Der Holocaust – die Verfolgung und Deportation der europäischen Juden zwecks ihrer Ermordung während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland ist zahlreich untersucht und beleuchtet worden. Weniger Augenmerk ist dabei auf die Situation der Rückkehr und Repatriierung der überlebenden jüdischen Bevölkerung an ihre ehemaligen Wohnorte und ihre dortige Wiederaufnahme in die Zivilgesellschaft der Nachkriegszeit gelegt worden. So stellt sich für diese Arbeit die Frage nach der Situation jüdischer Überlebender des Völkermordes bei Rückkehr in die Niederlande. Ist eine Heimkehr nach Hause problemlos möglich gewesen, wie ist es der rückkehrenden jüdischen Bevölkerung im Besonderen ergangen und wie sind sie zu Hause in den Niederlanden empfangen worden?
Bereits ein Jahr vor Kriegsende am 12. Mai 1944 schreibt Anne Frank in ihr Tagebuch: „Es wird in illegalen Kreisen davon gemunkelt, dass deutsche Juden, die nach Holland emigriert waren und nun nach Polen deportiert wurden, nicht mehr nach Holland zurück dürfen. Sie hatten in Holland Asylrecht, werden aber, wenn Hitler weg ist, nach Deutschland zurück müssen. Wenn man das hört, fragt man, wozu dieser lange und schwere Krieg eigentlich geführt wird? Wir hören immer, dass wir doch alle gemeinsam kämpfen für Wahrheit, Freiheit und Recht. Beginnt während des Kampfes schon die Zwietracht, ist doch wieder der Jude weniger als die anderen?“
Zur tatsächlichen Rückkehr der wenigen überlebenden Juden im Jahr 1945 sollen sowohl die damaligen politischen Verhältnisse in den Niederlanden und die Voraussetzungen für die Heimkehrer beleuchtet als auch die private Ebene mit individuellen, persönlichen Erlebnissen und Situationen bei und nach der Rückkunft näher beschrieben werden. Anhand dessen und dem Verhältnis von positiven und negativen Reaktionen wird der Versuch unternommen zu überprüfen, wie stark Antisemitismus in den Niederlanden direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ausgeprägt und verbreitet ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Judenverfolgung in den Niederlanden
3. Politische Voraussetzungen für die Rückkehr
4. Rückkehr der jüdischen Bevölkerung
4.1 Die niederländischen Lager Westerbork und Vught
5. Empfang der Repatriierten ‚zu Hause’
5.1 Persönliche Erlebnisse und Einzelschicksale
5.2 Reaktionen der Niederländer
5.3 Antisemitismus in den Niederlanden
6. Schlussbemerkung
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Holocaust - die Verfolgung und Deportation der europäischen Juden zwecks ihrer Ermordung während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland ist zahlreich untersucht und beleuchtet worden. Weniger Augenmerk ist dabei auf die Situation der Rückkehr und Repatriierung der überlebenden jüdischen Bevölkerung an ihre ehemaligen Wohnorte und ihre dortige Wiederaufnahme in die Zivilgesellschaft der Nachkriegszeit gelegt worden. So stellt sich für diese Arbeit die Frage nach der Situation jüdischer Überlebender des Völkermordes bei Rückkehr nach dem Zweiten Weltkrieg in die Niederlande. Ist eine Heimkehr nach Hause problemlos möglich gewesen, wie ist es der rückkehrenden jüdischen Bevölkerung im Besonderen ergangen und wie sind sie zu Hause in den Niederlanden empfangen worden?
Bereits ein Jahr vor Kriegsende am 12. Mai 1944 schreibt Anne Frank in ihr Tagebuch: „Es wird in illegalen Kreisen davon gemunkelt, dass deutsche Juden, die nach Holland emigriert waren und nun nach Polen deportiert wurden, nicht mehr nach Holland zurück dürfen. Sie hatten in Holland Asylrecht, werden aber, wenn Hitler weg ist, nach Deutschland zurück müssen. Wenn man das hört, fragt man, wozu dieser lange und schwere Krieg eigentlich geführt wird? Wir hören immer, dass wir doch alle gemeinsam kämpfen für Wahrheit, Freiheit und Recht. Beginnt während des Kampfes schon die Zwietracht, ist doch wieder der Jude weniger als die anderen?“[1] Zur tatsächlichen Rückkehr der wenigen überlebenden Juden im Jahr 1945 sollen sowohl die damaligen politischen Verhältnisse in den Niederlanden und die Voraussetzungen für die Heimkehrer beleuchtet als auch die private Ebene mit individuellen, persönlichen Erlebnissen und Situationen bei und nach der Rückkunft näher beschrieben werden. Anhand dessen und dem Verhältnis von positiven und negativen Reaktionen wird der Versuch unternommen zu überprüfen, wie stark Antisemitismus in den Niederlanden direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ausgeprägt und verbreitet ist.
Um dahin zu gelangen, ist es aber einleitend auch wichtig zu klären, wie sich die nichtjüdischen Niederländer während der deutschen Besatzung und unmittelbar danach in Bezug auf die Judenverfolgungen und Deportationen verhalten haben, und wie die niederländische Kollaboration samt antijüdischer Maßnahmen im Gegensatz zur Exilpolitik ausgesehen hat. Dies wird durch einen Blick auf die Rückkehrer aus den osteuropäischen Konzentrations- und Vernichtungslagern sowie auf die niederländischen Durchgangs- und Gefangenenlager Westerbork und Vught (Herzogenbusch) ergänzt – in der Niederlande untergetauchte, aus der Illegalität zurückkehrende Juden sind nicht Gegenstand dieser Arbeit.
