Gesellschaftsordnung basiert sozialer Wandel in der marxistischen Theorie auf der Veränderung der Produktionsbedingungen und Eigentumsverhältnisse einer Gesellschaftsform:
„Hiernach sind die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Umwälzungen zu suchen […] in Veränderungen der Produktions- und Austauschweise; sie sind zu suchen […] in der Ökonomie der betreffenden Epoche“ (Engels 1975: S. 249).
Der andauernde Konflikt zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen resultiert in einem sozialen Wandel. Aus diesem Wandel folgt eine bestimmte neuartige Stufe der Gesellschaft. Der soziale Wandel als Bestandteil der gesetzmäßig verlaufenden Gesellschaftsentwicklung vollzieht sich dabei im Modus der Revolution.
Marx prognostiziert der modernen kapitalistischen Industriegesellschaft, dass für die Überwindung der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiterdie dynamische Entwicklung der Klasse der Proletarier als Antagonist zur Bourgeoisie Voraussetzung ist. Durch ein Klassenbewusstsein der Proletarier als eine „Klasse für sich selbst“ (Marx 1969: S. 181) und damit als einer gemeinschaftlichen Klasse mit einem Selbstverständnis ihrer gesellschaftlichen Position, kann somit eine fundamentale Änderung der Gesellschaft im Modus der Revolution herbeigeführt werden. Die Existenz der Bourgeoisie bedingt dabei die Genese der proletarischen Klasse, deren Kampf gegen ihre Unterdrückung mit dem Punkt ihres Aufkommens beginnt. Die Klasse der Proletarier wächst im selben Maße wie das Kapital vermehrt wird und gewinnt dadurch an politischer bzw. revolutionärer Kraft (vgl. Marx/Engels 1969: S. 470).Durch die Verschärfung des Konflikts zwischen Bourgeoisie und Proletariat durch die stetige Steigerung der Ausbeutung wird der politische Klassenkampf schließlich zu einem offenen Kampf der Proletarier gegen die Bourgeoisie. Das Resultat des Klassenkampfes bildet der revolutionäre Umsturz der kapitalistischen Gesellschaftsform, an die Stelle der Kapitalisten treten die Proletarier als herrschende Klasse (vgl. ebd.: S. 473). Damit führt Revolution zur Verbesserung der sozio-ökonomischen Lage der Proletarier. Marx konstatiert, dass diese Gesellschaftsform auch wieder umgewälzt wird und sich schließlich eine kommunistische Gesellschaft etabliert, in der alle Klassengegensätze aufgehoben sind. Der Kommunismus stellt damit die finale Stufe des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses dar (vgl. ebd.: S. 481).Dieses Stufenmodell der gesellschaftlichen Entwicklung entwirft Veränderung als historisch determinierte Dialektik des sich von Stufe zu Stufe auflösenden Widerspruchs zwischen Herrschenden und Beherrschten. Der Modus dieser Veränderung ist in der Revolution begriffen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei Marx sozialer Wandel als eine historische Determinante entworfen wird und prinzipiell bereits angelegt ist in der Existenz der Bourgeoisie, die damit die gesellschaftliche Dynamik eines Klassenkampfes auslöst. Der Klassenkampf ist somit Produkt der Widersprüche der Gesellschaft und führt zu deren zielgerichteten Wandel im Sinne einer Verbesserung der Lebensumstände Aller durch Veränderung der Produktionsbedingungen.
Steuerungsidee bei Marx
Marx geht der Frage nach, wie die Lohnarbeiterschaft ihre Interessen organisieren können. Die Antwort auf diese Frage bildet die Assoziation aller Proletarier in einer Klasse, denn „die Vereinigung der Arbeiter ist das erste Erfordernis ihres Siegs“ (Marx 1969b: S. 352). Die organisierte Vereinigung des Proletariats befreit den einzelnen Arbeiter aus seiner Isolierung bildet den Ausgangspunkt des Gesellschaftsumsturzes (vgl. Marx/Engels 1969: S. 473f.). Der Gesellschaftsprozess bedarfsomit für die Erlangung der nächsten Stufe gewissermaßen einer „Initialzündung“ durch die organisierte Interessenvereinigung der Arbeiter gegenüber der Bourgeoisie.
Unter der Mehrzahl von Assoziationen zeichnen sich die Kommunistendurch eine besondere Stellung aus, da diese „die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben“ und „in den verschiedenen Entwicklungsstufen [des Klassenkampfes] stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten“ (Marx/Engels 1969: S. 474). Die Kommunisten sind somit eine transnationale Partei mit dem Fokus der Abschaffung des bürgerlichen Eigentums und damit der Abschaffung der Ausbeutung von Arbeit (vgl. ebd.: S.476f.).
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