2. Judenverfolgung in den Niederlanden
Nach Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Niederlande, der Kapitulation des niederländischen Militärs sowie der Flucht des Königshauses und der Regierung nach London im Jahr 1940 beginnen die Repressionen der Besatzer gegen die jüdische Bevölkerung alsbald. So werden Juden in den Folgejahren systematisch vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, enteignet und gettoisiert durch Maßnahmen wie Versammlungsverbot, Beschlagnahmung des Vermögens oder der Einstellung jüdischer Zeitungen. Jüdische Angestellte werden aus dem öffentlichen Dienst entlassen, „Juden und Personen mit jüdischen Großeltern müssen sich registrieren lassen“ und „der alte jüdische Wohnbezirk in Amsterdam wird eingezäunt und als ‚Juden-Viertel’ betitelt.“[2] Ab Juli 1942 nach dem Beschluss zur vollständigen Eliminierung der Juden aus den Niederlanden beginnt dann die sukzessive Deportation der niederländischen Juden zum Großteil über das Durchgangslager Westerbork zur Ermordung in Richtung der Vernichtungslager in Osteuropa. Insgesamt leben Anfang der 1940er Jahre über 140.000 Juden und etwa 20.000 sogenannte „Halb- und Vierteljuden“ sowie ca. 22.000 ausländische Juden (davon ca. 15.000 Flüchtlinge aus Deutschland) in den Niederlanden.[3] Ungefähr 20.000 jüdische Menschen können fliehen oder tauchen unter, aber bis September 1944 werden insgesamt über 107.000 Juden in die Lager abtransportiert – nur ca. 5.200 überleben die Internierung und Zwangsarbeit und kehren zurück.
Mit Hilfe des ‚Joodse Raad’, der auf Anordnung der deutschen Besatzer im Jahr 1941 gegründet wird, um als Repräsentanz der niederländischen Juden zuerst die ca. 80.000 Amsterdamer und später alle Juden landesweit direkt und besser kontrollieren zu können, werden die Deportationen von der niederländischen Verwaltung und Polizei geplant und ausgeführt. So entwickelt sich der Joodse Raad bis zu seiner selbst beschleunigten Auflösung 1943 zu einer fast amtlichen Institution, die die Organisation des verbleibenden jüdischen Lebens in den Niederlanden in die Hand nehmen soll.[4] De facto wird er damit aber auch zum Instrument der Verfolgung und gerät nach der Vermittlung von Bescheiden für Freistellungen von Deportationen „in eine moralische Zwangslage, da er über Deportation und Freistellung mitentschied.“[5] Dies scheint ähnlich paradox, wie die Tatsache, dass über die Beschlagnahmung der jüdischen Vermögen und Besitztümer auf einem Sammelkonto unter deutscher Kontrolle die späteren Deportationen finanziert werden.[6]
Aber wie haben sich die zurück gebliebene Obrigkeit und die niederländische Bevölkerung zur aggressiv antisemitischen Besatzungspolitik verhalten und was hat sie während des Kriegs vom Holocaust gewusst? In seinem Buch ‚Wider besseren Wissens. Selbstbetrug und Leugnung in der niederländischen Geschichtsschreibung über die Judenverfolgung’[7], das 2006 in den Niederlanden ob seiner Neubetrachtung der Rolle der niederländischen Exilregierung als wissenden Zuschauer des Völkermords für großen Aufruhr gesorgt hat, behauptet der Autor Ies Vuisje, dass die bisherige offizielle niederländische Geschichtsschreibung die Passivität der Niederländer und die frühen Kenntnisse über den Massenmord bewusst verharmlost hat. Immerhin ist die Zahl der Kollaborateure und SS-Freiwilligen in den Niederlanden im Vergleich zu anderen besetzten Ländern in Europa sehr hoch und die Überlebenschance von Juden während der Kriegsjahre dementsprechend sehr niedrig.[8] Allerdings werden trotz des stetigen und ungestörten Abtransports der jüdischen Bevölkerung in den letzten Kriegsjahren bereits Vorbereitungen der Exilregierung in London zur Organisation der Repatriierung zwangsdeportierter Juden in die Niederlande getroffen.
3. Politische Voraussetzungen für die Rückkehr
Nachdem die niederländische Exilregierung in London das Ausmaß der Deportationen der Juden aus ihrem Land erkannt hat, trifft sie bereits seit 1943 Vorkehrungen zur Repatriierung dieser im Hinblick auf ein baldiges Kriegsende. So sollen sogenannte Repatriierungsoffiziere den niederländischen Gefangenen in den Konzentrationslagern in ganz Europa direkt vor Ort bei ihrer Rückkehr behilflich sein, um sie dann den geplanten Empfangsstationen der militärischen Interimsverwaltung in den Niederlanden zuzuführen und ihnen eine möglichst schnelle Heimkehr zu ermöglichen. Die Hoffnung der Exilpolitiker, dass zehntausende Juden überleben und zurückgebracht werden können, ist groß aber schwindet Richtung Kriegsende je mehr Informationen über den Massenmord durchsickern. Jeder einzelne Rückkehrer soll später an der niederländischen Grenze von eigens dafür zusammengestellten Kompanien zugeordnet, überprüft und registriert werden, Kranke versorgt und Verdächtige verhaftet werden. Für die Rückführung aller niederländischen Kriegsgefangenen und verschleppten Zwangsarbeiter ist eine derart umfassende Organisation nötig, dass im Jahr 1945 mehr als 4.000 Menschen beim Repatriierungsdienst der Militärbehörde beschäftigt sind.[9] Über das Außenministerium werden Repatriierungsabkommen mit anderen europäischen Ländern geschlossen, um die Prozeduren zu vereinfachen und die großen geografischen Distanzen für die zu Repatriierenden leichter überwindbar zu machen. Aber „die niederländische Regierung im Londoner Exil hatte schon während des Krieges entschieden, dass sie nach der Befreiung im Gegensatz zu den deutschen Besatzern keinen Unterschied zwischen Juden und Nicht-Juden machen würde.“[10] Zwar wird in London 1943 eine Kommission gebildet, die sich mit ‚jüdischen Angelegenheiten’ befasst und die Exilregierung berät, diese behält ihre rein beratende Funktion aber bis Kriegsende bei und hat keine Befugnisse, jüdischen Deportierten aktiv zu helfen. So können niederländische Juden bei ihrer Rückkehr also mit keinerlei besonderer Hilfe oder Rücksichtnahme auf ihre einzigartige Situation rechnen.
Aber was für eine Situation erwartet die Heimkehrer in den Niederlanden nach dem Zweiten Weltkrieg? Bereits „im März 1944 resümierte das Reichswirtschaftsministerium, die Niederlande hätten bis dahin insgesamt etwa 8,3 Milliarden Reichsmark an Besatzungskosten bezahlt.“[11] Das heißt, bis Kriegsende im Jahr 1945 ist das Land von dieser Seite bereits wirtschaftlich weitgehend ausgeplündert und ruiniert, außerdem aber teilweise schwer getroffen von Kriegsschäden und Zerstörung. Hunger ist allgegenwärtig und es müssen zuallererst Nahrungsmittel und medizinische Einrichtungen vor Ort geschaffen werden, um die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme von zwangsdeportierten Juden und anderen Kriegsgefangenen zu schaffen. Für die befreiten Niederländer bedeutet dies nämlich, dass sie im täglichen Überlebenskampf ihre knappen Ressourcen mit den nun wiederkehrenden Flüchtlingen teilen müssen.
4. Rückkehr der jüdischen Bevölkerung
Nach anfangs viel zu hohen Schätzungen der Londoner Exilregierung kehren von den ca. 110.000 aus den Niederlanden deportierten Juden letztlich nur etwa 5.000 jüdische Überlebende aus den Konzentrationslagern zurück. 1.150 aus Auschwitz und den umliegenden Lagern, 19 aus Sobibor, 2.000 aus Bergen-Belsen, 1.500 aus Theresienstadt und Hunderte aus Ravensbrück und vielen kleineren Lagern. Insgesamt befinden sich in der Zeit nach Kriegsende geschätzt noch über eine halbe Million Niederländer außerhalb der Grenze, die zurückerwartet werden zur Repatriierung.[12] In dieser Arbeit liegt der Fokus allerdings lauter auf den wenigen jüdischen Rückkehrern, die nach Kriegsende aus den niederländischen Durchgangslagern und den verschiedenen europäischen Konzentrationslagern in die Niederlande zurückkommen.
Viele jüdische Gefangene der Konzentrationslager außerhalb der Niederlande schlagen sich nach der Befreiung auf eigene Faust durch bis an die niederländische Grenze, weil sie die Ankunft der Repatriierungsoffiziere und die Schaffung von organisierten Rückreisemöglichkeiten nicht abwarten und die Lager so schnell wie möglich verlassen wollen. Manche schließen sich eine Zeit lang amerikanischen, englischen oder russischen Truppen an, andere übernachten in polnischen und deutschen Dörfern und laufen teilweise lange Strecken zu Fuß, wenn es keine Möglichkeiten von öffentlichen Zugverbindungen gibt, so dass sie nur langsam und manchmal über Wochen und Monate unterwegs sind. Tausende, auch niederländische, Häftlinge aber sind zu geschwächt und zu krank vom jahrelangen Lagerleben unter katastrophalen Umständen, um die Rückkehr anzutreten, und müssen gezwungenermaßen noch geraume Zeit in den Konzentrationslagern oder umliegenden Krankenhäusern bleiben.[13] An der niederländischen Grenze, vor allem im Süden des Landes, wird in dieser Zeit verstärkt am Ausbau der Grenzüberwachungen und der Errichtung von Auffanglagern gearbeitet, um dem Strom der Flüchtlinge besser Herr zu werden und Krankheiten und unerwünschte Personen außer Landes zu halten – dazu werden bei Empfang und registrierter Unterbringung auch Befragungen zur politischen Einstellung der Flüchtlinge vorgenommen. Sogenannte ‚stateless persons’, vor allem staatenlose Juden, die ursprünglich aus dem nationalsozialistischen Deutschland in die Niederlande geflüchtet sind, und als Juden ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben, und nun in die Niederlande zurückkehren wollen, sorgen für einige Verwirrung in der Administration, werden ebenfalls aufgenommen aber unterschiedlich behandelt und untergebracht.[14] Auf die besondere Situation der staatenlosen Juden wird unter Punkt 4.1 und 5.1 noch genauer eingegangen.
Denn schnell wird auch Kritik laut an der niederländischen Repatriierungspolitik – so wird z.B. die Abwesenheit niederländischer Helfer und Repatriierungsfunktionäre beklagt, die die jüdischen Rückkehrer organisatorisch logistisch und direkt vor Ort unterstützen sollen. Da die niederländische Armee aber nicht in Deutschland einrückt, haben es die Verwaltung und das zuständige Repatriierungskommissariat schwer, niederländische Flüchtlinge zurück mit nach Hause zu nehmen und ein Netz an Mitarbeitern zur Beschleunigung der Rückkehrerflüsse aufzubauen. So werden befreite französische und belgische Rückkehrwillige viel schneller repatriiert als niederländische, die häufig noch über lange Umwege und erzwungene Wartezeiten in Frankreich und Belgien wieder in die Niederlande gelangen, weil dort die Kapazitäten erschöpft sind und erst neue Voraussetzungen für ihre Aufnahme geschaffen werden müssen.[15] Die Rückkehr niederländischer Juden aus den internationalen Konzentrations- und Vernichtungslagern vor allem in Osteuropa geht also sowohl durch die schwierige Überbrückung der geografischen Abstände im kriegsgeschädigten Europa 1945 als auch durch die viel Aufwand erfordernde Aufnahmeorganisation der niederländischen Behörden an der Grenze sehr zögerlich vonstatten.
4.1 Die niederländischen Lager Westerbork und Vught
Auch für das niederländische Durchgangslager Westerbork ist der genannte Kritikpunkt nachzuvollziehen, dass die gesamte Prozedur der Freilassung der internierten Juden aus dem Lager zur Repatriierung sehr lange dauert. Nach den letzten Transporten jüdischer und anderer Gefangener nach Auschwitz und Theresienstadt im September 1944 bleiben noch 918 (davon 569 niederländische) Juden in Westerbork übrig, die das Lager nach der Befreiung durch die Kanadier bei Kriegsende erst einmal nicht verlassen dürfen, dies aber in den folgenden Wochen illegal in großer Anzahl tun.[16] Ab April 1945 wird Westerbork als Internierungslager für Kollaborateure der niederländischen NSB (Nationaal-Socialistische Beweging) genutzt – Ende Juni sind es bereits mehr als 10.000 Häftlinge, die antisemitischer Gesinnung sind, während zu gleicher Zeit auch noch etwa 300 staatenlose Juden dort festgehalten werden, um deren Herkunft zu klären. Hier sind also Juden nach dem Krieg im gleichen Lager interniert wie Anhänger der mit Hitler paktierenden ehemaligen nationalsozialistischen Partei der Niederlande, was die einzigartige Situation, in der sich die dortigen Juden ohne Staatsangehörigkeit befinden noch absurder macht. So beschweren diese sich dann auch bei der zuständigen militärischen Behörde darüber, denn immerhin haben die jüdischen Gefangenen nach der Befreiung und Kriegsende gewisse Freiheiten innerhalb des Lagers.[17] Ab Anfang Juli 1945 werden nach und nach alle noch festgehaltenen Juden verschiedener Nationalitäten aus Westerbork entlassen.
Das Konzentrationslager Vught (Herzogenbusch) bei ’s-Hertogenbosch wird bereits um einiges früher als Internierungslager für ehemalige niederländische Nationalsozialisten der NSB genutzt, da es in Erwartung der Alliierten bereits im September 1944 geräumt wird - die jüdischen Gefangenen werden allesamt in andere deutsche Lager abtransportiert.[18]
5. Empfang der Repatriierten ‚zu Hause’
„Wir jubeln und singen, aber niemand ist da. Wo sind die Komitees für unseren Empfang? Dann sehen wir, dass wir uns einem Bahnhof nähern. Ein Schild sagt uns, dass es die Stadt Eysden ist. Jetzt werden wir unseren großen Empfang haben, mit Reden, Musik und Tanz. Der Zug hält nicht im Bahnhof, sondern auf einem Abstellgleis.“[19] Das Zitat aus den direkt nach der Rückkehr in die Niederlande aufgeschriebenen Erinnerungen des ehemaligen Zwangsarbeiters und Holocaust-Überlebenden Coen Rood zeigt, wie groß die Gleichgültigkeit der Niederländer im Jahr 1945 gegenüber den jüdischen Heimkehrern mit großen Erwartungen ist. Sei es aus Unwissen über die schrecklichen deutschen Verbrechen oder aufgrund der starken Beschäftigung mit eigenen Problemen in dieser Zeit oder sogar aus einer antisemitischen Haltung heraus. Es gibt positive wie negative Beispiele von Reaktionen auf zurückgekehrte Juden in die Niederlande, aber insgesamt bekommen die Rückkehrer keine große Aufmerksamkeit. Die niederländische Gesellschaft begegnet den Repatriierten mit wenig Empathie und scheint das Leid, das ihre jüdischen Mitbürger überlebt haben, nicht ganz erfassen zu können.[20] Den Heimkehrern bleibt nach der grausamen Erfahrung der Verschleppung und Misshandlung in den Lagern und einer meist beschwerlichen Rückkehr sowie der persönlichen physischen wie psychischen Folgeschäden nur der Versuch eines möglichst reibungslosen Wiedereinstiegs in die niederländische Nachkriegsgesellschaft.
5.1 Persönliche Erlebnisse und Einzelschicksale
Aufgrund der Entscheidung der niederländischen Regierung, zurückkehrende Juden und Nicht-Juden bei ihrer Repatriierung in der Behandlung nicht zu unterscheiden, finden sich in den Archiven keine Unterlagen, die sich speziell mit der Rückkehr der jüdischen Bevölkerung befassen. Einige Vorfälle und Beschwerden von jüdischen Heimkehrern sind allerdings auch durch schriftlichen Briefverkehr zu und zwischen den zuständigen Repatriierungsbehörden und Ämtern archiviert worden und dadurch erhalten geblieben. So gibt es einen bewahrten Briefwechsel zwischen dem Auffangzentrum in Nijmegen und dem militärischen Repatriierungsdienst, in dem die Beschwerde eines jüdischen Niederländers weiter gereicht wird, der nach einer Zeit von 15 Monaten in Westerbork nach Rückkehr in Nijmegen bei der medizinischen Kontrolle von einem dafür zuständigen Mitarbeiter antisemitisch beleidigt wird.[21] Ein relativ harmloser und kleinerer Vorfall, aber auch die Tatsache, dass er seinen Eingang in die Archive gefunden hat, lässt vermuten, dass er exemplarisch für viele andere Erlebnisse der niederländischen Juden in dieser Zeit steht. Sicher gibt es auch sehr viele Beispiele positiver Erfahrungen und Ereignisse mit herzlichen und sich sorgenden Niederländern, zu kritisieren sind jedoch die vorgefallenen negativen Geschehnisse und Beispiele von Schwierigkeiten und Problemen bei Rückkehr und Auffangung bis hin zu verstecktem und ganz offenen Antisemitismus - auch um eine Wiederholung der Geschichte durch Mittel von Bewahrung und Aufklärung zu verhindern.
In dem durch ausgiebige Korrespondenz weitläufig dokumentierten ‚Fall Gassan’ im Juni 1945 beschäftigt das Militär und den Repatriierungsdienst in Maastricht die Tatsache, dass als ein Hauptmann der Polizei (mit Namen Gassan) erfährt, dass seine Frau und seine zwei Kinder den Holocaust überlebt haben, diese direkt nach deren Ankunft mit dem Zug aus Bergen-Belsen im Auffanglager in Maastricht abholt, ohne die langwierigen Aufnahmeprozeduren abzuwarten oder dies offiziell anzufragen und genehmigen zu lassen. Daraufhin wird seitens der militärischen Verwaltung kritisiert, dass die medizinische Versorgung und spezielle Isolationsbehandlung gegen den Ausbruch von Seuchen der Frau und der Kinder nicht vollständig durchgeführt und die administrative Registrierung noch nicht abgeschlossen worden ist.[22] Der Hauptmann und seine Familie werden von den Behörden ausfindig gemacht, doch diese ist bereits in einem Amsterdamer Krankenhaus untergebracht, und der Polizist zeigt sich einsichtig, gibt zu, mehr aus Gefühl als nach Verstand gehandelt zu haben und wird nicht bestraft. In diesem Fall spielt Antisemitismus also nicht die geringste Rolle bei den Rückkehrschwierigkeiten, vielmehr wird anhand der behördlichen Briefwechsel deutlich, wie hartnäckig und kompliziert die bürokratischen Verwaltungsstrukturen und die Ausführung der Auffangprozeduren nach Kriegsende in den Niederlanden sind.[23] Nach jahrelangem Lageraufenthalt unter widrigsten Umständen und einer anstrengenden Rückkehr in die Heimat müssen sich die zu Hause angekommenen Juden also zuerst noch medizinischen aber auch beschwerlichen administrativen Verfahren unterziehen, deren Umgehung eine polizeiliche Verfolgung und behördliche Bestrafung nach sich ziehen kann, wie es der Familie Gassan in ihrem besonderen Fall nahezu zugestoßen ist.
Eine weitere Gruppe obig in Kapitel 4 erwähnter sogenannter staatenloser Juden ist nach dem Krieg in der Nähe von Valkenburg interniert – es sind ursprünglich deutsche Juden, die vor der Besatzung in der Niederlande gewohnt haben, durch eine Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit im Dritten Reich staatenlos geworden und später nach Bergen-Belsen deportiert worden sind. Nach ihrer als Deutsche angesehen, werden 18 dieser Juden in einem Internierungslager bei der Ortschaft Vilt mit ehemaligen Mitgliedern der nationalsozialistischen SS und der NSB als Mitinsassen und Häftlinge untergebracht und müssen mit diesen zusammen wohnen und arbeiten. Als diese ebenso gegensätzlichen wie untragbaren Gegebenheiten sowie die Tatsache, dass den jüdischen Insassen das Gepäck abgenommen wird, nach kurzer Zeit an die Öffentlichkeit dringen und offizielle Autoritäten eingeschaltet werden, können die jüdischen Internierten in einem anderen Lager untergebracht werden, ohne dass sie allerdings ihr Gepäck zurück bekommen.[24] Gerade dieser Umstand und der Zwang zur Abgabe von allen Lebensmitteln, Medizin, Rauchartikeln und sogar sämtlicher Kleidungsstücke führt später zu einer großen Anzahl von schriftlichen Beschwerden seitens der Juden sowie ehemaliger Widerstandskämpfer, die diese skandalösen Zustände schriftlich anprangern und damit eine Telegrammwelle bis hin zum niederländischen Justizminister auslösen. Denn dazu kommt, dass sich ein Hauptmann des Lagers antisemitisch äußert: „Erstens seid ihr Deutsche, zweitens seid ihr Juden, und dass ich kein Judenfreund bin, das werdet ihr schon noch merken.“[25] Und die Aufseher weisen jegliche Schuld von sich, um eher noch das Verhalten der jüdischen Internierten anzuprangern und sogar ihre Herkunft aus deutschen Konzentrationslagern anzuzweifeln. Nahezu alle Beschwerden werden abgeschmettert, und es wird deutlich, dass sich in diesem speziellen Fall die Gründe für die Schwierigkeiten der jüdischen Repatriierten vermischen - dass die Rückkehr der staatenlos gewordenen Juden in die Niederlande teilweise gegen Ihren Willen von den Alliierten erzwungen wird, kommt noch problematisch hinzu. Aber die Hauptursache für die Unmöglichkeiten in diesem Fall ist, dass die niederländische Regierung auch bei der Heimkehr sogenannter Staatenloser nicht zwischen Juden und Nicht-Juden unterscheidet, wodurch die bürokratische Registrierung und nationale Zuordnung für jene Rückkehrer noch erschwert wird.[26]
5.2 Reaktionen der Niederländer
Die Niederländer reagieren natürlich ganz unterschiedlich auf die nach der Befreiung zurückkehrenden Juden, genauso wie es während des Krieges und der deutschen Besatzung unterschiedliche Haltungen und Verhaltensweisen gegenüber jüdischen Mitbürgern in den Niederlanden gegeben hat. In den Akten und Datenbanken der Archive lassen sich allerdings mehr negative als positive Beispiele für die Erfahrungen der jüdischen Repatriierten finden - doch gibt es z.B. Interviews aus dem Jahr 1989, in denen Zurückgekehrte von positiven Erlebnissen bei ihrer Ankunft ‚zu Hause’ in den Nachkriegsniederlanden berichten. So spricht ein Heimkehrer davon, dass er 1945 durch den Inhaber eines Amsterdamer Kleidungsgeschäfts in dessen Laden spontan komplett neu eingekleidet worden ist, andere loben die Hilfsbereitschaft der Nachbarn bei den ersten anfallenden Alltagsverrichtungen oder die neuen Bewohner der ehemaligen Wohnungen, die ebenso bereitwillig wie fürsorglich Unterkunft und Mahlzeiten anbieten.[27]
Demgegenüber stehen die häufiger überlieferten negativen Reaktionen und Begegnungen, die sich laut der niederländischen Historikerin Dienke Hondius systematisch mit verschiedenen menschlichen Handlungsmotiven begründen lassen. Neben den bereits weiter oben in Kapitel 3. und 5.1 erwähnten Beispielen für das Ausmaß und die strikte Anwendung von Formalismus und Bürokratie nennt sie ‚Unverständnis’ als eins der Motive für die ablehnenden Haltungen seitens der Niederländer.[28] Denn nicht nur die Kälte des Verwaltungs- und Behördenapparats statt herzlicher Willkommensworte oder etwa Integrationshilfen machen den rückkehrenden Juden noch monatelang zu schaffen, sondern auch die Tatsache, dass sie auf Unverständnis bei der niederländischen Bevölkerung stoßen. Ein makabrer Witz, der nach dem Krieg bei jüdischen Überlebenden der Konzentrationslager kursiert lautet folgendermaßen: „Ein niederländischer Jude begegnete kurz nach seiner Rückkehr aus Polen seinem früheren Nachbarn, und das erste, was dieser zu ihm sagte, war: ‚Du kannst von Glück reden, dass du im vergangenen Winter nicht hier warst.’“[29] Der Witz spielt an auf die starke Beschäftigung der Niederländer mit ihrem eigenen Kriegsleid, wodurch sie sich noch weniger oder überhaupt nicht in die Situation der zurückkehrenden Holocaust-Überlebenden hineinversetzen können oder auch wollen. Nicht selten werden den Juden ihre Erfahrungen aus den Vernichtungslagern ganz einfach nicht geglaubt, weil sie für viele Niederländer derart unwahrscheinlich klingen, und die Realität womöglich lieber verdrängt oder beschönigt wird, auch um die eigene Rolle bei den vorangegangenen Deportationen der Juden nicht hinterfragen zu müssen. Letzteres zeigt sich auch in gleichgültigen Reaktionen gegenüber dem Schicksal der wiederkehrenden Juden, die für viele derer beleidigend wirken und dazu führen, dass viele jüdische Rückkehrer ihre Erinnerungen an die schlimmen Erlebnisse für sich behalten und gegenüber jenen unverständigen oder desinteressierten nichtjüdischen Niederländern gute Mine zum bösen Spiel machen.[30] So wird den Juden unter anderem auch in der niederländischen Presse als guter Rat empfohlen, manchmal gar warnend gedroht, sich zurückhaltend zu benehmen, um etwaigem wieder aufkeimendem Antisemitismus entgegenzuwirken. Unauffällig im Hintergrund, bescheiden und dankbar für den wieder ermöglichten Aufenthalt in den Niederlanden sollen sie sein, und damit angeblich selbst den Grad ihrer Akzeptanz und Beliebtheit steuern können.[31]
Ein weiterer Beweggrund für viele negative Reaktionen der Niederländer auch in der Nachkriegszeit ist Neid auf materielle Dinge der zurückgekehrten Juden – paradox, da diese doch zum Teil all ihren Besitz mittels Enteignung durch die Nationalsozialisten verloren haben oder haben verkaufen und verschenken müssen. Aber auch zwischenmenschlich zeigen viele Niederländer laut archivierter Überlieferungen Missgunst statt Empathie, gönnen ihren jüdischen Mitbürgern nicht die kleinsten Annehmlichkeiten und neiden ihnen Arbeitsplätze und wirtschaftliche wie gesellschaftliche Führungspositionen, die laut Forderung mehrerer erhaltener antisemitischer Leserbriefe fast ähnlich wie in der Zeit der deutschen Besatzung mit einer Quote für Juden beschränkt werden sollen.[32] Die Eifersucht auf den Besitz der Rückkehrer und der daraus entstehende Materialismus führen zwangsläufig zu Problemen zwischen Niederländern und jüdischen Repatriierten. „Besonders hart war die Rückkehr für die Juden, die überlebt hatten. Sie wurden kühl empfangen und hatten oft die größten Schwierigkeiten, ihre frühere Wohnung und ihren Besitz zurückzuerhalten.“[33] Schnell werden Niederländer, die die während der Verschleppung für Juden aufbewahrten Güter einfach einbehalten und nach dem Krieg zum Teil sogar bestreiten, dass es sich um deren Eigentum handelt, abwertend ‚bewariers’ (Wortkombination aus nl. bewaaren = behalten und nl. ariers = Arier) genannt. Zahlreiche Schicksale von nach der Befreiung heimgekehrten Juden, die große Mühe gehabt haben, ihre Sachen ganz oder auch nur teilweise zurück zu bekommen, sind überliefert, aber selbstverständlich haben viele Niederländer die ihnen in der Not anvertrauten oder günstig übernommenen Besitztümer auch problemlos und gerne wieder zurückgegeben.[34]
5.3 Antisemitismus in den Niederlanden
Wie stark Antisemitismus bei den Niederländern unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg noch oder wieder ausgeprägt und verbreitet ist, lässt sich anhand der beschriebenen Beispiele und Motive sowie vieler weiterer überlieferter hier nicht aufgeführter Fälle eindrucksvoll belegen. Dienke Hondius unterscheidet dabei zwischen ‚antisemitischen Vorurteilen’ und ‚öffentlichem, bewusstem oder aggressivem Antisemitismus’, wobei anzumerken ist, dass die Niederländer, die ihrem Verhalten nach durchaus in die erste Gruppe passen, sich häufig selbst nicht als Antisemiten betrachten.[35] In den niederländischen Zeitungen wird das Thema ab Mitte 1945 stark diskutiert, und der Inhalt vieler Artikel, Leserbriefe und auch Bücher dieser Zeit ist eindeutig von antisemitischen Vorurteilen geprägt. „Auch wenn ich nicht imstande bin, genau zu beschreiben, was ich gegen sie habe, sie gehen mir auf jeden Fall gegen den Strich. Wie sehr das, was während der Besatzung passiert ist, auch Abscheu erweckt, doch ist es gut, dass wir sie los sind.“, schreibt H.W.J. Sannes, der Autor des Buches ‚Unsere Juden und Deutschlands Griff nach der Weltmacht’[36]. Dennoch zählt er die nach seiner Meinung meist vorkommenden Vorurteile gegenüber Juden auf, nennt viele von ihm aus antisemitischen Äußerungen gesammelte vermeintliche ‚jüdische Eigenschaften’ wie ‚zu lebendige Umgangsformen, Aufdringlichkeit, Arroganz, Faulheit, der Griff nach der Weltherrschaft’ sowie dergleichen mehr und bezieht schließlich doch Stellung dagegen.[37] Tatsache ist, dass sich viele nicht-jüdische Niederländer gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern überlegen fühlen, was durch die missliche, hilfsbedürftige Lage der Juden während der Verfolgung und nach ihrer Rückkehr paradoxerweise noch verstärkt wird.[38]
Sehr aggressiv antisemitisch geht es häufig bei zufälligen Begegnungen zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Niederländern im öffentlichen Raum zu, denn viele Antisemiten nehmen in der unmittelbaren Nachkriegszeit kein Blatt vor den Mund und schimpfen sehr offen über Juden. In der Zeit direkt nach Bekanntwerden der Gräueltaten des Holocaust aus heutiger Sicht sehr verwunderlich, sollten doch gerade dann der Schrecken darüber und im Zweifel das Mitgefühl mit den Opfern groß gewesen und Vorurteile abgebaut worden sein. Stattdessen scheint die Lebenssituation für die Juden in den Niederlanden mancherorts noch ähnlich unangenehm antisemitisch überschattet zu sein wie zu Besatzungszeiten - sind es während des Krieges noch 7,50 Gulden, die, einmalig in Europa, von der Besatzungsregierung für jeden aufgespürten und denunzierten Juden bezahlt werden[39], und somit ein offen aggressiver Antisemitismus sogar staatlich gefördert wird, ist nach der Befreiung auch ganz ohne diesen Einfluss noch ein bewusster antisemitischer Tenor bei der niederländischen Bevölkerung zu spüren. Da aber längst nicht alle Geschehnisse angezeigt werden, und die Dunkelziffer sicher viel höher liegt, gibt es wenig konkrete Zahlen über die tatsächliche Häufigkeit der Vorfälle.
6. Schlussbemerkung
Viele der beschriebenen Geschehnisse sprechen dafür, dass Antisemitismus in den Niederlanden im Vergleich zu den anderen besetzten westeuropäischen Ländern während der deutschen Besatzungszeit und auch nach der Befreiung häufiger vorkommt. Die Niederlande weist von diesen Ländern die höchste jüdische Opferzahl auf, da etwa 70 Prozent der deportierten niederländischen Juden während des Holocaust von den Nationalsozialisten ermordet werden und nicht zurückkehren.[40]
Die wenigen Rückkehrer werden weitaus weniger herzlich empfangen als z.B. in Belgien oder Frankreich und müssen vor der eigentlichen Ankunft zu Hause häufig erneut noch wochenlang interniert die Lagerbedingungen und umständliche bürokratische Hürden in Kauf nehmen.[41] Dabei sind antisemitische Vorkommnisse keine Seltenheit, so dass sich die Frage stellt, ob sich die eingangs zitierte Aussage Anne Franks aus ihrem Tagebuch, ob der Jude nach dem Krieg doch wieder weniger als die anderen sei, wenn es um die Rückkehr in die Niederlande geht, nicht bewahrheitet hat. Denn in den Niederlanden wird auch und vor allem von staatlicher Seite streng darauf geachtet, dass ‚der Jude’ bei und nach der Heimkehr zwar nicht weniger aber auch keinesfalls mehr ist als die anderen. Der Beschluss der niederländischen Exilregierung in London, bei der offiziellen Repatriierung keine Unterscheidung zwischen Juden und Nicht-Juden zu machen und keine Rücksicht auf die besondere Situation der Überlebenden des Holocaust zu nehmen, ist der erste Schritt dazu. Die spätere Behandlung der Juden in den Auffanglagern entbehrt allerdings zum Teil jeglicher Würde, und eine erfolgreiche Wiedereingliederung der niederländischen Juden in die Gesellschaft wird seitens der Regierung durch umfangreiche bürokratische Maßnahmen nicht gerade erleichtert. Die vielen latent bis öffentlich aggressiven antisemitischen Reaktionen der Niederländer machen es ebenfalls nicht einfacher für die langsam wiederkehrende jüdische Bevölkerung und sorgen dafür, dass diese, zwar wieder in den Niederlanden, aber zumindest auf inoffizieller gesellschaftlicher Ebene tatsächlich doch wieder ein bisschen weniger ist als die anderen. Die archivierten persönlichen Erlebnisse der Rückkehrer zeugen bis heute davon und sollten helfen, solch teils unmenschliches antisemitisches Verhalten für die nachkommenden Generationen der Niederländer vermeidbar zu machen. Neben einigen ehemaligen Konzentrationslagern, die heutzutage als Museum wirken, gibt es in den Niederlanden auch zahlreiche Gedenkstätten zum Holocaust, um sich der jüdischen Opfer und Rückkehrer zu erinnern und eine Wiederholung der Vergangenheit zu verhindern.
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(Sannes, H.W.J.: Onze joden en Duitschlands greep naar de wereldmacht. Holland uitgeversmij, Amsterdam 1946)
(Vuijsje, Ies: Tegen beter weten in. Zelfsbedrog en ontkenning in de Nederlandse geschiedschrijving over de jodenverfolging. Amstel uitgevers, Amsterdam 2006)
http://www.nzz.ch/2006/05/18/fe/articleE4L2A.html (Stand 18.05.2006)
(Heiko Kappe: Selektive Erinnerung? Ein Historiker stellt in den Niederlanden unbequeme Fragen. In: Neue Züricher Zeitung 18.05.2006)
http://www.sueddeutsche.de/kultur/700/406477/text (Stand 03.05.2006)
(Die Niederlande und der Holocaust. 7,50 Gulden für einen Juden. In: Süddeutsche Zeitung 03.05.2006)
http://www-lib.usc.edu/~anthonya/holo.htm (Stand 24.10.1995)
Anderson, Anthony E.: Anne Frank was not alone: Holland and the Holocaust. Online, 1995
[...]
[1] Frank, Anne: Das Tagebuch der Anne Frank. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1979, S. 180
[2] Pflock, Andreas: Auf vergessenen Spuren. Ein Wegweiser zu Gedenkstätten in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2006, S. 59
[3] Vgl. Benz, Wolfgang: Lexikon des Holocaust. Beck Verlag, München 2002, S. 159
[4] Vgl. ebd., S. 159
[5] Ebd., S. 160
[6] Vgl. ebd., S. 160
[7] Originaltitel: Vuijsje, Ies: Tegen beter weten in. Zelfsbedrog en ontkenning in de Nederlandse geschiedschrijving over de jodenverfolging. Amstel uitgevers, Amsterdam 2006
[8] Vgl. http://www.nzz.ch/2006/05/18/fe/articleE4L2A.html (Heiko Kappe: Selektive Erinnerung? Ein Historiker stellt in den Niederlanden unbequeme Fragen. In: Neue Züricher Zeitung, 18.05.2006)
[9] Vgl. Beening, André: Der Kampf um Anerkennung. Ehemalige Zwangsarbeiter aus den Niederlanden. In: Zentrum für Niederlande-Studien, Jahrbuch 14 (2003), Aschendorff Verlag, Münster 2004, S. 107
[10] de Graaf, Eric: Das Opferbild im historischen Gedächtnis europäischer Länder. Die Niederlande. Rijksuniversiteit Groningen 1998, S. 5
[11] Aly, Götz: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2007, S. 167
[12] Vgl. Hondius, Dienke: Terugkeer. Antisemitisme in Nederland rond de bevrijding. SDU uitgeverij, ‘s Gravenhage 1990, S. 51
[13] Vgl. Hondius, Dienke: a.a.O., S. 66
[14] Vgl. ebd., S. 70/71
[15] Vgl. Beening, André: a.a.O., S. 110
[16] Vgl. Hondius, Dienke: a.a.O., S. 74
[17] Vgl. ebd., S. 75
[18] Vgl. Pflock, Andreas: a.a.O., S. 108
[19] Rood, Coen: Wenn ich es nicht erzählen kann, muss ich weinen. Als Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2002, S. 201
[20] Vgl. Benz, Wolfgang: a.a.O., S. 160
[21] Vgl. Hondius, Dienke: a.a.O., S. 77
[22] Vgl. Hondius, Dienke: a.a.O., S. 78
[23] Vgl. ebd., S. 79
[24] Vgl. Hondius, Dienke: a.a.O., S. 80
[25] Ebd, S. 83
[26] Vgl. ebd., S. 85
[27] Vgl. Hondius, Dienke: a.a.O., S. 86
[28] Vgl. ebd., S. 93
[29] Beening, André: a.a.O., S. 112
[30] Vgl. Hondius, Dienke: a.a.O., S. 95
[31] Vgl. Hondius, Dienke: a.a.O., S. 96
[32] Vgl. ebd., S. 101
[33] Wielenga, Frieso: Die Niederlande: Politik und politische Kultur im 20. Jahrhundert. Waxmann Verlag, Münster 2008, S. 250
[34] Vgl. Hondius, Dienke: a.a.O., S. 103
[35] Vgl. Hondius, Dienke: a.a.O., S. 89
[36] Originaltitel: Sannes, H.W.J.: Onze joden en Duitschlands greep naar de wereldmacht. Holland uitgeversmij, Amsterdam 1946
[37] Vgl. Hondius, Dienke: a.a.O., S. 92/93
[38] Vgl. ebd., S. 119
[39] Vgl. http://www.sueddeutsche.de/kultur/700/406477/text (Die Niederlande und der Holocaust. 7,50 Gulden für einen Juden. In: Süddeutsche Zeitung 03.05.2006)
[40] Vgl. http://www-lib.usc.edu/~anthonya/holo.htm (Anderson, Anthony E.: Anne Frank was not alone: Holland and the Holocaust. Online, 1995)
[41] Vgl. Beening, André: a.a.O., S. 111
- Arbeit zitieren
- Jens Buchwald (Autor:in), 2009, Die Rückkehr jüdischer Holocaust-Überlebender in die Niederlande nach dem Zweiten Weltkrieg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/340324
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